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Warum Ägypten besser keine Demokratie werden sollte

Seit das lachhafte Wahlergebnis in Ägypten bekannt wurde, stelle ich mir auch diese Frage, die Leon Wieseltier jetzt in der New Republic offen angeht: Haben wir das Konzept Demokratie für Ägypten aufgegeben?

Anders lässt sich ja kaum erklären, dass dieser Wahlbetrug, der ebenso dreist ist wie der iranische  im letzten Jahr, bei uns keine Schlagzeilen macht.

Der Unterschied liegt auf der  Hand: In Ägypten hält ein säkulares Regime (na ja…) die Muslimbrüder unter der Knute. Im Iran hat ein klerikalfaschistoides Mullahregime eine Opposition unterdrückt, die eine Öffnung des Systems wollte (wenn auch viele in der Grünen Bewegung eben nicht die Abschaffung des Regimes wollten).

Also im Klartext ist unsere Haltung mittlerweile so: Demokratie nicht für alle im Nahen Osten, sondern nur dort, wo wir sicher sein können, dass sie nicht Islamisten an die Macht bringt. Auch aus Amerika war zu den Wahlen in Ägypten merkwürdig wenig zu hören. Hier hat von Bush zu Obama eine kuriose Wandlung stattgefunden. Bushs Demokratieagenda hatte Mubarak dazu gezwungen, die Wahlen so weit zu öffnen, dass 88 Muslimbrüder erstmals ins Parlament gewählt werden konnten (wobei sie natürlich als „Unabhängige“ kandidierten, um den Anschein zu wahren). Bush war gut für die Muslimbrüder.

Obama aber hat die Demokratieagenda stillschweigend aufgegeben. Nicht einmal angesichts der iranischen „Wahlen“ ließ er sich sehr laut vernehmen. Und dadurch fühlt sich nun Mubarak berechtigt, seine Unterdrückung der MB knallhart durchzuziehen wie in alten Zeiten. Das ist natürlich auch Vorbereitung für den Machtwechsel. Sein Sohn soll bei der Wahl im nächsten Jahr das Zepter übernehmen. Und die Opposition weiß jetzt schon mal, wie das laufen wird. Ironie: Obama, mit seiner Politik der offenen Hand, ist schlecht für die Muslimbrüder.

Das ist die Lage. Ich muss sagen, dass es mir schwer fällt, prinzipiell dagegen zu argumentieren. Ich fürchte mich vor einem Ägypten, das von der MB regiert wird, genau wie Leon Wieseltier.

The authoritarian immobilism of the Mubarak regime lacks all legitimacy. But in view of the alternative, does it lack all utility? The question is not cynical. The parliamentary elections last week were preceded by a repression: Mubarak’s National Democratic Party cracked down on the Muslim Brotherhood, arresting 1,200 of its supporters and barring some of its candidates from running. Then came the election, in which the Muslim Brotherhood, which had 88 members in parliament, discovered that its number of seats had been reduced to zero. This wild fraud is a premonition of what awaits Egypt in its presidential election next year. The outrage is obvious. But so is the complication. In standing up for the opposition, for the victims of the dictator, we are standing up for the Muslim Brotherhood. Consider the consequences of its ascension to power. There can be no doubt about the undemocratic uses that the Muslim Brotherhood has for democracy: Egypt will have been opened up to be shut down. I know that the smart thing to say about these religious radicals (and about others in the Middle East) is that they are sophisticated and pragmatic and themselves agents of a kind of modernization—this view made its appearance many decades ago in the conclusion of Richard P. Mitchell’s extraordinary study The Society of the Muslim Brothers, where, pointing to the Brothers’ “Western-type suits” and their acceptance of science and technology, he declared that they represent “an effort to reinstitutionalize religious life for those whose commitment to the tradition and religion is still great, but who at the same time are already effectively touched by the forces of Westernization”—but this is an anti-modern modernity; an adaptation, not a transformation. Political theology has always been a mixture of inflexibility in beliefs and flexibility in tactics. The effects of a Muslim Brotherhood regime upon Egypt’s relations with Israel, and therefore upon the stability of the entire region, may also be devastating. Israel already endures two borders with hostile Islamist theocrats. Should it endure a third such border, and with the largest Arab state? The incommensurability of values, indeed. This seems like a choice between democracy and peace.

Andererseits: Das undemokratische islamische Regime  Saudi-Arabiens hat uns den modernen Terrorismus im Namen des Islams beschert. Von dort kommen die meisten Attentäter, von dort kommt immer noch das meiste Geld für den Terror.

Ägypten ist unter Mubarak eine Hölle, was die Menschenrechte angeht. Und die Islamisierung des Landes hat schon mit Duldung des „säkularen“ Regimes begonnen. Es ist also nicht so, dass man in Mubarak einen Garanten der Zivilität hat. Gut möglich, dass dieser Pharao auf westlicher Payroll mit seiner Repressionspolitik auf lange Sicht einen zweiten Iran schafft.

 

Kulturelle Gründe des islamischen Rückstands

Der Merkur hat anläßlich der Sarrazin-Debatte einen exzellenten Artikel von Siegfried Kohlhammer wiederveröffentlicht, in dem alles schon drin steht über die kulturellen Gründe des wirtschaftlichen Versagens vieler muslimischer Einwanderer. (Für kurze Zeit im Netz, hier unter „Hintergrund“ klicken.) Unter anderem zählt Kohlhammer zu den Hinderungsgründen den Familiarismus, auf den viele Muslime gerade stolz sind. Hier hätte ich mir allerdings gewünscht, dass erklärt würde, warum der chinesische oder koreanische Familiarismus nicht die gleichen schädlichen Wirkungen entfaltet. Zitat:

Einen entscheidenden negativen Faktor bei der Integration − und weiterhin im wirtschaftlichen Handeln − bedeutet der Familiarismus der konservativen muslimischen Einwanderer: Das Wohl der Familie und der Nutzen für die Familie sind die oberstenWerte, denen sich alle anderen gesellschaftlichen Werte, Gesetze und Regeln unterzuordnen haben. Das fördert Nepotismus, Korruption und generell die Mißachtung der meritokratischen Prinzipien und der egalitären Gesetze, wie sie dieMehrheitsgesellschaft vertritt.
Die Gesetze und die Polizei des Aufnahmelandes werden nicht als gemeinsamer Schutz aller gesehen, sondern als Eingriffe undÜbergriffe von außen. Familiarismus schafft so eine Doppelmoral, isoliert sozial und verhindert das für Integration wie Wirtschaftsaktivitäten wichtige Vertrauen.
Wenn Vertrauen nicht über den Rand der Familie oder Sippe hinausreicht, wird Kooperation mit anderen erschwert. Mißtrauen und Verschwörungsdenken dominieren imVerhältnis nach außen.ÖkonomischesHandeln ist zu einem wesentlichen Teil Kooperieren mit familienfremden anderen, und je mehr ich diesen Fremden vertraue und vertrauen kann, desto reibungsloser und erfolgreicher wird mein ökonomisches Handeln sein. Kulturen wie die islamischen oder lateinamerikanischen, in denen, aus welchen Gründen auch immer, der Radius des Vertrauens sehr gering ist, sind wirtschaftlich benachteiligt.
Zugleich ist der Familiarismus die Primärform des antiindividualistischen Kollektivismus. Individualismus aber ist eines der bestimmenden Prinzipien moderner westlicher Gesellschaften….

 

Die Killerhaie des Mossad, Scharia in Oklahoma

Aus der Welt des Irrsinns, i.e. „Kampf der Kulturen“. Zwei Nachrichten von heute, die mir nahelegen, meine Frage von vor ein paar Wochen noch einmal zu wiederholen: Kann es sein, dass die Welt gerade durchdreht?

1. Juan Cole berichtet folgende Weiterung aus Ägypten, wo die Haie sich bekanntlich an deutschen Touristen vergehen. Der Gouverneur des südlichen Sinai hält es für möglich, dass der Mossad Haie in den Gewässern um Sharm El Sheik freisetzt, um der ägyptischen Touristenindustrie zu schaden. (Kein Witz, arabisches Original hier. Dass die israelischen Haie ausgerechnet deutsche Touristinnen in Ägypten angreifen, ergibt ja auch irgendwie Sinn. Ich freue mich schon auf das Weisser Hai-Remake von Quentin Tarantino: „Inglorious Beasts.“?)

„Even shark attacks in the Middle East get caught up in the Arab-Israeli conflict. The fifth victim of a shark attack this week at Sharm El Sheikh in Egypt’s Sinai, an elderly German woman, was killed this weekend.

The governor of southern Sinai, Muhammad Abd al-Fadil Shosha, said that it is not unlikely that the rumors that Israel’s intelligence service, Mossad, was releasing sharks into the waters around the Sharm El Sheikh resort in the Sinai on the Red Sea, in order to harm Egypt’s tourist industry. “It will take time to verify it,” he said. In the meantime, he noted, the strictest measures had been taken to halt swimming off the shore for 72 hours, after the death of a German swimmer. He also said that consultations were ongoing with scientists about how to deal with this sort of fish, which forensic investigation of its teeth had demonstrated to be a beast of prey. (I swear to God, that is what the Arabic article says he said!).“

2. Roger Cohen war in Oklahoma, wo jüngst ein Verfassungszusatz gegen den Vormarsch der Scharia angenommen wurde, der wahrscheinlich bald vor dem Supreme Court landen wird. Weniger als ein Prozent der Bevölkerung in dem Staat, der einst ein reines Indianergebiet war, sind überhaupt Muslime. Für die Einführung der Scharia in die Rechtssprechung hat sich bisher keiner von ihnen ausgesprochen. Der Initiator verteidigt das Amendment als „Präventivschlag“:

You might not expect Shariah, a broad term encompassing Islamic religious precepts, to be a priority topic at the Kumback given that there’s not a Muslim in Perry and perhaps 30,000, or less than one percent of the population, in all Oklahoma. And you’d be wrong.

Shariah is the new hot-button wedge issue, as radicalizing as abortion or gay marriage, seized on by Republicans to mobilize conservative Americans against the supposed “stealth jihad” of Muslims in the United States and against a Democratic president portrayed as oblivious to — or complicit with — the threat. Not since 9/11 has Islamophobia been at such a pitch in the United States.

The neoconservative Center for Security Policy in Washington recently described Shariah as “the pre-eminent totalitarian threat of our time.” Many Republicans, with Newt Gingrich leading, have signed up. Their strategy is clear: Conflate Obama with creeping Shariah and achieve the political double-whammy of feeding rampant rumors that he’s a closet Muslim and fanning the fears that propel a conservative lurch.

It’s not pretty, in fact it’s pretty odious, but to judge by the Republican surge last month, it’s effective in an anxiety-filled America.

Galvanized by State Question 755, barring “courts from considering or using Shariah Law,” Republicans swept to the Oklahoma governorship and veto-proof majorities in the Legislature for the first time.

Question 755 was “a pre-emptive strike,” in the words of its most active proponent, Republican State Representative Rex Duncan, whose portrait hangs in the Kumback. The question arises, given the quiet on the prairies, against whom? A prominent Oklahoma pastor, Paul Blair, told me it was aimed at those “whose plan is not to coexist but bring the whole world under Islam.”

A preliminary federal injunction, granted after a prominent local Muslim, Muneer Awad, challenged the constitutionality of the amendment in the nation where “Congress shall make no law respecting an establishment of religion, or prohibiting the free exercise thereof,” has blocked its certification for now. The very curious case of Shariah and Oklahoma may be headed to the Supreme Court.

 

Ist Religion gut für die Welt?

Ich habe gestern auf BBC World Service die großartige Debatte zwischen Christopher Hitchens und Tony Blair gehört (Transskript hier). Die beiden haben sich vor einigen Tagen in Toronto über die Frage unterhalten, ob „Religion gut für die Welt“ sei. Anrührend, wie der schwer krebskranke Hitchens sich hier aufrecht hält und auch bei seinen atheistischen Überzeugungen bleibt.

Für mich klarer Sieger: Hitch, der natürlich zeigt, dass Religion schlecht ist, weil sie in den Menschen überwiegend das Schlechte hervorbringt. Und weil man für das Gute, das in ihrem Namen geschieht, die religiöse Begründung nicht brauche (na ja, stimmt nicht immer…).

Der Nahostkonflikt, sagt er zum Beispiel, wäre längst lösbar, wenn es nicht von beiden Seiten die Vermischung von „Grundbesitzfragen mit Offenbarung“ gäbe. Darum werden sich dort die Menschen immer weiter gegenseitig umbringen und sich dabei im Recht fühlen. Dabei sind sich doch alle Seiten eigentlich über die Konturen einer Lösung einig. Also: Gelobtes Land, verfluchtes Land? Nicht leicht zurückzuweisen.

Blair hält eigentlich immer den gleichen Punkt dagegen, dass es zwar Missbrauch der Religion gebe, aber auch sehr viel Gutes in ihrem Namen geschehe. Nicht richtig stark argumentiert.

Das Ganze ist auch eine fantastische Werbung für die Debattenkultur, Englands vielleicht wichtigster Beitrag zum Weltkulturerbe. (Man kann alles hier auf Youtube sehen.)

Zum Thema interessant: diese Umfrage zum Thema. Saudis und Schweden bilden die Extreme, Deutschland ist auf der Skeptiker-Seite. Das ganze Gerede über ein Revival der Religion ist doch sehr erklärungsbedürftig. Die Länder, in denen die politisierte Religion die meisten Verwüstungen anrichtet, haben die höchste Meinung von ihrer Kraft zum Guten. Interessante Pointe: Die Türkei liegt im europäischen Skepsis-Bereich, sogar klar hinter Italien.

 

Tariq Ramadan: Migranten sind keine Opfer

Ich habe mit Tariq Ramadan ein Interview über die europäische Islam-Debatte geführt. Ich finde die Klarheit, mit der er ein Bekenntnis der Muslime zu Europa fordert und auch um Verständnis für die Irritation der Alteingesessenen wirbt, bemerkenswert. Über die Jahre habe ich mich immer wieder mit Ramadan auseinandergesetzt. Ich finde seine Entwicklung seit der Istanbuler Erklärung von 2006 ziemlich erfreulich.

Ramadan ist seit kurzem Professor für zeitgenössischen Islam am St. Antony’s College in Oxford. Dort habe ich ihn vor zwei Wochen besucht.

DIE ZEIT: Professor Ramadan, in Europa macht sich eine Stimmung gegen den Islam breit. Minarette, Burkas und Kopftücher werden verboten. Deutschland debattiert über integrationsunwillige Muslime. Warum diese Zuspitzung?
Tariq Ramadan: Unsere westlichen Gesellschaften sind verunsichert durch die Globalisierung. Auch die Einwanderungsströme gehören dazu. Aber entscheidend ist das Sichtbarwerden des Fremden. Darum erregen sich die Leute über Moscheebauten, Minarette, Kopftücher, andere Hautfarben, Sprachen und Gerüche in ihren Vierteln. Wenn gegen die angebliche Islamisierung der Städte protestiert wird, geht es um die Sichtbarkeit einer fremden Religion, die dazugehören will. Das ist neu. Solange das Fremde nicht dazugehört, kann man leichter damit leben.
ZEIT: Seit Jahren leben wir mit der Terrordrohung im Namen des Islams.

Foto: Martin Bureau, Getty Images

Ramadan: Gewalt im Namen der Religion vergiftet die Debatte. Wir Muslime können die Augen nicht davor verschließen, dass dies die Wahrnehmung des Islams beeinflusst. Doch handelt die Islam-Debatte von unserer europäischen Identität. Sie ist hochpolitisch: Auf dem ganzen Kontinent bilden sich Parteien, deren Wahlerfolg davon abhängt, Misstrauen zu schüren. Sie füttern das Gefühl der Verunsicherung, man könne nicht mehr Deutscher oder Niederländer sein wegen dieser Einwanderer.
ZEIT: Der deutsche Präsident hat gesagt, der Islam gehöre zu Deutschland. Er wurde angegriffen, auch aus dem eigenen Lager.
Ramadan: Diese Identitätsfragen übersteigen die Bindungskraft der politischen Lager. Sie können heute Menschen auf der Linken finden, die sehr scharf gegen den Multikulturalismus polemisieren, und auf der Rechten gibt es welche, die einer pluralistischen Gesellschaft offen gegenüberstehen. Ihr Präsident hat etwas Offensichtliches festgestellt: Wenn es Millionen von Muslimen in Deutschland gibt, ist der Islam natürlich auch eine deutsche Religion. Der Islam ist eine europäische Religion, er ist ein Teil von Europas Geschichte und Gegenwart. Er ist nicht das ganz andere, er ist für Europa nichts Äußerliches mehr, bei sieben Millionen Muslimen in Frankreich, drei Millionen in England, vier in Deutschland.
ZEIT: Ebendies macht vielen Angst. Wie kommt man vom Hiersein zum Dazugehören?
Ramadan: Es hilft nicht, wenn sich die Haltung breitmacht: Was auch immer diese Leute tun, sie können nicht zu uns gehören, denn ihre Werte sind nicht die unseren, ihre religiösen Dogmen und Praktiken sind anders. Den Muslimen sage ich: Ein Bürger zu sein bedeutet nicht nur, die Gesetze zu achten und die Sprache zu sprechen. Ich muss loyal zu meinem Land stehen, weil ich das Beste für es will. Nur so wird die Wahrnehmung eines unlösbaren Konflikts zwischen Muslimsein und Europäertum verschwinden. Weiter„Tariq Ramadan: Migranten sind keine Opfer“

 

Taugt Istanbul als „Kulturhauptstadt Europas“?

Dass V.S. Naipaul vom Treffen des „Europäischen Schriftstellerparlaments“ in Istanbul vergrault wurde, lässt nichts Gutes über die Offenheit der türkischen Kulturszene ahnen. Naipaul sollte eine der Eröffnungsreden halten. Doch nachdem er in Teilen der türkischen Presse als Feind des Islams hingestellt worden war, hat er „freiwillig“ auf die Reise nach Istanbul verzichtet. Die Türkei verspießert religiös-nationalistsich, ausgerechnet in dem Jahr, in dem sie „Kulturhauptstadt Europas“ sein will? Bitter.

Hari Kunzru, der britische Autor, der an Stelle Naipauls redete, hat das einzig richtige gemacht, indem er in seiner Rede auf die Abwesenheit Naipauls einging und die Beschränkung der Meinungsfreiheit in der Türkei anprangerte:

Kunzru referred to the Nobel laureate’s absence and said: „I feel we would be stronger and more credible if we were to deal with divergent views within this meeting rather than a priori excluding someone because of fear that offence might be given.“

The writer also attacked Turkey’s record on free speech, citing the cases brought against novelist Orhan Pamuk and editor Hrant Dink under article 301 of the country’s penal code, which makes it illegal to insult Turkey, Turkish ethnicity or Turkish government institutions.

Kunzru told the assembled authors: „Pamuk faced trial for giving the following statement to a Swiss magazine: ‚Thirty thousand Kurds have been killed here and a million Armenians. And almost nobody dares mention that. So I do.'“ He added: „Dink, one of Turkey’s most prominent Armenian voices was convicted under article 301 then murdered by a young nationalist, who was subsequently photographed in a police station surrounded by smiling officers, against the backdrop of the national flag. There are many other examples in Turkey of the weapons of offence and insult being used to silence dissent. Turkey is obviously not alone in this, but since we are here, it is important that we acknowledge it.“

Bitter ist die Angelegenheit für Orhan Pamuk, der wie Naipaul den Literaturnobelpreis bekommen hat, nicht zuletzt auch wegen seines mutigen Eintretens für die Meinungsfreiheit in der Türkei. Pamuk ist einer der Gründer des „Schriftstellerparlaments“.

Naipaul ist allerdings ein gnadenloser Analytiker der kulturellen Verwüstung, die vor allem der von Saudi-Arabien gesponserte Islam in Pakistan, Indien und auch Indonesien anrichtet. Recht hat er damit! Er hat den islamischen Kulturimperialismus immer wieder beschrieben, wo er ihn auf seinen vielen Reisen in Asien beobachtet hat.

Naipaul ist ein immens schwieriger Charakter, wie ich persönlich erfahren habe, als ich einmal vor Jahren versuchte, ihn zu interviewen. Ein hochmütiger, ungeduldiger, menschenfeindlicher Reaktionär reinsten Wassers – beste englische Tradition in der Linie Evelyn Waughs. Unterträglich, aber doch liebenswürdig in seiner störrischen Unabhängigkeit.

Und was für ein weltgewandter Autor! Seine Sympathien für die Hindu-Nationalisten sind allerdings sehr problematisch und auch entsprechend angegriffen worden. Von deren Gewalt, von deren Rassismus hat er sich nicht genügend distanziert. Aber seine gnadenlosen Einblicke in das selbstgeschaffene Elend der Dritten Welt sind von großem Wert.

Und so einen großen Autor kann man in der „Europäischen Kulturhauptstadt“ nicht mehr ertragen? So wird aus diesem Titel ein Witz.

 

Das Kopftuch als Befreiung?

Christina  von Braun, Kulturwissenschaftlerin in Berlin, habe ich in diesem Blog vor Jahren schon sehr heftig angegriffen, vielleicht ein bisschen zu polemisch. Nun hat sie der ZEIT (Printausgabe von morgen) ein Interview gegeben, in dem sie sich wieder mit der Frage des Feminismus und des Kopftuchs beschäftigt. Ich spare mir diesmal die Polemik, gebe aber erneut zu Protokoll, dass mich die Verharmlosung der Lage der Frau im Islam einfach baff macht, wie offenbar auch meine Kollegin Susanne Mayer, die das Interview geführt hat. Ich verstehe zwar Brauns Beunruhigung über die extreme Polarisierung in unserer Debatte der letzten Wochen (wie jeder Leser dieses Blogs weiß) – aber so kann man darauf doch nicht antworten:

ZEIT: Die Frauenbewegung wollte in der Vergangenheit  stets freie Räume eröffnen. Mein Bauch gehört mir! Ich trage, was ich will! Jetzt soll ein Verbot her – mit der Begründung, man müsse einen Raum schaffen, in dem Frauen nicht gezwungen werden können, ein Kopftuch zu tragen. Eine logische Volte – macht sie Sinn?

Von Braun: Einer der Slogans der Frauenbewegung war Virginia Woolfs Forderung: „Ein Zimmer für sich allein“. Vielleicht ist das Kopftuch eine Art, sich diesen Raum in einer fremden Öffentlichkeit zu verschaffen. Ich denke an muslimische Studentinnen, die vielleicht selbstbewußt ihr „Zimmer für sich allein“ auf dem Kopf tragen möchten.

ZEIT: Sie beschönigen!…

Allerdings. Es gibt Frauen, die das Kopftuch selbstbewußt und aus freien Stücken tragen, und es ist völlig richtig, auch für deren Rechte einzutreten.

Aber es ist doch wahnsinnig blauäugig, das Kopftuch per se als Fortsetzung des Feminismus mit anderen Mitteln hinzustellen. Virginia Woolf? Get real.

Baher Ibrahim, ein junger Medizinstudent in Alexandria (Ägypten), zeigt im Guardian, wie man sich des Vormarsches des Hijab feministisch annimmt. Er beschreibt den Trend, dass immer mehr junge Mädchen von acht Jahren an verhüllt werden und fragt sich, welche frauenfeindliche Vorstellung von Sexualität diesen Mädchen damit übergeholfen wird:

In general, the age at which Muslim girls in Egypt begin to wear the scarf has dropped. Back when I was in high school, very few female students wore headscarves. Today, my younger brother (who is 15) tells me that almost all the girls in his middle school wear a scarf. It hasn’t stopped there either, having caught on in primary schools.

The very sight of a little girl in a scarf is both disturbing and confusing. Adult Muslim women are expected to dress modestly so that men outside the family cannot see their bodies. But what is the point of a child or pre-pubescent girl wearing a hijab? It hints at what may be a disturbed (one is tempted to say diseased) concept of sexuality in the mind of the father who thinks his little girl should be covered up. What exactly is tempting about the body of an eight-year-old that needs to be covered?

Baher Ibrahim hat Recht! Die jungen Mädchen, die so früh an den Hijab gewöhnt werden, haben später de facto keine Wahl mehr. Ist ja auch der Sinn der Sache. Es soll ihnen zur zweiten Natur werden, dass Frauen ihren Körper nicht zeigen dürfen. Das ist eine Sexualisierung des weiblichen Körpers, an der nichts sympathischer ist als an der viel beklagten Sexualisierung durch westliche Dekadenz und Pornografie. Es ist gewissermaßen eine invertierte Form (religiös begündeter) Pornografisierung des männlichen Blicks.

Getting a little girl „used to“ the hijab effectively obliterates the „free choice“ element by the time the girl is old enough to think.

The hijab is aggressively marketed as the proper attire for a respectable woman. That isn’t new. What is new is that now even children are targets of this marketing. One need look no further than Fulla, the Middle Eastern version of Barbie, designed to suit Muslim values. When I recently stepped into a Toys R Us store in Cairo, it was quite shocking to see a Fulla doll clad in a headscarf and a full length abaya, the box proudly proclaiming „Fulla in her outdoor clothes“, in effect telling little girls that there is only one proper way to dress outside the house.

Many defenders of the hijab point to the influence of „decadent western culture“, endlessly criticising how western TV sexualises and objectifies women, though they fail to understand that they are doing they exact same thing to little girls when they constantly promote the hijab. If it is so important to cover up, there must be something worth covering up and hiding from men. Inevitably, little girls are taught to view themselves as sexual objects that must be covered up from an early age – and it is this culture permeating the minds of our younger generations.

To make matters worse, what about the brothers of these girls? Will they not grow up with the same mentality? If they see that their sisters have to be covered up from a very early age to avoid being exposed in front of men, it is only natural that they grow up with the concept that women have to be covered, controlled and restricted.

Männer sind manchmal eben die besseren Feministen. Wer’s nicht glaubt, lese den ganzen kämpferischen Text von Baher Ibrahim.

 

Das Grundsatzprogramm der Partei „Die Freiheit“

Das Grundsatzprogramm der neuen Partei „Die Freiheit“ ist veröffentlicht. Darin steht viel Allgemeines über Grundwerte, Aufklärung –  und „Freiheit“, natürlich – wie üblich in solchen Texten, die kaum jemand je liest.

Ich glaube, die potentiellen Kandidaten für den Beitritt zu dieser neuen Partei werden sich mehr für die wenigen konkreten Aussagen interessieren als für dieses abstrakte Werte-Gesumse – zum Beispiel für den Vorschlag, das Baurecht für Moscheen zu ändern. Die Erschwerung des Moscheebaus ist sicher ein Alleinstellungsmerkmal dieser Partei (damit ist Herr Stadtkewitz, der Parteigründer, schließlich bekannt geworden, als er in Pankow gegen die Ahmadiya-Muslime hetzte, als seien das natürliche Dschihadisten, während jene in Pakistan regelmäßig von Sunni-Extremisten ermordet werden, weil sie als Häretiker gelten, aber das ist für Herrn Stadtkewitz zu kompliziert). Wie passt die Erschwerung des Moscheebaus zum Bekenntnis zur Religionsfreiheit, die bei uns schließlich im Art 4 der Verfassung garantiert ist? Gar nicht, außer man behauptet schlankweg, Moscheen dienten nicht der Religionsausübung (oder wie das Vorbild Wilders: der Islam sei keine Religion). So steht es denn auch im Programm.

Wenn man nun aber dieses Programm liest, fällt etwas übel auf. Gleich zu Anfang geht es um „Patriotismus und Identität“. Ich habe hier öfter dargelegt, dass ich glaube, gerade eine Einwanderungsgesellschaft brauche Patriotismus und Leitkultur.

Aber dies hier ist etwas anderes. Dass den Freiheitlichen zu Patriotismus sofort einfällt, dass jetzt mit der Nazizeit Schluss sein muss, ist bezeichnend. Der Clou ist ja m. E. gerade, dass ein neuer deutscher Patriotismus nach dem Krieg nur durch die Vergangenheitsbewältigung möglich wurde (vom Auschwitz-Prozess bis zur Weizsäcker-Rede und immer weiter bis zur Aufarbeitung der NS-Vestrickung unserer Ministerien).

Es gibt keinen Gegensatz zwischen Vergangenheitsbewältigung und Patriotismus, im Gegenteil: Die Bereitschaft zu ersterer ist die Voraussetzung für jeden glaubwürdigen Patriotimus hierzulande. Aber die Freiheitlichen konstruieren  gleich zu Anfang ihres Programms einen Widerspruch zwischen beidem, und das läßt Übles ahnen:

„Ein Volk, welches nicht zu sich selbst steht, ist langfristig dem Untergang geweiht. Jahrzehnte hindurch haben Meinungsmacher und Politiker dabei mitgewirkt, das Schuldbewusstsein der Deutschen wach zu halten, was die Identifikation mit ihrer eigenen Nation schwinden ließ. Wir Deutsche dürfen uns nicht auf die zwölf Jahre einer verbrecherischen Periode reduzieren lassen, es muss uns erlaubt sein, auf die kulturellen und historischen Leistungen des Deutschen Volkes stolz zu sein, ohne die Tiefpunkte unserer Geschichte auszublenden. Den eigenen Patriotismus über den der anderen Nationen zu stellen – das lehnen wir ab.

Wer verbietet denn bitte den Stolz auf unsere historischen Leistungen? Die Identifikation mit der Nation schwindet, wenn man sich mit dem NS beschäftigt? Im Gegenteil, meine Herren: Ehrliche Identifikation mit Deutschland setzt die Bereitschaft voraus, sich den dunklen Seiten zu stellen  – ohne Schuldstolz, aber auch ohne Ressentiment und Verschwörungstheorien, irgendwelche finstren Kräfte würden hier künstlich „das Schuldbewußtsein wachhalten“. (Früher wurde das immer den Juden unterstellt. Hier werden nur „Meinungsmacher und Politiker“ beschuldigt, aber das Muster ist das alte.) „Die Freiheit“ will gezielt proisraelisch erscheinen. Aber die zwölf Jahre, die sollen nun schön in Ruhe gelassen werden. Eine gewisse Spannung tut sich da auf, vorsichtig gesagt.

Interessant auch diese Passage:

„Jüdisch-Christliche Wurzeln

Wir sind uns unserer jüdisch-christlichen Wurzeln stets bewusst und wollen Staat und Gesellschaft aus christlich-abendländischem Geist gestalten. Wir gehen dabei vom positiven Menschenbild aus, wie es das Neue Testament der Bibel verkündet. Mann und Frau sind gleich an Würde. Alle bürgerlichen Rechte und Pflichten, alle Menschenrechte und das Selbstverständnis des Staates basieren auf diesem Menschenbild. Die lange abendländische Tradition Deutschlands ist nicht beliebig austauschbar.“

Jüdisch-christliche Wurzeln will ja heute einfach jeder für sich reklamieren. Aber dann ist es doch das Menschenbild des Neuen Testaments, das ja so schön „positiv“ ist. (Wirklich?) Und schon sind die Juden hinten vom Karren gefallen. Deren Menschenbild braucht man dann doch nicht, thank you Ma’am, wir haben ja das NT. Dessen Menschenbild (inklusvie Paulinischer Erbschuld?) ist ja soo positiv. Im Gegensatz zum negativen Menschenbild des „Alten Testaments“, oder was? In der Tat wird ja in den Römerbriefen das Christentum von Paulus herausgearbeitet als Befreiung des Menschen vom „Gesetz“ – also von der jüdischen Gesetzesreligion. Daraus sind die herrlichsten und grauslichsten Dinge gemacht worden: die „Kirche der Freiheit“ ist darin angelegt, und der christliche Antsemitismus ebenso. (Ach, was solls, auch das ist ja zu kompliziert. Darum geht es doch nicht. Es geht doch nur darum, eine Front gegen die Musels aufzubauen. und da wird der Jude kooptiert.)

In diesem schwierigen Feld tappen die Freiheitlichen mit ihrer Evokation des „christlich-jüdischen“ Erbes herum, nichts ahnend ganz offenbar. Ich kann nur sagen, die zunehmende Instrumentalisierung dieser oft genug verhängnisvollen deutsch-jüdischen Geschichte macht mir Sorgen. Ganz offenbar geht es bei der Verwendung der Codewörter christlich-jüdisch ja um den Ausschluß der Muslime. Es gibt schon genug, was uns vom Islam trennt, es gehört sich nicht, Religionen für diesen Kulturkampf zu instrumentalisieren.

Und dann noch dies: „Mann und Frau sind gleich an Würde“? (Das sagt übrigens auch der Zentralrat der Muslime, und wird ganz mau, wenn es um die Frage gleicher Rechte geht). Warum spricht man  nicht von gleichen Rechten? Ist hier ein Vorbehalt?

Dass das Selbstverständnis unseres Staates und die Menschenrechte auf dem „positiven Menschenbild“ des NT beruhen, ist nichts als höherer Bullshit.

Wir haben einen säkularen Staat (wenn auch mit Offenheit für die eingehegte Mitwirkung der Religionen), und wir müssen uns dagegen wehren, dass alle möglichen Hobbytheologen jetzt daran herumfummeln.

 

Nicht zuviel Islam, zuwenig Christentum?

Angela Merkel auf dem CDU-Parteitag:

«Unser Land leidet nicht an einem Zuviel an Islam, sondern an einem Zuwenig an Christentum!»

Ich sympathisiere mit dem Versuch der Entdramatisierung („nicht zuviel Islam“). Aber die Sache behagt mir dennoch nicht. Erstens weil es durchaus Leute gibt, die an einem „Zuviel“ Islam – oder an einem falsch verstanden Islam oder wie auch immer man das fassen will, leiden. Religionen sind nicht harmlos, sie sind kein bequemes, sicheres „Wertepolster“, das einfach nicht dick genug sein kann.

Religionen sind gefährlich, und sie müssen sozial, kulturell und politisch eingehegt werden, damit sie „gut“ sein können. Jahrhunderte haben wir gebraucht, um einen modus vivendi als Christen miteinander zu finden. Der Islam hat heute weltweit die größten Probleme unter allen Religionen mit der politischen Einhegung, und auch hierzulande sind wir von einer guten Lösung noch weit entfernt. (Immerhin arbeiten wir dran.)

Für das Christentum gilt weiß Gott das Gleiche, wie ein flüchtiger Blick in die deutsche Geschichte zeigt. Keineswegs ist „mehr davon“ besser – auch nicht unbedingt für Christen. Was heißt denn überhaupt „zuwenig“ Christentum? Zuwenig Einfluss auf die Politik? Zuwenig Zurschaustellung im Alltag? Oder zuwenig Innerlichkeit?

Die evangelische Kirche, der auch Frau Merkel angehört, hat sich das schöne Motto „Kirche der Freiheit“ gegeben. Kirche der Freiheit bedeutet auch, mit unseligen politischen Instrumentalisierungen aufzuhören: Glauben ist kein Werte-Rohstoff für die Politik, den man sich nach Belieben verfügbar machen darf. (Kritisieren wir das nicht am Islamismus?)

Es ist nicht gut, das Verhältnis der Religionen in einer nolens volens multireligiösen Gesellschaft in einem Verhältnis von zuviel-zuwenig zu denken. Weder geht es beim Verhältnis Christentum-Islam um ein Nullsummenspiel noch um eine Überbietungskonkurrenz.

Muß die Antwort auf „mehr Islam“ notwendigerweise „mehr Christentum“ sein? Oder umgekehrt: Ist mehr Islam die Antwort auf weniger Christentum, wie manche glauben? Das ist alles Quatsch. Solches Denken führt in die Sackgasse, oder im religiösen Vokabular gesprochen: in die Hölle künftiger Kulturkämpfe.