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„Abendland in Christenhand“

Die rechtsextreme und vom Verfassungsschutz beobachtete Partei Pro NRW tritt bei der Landtagswahl mit einem Spruch an, den sie bei der FPÖ geklaut hat: „Abendland in Christenhand“.

Die christlichen Kirchen haben sich gegen diese Diktion schärfstens verwahrt. Zu Recht.

Das ist natürlich bereits einkalkuliert in der Masche der Rechtsextremisten: Sie wollen jeden, der sich ihrem apokalyptischen Geraune von der drohenden, ja längst stattfindenden Islamisierung verweigert, als „Dhimmi“, „Appeaser“, „Moslemversteher“, „Schariafreund“ etc. hinstellen. Und also auch die christlichen Kirchen, die bei aller Kritik (s. Regensburger Rede des Papstes, s. „Klarheit und gute Nachbarschaft“ der EKD) weiter am Dialog festhalten (in der Sprache der Rechtsextremisten: „Dialüg“).

„Abendland in Christenhand“, im Juli 1933. Foto: Gedenkstätte deutscher Widerstand

Die Parole empört mich als Christen persönlich. Es ist einfach nur widerlich, dass sich ein Klub, in dem erwiesener Maßen alte Neonazis eine Rolle spielen, ausgerechnet auf das Christentum beruft. Das Christentum – eine unversalistische Religion aus dem Morgenland, die einen Juden als Sohn Gottes verehrt – wird hier ethnifiziert zu einem Abgrenzungsmerkmal von „Abendländern“. Es wäre zum Kotzen, wenn es nicht so doof und durchschaubar wäre.

Historisch gesehen gibt es durchaus Anknüpfungspunkte, leider insbesondere im deutschen Protestantismus, der im Dritten Reich weite Teile der Gläubigen und der Pfarrerschaft an den völkischen Rassismus verlor. Die „deutschen Christen“ machten aus der Liebesbotschaft Jesu eine Travestie, indem sie den Antisemitismus Hitlers unterstützten – zu Millionen.

Den Leuten, die heute unter neuen Vorzeichen an diese reaktionären Traditionen „abendländischen“ Wahns anknüpfen wollen, darf man keinen Schritt breit entgegenkommen. Sie gehören politisch bekämpft und geächtet wie alle anderen Extremisten, damit eine rationale Debatte über die Konflikte eines Einwanderungslandes weiter möglich bleibt.

 

Let my people go: Die Türkei muss aufhören, ihre Auswanderer zu vereinnahmen

Dem deutsch-türkischen Mediendienst EUROPRESS entnehme ich folgende Meldung:

«Wir werden die europäischen Imame in der Türkei ausbilden», heißt es in der national-islamischen TÜRKIYE. Damit zitiert die Zeitung den Präsidenten des Amtes für religiöse Angelegenheiten (Diyanet), Ali Bardakoglu. Bei einem Besuch in Holland habe Bardakoglu angekündigt, dass in Zukunft «Jugendliche aus Europa an theologischen Fakultäten in der Türkei zu Imamen ausgebildet werden und dann nach Europa entsendet werden sollen».

Soso, die Türkei schickt Europa in alle Ewigkeit Imame? Sie will aus Einwanderern, die die Türkei nur als Urlaubsland kennen, Botschafter eines türkischen Islams formen, wie er bei Dyanet gehütet wird? Das fügt sich leider nahtlos ein in den Anspruch des türkischen Staates – wie jüngst wieder von Ministerpräsident Erdogan im Interview mit der ZEIT geäußert, die türkeistämmigen Europäer bis zum Sankt-Nimmerleinstag zu betreuen, zu betüddeln und letztlich für eigene politische Zwecke zu instrumentalisieren.

Wie heißt es doch so schön in dem alten Gospel-Lied: „Tell ol‘ Pharao, Let my people go!“

Die Türken in Europa müssen sich dagegen verwehren. Ein europäischer Islam, wenn er denn etwas anderes als ein Schreckbild sein soll, muss sich in weitgehender Unabhängigkeit von der alten Heimat bilden.

Für den deutschen Staat heißt das: Imamausbildung, Theologie, Religionslehrerausbildung endlich unter hiesiger Aufsicht an hiesigen Universitäten. Bardakoglu macht ja deutlich, dass die Türkei sich da nicht so sehr als Partner, sondern als Konkurrent zu verhalten gedenkt. Also machen wir ihr endlich Konkurrenz!

Warum das nötig ist, liegt auf der Hand:

– wenn Imame nicht nur Vorbeter, sondern auch Gemeinde-Seelsorger sein sollen, was dringend nötig wäre, dann brauchen sie eine Ausbildung hier, wo man etwas von den Problemen der Menschen weiß, mit denen sie zu tun haben werden

– ein europäischer Islam muss das Religiöse und das Nationale trennen, das im Diyanet-Staatsislam – genauso wie auch im Konkurrenzprodukt der Milli Görüs („nationale Sicht“) – verschmolzen ist; die religiöse Identität als Muslim und die ethnische Herkunft (Türke, Bosnier, Syrer)  werden natürlich immer auf der Ebene des kulturellen Gedächtnisses verflochten bleiben – aber sie dürfen nicht mehr als quasi-identisch gehandhabt werden, wie das in der Dyanet-Ditib-Praxis der Fall ist; wie bizarr das sich auswirkt, zeigt der Fall der angeblich laizistischen „Türkischen Gemeinde in Deutschland“ (TGD), die nun in der Islamkonferenz mitredet; also: Entflechtung, Baby!

– auch für die Seite des deutschen Staates und der allgemeinen Öffentlichkeit ist es nicht zielführend, mit Imamen zusammenzuarbeiten, die in der Türkei ausgebildet wurden – als würde man erst dort zum wahren Muslim werden können

Der türkische Staat muss die Auslandstürken endlich in Ruhe lassen. Der deutsche Staat muss im Gegenzug mehr dafür tun, dass diejenigen, die das wollen, auf eine mit hiesigen Verhältnissen kompatible religiöse Infrastruktur zurückgreifen können.

 

Für einen Verein liberaler Muslime

Der Kollege Eren Güvercin hat ein Interview mit der Theologin und Religionspädagogin Lamya Kaddor geführt, das ich heute morgen im Auto hörte. (Ich bin Deutschlandfunk-Junkie, der Sender läuft bei mir immer im Hintergrund.) In diesem Interview nun ging es um den Begriff des „liberalen Islam“. Kaddor will nämlich eine Vereinigung „liberaler Muslime“ gründen. (Hier eine Kolumne von Hilal Sezgin dazu.)
Der Anstoss dazu kommt aus dem Versagen der existierenden Verbände, in denen moderne, durch ihr Leben in Deutschland geprägten Muslime sich nicht repräsentiert fühlen.
In dem Interview erklärt Kaddor, warum sie sich als Muslima berechtigt fühlt, auf ein Kopftuch zu verzichten.
Sie beklagt auch den „erbärmlichen Bildungsstand“ der Jugendlichen, die sie im islamischen Religionsunterricht kennenlernt. Sie hätten eine „islamische Identität“ nahezu ohne jede Substanz. Diese Jugendlichen bräuchten dringend Wissen über ihren Glauben, um, so Güvercin, aus ihrer „Scheinidentität“ herauszufinden.
Ich finde das richtig, wie ich auch religiöse Bildung bei Christen, Buddhisten, Juden, Shintoisten etc. für wünschenswert halte.  (Im evangelischen Religionsunterricht lernen meine Kinder auch eine Menge über andere Religionen. Zuletzt war das Judentum dran. Jetzt wird mir erklärt, was koscher ist und wie sich Ostern und Pessach unterscheinden.)  Guter Religionsunterricht wird immer auch eine Menge Religionskunde enthalten – also vergleichende Elemente.
Es wäre darum sehr wünschenswert, wenn liberale Muslime wie Kaddor beim kommenden Streit um die Curricula für islamischen Religionsunterricht eine Rolle spielen würden – und nicht nur die intellektuell meist sehr anspruchslosen Verbandsvertreter.
Eins möchte ich aber festhalten: Religiöse Bildung bietet keine automatische Immunisierung gegen Radikalismus. Es kann auch nicht einfach gesagt werden: Die Radikalen wissen einfach zu wenig über den Islam. Viele der Extremisten, die uns den Schlaf rauben, sind hoch gebildet und geistig rege. Ja, es ist leider so: Gerade das intellektuelle Interesse am Glauben kann – in Kombination mit anderen Faktoren – in den Radikalismus führen. Religionen sind gefährlicher, leicht entflammbarer Stoff. Dsa sollte man nicht durch einen idealistischen Bildunsgbegriff verschleiern.
Es kommt darauf an, dass es endlich einmal einen fairen Kampf zwischen Radikalen und Moderaten geben kann. Lamya Kaddor weiß das natürlich, und deshalb will sie ja den Liberalen eine institutionelle Stimme geben.
Was Sie über die Zeitbedingtheit der Vorschriften über die weibliche Verhüllung sagt, als wäre es eine Wahrheit, die jede(r) erkennen muss, wenn er nur tief genug schürft, ist in Wahrheit (noch) eine Minderheitenmeinung – die Meinung einer winzigen, aber nicht chancenlosen Minderheit.
Eben darum verdient sie Unterstützung.

 

„Träumt ihr türkisch?“ – mit Sigmar Gabriel im Moscheenland Ruhr

Die ausführliche Version meiner Reportage aus der aktuellen ZEIT:

Die Fahne seht man schon von weitem. Mondsichel und Stern auf flammendem Rot. Vor der Buer Merkez Moschee an der Horststraße in Gelsenkirchen steht Ümit Cibir, eine verkehrt herum aufgesetzte Baseballmütze auf dem Kopf. Ein paar seiner Freunde hat er mitgebracht, auch sie tragen Hiphop-Klamotten und haben ihre Haare mit großen Mengen Gel zu gewagten Skuplturen aufgetürmt.
Eine Weile haben sie schon ausgeharrt an diesem Freitagmittag. Sie warten auf Sigmar Gabriel, den SPD-Vorsitzenden und seinen Bus voller parteinaher Promis. Und natürlich auf die mitreisenden Kameras der Journalisten. Als die Expedition endlich verspätet auftaucht, spannt Ümit mit seinem Kumpel Mohammed zur Begrüßung die Fahne auf. In den Busfenstern prangen Plakate: “Wir zeigen den Rechten die Rote Karte! SPD.”
Ümit und sein Freund zeigen den Linken die Rote Fahne. Es ist freilich die türkische, und das schafft ein Kommunikationsproblem. Denn Sigmar Gabriel ist unterwegs um zu betonen, dass die türkischen Einwanderer und ihre Kinder “hier in NRW dazugehören” und “dass wir nicht zulassen werden, dass diese Typen einen Keil zwischen uns treiben”.
“Diese Typen”, das sind die rechtsextremistischen Hetzer von der Initiative “pro NRW”, die an diesem Wochenende überall im Ruhrgebiet “Mahnwachen” vor Moscheen abhalten und einen “Sternmarsch” auf die neue Duisburger Moschee veranstalten, die größte in Deutschland. Denen will man mit dieser Aktion die Show stehlen. Die Kameras sollen nicht nur die Krakehler zeigen, die ein Minarettverbot auch in Deutschland fordern und biedere Nachbarschaftsmoscheen wie diese hier als “Brutstätten des Terrorismus” hinstellen. An deren Stelle soll Sigmar Gabriel zu sehen sein, Gemütsmensch, Nachbar und Parteichef, der mit den Menschen ohne Furcht und Vorurteile redet, ein Mann, der durch seine schiere Präsenz und Offenheit Zusammenhalt schafft. Ein guter Plan.
Doch so eine riesige türkische Fahne ist da nicht wirklich hilfreich. Sie macht das gewünschte Bild kaputt. Ümit und Mohammed wird das auch gleich deutlich werden.
Gabriel hat kaum den Bus verlassen, da ist er schon federnden Schritts bei den Jungs: “Merhaba. Warum steht ihr hier mit der türkischen Fahne? Seid ihr keine Deutschen? Gehört ihr hier nicht dazu?” Damit haben sie nicht gerechnet. Verlegenes, sprachloses Grinsen unter der Basecap. “Ich bin gleich wieder da, will nur eben die Demonstranten da hinten begrüßen”, versetzt Gabriel und läßt die beiden Verdutzten stehen. Er marschiert zu einer Gruppe von Jusos und Falken, die an der nächsten Ecke lautstark gegen “Rechtsextremismus und Rassismus” demonstrieren. Als er zum Eingang der Buer Merkez Moschee zurückkehrt, leuchtet es ihm schon schwarzrotgold entgegen. Ümit und sein Freund halten jetzt eine deutsche Fahne in den Händen: “Wow. Ihr seid ja pfiffig. Da können wir ja noch was lernen. Kommt mit rein”, sagt Gabriel im Vorbeigehen. Allgemeines Gelächter, in das schließlich auch Ümit und Mohammed einstimmen.

Gabriel mit seinem Tross in der Buer Merkez Moschee Foto: JL
Wenn der SPD-Chef dieser Tage ein “Zeichen gegen die Rechten” setzt, indem er durch die Moscheen des Ruhrgebietes tourt, dann ist das natürlich auch Teil Wahlkampfes in Nordrhein-Westfalen – sechs Wochen vor dem Sonntag, an dem es der Spitzenkandidatin der SPD, hannelore Kraft, vielleicht sogar gelingen könnte, Schwarz-Gelb in Düsseldorf von der Macht zu vertreiben. Frau Kraft ist folgerichtig an mehreren Stationen der Reise ebenfalls dabei. Die Sozialdemokratie hat die Muslime nach Jahren ratlosen Schweigens wiederentdeckt. Integrationspolitik ist unterdessen Unionsterritorium geworden, im Bund durch Islamkonferenz und Integrationsgipfel, in NRW durch den umtriebigen Minister Laschet. Es geht also auch um die Rückeroberung eines Themas.
Aber mit dem Zeichensetzen ist das nicht so einfach dieser Tage. Wo auch immer der Moscheentourist Gabriel hinkommt an diesem Freitag – immer ist einer schon da, den er nicht auf der Rechnung hatte. Ob in in Oberhausen, Mühlheim oder Essen-Katernberg: Überall muss Gabriel die Äußerungen des türkischen Ministerpräsidenten Tayyip Erdogan aus der ZEIT kommentieren, türkische Gymnasien seien ein Mittel gegen die Integrationsdefizite vieler junger Türkischstämmiger. Und nur wer seine Muttersprache beherrsche, könne auch Deutsch lernen.

In Mühlheim kommen Hannelore Kraft und Peter Maffay dazu (rechts mit Krawatte Vural Öger) Foto: JL

Kaum hat er am Morgen die Haci Bayram Moschee in Oberhausen betreten, geht es schon los. Es ist eine kleine, bescheidene Hinterhofmoschee, in die der Tross hier einfällt. Die mit ornamentalen Kacheln verkleidete Gebetsnische mag in Richtung Mekka weisen, doch die Debatte hat sofort Ankara zum Ziel. Herr Yildirim, der Generalsekretär desMoscheeverbandes Ditib – ein Ableger des Religionsministeriums der Türkei – möchte sich lieber nicht zu Erdogans Meinungen äußern. “Wir gehören zu Deutschland, wir schätzen den Rechtsstaat” – mehr ist dem Funktionär nicht zu entlocken. Da können Gabriels mitreisende türkische Promis nicht mehr an sich halten. Die Schauspielerin Renan Demirkan sagt, ihr eigenes Türkisch sei zwar “nur radebrechend”: “So what! Mein Deutsch ist gut, das war meinen Eltern wichtig, und darum habe ich es zu etwas gebracht. Ich will dass die Kinder diese Sprache lernen, damit sie sich sichtbar machen können und mitmachen können in dieser Gesellschaft, die ich so liebe.” Weiter„„Träumt ihr türkisch?“ – mit Sigmar Gabriel im Moscheenland Ruhr“

 

Muslime, organisiert euch!

Hilal Sezgin schreibt auf Qantara.de über die neue Zusammensetzung der Islamkonferenz:

Es liegt etwas zutiefst Bevormundendes, sogar Undemokratisches in dieser Art der Besetzungspolitik. Das Ministerium berät, hinter verschlossenen Türen. Die Muslime warten ab, wer sie vertritt.

Natürlich betont man offiziellerseits: „Die Deutsche Islamkonferenz ist nicht die Vertretung der Muslime Deutschlands, sondern die zentrale Plattform des deutschen Staates für den Dialog mit Muslimen in Deutschland.“

Doch das ist ein schwer verständliches Zwitterkonstrukt. Wie kann man in der Islamkonferenz einen Dialog mit den deutschen Muslimen führen, wenn die dort Anwesenden keine Vertreter der Muslime, von diesen weder gewählt noch vorgeschlagen, und teilweise nicht einmal selbst-identifizierte Muslime sind?

Sorry, da komme ich nicht nicht mit: Der Innenminister hat die beiden Kritikerinnen, die die konservativen Verbände am meisten nervten, entfernt – aber die andere Seite hat immer noch nicht genug Entgegenkommen? Er hat versucht, eine neue Pluralität in die Reihe der Einzerpersonen zu bringen: eine Bosnierin, zwei Kurden, eine Schiitin, einen marokkanischen Imam – und alles, was Hilal Sezgin dazu einfällt, ist: Obrigkeitsstaat! Das geht nun wirklich nicht.

Sich repräsentativ und demokratisch legitimiert aufzustellen ist Sache der Muslime selbst. Es gibt solche Organisationen nicht. Die Islamverbände sind kleine Klientelgruppen mit viel zu viel Nähe zum Ausland (Türkei bei Ditib, Muslimbruderschaft und Milli Görüs im Fall des Islamrats und der ZMD).

Es ist ein Widerspruch, dem Staat das Obrigkeitliche vorzuwerfen und dann implizit zu verlangen, er möge die Muslime demokratisch repräsentativ reorganisieren. Die Muslime müssen den Hintern schon selbst hoch bekommen, damit sich da was ändert.

 

Bremst der Wohlfahrtsstaat die Integration?

Siegfried Kohlhammer, ein singulär freier Kopf seit vielen Jahren, an dessen islamdiskurskritisches Buch aus den 90ern ich meine meistgebloggte Kategorie hier angelehnt habe, hat im neuen MERKUR mal wieder zugeschlagen.

Kohlhammer ist nach Jahren in Berlin leider wieder nach Japan zurückgegangen, von wo aus er aber immer wieder einen kühlen Blick zurück auf die europäischen Verhältnisse wagt. Ich bin durch seinen Umzug in den Besitz einer exzellenten und beeindruckend durchgearbeiteten Bibliothek von islamwissenschaftlichen Werken gekommen. Traurig bleibt es trotzdem, dass Kohlhammer nicht von Berlin aus die Debatte mit bestimmt.

Aber sein Text sollte genügend Stoff zur Debatte liefern. Auszug:

Niemals zuvor in der Migrationsgeschichte hat es einen derartig hohen Grad an materieller, rechtlicher und ideologischer Unterstützung der Migranten von staatlicher und nichtstaatlicher Seite gegeben wie im heutigen Europa, und Deutschland nimmt dabei einen der Spitzenplätze ein. Seit Jahrzehnten werden hier erhebliche Summen für Integration ausgegeben, in die Sprachprogramme allein sind Milliardenbeträge investiert worden. Schon die Gastarbeiter in den sechziger Jahren waren von Anfang an arbeits- und sozialrechtlich gleichgestellt, erhielten also Tariflohn, Arbeitslosengeld und -unterstützung, Kinder- und Wohnbeihilfe, BAFÖG, ärztliche Betreuung – das volle Programm. Das hatte denn auch zur Folge, dass das (1973 eingestellte) Gastarbeiterprogramm zwar für die Privatwirtschaft, auf deren Druck es eingeführt worden war, einen Erfolg darstellte, nicht aber gesamtwirtschaftlich, da die Folgekosten die Gewinne schließlich übertrafen. Generell gilt in Europa, dass die Migranten insgesamt den Wohlfahrtsstaat mehr kosten, als sie zu ihm beitragen. Eine Lösung der Probleme Europas durch mehr Migranten, wie sie die EU wünscht, ist eher unwahrscheinlich.

Während früher den Einwanderern selbst die Last der Integration auferlegt wurde – und sie funktionierte in der Regel, auch ohne Sozialhilfen und Wohlfahrtsstaat und Antidiskriminierungsgesetze –, gilt heute Integration immer mehr als in die Verantwortung des Staates fallend. Und doch sind die Ergebnisse insgesamt immer dürftiger. »Nie zuvor in der Geschichte der Migration gab es so viel Rücksichtnahme und Planung. Doch die Ergebnisse waren dürftig.« (Laqueur) Das hatte unter anderem zur Folge, dass der Anteil der Erwerbstätigen unter den Migranten stetig sank und eine Lebensplanung auf der Grundlage von Sozialhilfe möglich wurde. So machen etwa die Muslime in Dänemark 5 Prozent der Bevölkerung aus, nehmen aber 40 Prozent der wohlfahrtsstaatlichen Leistungen in Empfang – und andere Länder weisen ähnliche Missverhältnisse auf. »Die Muslime in Europa erhielten mehr wohlfahrtsstaatliche Leistungen als jede andere Gruppe irgendwo und irgendwann.« (Bawer). Omar Bakri Mohammed, Gründer der islamistischen Hizb ut-Tahrir in England, lebte mit seiner Familie von wohlfahrtsstaatlichen Leistungen in der Höhe von circa 2000 Pfund im Monat. »Der Islam erlaubt mir, die Leistungen des (wohlfahrtsstaatlichen) Systems in Anspruch zu nehmen. Ich bin ohne Einschränkungen anspruchsberechtigt. Ohnehin lebt ja der größte Teil der Führerschaft der islamischen Bewegung von Sozialhilfe.«

Überall in Europa, wo eine nennenswerte Zahl muslimischer Zuwanderer sich niedergelassen hat, stößt man auf dieselben Probleme – und es scheint dabei keine Rolle zu spielen, ob die Muslime aus Pakistan oder aus der Türkei kommen, aus Algerien oder aus Bangladesch. Diese Probleme scheinen alle ihren Grund in der zunehmend misslingenden Integration zu haben, wobei gerade auch die zweite und dritte Generation, die traditionell die Integration schaffte, nicht besser integriert sind. Deutlich zeigt sich dies an den ethnischen Kolonien vieler Städte.(7)

Das ist ein zentraler Punkt: Wer hat die Verantwortung für Integration? Der Staat oder primär die Migranten selber?

Bei einem Moscheebesuch mit Sigmar Gabriel in Gelsenkirchen ergab sich letzten Freitag eine interessante Debatte. Es ging um die Schulen, an denen 80 oder mehr Prozent Migranten konzentriert sind. Eine junge Frau meldete sich, Alev Aksu, die sich als Alevitin vorstellte:  “Sorry. Mir kann keiner erzählen, dass die schlechten Bildungserfolge daran liegen, dass achtzig Prozent Türken in einer Klasse sind. Was spricht denn für ein Selbstbild aus so einer Aussage? Wenn wir zuviele auf einem Haufen sind, lernen wir nicht mehr? Es wird genug getan für die Bildung in diesem Land. Alle Chancen sind da. Aber wenn ich den Lehrer nicht respektiere und mich daneben benehme, kann es eben nichts werden. Setzt euch auf den Hintern und lernt!”

Es ist eben nicht so, dass die Migranten selber blind für die Zusammenhänge wären. Wir brauchen mehr Alev Aksus, die den Mund aufmachen.

(Tip: tati, Bakwahn)

 

Ein Augenzeuge aus Marxloh berichtet

Mitblogger cwspeer – Lehrer und Pfarrer aus Duisburg – war vor Ort:

Ich war vorhin in Marxloh vor der Moschee und in den Straßen darum herum. Ich glaube, was ich da sah, war ein gutes Spiegelbild der gesellschaftlichen Gesamtsituation, über die wir uns hier fast täglich die Köpfe heiß bloggen.
Die gesamte Schar an Gegendemonstranten war aufgeteilt in kleine bis kleinste Grüppchen, jede mit ihrem eigenen Hintergrund. Da gab es Gewerkschaften, Linke aller Art, von den LINKEN bis hin zur MLPD. Letztere erwiesen sich vor allem als ältere Herrschaften, die Kaffee und Kekse unters Volk brachten.

Da waren graubärtige Alt-68er und ließen die “internationale Solidarität” hochleben, aber es gab natürlich auch Autonome mit Sonnenbrillen, PKK´ler, eine wilde Truppe “Allah hu akbar”-Rufer mit Koranversen auf ihren Fähnchen, und andere Zeitgenossen, die etwas martialisch wirkten. Auch die jüdische Community zeigte sich solidarisch, was sehr wohlwollend zur Kenntnis genommen wurde! Den großen Rahmen bildete ein breites Feld von Normalbürgern jeglicher Couleur, darunter auch ich, zusammen mit anderen leicht ergrauten Pädagogen und Theologen in Begleitung einiger unserer Schüler, Deutsche und Migranten, die lebhaft diskutierten und sich informierten. Alle diese Grüppchen mit ihren Farben und Fähnchen wurden dadurch vereint, dass sie sich heute vor die Moschee und die friedlichen Muslime in Duisburg gestellt haben.
Ich habe diesen Sonntag in meiner Geburtsstadt als ein Fest für Demokratie und Meinungsfreiheit erlebt. Und ja, die Ränder gehören auch dazu und haben bei uns ein Existenzrecht. Das muss Demokratie sich leisten können. Insofern gehörten letzten Endes auch die NPD-ler und die Pro NRW-ler zu unserer Gesellschaft dazu. Ich bin zwar persönlich der Meinung, dass sie inhaltlich genauso danebenliegen, wie jene islamophoben Angstbeißer, die sich hier oft aufgeregt äußern ohne allzuviel Ahnung zu haben, aber hierzulande braucht keiner Angst zu haben, was er irgendwo bloggt. Das ist ja schon ein Triumph über alle verbotsfreudigen Ideologien, egal aus welcher Ecke sie kommen.


Die Rechten kamen nicht bis zur Moschee. Das habe ich auch persönlich geholfen zu verhindern. Ich habe sie nur von sehr weitem gesehen, eingeklemmt zwischen Wasserwerfern. Ihre Transparente zeigten durchgestrichene Moscheen. Das symbolisierte ihre Meinung und die durften sie äußern und ich konnte ihnen zusammen mit Vielen anderen deutlich machen, dass sie hier in Duisburg keinen Rückhalt in der Bevölkerung haben. Wir waren nämlich 6000 und sie 350. Ich glaube, auch meine Schüler haben heute mehr über Demokratie gelernt, als man ihnen in irgendeinem Klassenzimmer jemals erklären kann.
Ein herzlicher Gruß aus Duisburg in die Runde!

 

Zum „Sternmarsch“ der Rechtsextremisten gegen die Moschee in Marxloh

Morgen wird in Duisburg gegen die „Merkez“-Moschee in Marxloh ein „Sternmarsch“ der pro-NRWler stattfinden. Ich prognostiziere ein Desaster wie seinerzeit beim lachhaften „Anti-Islamisiserungskongress“. Es werden tausende Bürger da sein, um zu zeigen, dass sie so etwas nicht in Nordrheinwestfalen wollen, ja dass sie es überhaupt nicht in Deutschland sehen wollen. Die neuen Rechtsextremisten, die vor allem mit antimuslimischer Hetze agieren, werden keine Chance haben.

Das hoffe ich jedenfalls.

Da auch hier in den Foren immer wieder herumlaviert und relativiert wird, wenn es um diese widerwärtige Szene geht, empfehle ich den aktuellen Verfassungschutzbericht von NRW, besonders Seite 35ff.

Zur Führung der degoutanten Truppe ist da folgendes zu lesen:

Funktionäre von ‘pro Köln*‘ und ‘pro NRW‘
Die Funktionärsebene und weite Teile der Mitglieder beider Gruppierungen sind nahezu identisch. Der Vorsitzende, mehrere seiner Vorstandskollegen und große Teile der Mitglieder kommen aus rechtextremistischen Parteien oder aus Organisationen, bei  denen Anhaltspunkte für den Verdacht rechtsextremistischer Bestrebungen vorliegen bzw. lagen. Einige Personen gehörten beispielsweise zur Gruppierung ‘Deutsche Liga für Volk und Heimat‘ (DLVH)31. Die DLVH gehörte vor Anfang der 1990er Jahre dem Kölner Stadtrat an und ist vor allem durch die Verbreitung eines „Steckbriefs“ aufgefallen, mit dem eine Belohnung für die Ergreifung einer Roma-Frau ausgesetzt worden war, die abgeschoben werden sollte. Das Oberlandesgericht Köln32 hat der Betroffenen ein Schmerzensgeld zugesprochen, weil es in dieser Aktion eine erheblich ins Gewicht fallende Persönlichkeitsverletzung, einen schweren Angriff auf die Ehre und Menschenwürde und eine Gefährdung der persönlichen Unversehrtheit sah. Ein weiterer  Funktionär war jahrelang bei den ‘Jungen Nationaldemokraten‘, der Jungendorganisation der NPD, zwei Jahre als deren Landesvorsitzender, und 1986 Bundestagskandidat für die NPD. Andere gehörten den ‘Republikanern‘ an, die bis 2007 durch den Verfassungsschutz beobachtet wurden. Weiter„Zum „Sternmarsch“ der Rechtsextremisten gegen die Moschee in Marxloh“

 

Moscheentour mit Siggi (und Peter)

Wow, was für ein langer Tag. Ich sitze im ICE von Bochum zurück nach Berlin. Ich habe mal in Bochum studiert und sehe den langsamen Absturz dieser Stadt unter Schmerzen. Die ganze Innenstadt ein Ein-Euro-Laden. Bitter.

Aber ich habe an diesem Tag auch anderes gesehen, in Oberhausen, Mühlheim und Essen. Weil ich darüber ein längeres Print-Stück schreiben will und mir nicht meine Pointen kaputtmachen will, hier nur ein paar Auffälligkeiten:

– Gabriel war erstaunlich stark. Natürlich ist es auch Wahlkampf, wenn einer dieser Tage durch die Moscheen des Ruhrgebietes zieht. Aber das macht die Sache ja nicht illegitim. Er hat auch keine Problem das zuzugeben, sondern sagt ganz offensiv: Es war ein Riesenfehler, dass wir um die türkischstämmige Community nicht schon längst mehr geworben haben. So haben wir dem türkischen Staat die Lücke gelassen, diese Menschen immer noch als eine Art Reservearmee zu behandeln.

– Sehr stark auch, wie Gabriel mit jungen Leuten umgehen kann. Da merkt man den (wahrscheinlich ziemlich guten) Deutschlehrer. Ein paar türkische Jungs standen vor einer der Moscheen mit einer türkischen Fahne. Er ging gleich hin und stellte sie zur Rede: Warum die türkische Fahne? Die Jungs waren verdattert. Als Gabriel wiederkam, nachdem er mit Demonstranten geredet hatte, hatten die beiden eine deutsche Fahne aufgespannnt. Wow, Ihr könnt wirklich organisieren, versetzte Gabriel. Da können wir uns was abschauen. Großes Gelächter.

– Ich habe gesehen, wie unter Türken eine sehr lebendige Debatte über Integrations- und Bildungsdefizite in Gang kam, und zwar in den Moscheen! Männer und Frauen beteiligten sich daran, und das sehr kontrovers. Sehr gut! Auch ein Effekt der intensiven Thematisierung in den letzten Jahren, inklusive Islamkonferenz.

– Ich habe gesehen, wie sich ganz gewöhnliche anständige Bürger – vom katholischen Kirchenchor St. Josef bis zur Linkspartei – gegen den Hassmob stellen, der Moscheen zu Fronten eines Kulturkampfes zu machen versucht. Sie gehen einfach hin in diese Moscheen. Und siehe da, die Moscheevereine sind stolz, endlich mal Gastgeber sein zu können. So ist das richtig: Hingehen, reden. Aber auch: Deutlich machen, dass diese Menschen hier erwünscht sind. Das ist nämlich keineswegs das Grundgefühl bei vielen Deutschtürken. Dazu muss man überhaupt nicht über Probleme und über manchen Dissens hinwegtäuschen. Aber man muss eben Kontakt haben und pflegen. Ich merke das selbst bei vielen der Funktionäre, die ich immer wieder treffe. Erst beim langen Reden merkt man, in welcher Welt der andere lebt und welches Bild er sich von einem macht. Das hat alles erst angefangen. Und darum war es sehr richtig, dass Gabriel diese Tour gemacht hat. Peter Maffay – der Rockmusiker mit transsylvanischem Migratonshintergrund – war mehr Ornament, aber was soll’s.

– Ein bisschen bizarr war das schon: Nach Jahrzehnten entdeckt die deutsche Politik eine Lebenswirklichkeit wie ein exotisches fernes Land, zu dem man endlich einmal eine Reise wagt. Es war aber die ganze Zeit schon da, wie „Panama“ in der Geschichte von Janosch.

Ich hoffe, dass solche Besuche etwas Alltägliches werden, nicht nur in Wahlkampfzeiten.

(Bericht folgt.)

 

„Islamkritik“ für Dumpfbacken

Aus dem „islamkritischen“ Sumpf: Eine gewisse Seite, die ich wegen ihres manifesten Rassismus hier bekanntlich weder erwähne noch verlinke, hat meinen Auftritt bei der Katholischen Akademie rezensiert. Offenbar war eine ganze Truppe von IMs da, die Fotos gemacht und berichtet haben. Na ja.

Das hier ist repräsentativ für das digitale  Pöbelpack , das auf der gewissen Seite sein Mütchen kühlt:

#23 Chi-Rho (25. März 2010 18:54)

Einwanderung steuern und Integration managen, zugleich den Leuten klar machen: Das geht nicht mehr weg, Leute, wir müssen damit leben. Das ist der Weg. ( Jörg Lau)
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UNCONDITIONAL SURRENDER
Hurra wir kapitulieren!!!
Mit solchen “lauen” Jungs gibt es bestimmt keine Zukunft für den Westen!
Welcome Germanistan! Welcome Middleage!
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Der einzige Spass, den ich mir aber nicht entgehen lasse, ist die Massenhinrichtung in Berlinbul. Das Spektakel werde ich nicht versäumen wenn die Gutmenschen à la Claudia Roth, Frau Dr. Schiffer, Volker Beck, Guido Westerwelle und Klaus Wowereit von den moslemischen Revolutionsgarden 2040 aufgeknüpft werden.
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Naja, man sage nicht sie hätten es nicht gewusst!

Super lustig: Westerwelle als Gutmensch. Da er gleich neben Beck und Wowereit steht, nehme ich mal an, dass die sexuelle Präferenz hier ausschlaggebend ist. Eine Massenhinrichtung als Wichsphantasie, und das bleibt dann auch so da stehen. Kommentiert sich wohl selbst.