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Sarrazins Applaus

Thilo Sarrazin hat in der 14. Auflage seines Buchs einige Passagen überarbeitet. Besonders die genetisch argumentierenden Stellen wurden abgeschwächt. Die Welt hat Text-Synopse betrieben:

„In seinem besonders umstrittenen achten Kapitel (‚Demografie und Bevölkerungspolitik: Mehr Kinder von den Klugen, bevor es zu spät ist‘) hat Sarrazin einen kompletten Satz gestrichen. Es geht hier um die kulturelle Fremdheit muslimischer Migranten und deren geringes ‚qualifikatorisches oder intellektuelles Potenzial‘. In der 1. Auflage schreibt Sarrazin auf Seite 370: ‚So spielen bei Migranten aus dem Nahen Osten auch genetische Belastungen – bedingt durch die dort übliche Heirat zwischen Verwandten – eine erhebliche Rolle und sorgen für einen überdurchschnittlich hohen Anteil an verschiedenen Erbkrankheiten.‘ In der aktuellen 14. Auflage ist dieser Satz nicht mehr enthalten. Sarrazin hat an seiner Stelle einen Satz, der sich zuvor in den Fußnoten befand, eingefügt: ‚Die für die Einwanderung nach Deutschland relevanten Herkunftsgebiete – Türkei, Nah- und Mittelost, Nordafrika – weisen sowohl bei den Pisa-Studien als auch bei den TiMSS-Studien (International Mathematics and Science Study) sehr niedrige Werte aus, die zur Schulleistung der entsprechenden Migrantengruppen in den Beziehungsländern passen.'“

Dass Sarrazin sich von Sarrazin distanziere, wie die kühne Überschrift behauptet, ist aber Quatsch. Es handelt sich um „Präzisierungen“, wohl nicht zuletzt um der SPD den Parteiausschluss so schwer wie möglich zu machen.

Es ist von einigen hier in diesem Blog immer wieder bemängelt worden, dass ich die Rezeption des Buchs mit mehr Aufmerksamkeit bedacht habe als die Thesen. Im Prinzip ist das ein korrekter Einwand. Aber erstens fand eine starke Auseinandersetzung mit den Thesen schon statt (ich selber habe auch zur ersten Runde Sarrazin-Debatte nach dem Lettre-Interview bereits mehrfach geschrieben). Und zweitens gibt es Bücher, deren Rezeption interessanter ist als ihr Inhalt. Dies hier ist so ein Fall. Zum Inhalt ist auch manches zu sagen, aber der Effekt des Buchs ist nicht auf der Sachebene allein zu klären. Gegenargumente vorbringen, Abwägen, Widerlegen bringt nicht viel angesichts des Gefühls der Befreiung, das manche Leser offenbar empfinden. Bitte: Es gibt kritische, abwägende Leser, die sich das Buch keineswegs nur reinziehen, um ihre Wut zu munitionieren.

Aber es gibt eben auch die anderen, und die sind furchteinflößend. Mir fällt dazu keine Parallele ein.

Zitat aus dem Porträt von Michael Slackman (New York Times) über Thilo Sarrazin:

„Still, it seems that what has made Mr. Sarrazin so popular, or notorious, is not just his attack on Muslims, which is certainly not the first. What he seems to have accomplished is blasting open a door many thought was sealed shut by Germany’s Nazi past. As a lifelong Social Democrat, and not some fringe far right extremist, Mr. Sarrazin has made it acceptable for the German everyman to criticize a specific minority group, and to make sweeping statements about that group’s intellectual capacity.“

Wer das für falsch hält, lese bitte die letzte Kolumne von Ulrich Jörges im Stern: Ihr Applaus, Herr Sarrazin. 

 

Islam, Islamismus und der Westen

Das Mideast Freedom Forum hat nun ein Video meiner Debatte mit Daniel Pipes hochgeladen.
(Sehr lang. Aber das Tolle am digitalisierten Leben ist ja die Vorspulfunktion, die im analogen Alltag leider noch fehlt.)

Daniel Pipes, Jörg Lau debate „Islam, Islamism and the West“ from Mideast Freedom Forum Berlin on Vimeo.

 

„Die Islam-Debatte ist primitiv“

Meint Daniel Pipes in einem Interview mit Ramon Schack (in der NZZ), das anläßlich unseres Berliner Disputs geführt wurde.

Zitat:

„Wie beurteilen Sie eigentlich die aktuelle Debatte in Europa und den USA um den Islam, die Integration von muslimischen Einwanderern usw.?

Die aktuelle Islam-Debatte im Westen ist primitiv. Unsere Probleme bestehen doch nicht aus Moscheebauten, Minaretten oder Kopftüchern. Es handelt sich um eine Phantomdebatte, an den eigentlichen Problemen wird vorbeidiskutiert. Wir müssen Massnahmen ergreifen, um die unbestrittenen, einmaligen Vorzüge der westlichen Zivilisation zu verteidigen, und dabei die Herzen der moderaten Muslime gewinnen, nicht aber Hysterie und Misstrauen streuen.

Sie selbst haben den niederländischen Politiker Geert Wilders öffentlich unterstützt. Begrüssen Sie den Aufstieg von islamfeindlichen, rechtspopulistischen Parteien in Europa?
Wilders‘ politische Agenda ist natürlich bizarr und nicht ernst zu nehmen, sein Parteiprogramm voller unhaltbarer Versprechungen und einfacher Lösungen. Allerdings hat er das Recht, seine Meinung zu äussern. Ich betrachte es als Skandal, dass er nicht ohne Leibwächter das Haus verlassen kann. Der Aufstieg dieser Parteien in Europa, die ja keinen einheitlichen Block bilden, ist das Resultat eines Versagens der politischen Klasse. Es wäre den etablierten Politikern und Parteien zu raten, sich dieses Themas anzunehmen, die Debatte zu führen und zu moderieren. Andernfalls wird die innenpolitische Lage in Europa weiter eskalieren, mit einer zunehmenden Radikalisierung auf allen Seiten.“

Mit diesen Äußerungen habe ich überhaupt kein Problem. Aber ich muss sagen, dass ich Pipes nicht verstehe, und das wird durch dieses Gespräch unterstützt. Er heizt doch selber eben jene haltlosen Debatten mit an, die er hier nun plötzlich als „primitiv“ oder „hysterisch“ bezeichnet. Er war es doch, der die geplante Moschee am Ground Zero als „Triumphalismus“ denunzierte. Er war es, der sogar noch die muslimische Miss America runtermachte zu einem Beleg für politische Korrektheit und affirmative action (lies: Dhimmitum auf seiten der Juroren). Er stilisiert das angebliche Verbot von Sparschweinen in England zum Beleg für für die Islamisierung Europas.

Und Wilders: Dass er ihn nun so runtermacht, wundert mich auch, denn er begrüßt ausdrücklich das Aufkommen rechtspopulistischer Parteien überall in Europa. So geschehen in unserer Debatte vorletzten Mittwoch in Berlin.
Mir fehlen die Worte dafür, dass er die  Türkei langfristig als eine „größere Bedrohung“ denn Iran ansieht und sie als schechthin „verloren“ für den Westen abtut. In Berlin hatte er sogar gesagt, die Türkei sei „the enemy“. Zugleich wird aber Iran als so gefährlich hingestellt, dass Obama „endlich handeln“ müsse, vulgo: bombardieren.
Und so hat man immer einen Feind im Ärmel. Ist der Iran erst ausgeschaltet, muss man sich etwas für den langfristigen „Feind“ Türkei überlegen.

 

Alice Schwarzer gegen Sarrazin

Hätte kaum gedacht, dass ich noch einmal Anlass haben würde, mich mit Alice Schwarzer einverstanden zu erklären. Ich muss sagen, ich bin hocherfreut darüber, dass Schwarzer die Unterscheidung zwischen Islam und Islamismus so deutlich macht in ihrer Laudatio auf Necla Kelek. Und dies zugleich noch in Kombination mit einer Attacke auf Thilo Sarrazin, dessen Buch die gelobte Kelek doch der Öffentlichkeit so warm ans Herz gelegt hatte. (Bisschen pikant, aber da die beiden in regem Austausch stehen, kann man wohl auch Necla Keleks Bedenken gegen Sarrazin in Schwarzers Ausführungen lesen…)

Mich freut das, weil die radikale Rechte (inklusive der Ulfkotte, Herre, Stadtkéwitz et al.) ihren „islamkritischen“ Diskurs auf der Verschleifung jener Differenzen aufbaut, die Schwarzer nun wieder klar zu ziehen versucht. Offenbar ist ihr da was unangenehm aufgefallen. Was mir an Schwarzer positiv auffällt, ist ihre Zurückweisung des „Horrorszenarios eines Türkensturmes qua Demographie“ – und dass sie die Debatte um die Demographie vom Sarrazinschen soziobiologisch gedeutetenKulturkampf wieder auf die Frage der Emanzipation zurückführt:

Und das alles im Namen der Differenz. „Die Kulturfalle“ nennen das aufgeklärte Musliminnen, die gleiche Rechte und Chancen für alle fordern.

In diese Kulturfalle tappt auch Thilo Sarrazin. Der Ökonom (…) benennt zwar trefflich die Folgen einer verfehlten Integrationspolitik, verkennt jedoch deren Ursachen. Denn nicht „der Islam“ ist das Problem, sondern der Islamismus, der politisierte Islam. Nicht „die Muslime“ sind Anhänger eines Gottesstaates, sondern die Islamisten. Und die Ursache von Rückständigkeit ist nicht in den Genen zu suchen, sondern in den Verhältnissen.

Für die Verbesserung dieser Verhältnisse und für eine Reform des Islam kämpfen aufgeklärte Muslime und Musliminnen wie Necla Kelek oder der Deutsch-Ägypter Hamed Abdel Samat (sic) mit heißem Herzen. Thilo Sarrazin aber plädiert mit kaltem Herzen für die Sicherung der Privilegien seiner Kaste, wobei er selbst vor biologistischen Argumenten nicht zurückschreckt. Der deutsche Ex-Banker beruft sich unter anderem auf den amerikanischen Soziobiologen Edward Wilson. Feministinnen ist dieser Prophet der Neuen Rechten seit Mitte der siebziger Jahre ein Ärgernis. Denn schon damals wurden liebgewordene Privilegien erschüttert, wollten Frauen die gleichen Rechte wie Männer und die Dritte Welt so viel zu essen wie die Erste. Die ideologische Reaktion darauf war eine pseudo-wissenschaftliche Untermauerung des angeblich naturgegebenen Unterschiedes: zwischen Rassen und zwischen Geschlechtern.

Horrorszenario eines Türkensturms qua Demographie

Laut Wilson, einem studierten Insektenforscher, sind Schwarze „weniger intelligent“ als Weiße; Frauen „von Natur aus mütterlicher“ und „sexuell weniger erregbar“ als Männer und Homosexuelle das Produkt eines „Hirnschadens“.

Dreißig Jahre später nun beruft sich Sarrazin auf diese obskuren Thesen vom angeborenen Unterschied. Er hätte es besser gelassen. Denn längst wissen wir, dass der Mensch eine Mischung aus Natur und Kultur ist und auch genetische Dispositionen keineswegs determinierend sind.

Nicht minder fragwürdig ist Sarrazins statistikgläubiger Positivismus. Ginge es nach ihm, bräuchten wir nur eine spendierfreudige Familienpolitik – und schon wäre die deutsche Frau wieder gebärfreudig; und bräuchten wir nur eine restriktive Einwanderungspolitik – und schon würden nicht mehr die Falschen so viele Kinder kriegen. Doch das Horrorszenario eines Türkensturms qua Demographie ist nichts als ein Sandkastenspiel. Denn Geburtenraten pfeifen auf nationale, ethnische oder religiöse Begründungen. Sie richten sich nach dem Grad der Emanzipation von Frauen und Gesellschaft. Und wenn beides stimmt, werden deutsche Frauen eines Tages auch wieder mehr Kinder kriegen – und Einwanderinnen weniger. Was wir brauchen, ist eine Offensive für Chancengleichheit und Rechtsstaatlichkeit statt Ausgrenzung!

 

Zur Verteidigung der deutschen Islamdebatte

Mein Statement bei der Diskusssion mit Daniel Pipes letzte Woche in Berlin (mit Überschneidungen, aber entscheidenden Verbesserungen (hopefully) zum Vortrag in Delhi):
Things have become tense in Germany lately. Debates about Muslims as a minority, about Islam as a defining factor of our national identity, about the new emerging German “We” are raging.
That is not necessarily a bad thing at all. Sleepwalking into segregation is not an alternative. So it’s good that the general public has woken up to the issues we are debating tonight. I’d rather have a contentious, sometimes even ugly debate than the silence of complacency and avoidance that has been around for much too long. We are moving fast past avoidance, or – to use a more positive word – past tolerance. Tolerance has very often been another word for ignorance. In our pluralistic, increasingly diverse societies, this just doesn’t work anymore: if your neighbor, who came as a guest, has made up his mind to stay for good, you will take another look at him. And he will take another look at you.

This is when conflicts in an immigration society really begin: they are not over, when everybody stops lying to themselves and starts admitting that “this is not temporary” (and by the way, it never was). No, conflicts do not end here, they begin.
Weiter„Zur Verteidigung der deutschen Islamdebatte“

 

Eine emanzipatorische Leitkultur?

Es hat ja immer etwas Erschreckendes, wenn einem plötzlich lieb gewordene Gegner zustimmen. Man fragt sich: Liege ich also doch falsch?

So ging es mit heute morgen, als ich Slavoj Zizeks Plädoyer für eine „liberale Leitkultur“ in der Süddeutschen las. Ich habe vor vielen Jahren eine herbe Abrechnung mit Zizek im Merkur veröffentlicht („Auf der Suche nach dem guten Terror“, hier online). Zizek hat damals geantwortet, sein Text liegt auf perlentaucher vor.

In den letzten Jahren hatte ich nie den Eindruck, etwas zurücknehmen zu müssen von meiner ziemlich heftigen Polemik.

Und dann das. Der Meister nähert sich meinem vor vier Jahren im Merkur dargelegten Gedanken an, gerade eine de facto multikulturelle Gesellschaft brauche eine Leitkultur. (Ich hatte auch noch für „Patriotismus“ plädiert.)

Zizek:

„Auch wenn liberale Linke die Idee einer „Leitkultur“ als heimlichen Rassismus verdammen, so wäre doch zuzugestehen, dass diese Idee zumindest eine angemessene Tatsachenbeschreibung darstellt.

Der Respekt individueller Freiheiten und Rechte, auch auf Kosten von Rechten einzelner Gruppen die volle Gleichberechtigung von Frauen, die Religionsfreiheit (inklusive des Atheismus), die Freiheit der sexuellen Orientierung, die Freiheit jeden und alles zu kritisieren, sind zentrale Bestandteile einer liberalen Leitkultur.

Das sollte auch die Antwort an all jene Moslems sein, die in westlichen Ländern gegen ihre Behandlung protestieren, während sie beispielsweise akzeptieren, dass es in Saudi-Arabien verboten ist, öffentlich nach einem anderen Glauben zu beten als dem Islam. Sie sollten akzeptieren, dass die gleiche Leitkultur, die ihnen ihre religiöse Freiheit im Westen garantiert, von ihnen den Respekt aller anderen Freiheiten abverlangt. Die Freiheit der Moslems ist Teil der Freiheit Salman Rushdies, zu schreiben, was er will. Man kann nicht nur die westlichen Freiheiten einklagen, die einem passen.

(…)

Die Meinungsfreiheit funktioniert nur, wenn alle den gleichen ungeschriebenen Höflichkeitsregeln folgen, die festlegen, welche Formen von Angriff unannehmbar sind, auch wenn sie letztlich vom Gesetz geschützt werden. Diese Höflichkeitsregeln können uns auch aufzeigen, welche Merkmale eines ethnischen oder religiösen Lebenswandels akzeptabel sind und welche nicht. Wenn sich allerdings nicht alle Beteiligten auf solche ungeschriebenen Formen einigen, wandelt sich der Multikulturalismus in gesetzlich geregelte Ignoranz und Hass.

Das ist der Grund, warum es die essenzielle Aufgabe aller ist, die heute für Emanzipation kämpfen, über den reinen Respekt für andere hinauszuwachsen und eine positive, emanzipatorische Leitkultur zu finden, in der die Koexistenz und die Vermischung verschiedener Kulturen möglich wird. Und den kommenden Kampf für eine solche Leitkultur aufzunehmen.“

Kein Einspruch, Euer Ehren.


 

CSU: Dumm quatschen und doch das Richtige tun

Eine Pressemitteilung des bayerischen Inneministeriums zeigt, dass die CSU  – obschon sie an der Spitze derzeit sehr verwirrt ist, vornehmlich wohl weil der Karl-Theodor dem Horst ein wenig arg im Nacken sitzt – immer noch der alten Devise ihres Urvaters Strauß folgt: Dumm quatschen und doch das Richtige tun. Im öffentlichen Dienst des Freistaats werden seit Jahren massiv Menschen mit Migrationshintergund angeworben. Ohne Quote, aber wirkungsvoll. Das sollte man bei dem dämlichen Getöse um „Kulturkreise“ nicht vergessen.

„Eignung, Leistung und Befähigung – das sind nach den Worten des Bayerischen Innenministers Joachim Herrmann die Kriterien für eine Einstellung im öffentlichen Dienst des Freistaates. Selbstverständlich ist dabei für Herrmann auch, qualifizierte Migrantinnen und Migranten für den öffentlichen Dienst zu gewinnen. „Unser erklärtes Ziel ist es, im Interesse des Freistaates die besten für den Dienst in unseren öffentlichen Institutionen zu gewinnen. Und wenn ich mir den exzellenten Ruf vor Augen führe, den die bayerische Landesverwaltung bundesweit und auch im Ausland genießt, dann darf ich nicht ohne Stolz feststellen: Wir sind hier sehr erfolgreich. Und dazu tragen auch unsere Beschäftigten im öffentlichen Dienst mit Migrationshintergrund bei.“ Herrmann lehnt deshalb eine feste Migrantenquote im Staatsdienst – wie sie in der aktuellen Integrationsdebatte immer wieder gefordert wird – klar ab. Herrmann stellte im Beisein des Integrationsbeauftragten der Bayerischen Staatsregierung, Martin Neumeyer, vier Beschäftigte des Freistaates vor, die besonders gelungene Beispiele für eine erfolgreiche Integration und Karriere im öffentlichen Dienst seien: Ein in Oberbayern geborener Jurist mit afrikanischen Wurzeln, dessen äthiopische Eltern in Bayern bleiben mussten, weil in Äthiopien der Bürgerkrieg ausbrach. Ein gebürtiger Libanese, der zunächst acht Jahre mit seinen Eltern in einer deutschen Asylbewerberunterkunft lebte, jetzt im Integrationsrat des Landtags sitzt und – ebenfalls als Jurist – im Landratsamt für Ausländerrecht zuständig ist. Ein gebürtiger Grieche, der erst 24-jährig nach Deutschland kam und inzwischen als Elektro-Abteilungsleiter im Hochbauamt arbeitet. Und eine türkischstämmige Polizistin, die in einer Münchner Polizeiinspektion tätig ist und sich als Dolmetscherin im Dienst schon Leistungsprämien verdient hat.

Gerade der Polizeivollzugsdienst ist ein gutes Beispiel: Dort werden bereits seit 1993 – also seit 17 Jahren – auch ausländische Staatsangehörige eingestellt. Herrmann: „Durch Anpassungen im Bayerischen Beamtengesetz haben wir seinerzeit ausländischen Mitbürgerinnen und Mitbürgern den Weg in den Polizeivollzugsdienst geebnet. Ein Schritt, der sich wirklich gelohnt hat. In den vergangenen Jahren ist es gelungen, 119 ausländische Staatsangehörige für den bayerischen Polizeivollzugsdienst zu gewinnen.“ Auch heute würden noch ganz gezielt ausländische Nachwuchsbeamte gesucht, die für die Polizeidienst geeignet sind.“

 

Wie man Hassprediger stoppt

Der Lesben-und Schwulenverband Berlin zeigt wie man’s macht. Mehrere durch besonders homophobe Predigten aufgefallene Prediger wollten am kommenden Samstag im Berliner Schillerkiez ein Seminar abhalten. Der LSVD sieht die Schwulenhetze von radikalen Islamisten mit Sorge. Also hat man angefangen, mit einigen Berliner Moscheen zu diesem Thema Gesprächskanäle zu eröffnen. Als Ergebnis ist nun der Auftritt der Hassprediger abgesagt worden:

Seminar von islamistischen Hasspredigern in Neukölln abgesagt
Muslime und Nicht-Muslime gemeinsam gegen Islamisten
 
Das am morgigen Samstag in Berlin-Neukölln geplante „Islam-Seminar“ der drei radikalsten islamistischen Hassprediger Deutschlands wurde laut Nachrichtenagentur dapd kurzfristig abgesagt. Die Prediger Abu Dujana, Abdullatif und Ibrahim Abou-Nagie hetzen gegen Homosexuelle und legitimieren dabei Gewalt und die Ideologie des bewaffneten Dschihad. In der Bangladesch-Moschee Baitul Mukarram im Neuköllner Schillerkiez sollte das Seminar stattfinden.
 
Ein Großteil der Berliner Moscheen hatte bereits in den vergangenen Wochen einen Auftritt der drei Islamisten abgelehnt. Nach kritischen Berichten in der Tagespresse hat auch der Trägerverein der Moschee Baitul Mukarram die zunächst zugesagte Veranstaltung abgesagt.
 
Hierzu erklärt Jörg Steinert, Geschäftsführer des Lesben- und Schwulenverbandes Berlin-Brandenburg:
 
„Insbesondere für Homosexuelle sind solche Hasspredigten unerträglich. Muslime und Nicht-Muslime müssen sich gemeinsam gegen den Islamismus wenden. Ein friedliches, respektvolles Miteinander gilt es zu verteidigen.“
 
Der Lesben- und Schwulenverband Berlin-Brandenburg befindet sich im interkulturellen Dialog mit mehreren Berliner Moscheen. Dieser Dialog wird in den kommenden Monaten weiter ausgebaut und intensiviert.

 

Was Angela Merkel meint, wenn sie auf „Multikulti“ schimpft

Mein früherer Kollege Thomas Kleine-Brockhoff, seinerzeit Washington-Korrespondent dieser Zeitung und heute Chef der politischen Programmabteilung beim German Marshall Fund in Washington, hat sich mit dem globalen Echo von Angela Merkels Rede zum „Multikulturalismus“ beschäftigt. Offenbar ist die Sache auch in Amerika hauptsächlich als Absage an Einwanderung und Diversität, als Rückkehr eines unheimlichen, geschichtlich nicht erfolgreichen deutschen Wunsches nach Homogenität gewertet worden.

Kleine-Brockhoff widerspricht und gibt eine andere Deutung der Rede – und ich möchte gerne glauben, dass er Recht hat:

„Angela Merkel is not the woman she is currently made out to be. It is time to consider what she really said and really meant. It is time to put her remarks into context.

A good place to start is the quote itself, the full quote, in a translation as colloquial as her speech: ‚We are a country that invited guest workers to come to Germany in the 1960s. Now they live among us. For a while we kidded ourselves. We said: They won’t stay, they’ll be gone at some point. But that is not the reality. And most certainly the approach failed to say: We’ll do a multi-kulti thing here; we’ll just live next to and detached from each other and declare how happy we are with each other – this approach has failed, utterly failed.‘ Germans are not known for their humor, but they do do irony and sarcasm. Both traits rarely convey in translation. But the video of the speech reveals that Merkel displayed utter sarcasm when she disparaged the ‚multi-kulti thing‘ as a hippie vision of peace, love, and brotherhood, as some sort of German adaptation of a multi-ethnic Haight Ashbury.

The German term ‚multi-kulti‘ is commonly translated to mean ‚multiculturalism‘. But multiculturalism has two meanings. As a descriptive term, it simply refers to cultural diversity. As a normative term, it implies a positive endorsement, even celebration, of communal diversity, typically based on certain group rights and the absence of pressure or even incentives to assimilate. The German term ‚multi-kulti‘ only captures the second, normative meaning. That’s why ‚multi-kulti‘, to Merkel, is a synonym for leftism and early Green utopianism. She thinks it has produced not-so-benign neglect and, as she has put it multiple times, will lead to “parallel societies” of immigrants that have no connection to German mainstream society. Not even the German language is spoken in the neighborhoods that she pictures when using this term.

Angela Merkel is a conservative. A ’salad bowl‘ approach to integration is not hers — too hands off. She would not endorse a version of a melting pot in which cultures integrate with each other to create a new society. Her concept sees immigrants who integrate into a culturally dominant mainstream society. Her conservative party takes an aggressive, state-centered, and hands-on stance toward integration best summed up in six words: assimilate — take it or leave it! It is debatable whether this concept is appropriate for a multi-religious, multi-ethnic Europe, in which the free movement of people is the norm. But the end of cultural pluralism it is not, racism it is not. And that makes all the difference. In fact, in the very same speech, Merkel emphasized that ‚Islam is now a part of Germany.‘ She is preparing her party and her country for more, not less, immigration, and she is explicitly rejecting the views of the populists and the anti-islamic hatemongers.“

Das mag sein. Es ist aber schon ein Problem, wenn diese Botschaft nirgends ankommt. Oder: Wenn bei den Migranten und ihren Kindern ankommt: ok, auch die will uns nicht. Und bei den Sarrazinisten: siehste wohl, langsam kommt sie rum.

Und dass nur Leser von Thomas Kleine-Brockhoffs Blog die Botschaft hören, liegt daran, dass Merkel überhaupt kein Konzept von der Zukunft dieses Einwanderungslandes hat. Eines Landes, das, wie ich nicht aufhöre zu betonen, ein neues WIR braucht.

Wo will sie, wo will ihre Koalition mit dieser Gesellschaft hin, die derzeit (nicht nur an der Nahtstelle Einwanderer/Inländer) auseinanderreißt. Ich kann Menschen nur für „more immigration“ einnehmen, wenn ich dazu eine Vorstellung formulieren kann – zum Beispiel in Form eines neuen Einwanderungsrechts nach kanadischem Vorbild.

Nur eine selbstbewußte Gesellschaft traut sich so etwas zu, und Merkel befördert durch ihr ängstliches Taktieren in der Integrationsdebatte eher die Verunsicherung.

 

Debatte mit Daniel Pipes

Vielleicht von Interesse für die Berliner Leser: nächste Woche werde ich mit dem amerikanischen Islamexperten Daniel Pipes öffentlich diskutieren.
Das „Mideast Freedom Forum Berlin“ und „Scholars for Peace in the Middle East“ laden zu dieser Veranstaltung ein:

„Angesichts des aktuellen Medienechos um die Islamdebatte kann es kein besseres Thema für eine wissenschaftliche Podiumsdiskussion geben, die sich mit der gebotenen Sachlichkeit und akademischen Nüchternheit den komplexen Fragen dieses Zusammenhangs widmet.“

„Das Podium ist mit  Daniel Pipes, Direktor des US-Think-Tanks Middle East Forum und Jörg Lau, Die ZEIT, hochrangig besetzt. Der Veranstaltungsort ist neben dem Bundestags-Bürogebäude im Robert-Koch-Saal in der Dorotheenstr. 96 in Berlin-Mitte.

Wir heißen Sie in Berlin herzlich willkommen am 27. Oktober 2010 um 18:30 Uhr.“

Hochrangig, wissenschaftlich – their words, not mine. Ich werde mein Bestes versuchen.