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Eine voll verschleierte Feministin

Hissa Hillal, eine saudische Dichterin (und frühere Literaturredakteurin für die Tageszeitung al-Hayat) hat bei einem Wettwebewerb nach dem Motto „Arabien sucht den Superdichter“ Aufsehen erregt. Sie trat voll verschleiert im Fernsehen auf und schleuderte den religiösen Stützen der Gesellschaft ihre Verse entgegen.

Ich zitiere aus dem Bericht der BBC:

Using a traditional verse form native to the Arab Peninsula’s nomadic tribes, she writes critically about the country’s hard-line Muslim clerics, calling them: „vicious in voice, barbaric, angry and blind“.


Condemning the violence that she says lies beneath their religious messages, her poems speak of some of the clerics „wearing death as a robe cinched with a belt“ – an apparent reference to suicide bombers‘ explosives belt.

Her poems rail against what she sees as a dangerous and excessively conservative shift in Arab society and mores, from within a country where women cannot travel without a male guardian and are forbidden from driving.

Most of the people loved what I said, from their hearts
Hissa Hilal

„What made me so angry is seeing the Arab society becoming more and more kept to itself, not like before – loving and caring and sharing and open and welcoming everyone,“ she told the BBC’s World Service.

„Most of the people loved what I said, from their hearts. They think I am very brave to say so, and that I said what they feel in their hearts.“

She explains the apparent contradiction in the fact that she advocates women’s rights while wearing the full veil – which some suggest is a symbol of female oppression: „Covering my face is not because I am afraid of people. We live in a tribal society and otherwise my husband, my brother will be criticised by other men.“

While her poetry is intended for a wide audience, the act of covering herself, she says, is out of understanding for her male relatives.

„I know they love me and they support me. It’s a big sacrifice for them in such a society to let me go to the TV and talk to the media. I am hoping my daughters won’t have to cover their faces and they’ll live a better life,“ she said.

 

Bringen Fatwas gegen den Terrorismus überhaupt etwas?

Ich hatte hier auf die umfangreiche Fatwa des pakistanischen Sufi-Gelehrten Taher ul Qadri hingewiesen, in der Selbstmordattentate verurteilt werden. Bringt das eigentlich was? Religiöse Gutachten gegen den Extremismus? Albrecht Metzger hat da seine berechtigten Zweifel (auf Qantara.de):

Die Fatwa habe das Potential, junge Muslime, die auf dem Wege seien, in den Extremismus abzugleiten, zur Umkehr zu bewegen, so der Tenor. Selbst der Bild-Zeitung war die Geschichte eine Meldung wert: „So deutliche Worte hat ein islamischer Gelehrter für Terroristen noch nie gefunden!“

Ob das so stimmt ist fraglich. Nach den Anschlägen von London am 7. Juli 2005 veröffentlichten zum Beispiel einige Dutzend islamische Gelehrte aus Großbritannien eine gemeinsame Erklärung, in der sie die Tat ohne Wenn und Aber verurteilten: „Wir sind der festen Überzeugung, dass dieses Töten nicht vom Islam gutgeheißen werden kann, es gibt auch keine Rechtfertigung in unserer edlen Religion für solche bösartigen Taten.“

Die Täter seien keinesfalls als Märtyrer zu betrachten. Auch andere Religionsgelehrte in der islamischen Welt haben ähnlich lautende Fatwas zu dem Thema Selbstmordattentate verfasst.

Die Frage ist also, ob das Gutachten Taher ul-Qadris jenseits der Medienaufmerksamkeit, die es erhalten hat, geeignet ist, muslimischem Extremisten zur Umkehr zu bewegen. Zweifel sind angebracht. Erreicht er die Richtigen?

Eine Fatwa ist die persönliche Meinung eines islamischen Gelehrten, ob ein Gläubiger sie befolgt oder nicht hängt davon ab, wie er diese Person beurteilt. Taher ul-Qadri ist Führer einer Sufi-Organisation. Auf Youtube kursiert ein Video, in dem sich seine Anhänger mit Musik in Ekstase tanzen. Am Ende taucht der Gelehrte selber auf, steigt über einen am Boden liegenden Mann und wirft dem Sänger Geldscheine zu.

Bild vergrössern Viel Medienlärm um nichts? Bei Großbritanniens Muslimen sorgte die Fatwa Taher ul-Qadris bislang für keinerlei nennenswerte Resonanz. In salafistischen Kreisen, aus deren Mitte sich die meisten Jihadis rekrutieren, macht er sich mit solchen Praktiken extrem angreifbar. Sie lehnen Tanz und Gesang als unislamisch ab. So ist nach Ansicht von Sicherheitsexperten Kritik an Selbstmordattentaten vor allem dann effektiv, wenn sie aus den eigenen Reihen kommt. Ein Sufi findet unter Salafisten jedoch kaum Gehör.

In Deutschland jedenfalls hat Taher ul-Qadri in den einschlägigen Webforen keinerlei Reaktion hervorgerufen. „Nicht mal ein abwertender Kommentar ließ sich finden“, so ein deutscher Verfassungsschützer. „Die Ausstrahlungskraft auf die deutsche Jihadi-Szene lässt sich also mit ’nicht vorhanden‘ bezeichnen.“

Darüber hinaus stellt sich die Frage, ob religiöse Gutachten die richtige Methode sind, um einen fortschrittlichen Islam zu entwickeln. Es sei zwecklos, eine „Fatwa-Schlacht“ mit den Extremisten zu beginnen, so Brian Whitaker, langjähriger Nahostkorrespondent des britischen Guardian. Denn für jedes Gutachten gebe es ein Gegengutachten.

 

Ditib, KRM, ZMD, VIKZ, IGMG – und die DIK

Ich habe gestern eine Veranstaltung der Katholischen Akademie in Berlin über den Dialog mit dem Islam moderiert. Ich konnte also nicht selber mitdiskutieren, wie ich es an mancher Stelle allerdings gerne getan hätte. Und entsprechend werde ich auch die Redebeiträge der Teilnehmer nicht kommentieren. Zwei Dinge aber konnte ich loswerden.

An Stelle des angekündigten Bekir Alboga nahm Rafet Öztürk teil, auch er für die Ditib tätig, und zwar als „Koordinator für den interreligiösen Dialog“. Alboga konnte nicht kommen, weil in den Islamverbänden immer noch um eine gemeinsame Haltung zur Deutschen Islamkonferenz gerungen wird. Am Mittwoch dieser Woche soll eine erste Arbeitssitzung stattfinden.

Folgendes habe ich an die Adresse von Herrn Öztürk gesagt: „Ich will Ihnen gerne mal erläutern, wie sich der derzeitige Streit unter den Verbänden für einen Medienvertreter darstellt. Ich muss meinen Kollegen in der Redaktion klarmachen, warum wir eventuell noch einen Kommentar zum Thema der Islamkonferenz brauchen. Ich fange also an zu erklären: Die Ditib hat den ZMD dafür kritisiert, die DIK durch eine Boykottdrohung zu gefährden, weil ja bekanntlich der Islamrat, der eigentlich IGMG ist, als Mitglied des KRM nicht mehr an der DIK teilnehmen soll. Der VIKZ verhält sich neutral…. Zu diesem Zeitpunkt sind alle meine Kollegen in Sekundenschlaf verfallen. Und ich kann ihnen nicht einmal übel nehmen, dass sie sich für dieses Akronym-Chaos nicht mehr interessieren. Zwischen den genannten Organisationen gibt es keine nennenswerten theologischen oder politischen Unterschiede, die für ein deutsches Publikum interessant wären. Diese Unterscheidungen, lieber Herr Öztürk, haben mehr mit ihrer Herkunft als mit der Zukunft der Muslime in diesem Land zu tun. Wenn Sie sie nicht überwinden können, werden sie sich selbst marginalisieren, und dies vielleicht ganz zu Recht.“

Zweitens war es mir am Ende der Diskussion ein Bedürfnis herauszustreichen, dass Deutschland – anders als die Debatte manchmal suggeriert – ein Land mit ungeheurer Dynamik und Veränderungsbereitschaft ist. In wenigen Jahrzehnten sind hierzulande fast 2.700 Moscheegemeinden entstanden und mehrere Millionen Muslime (bis zu 4, je nachdem wie man rechnet) wurden aufgenommen. Viele der aktiven Muslime konnten hier erstmals erfahren, was Religionsfreiheit heißt: Der Imam wird eben nicht vom Staat geschickt (es sei denn, man geht in eine Ditib-Moschee). Die Gemeinden sind frei, ihre Dinge nach eigenem Gusto selbst zu verwalten. Und vom Geheimdienst wird man auch nur beobachtet, wenn es gute Gründe dafür gibt (anders als in vielen Heimatländern). Es ist auch ohne negative Folgen (jedenfalls seitens der staatlichen  Stellen) möglich, „Kulturmuslim“ oder Atheist zu sein. In anderen Worten: Deutschland ist ein besseres Land für Muslime als viele der Herkunftsländer.

Nach den Morden an den christlichen Missionaren in Malatya vor drei Jahren brachte der Hürriyet-Chef Ertugrul Özkök es auf den Punkt: „Wo ist die muslimische Toleranz für den anderen Glauben?“, fragte der Chefredakteur. „Türken haben in Deutschland mehr als 3000 Moscheen, und wir halten ein paar Kirchen und ein Dutzend Missionare nicht aus?“ Auch wenn 3.000 Moscheen wohl eher die Zahl der (türkisch geprägten) Moscheen in ganz Europa ist, hat er absolut den Punkt getroffen.

Und dazu sollte man als Muslim in Deutschland auch gelegentlich mal was sagen, statt sich bloß über „Islamophobie“ zu beklagen. Wie islamophob kann ein Land sein, dass ohne große Aufwallungen (wenn man mal von den schändlichen Mordtaten wenige Jahre nach der deutschen Einheit absieht, die aber nicht explizit antimuslimisch waren, sondern ‚bloß‘ xenophob, und sie hatten die „Lichterketten“ zur Folge) die Bildung von 2.700 Moscheegemeinden in wenigen Jahrzehnten verträgt?

Bei allen Problemen ist das ein Grund zum Stolz auf dieses Land, und den sollten die Muslime, die davon profitieren, offensiv vertreten. Sie tun das aber nicht, sondern flüchten sich allzu oft eine unpolitische Opferhaltung.

Nach der Veranstaltung wurde ich von mehreren Verbandsvertretern aus dem Publikum auf diese Aussage angesprochen. Zu meinem eigenen Erstaunen stimmten sie mir zu.

 

Wilders Erfolg: Holland ist kein Modell

Natürlich ist das zunächst mal nur eine Koinzidenz. Aber vielleicht steckt ja etwas mehr in dieser Parallelität der Ereignisse:

In Holland gewinnt Geert Wilders mit seiner one-issue-Partei grosse Anteile der Wählerschaft in Almere und Den Haag. Die PVV nennt sich „Partei für die Freiheit“, hat aber eigentlich nur ein Thema: Die Muslime sind unser Unglück. Vor allem wegen des Versagens der etablierten (ehemaligen) Großparteien – Sozis und Christdemokraten – wächst der Nimbus des islamfeindlichen  Rechtspopulisten.

Zur gleichen Zeit in Deutschland: Innenminister de Maizière verkündet, wie hier bereits vorab berichtet, er werde die Deutsche Islamkonferenz fortsetzen. Die ganze Sache wird nun aber praktischer angegangen, weshalb zum Beispiel staatlicherseits mehrere Oberbürgermeister von Städten mit hohem Migrantenanteil dabei sein werden. Auf der Seite der Verbände wird auf den Islamrat verzichtet, eine Briefkastenfirma von Milli Görüs. (Der hatte die Chuzpe, am Tag vor der Verkündigung dieser Nachricht von sich aus auf die Mitarbeit zu verzichten. Nachdem man vorher behauptet hatte, ohne den Islamrat sei es keine Islamkonferenz mehr: sehr lustig!) Die feministischen Kritikerinnen Kelek und Ates werden zwar nicht mehr im Plenum dabei sein, aber de Maizière sagte gestern, er werde sie und andere als persönliche Berater mit dazuziehen.

Und noch eine weitere Nachricht von gestern, während unsere Nachbarn Wilders wählten: Die islamistischen „Sauerlandbomber“ erhielten hohe Haftstrafen zwischen 5 und 12 Jahren. Zwar hatten sie noch keine konkrete Anschlagsplanung gemacht. Aber die abgehörten Absprachen und das beschaffte Material ließen auf einen Anschlag von der Größe der Madrider oder Londoner Mordtaten schließen. Richter Breitling stellte fest, dass wir tiefe Einblicke in Radikalisierungsprozesse der Szene bekommen haben, aber mit unseren Erkenntnissen über die islamistische Gefahr erst am Anfang stehen.

Manche Kommentatoren von Wilders‘ Erfolg – wie etwa der früher eigentlich zurechnungsfähige vernünftige Kollege Rainer Haubrich in der WELT – wollen nun herbeischreiben, dass Holland uns voraus sei. Die Niederländer seien einfach schon weiter in ihrer Wahrnehmung der islamischen Gefahr. Und darum werde etwas ähnliches wie der Wildersche Erfolg auch hier möglich sein.

Ich glaube, es ist umgekehrt: Deutschland ist Europas Modell im Umgang mit dem Islam. Dialog und Sanktion, Gefühl und Härte – ohne Gegensatz, sondern im Einklang für das Ziel einer offenen Gesellschaft mit Zusammenhalt. Die Radikalen isolieren, verfolgen und verurteilen, den anderen die Hand ausstrecken. So einfach ist das.

 

Neustart der Islamkonferenz – ohne Kritiker?

Wer hätte gedacht, dass die Einbürgerung des Islams zu einer Prestigesache für christdemokratische Innenminister werden würde. Aber so ist es: Thomas de Maiziere will die Deutsche Islamkonferenz, Lieblingsprojekt seines Vorgängers Schäuble, fortführen – allerdings weder mit den gleichen Schwerpunkten, noch mit den gleichen Beteiligten. Unter anderem sollen die Islamkritikerinnen Necla Kelek und Seyran Ates beim »Neustart« (de Maiziere) nicht mehr dabei sein.
Wird nun, nach drei Jahren knisternder Konflikte um Kopftücher, Moscheebauten und Schwimmunterricht, auf Weichwaschgang geschaltet? Knickt der Minister, fragt mancher, vor den konservativen bärtigen Herren von den Islamverbänden ein, die schon lange von den feministischen Quälgeistern erlöst werden wollen?
Dem widerspricht, dass de Maiziere auch den Vertreter des konservativsten Verbandes, Ali Kizilkaya vom »Islamrat«, nicht wieder einlädt. Und auch die eher taffen Sprüche des Ministers lassen keinen Kuschelkurs ahnen: Er würde radikale Imame rausschmeißen, hat er im Interview mit der ZEIT gedroht. Die Muslime selbst müssten die »Haupttrennlinie zwischen dem friedlichen Islam und dem gewalttätigen Islamismus ziehen«, forderte er.
Im übrigen: Kizilkaya hat alle wesentlichen Beschlüsse der Konferenz nicht mitgetragen. Und Necla Kelek hat die Islamkonferenz von der anderen Seite her für »gescheitert« erklärt. Sehr überrascht können beide nicht sein, dass die Karawane jetzt ohne sie weiterzieht. Die Konflikte zwischen Islamkritikern wie Kelek und Verbandsvertretern hatten zuletzt etwas Rituelles: »Eurer Islam ist nicht integrierbar!« stand gegen »Ihr seid gar keine Muslime!«
Es ist richtig, dass de Maizière diesen nicht sehr zielführenden Schlagabtausch nicht fortsetzt. Die Konferenz ist dennoch nicht gescheitert. Im Gegenteil: Sie war die mutigste Tat der Großen Koalition. Sie brachte einen Realitätsschock, an dem wir uns noch lange abarbeiten werden, wie unsere nicht enden wollenden Debatten zeigen.
Deutschland hat sich mit der Konferenz das Instrument einer lernenden Gesellschaft geschaffen: Die Mehrheit hat Bekanntschaft mit der Stimmenvielfalt des Islams gemacht – von säkular-feministisch bis neoorthodox bekopftucht. Nicht nur die Mehrheit übrigens: Auch die Muslime selber haben die Buntheit ihres Glaubens zur Kenntnis zu nehmen gelernt. Weder die frauenbewegten Kritkerinnen noch die säuerlichen älteren Herren können heute noch alleine beanspruchen, für »den Islam« zu sprechen. Sichtbar wurden außerdem: Kulturmuslime, die zwar nie in die Moschee gehen, aber wollen, dass ihre Kinder etwas über den Glauben der Väter lernen; deutsche Konvertiten, die oft viel konservativer sind als geborene Muslime; Aleviten, Ahmadis, Schiiten, und sogar muslimische Atheisten. Was will de Maiziere nun mit dem Instrument anfangen? Er sieht sich mehr als Zusammenhaltsminister denn als Sicherheitssheriff. Aber wie entsteht »Zusammenhalt«?
Nicht durch Sonntags- oder Freitagspredigten, das hat die Islamkonferenz gezeigt, sondern durch angst- und hassfrei durchstandene Konflikte. Konflikte sind nicht nur unvermeidlich in einer religiös bunteren Gesellschaft: Klug eingehegt und moderiert, können sie ein Medium der Integration sein.
Es ist gut, dass der neue Minister nun alles praktischer angehen will. Drei Felder interessieren ihn besonders: Religionsunterricht, Geschlechtergerechtigkeit und Islamismus. Er will mehr Praktiker auf dem Podium sehen als bisher ­ in Sachen Religionsunterricht, Imamausbildung, Koedukation, Förderung von Einwanderern im Staatsdienst. Recht so: Doch das Bild dürfen nicht mehr die türkisch dominierten Verbände bestimmen. Sonst entsteht der Eindruck, Deutschland verhandele mit der Türkei (oder deren Mittelsmännern) über die Integration der eigenen Bürger.
Die Konferenz braucht mehr unabhängige muslimische Intellektuelle mit theologischer Kompetenz. Dass Navid Kermani nicht mehr dabei sein soll, wie jetzt gestreut wird, wäre darum unverständlich. Unter den hiesigen Muslimen gibt es keinen zweiten freien Kopf wie den Deutsch-Iraner.
Konkretion ist gut. Aber es wäre falsch, den Debattenmotor Islamkonferenz stillzulegen, um bei der notwendigen Anpassung der deutschen Friedhofsordnung an islamische Begräbnissitten vorwärts zu kommen. Wir brauchen den Streit, eher noch mehr davon: Dass in Deutschland radikale Islamisten vom muslimischen Mainstream isoliert sind und wir (bisher), anders als unsere Nachbarn, keine erfolgreichen islamfeindlichen Rechtspopulisten haben, ist auch ein Verdienst der  Islamkonferenz.

 

Eine 600-Seiten Fatwa gegen Al-Kaida

Ein pakistanischer Gelehrter, der Sufi-Imam Dr Tahir-ul-Qadri veröffentlicht heute in London eine 600 Seiten starke theologische Herausforderung der Ideologie Osama Bin Ladens.

Ul-Qadri ist keineswegs der erste Gelehrte, der sich gegen Al-Kaida stellt. Doch er erhebt den Anspruch, dies gründlicher zu tun als alle seine Vorgänger: eine Punkt-für-Punkt-Widerlegung des Bin Ladenschen Anspruchs, im Namen des Islams zu handeln.

Tahir-ul-Qadri Foto: Wikimedia

Ul-Qadri ist der Gründer der Sufi-Organisation Minhaj-al-Quran, die in England mittlerweile zehn Moscheen betreibt. Zahlenmässig spielt seine Gruppierung noch keine große Rolle unter den britischen Muslimen. Doch die Behörden sehen in ihm einen Hoffnungsträger, weil er vor allem jüngere Muslime anspricht. Die BBC schreibt:

The scholar’s movement is growing in the UK and has attracted the interest of policymakers and security chiefs.

In his religious ruling, Dr Qadri says that Islam forbids the massacre of innocent citizens and suicide bombings.

Although many scholars have made similar rulings in the past, Dr Qadri’s followers argue that the massive document being launched in London goes much further.
They say it sets out point-by-point theological arguments against the rhetoric used by al-Qaeda inspired recruiters. The fatwa also challenges the religious motivations of would-be suicide bombers who are inspired by promises of an afterlife.

The populist scholar developed his document last year as a response to the increase in bombings across Pakistan by militants.

The basic text has been extended to 600 pages to cover global issues, in an attempt to get its theological arguments taken up by Muslims in western nations. It will be promoted in the UK by Dr Qadri’s organisation, Minhaj ul-Quran International.

Shahid Mursaleen, spokesman for Minhaj-ul-Quran in the UK, said the fatwa was hard-hitting.

„This fatwa injects doubt into the minds of potential suicide bombers,“ he said. „Extremist groups based in Britain recruit the youth by brainwashing them that they will ‚with certainty‘ be rewarded in the next life.

„Dr Qadri’s fatwa has removed this key intellectual factor from their minds.“

 

Schluss mit dem islamischen Opferdiskurs

Ein exzellenter Artikel in der heutigen taz, dem ich nichts hinzuzufügen habe. Klemes Ludwig (Tibetexperte) fragt:

„Wem nützt es, den Islam als ewiges Opfer zu zeichnen? Einem aufgeklärten, emanzipierten Islam, der gleichberechtigter Teil der europäischen Gesellschaften ist, sicher nicht. Wer sich als Opfer fühlt und von anderen in dieser Rolle bestätigt wird, hat wenig Anlass, sich über die eigene Verantwortung für sein Schicksal Gedanken zu machen. Opfer zu sein ist bequem und erhöht den Betreffenden moralisch – jedenfalls solange sich das Leiden in Grenzen hält.

Nicht dass es in Teilen der Bevölkerung keine Ressentiments gegen Muslime gäbe. Sie gehören jedoch – zumindest in Deutschland – nicht zum gesellschaftlichen Konsens. Deshalb muss die Frage erlaubt sein, wie berechtigt der muslimische Opferdiskurs ist. Die Politik – in Gestalt des Innenminister Thomas de Maizière – heißt den Islam in Deutschland willkommen. Rechte Splitterparteien, die mit islamfeindlichen Parolen Stimmung machen wollen, sind bislang meist kläglich an der Fünfprozenthürde gescheitert. Und zahlreiche Gerichtsurteile, ob es nun ums Schächten oder Gebetsräume an Schulen geht, machen deutlich, dass der Rechtsstaat auch Muslimen die Ausübung ihres Glaubens garantiert.

Auch in historischer Perspektive betrachtet, ist der Islam nicht immer bloß Opfer des christlichen Westens gewesen. Natürlich gab es die Kreuzzüge und auch den Kolonialismus. Aber was wechselseitige Gewalt angeht, die es zu überwinden gilt, standen und stehen sich die beiden Seiten in nichts nach. Das gilt nicht erst für die Eroberung des Balkans durch das Osmanische Reich, die von der dortigen Bevölkerung überwiegend als Unterjochung empfunden wurde. (…)

Um nicht missverstanden zu werden: Diese Beispiele sind nicht dazu gedacht, aufzurechnen. Sondern dazu, aufzuklären. Denn es führt nicht weit, im Dialog der Kulturen nur auf die Schattenseiten der einen Seite zu verweisen. Statt zwischen Opferklischees und Diskriminierungsvorwürfen zu schwanken, sollte man sich auf Augenhöhe begegnen. Dazu gehört, dass sich Muslime den dunklen Facetten ihrer eigenen Geschichte stellen – und die Ursachen für manche Entwicklungsdefizite auch bei sich selbst suchen. Impulse dazu gibt zum Beispiel der Arab Human Development Report der UNDP, der als wesentliche Gründe für die Unterentwicklung vieler arabischer Länder die Defizite im Bereich der Bildung, der persönlichen Freiheiten und der Stellung der Frau nennt.

Der frühere Präsident von Malaysia, Mahathir Mohamad, ein selbstbewusster Muslim, hat dies einmal so formuliert: „Die Krisen und Probleme entstanden auch, als muslimische Geistliche anfingen, Fachgebiete zu vernachlässigen, die als weltlich wahrgenommen wurden, wie zum Beispiel Naturwissenschaften, Mathematik, Medizin und Technik, und sich nur auf religiöse Studien konzentrierten. Das war ein großer Fehler.“ Diese Erkenntnis lässt wenig Raum für einen simplen Opferdiskurs, aber viel für Entwicklung.“

 

Dänische Zeitung entschuldigt sich „bei Muslimen“

Man weiß kaum, wo man anfangen soll, diesen Irrsinn zu kritisieren: „Politiken“, die dänische Tageszeitung, hat sich auf ein Settlement mit einem saudiarabischen Anwalt eingelassen, der über 90.000 „Nachfahren des Propheten“ vertritt. (Hier ein englischsprachiger Artikel der Zeitung dazu.)

In einem gemeinsamen Communiqué entschuldigt sich Politiken bei „anyone who was offended by the reprinting of the Cartoon Drawing.“

Jawohl: Reprinting! Politiken hatte die Karikaturen nicht in Auftrag gegeben und nicht zuerst gedruckt, sondern nur dokumentiert, nachdem die Konkurrenz von Jyllands Posten die ganze Sache gestartet hatte. Und dafür wälzt man sich nun im Staub! Der Chefredakteur Toger Seidenfaden ist sich nicht zu schade, auch noch mit dem Vertreter der Kläger zu posieren. Peinlicher geht’s nimmer.

Das ist die Selbstabdankung einer Zeitung. Schwer zu fassen, dass die Kollegen diese Geste mittragen.

Warum ist das so fatal?

Es ist offensichtlich verlogen: Man entschuldigt sich bei denen, deren Gefühle angeblich verletzt wurden und gibt damit dem reaktionärsten Element in der heutigen islamischen Öffentlichkeit Recht, eben jenen Akteuren, die die Karikaturen bereitwillig benutzt haben, um den antiwestlichen Hass aufzustacheln, der sich keineswegs spontan regte.

Zur Erinnerung: Eine ägyptische Zeitung hatte – schon im Oktober 2005! – Karikaturen nachgedruckt – zunächst ohne Folgen, bis Monate später die antidänische Welle endlich losbrach. Al Fager hatte die Karikaturen mitten im Ramadan veröffentlicht. Hier die Titelseite vom 17. Oktober 2005 (Quelle):

Kein Hahn krähte danach, bis die antidänische, antiwestliche Kampagne zu greifen begann.  Und nun stellt sich Herr Seidenfaden reumütig hin und gibt den „Nachfahren des Propheten“ Recht, dass man mit guten Gründen indigniert gewesen sei. Unfasslich.

Dann: Was reitet „Politiken“ die Kläger aus Saudiarabien als legitime Wortführer der Muslime und ihrer Gefühle zu behandeln? Ist Herrn Seidenfaden nicht klar, welch ein Schlag ins Gesicht aller vernünftigen Muslime das ist, wenn er einen Saudi-Anwalt mit zweifelhafter Agenda als Sprachrohr „des Islams“ anerkennt? Wieder unfasslich.

Und schließlich: Welche Meinung man auch immer von der Qualität und Wirkung der Karikaturen hat – das schändliche Arrangement von Politiken mit den Klägern ist ganz einfach Verrat an den Idealen der Meinungsfreiheit, für die alle anderen Medien stehen, die die Karikaturen veröffentlicht haben- wenn auch manche mit Bauchschmerzen wie diese Zeitung.

Politiken scheint tatsächlich zu glauben, sich aus der Affäre gewieselt zu haben: In der gemeinsamen Presseerklärung mit dem Anwalt heißt es: Both parties express their satisfaction with this amicable understanding and settlement, and express the hope that it may in some degree contribute to defusing the present tense situation.

Diese Hoffnung – wenn sie denn  echt ist und nicht einfach verlogenes Gewäsch –  wird sich schon bald als  trügerisch erweisen. Wer diesen Leuten nachgibt, erntet nur Verachtung. Und das auch noch zu Recht.

 

Warum sind so viele (islamistische) Terroristen Ingenieure?

Emmanuel Sivan stellt in Haaretz diese interessante Frage:

What links the following people: the Nigerian who wanted to blow up Northwest Airlines Flight 253 to Detroit on Christmas Day; the two Palestinians arrested at Be’er Sheva’s Central Bus Station and who are suspected of reconnoitering for a mass terror attack; Mohammed Abd al-Salam Faraj, leader of the killers of Anwar Sadat; Khalid Sheikh Mohammed, planner of the attack on the Twin Towers; Mohamed Atta, who commanded the attack; and Iranian President Mahmoud Ahmadinejad?

Answer: all are engineers or students of engineering and applied science. There are other examples, such as in the leadership of the Muslim Brotherhood in Egypt and Jordan, and in the Hamas leadership. We’re talking about real engineers or students of the science, not the terrorist bomb makers often described as „engineers“.

I am among those who attribute this phenomenon first and foremost to what is described as engineering thinking or an engineering mindset. The concept includes an assumption, which has been raised in psychological research, that engineering as a field of study and a profession tends to attract people who seek certainty, and their approach to the world is largely mechanistic. So they are characterized by a greater intolerance of uncertainty – a quality that is evident among extremists, both religious and secular.


Those with engineering mindsets are also characterized by an approach that requires society to operate „like clockwork“ and abhors democratic politics, which requires compromises. It’s clear that this is a cumulative tendency and not a stereotypical generalization.

(…)


First, cognitive dissonance, in other words, high expectations that end in bitter disappointment. In the Arab world the standards for being accepted into engineering programs are very high and the studies are demanding. On the other hand, work in the enormous public sector is routine, wages are low, subjection to hierarchy is humiliating and the position’s social status is moderate – unless they are willing to go abroad to the United Arab Emirates, (which is how it is seen) from Cairo, Amman and Damascus. There wages are good, but amid social isolation and cultural desolation.

Today, employment in the Gulf is less available than even in the 1970s. In-depth interviews and focus groups have shown that Muslim engineers tend to interpret this situation as an expression of fundamental injustice that characterizes their societies, and from that the distance is short to viewing the radical Islamist solution as representative of the egalitarian ideal.

Second, it can be assumed that in technological fields, a young Muslim faces Western superiority (including the superiority of Japan, China and South Korea). How can this inferiority be explained in the Muslim world, which in the past was at the cutting edge of scientific progress? That Islam is in decline. Whoever aims to stop this decline and opposes blind imitation of the West to preserve his cultural uniqueness will find many people sharing the same outlook among the radical Islamist groups.

Von allen Argumenten finde ich das letzte am plausibelsten. Die küchenpsychologische Erklärung des „engineeering mindset“, das weniger tolerant für Unsicherheit sei, kaufe ich nicht. Die großen Ideologen des Totalitarismus waren leider of sozialwissenschaftlich und literarisch gebildete Intellektuelle. Und Qutb passt auch nicht so recht rein (aber der war ja auch kein Terrorist, sondern nur Vordenker).

Aber dass ein Ingenieurstudent die Unterlegenheit der islamischen Welt in seinem Studium stärker zu spüren bekommt als etwa ein Theologe oder Kulturwissenschaftler, der sich mit irgendwelchen Goldenen Zeiten und verpassten Gelegenheiten trösten kann, das ist doch ein scharfer Gedanke.

Alles lesen.