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MTV Deutschland zensiert South Park – auch ohne Drohung!

Mein Kollege Thierry Chervel vom Perlentaucher hat bei MTV Deutschland angerufen und nachgefragt, wie es eigentlich zu der Entscheidung gekommen ist, die umstrittenen Folgen 200 und 201 von allen Plattformen zu entfernen und auch nicht im Fernsehen auszustrahlen: Auskunft der Unternehmenssprecherin Daniela Schorn: „auf eigene Initiative“. Es gab also keine Anweisung aus den USA vom Mutterschiff. (Soeben erreicht mich ein Anruf von Frau Schorn: Es habe doch „eine konzernweite internationale Absprache gegeben.“

Thierry Chervel kommentiert im Perlentaucher: „Der deutsche Ableger des Viacom-Konzerns geht also noch einen Schritt weiter als die amerikanische Zentrale und verzichtet völlig auf eine Präsentation der beiden South Park-Episoden – sowohl im Fernsehen als auch im Internet.“

Eine konkrete Drohung gegen MTV Deutschland hat nicht vorgelegen. Womit sich meine These von gestern bestätigt, dass radikale Islamisten und Terroristen zwar schlimm sein können, wir es zu Not aber auch ganz ohne sie hinkriegen, uns in eine Hysteriespirale hineinzuhypen.

Daniela  Schorn erlärte dem Perlentaucher: ‚Bei uns selbst findet der Konflikt ja nicht wirklich statt. Wir selbst hier in Berlin haben keine Drohung erhalten, die Drohungen richten sich ja in erster Linie gegen Matt Stone und Trey Parker, die Macher.'“

Na dann: Gratulation an Revolution Muslim zu diesem (geschenkten) Sieg im Medien-Dschihad.

Ich fürchte, andere werden ihre Schlußfolgerungen daraus ziehen.

(Anmerkung des Autors: Dieser Post wurde um 16.15 aktualisiert und weicht in der Frage der konzernweiten Absprache von der ersten Version ab.)


 

Die Schande der South-Park-Zensur

Die Huff Post berichtet, dass die Website der islamistischen Irren, die South Park bedroht haben, gehackt worden sei. Wer sie heute aufruft, findet die Bestätigung meiner These, dass es den „born again muslims“ vor allem um Publicity ging.

„We received an overwhelming amount of media response due to one sentence included in a post last week.“

Und insofern muss man sagen: Chapeau, die Herren! Mit minimalem Aufwand die maximale Klickzahl erreicht. Das war’s denn aber auch.
Oder?
Auf Southpark.de ist die 200. Folge nicht mehr zu sehen. Am Freitag war das noch möglich. Folge 201 – auch ziemlich genial, denn dort wird die „Bärenkostüm“-Episode aufgelöst: im Fell steckt der Weihnachtsmann, nicht Mohammed – ist ebenfalls nicht zu sehen. (Mit ist es gestern gelungen, auf englischsprachigen Seiten beide anzuschauen.) Es war auch zu lesen, dass iTunes die Folgen nicht vertreiben will. Apple ist ja schon bekannt für seine Hasenfüßigkeit und seine Zensurmentalität. Und von diesen Leuten sollen wir demnächst voller Vetrauen per Ipad und Apps unseren „Content“ beziehen? So nicht.
Ich finde das alles langsam verachtenswürdig. Kein einziger Muslim von Gewicht, keine angesehene Figur, keine Regierung eines islamischen Landes, kein Sprecher eines Verbandes hat irgendetwas gegen diese Folgen vorgebracht. Nur die drei, vier New Yorker Spinner (über die ich hier bereits geschrieben habe)!
Vielleicht muss ich das noch einmal klarstellen: Es geht hier nicht um „die Muslime“. Es geht um uns. Es ist die präventive Feigheit der westlichen Medienkonzerne, die aus einer Handvoll durchgeknallter „Revolution Muslims“ erst eine islamistische Bedrohung der Meinungsfreiheit macht.
Seit der Rushdie Affäre – und verstärkt durch den Streit um die Karikaturen – haben manche westlichen Medien eine peinliche Unterwürfigkeit internalisiert – gegenüber einer „islamischen Bedrohung“. Dieser Fall hier zeigt – ähnlich wie die Affäre um die Berliner Idomeneo-Aufführung im Jahr 2006, dass wir eine reale Bedrohungslage schon gar nicht mehr brauchen.
Rushdie hatte noch den leibhaftigen Ajatollah Khomeini gegen sich, und bei den Karikaturen waren es reale Massen aufgeputschter Muslime, die vor den Botschaften Flaggen verbrannten. Menschen starben.
Die Erziehung hat funktioniert. Jetzt brauchen wir gar keine ernst zu nehmenden Gefährder mehr, damit eine der populärsten Shows – ein Meilenstein der Popkultur – von den größten Medienkonzernen der Welt im Stich gelassen wird, die viele Jahre fürstlich an ihr verdient haben.
Wir fürchten uns vor unseren eigenen Phantomen schon so sehr, dass jeder dahergelaufene Idiot unsere Reflexe abrufen kann: „South Park von Islamisten bedroht“ – diese Headline wird dieser Tage weltweit kopiert, ohne dass jemand mal nachschlägt, um wen es sich eigentlich handelt.
Am Ende sind dann aus ein paar Verwirrten große Medienhelden geworden, die tatsächlich für etwas zu stehen scheinen.
Wir haben sie dazu gemacht.

 

Die Wahrheit über South Park und die „Islamisten“

Als ich vor ein paar Tagen von der Drohung einer Gruppe New Yorker Islamisten gegen South Park las, dachte ich: Nein, das ist zu blöd, darüber schreibe ich nicht. Es ist wirklich zu blöd, aber nun muss ich doch darüber schreiben.

Wo beginnen? In der zweihundertsten Folge der Cartoon-Serie  South Park tritt der Prophet Mohammed in einem Bären-Maskottchen-Kostüm auf. Das hat sich eine Gruppe von Islamisten mit dem wichtigtuerischen Namen „Revolution Muslim“ auf ihrer Website zum Anlass genommen, den Machern von South Park in Erinnerung zu rufen, sie könnten wie Theo van Gogh enden. Die Gruppe ist für ihre lauten Strassenproteste bekannt und für ihren wilden Israelhass, den schon die Aufmachung der Homepage dokumentiert. Wie ernst ist sie zu nehmen?

Ich möchte es so zusammenfassen: Das ist eine Bande durchgeknallter Konvertiten zum Islam, die vor allem den radical chic suchen. Heißt nicht, dass sie nicht ernst zu nehmen seien, es gibt leider viele gefährliche Irre unter den Konvertiten. Aber wenn es jetzt überall heißt, eine „islamistische Gruppe“ bedrohe South Park, dann sollte das doch bitte mit einer gewissen Distanz behandelt werden: Dies hier ist eine Gruppe von spinnerten Freaks.

Interesanter Weise scheinen skurrile Figuren wie „Youssef al-Kattab“ in der Gruppe eine Rolle zu spielen – geboren als Joseph Cohen, ein amerikanischer Jude, der in Israel ein Rabbinerseminar besucht hatte, bevor er 2000 zum islamischen Glauben konvertiert ist. (Nein, das ist keine Erfindung von South Park, das ist die Wirklichkeit.) Auch der Mitgründer „Younes Abdullah Muhammad“ ist ein Konvertit. Und beide waren wiederum inspiriert von dem radikalen Scheich „Abdullah al-Faisal“, ebenso Konvertit, geboren als Trevor William Forest in einer evangelikalen Familie in Jamaika. In anderen Worten: Ein Haufen religiös Verwirrter, haltloser Irrer, die nichts dringender brauchen als die besorgte, erregte Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit. (Hier mehr Hintergrund von der Anti Defamation League.)

So, und nun wird es peinlich: Wegen der albernen Drohposts dieser Freaks hat Comedy Central nun das große Muffensausen bekommen und South Park zensiert. Unfaßlich.

Die Folge 200 – ich habe sie unterdessen mehrfach gesehen – ist dabei nahe an der Genialität. Die Geschichte geht ungefähr so: Einer der Jungs von South Park beleidigt Tom Cruise, der daraufhin den gesamten Ort mit einer Prozeßlawine überziehen will. Cruise sammelt 200 Promis, die auch schon von South Park beleidigt wurden – Bono, Hillary Clinton, Paris Hilton etc. Nur unter einer Bedingung will er sich abbringen lassen von seiner Klage: Er verlangt, dass die South Park Jungs – die einen Draht zu Jesus haben – ihm einen Kontakt zum Propheten Mohammed besorgen. Denn Mohammed hat eine geheime Kraft, von der alle Promis träumen: Er kann nicht mehr beleidigt werden. Niemand kann ihn auch nur abbilden ohne Gefahr an Leib und Leben. Ein Promi-Traum!

Wie wäre es, wenn wir diese fantastische Fähigkeit für uns gewinnen würden, lockt Cruise seine Mit-Celebrities. Man übt gemeisam druck auf die South Park Jungs aus, die kontaktieren Jesus, Buddha, Konfuzius, Moses und die anderen Religionsstifter, und die wiederum überreden Mohammed in langen Verhandlungen zu erscheinen. Da er aber nicht in menschlicher Gestalt sichtbar werden darf, endet der Prophet also in einem Bärenkostüm. Alles scheint gut zu laufen, da erschüttert eine Explosion South Park – ein Terrorakt? Ja, aber welche Extremisten stecken dahinter?

Es sei nur soviel verraten: Islamisten sind es nicht…

Es geht in dieser Episode offensichtlich nicht um Mohammed, sondern um Tabu, Angst und Einschüchterung, wie sie sich seit 2001 und besonders nach der Karikaturen-Affäre breit gemacht haben. Es geht um genau die feige Einstellung, die sich jetzt wieder zeigt. Sie hat, muss man leider sagen, in diesem Fall recht wenig mit den Muslimen zu tun. Sie ist eine Folge allzu bereitwilliger Projektionen, für die die konvertierten Irren von New York nur den Anlaß liefern mußten.

Die South Park-Macher wollten sich von dem feigen Meinungsklima seit der Karikaturenaffäre nicht beeindrucken lassen. Ihre 200. Folge ist ein Zeichen dafür, dass sie sich weder von weltlichen Mächtigen und Wichtigen noch von denen, die im Namen des Heiligen andere einschüchtern, etwas bieten lassen.

Und der feige Sender hat einfach nicht den Mumm, das so stehen zu lassen, sondern zensiert ausgerechnet dieses herrlich absurde Manifest gegen die Zensur. In der 201. Folge ist selbst die Erwähnung des Namens Mohammed mit einem Piepton überblendet worden.

Eine Schande ist das. Und eine Lächerlichkeit noch dazu angesichts der albernen Vögel, die sich angemaßt haben im Namen des Islam zu sprechen.

p.s. Eben erst fällt mir folgender Clip von Jon Stewart auf – aus der gestrigen Daily Show (auch Comedy Central!). Da wird einfach alles gesagt zum Thema. Und gesungen! Jon Stewart ist Gott:

The Daily Show With Jon Stewart Mon – Thurs 11p / 10c
South Park Death Threats
www.thedailyshow.com
Daily Show Full Episodes Political Humor Tea Party
 

Wie die Schweiz sich unterm Minarettverbot windet

In der Schweiz steht durch den Erfolg der Minarettverbots-Initiative und die nun folgende Umsetzung das weitgehende Modell der Volkssouveränität auf dem Prüfstand – dramatischer ausgedrückt: vor dem Scheitern.

Denn der Fall läuft am Ende darauf hinaus, dass das Volk in der direkten Demokratie Gesetze macht, deren zwingende Umsetzung den schweizerischen Staat in Widerspruch zu seinen vökerrechtlichen und menschenrechtlichen Verpflichtungen bringt.

Wie kommt man aus diesem Dilemma bloß wieder heraus? Dem geht ein Artikel in der NZZ von Claudia Schoch nach, in dem es heißt:

„Der Bundesrat sieht laut seinem Anfang März veröffentlichten Bericht zum Verhältnis von Völkerrecht und Landesrecht jedoch keinen direkten Handlungsbedarf. Er stellt darauf ab, dass jeweils eine völkerrechtskonforme Umsetzung für die Initiativen gefunden werden könne. Das war bisher auch der Fall ausser bei der Minarettverbots-Initiative. Doch damit verharmlost er das Problem. Denn je öfter Initiativen vom Volk angenommen werden, die zur Umsetzung abgeschwächt und umgebogen werden müssen, umso mehr wächst das Misstrauen unter den Bürgern. Eine direkte Demokratie, die nicht direkt umsetzen kann, was vom Volk beschlossen wurde, sägt am Ast, auf dem sie sitzt.“

Das Verbot des Minarettbaus kollidiert vor allem mit der Europäischen Menschenrechtskonvention, die die Schweiz ratifiziert hat. Dort heißt es:

Art. 9 Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit
(1)  Jede Person hat das Recht auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit; dieses Recht umfasst die Freiheit, seine Religion oder Weltanschauung zu wechseln, und die Freiheit, seine Religion oder Weltanschauung einzeln oder gemeinsam mit  anderen öffentlich oder privat durch Gottesdienst, Unterricht oder Praktizieren von Bräuchen und Riten zu bekennen.
(2)  Die Freiheit, seine Religion oder Weltanschauung zu bekennen, darf nur Einschränkungen unterworfen werden, die gesetzlich vorgesehen und in einer demokratischen Gesellschaft notwendig sind für die öffentliche Sicherheit, zum Schutz der öffentlichen Ordnung, Gesundheit oder Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer.

Nun müßte man entweder argumentieren, ein Minarett sei gar kein Teil des religiösen Bekenntnisses, sondern etwas anderes – also etwa ein „imperiales Machtsymbol für den politischen Anspruch einer Religion“. Die Religionsfreiheit werde damit überhaupt nicht berührt. So tut es ja auch die Bewegung der Minarettgegner.

Aber dagegen läßt sich anführen, dass Minarette seit vielen Jahrhunderten zum typischen Baustil von Moscheen gehören – „wie der Kirchtum zur Kirche“ – und ihre Errichtung somit Teil der Religionsausübung ist, auch wenn eine Moschee nicht zwingend über ein Minarett verfügen mus, um als Gebetsstätte zu funktionieren. Das Minarett findet sich an Moscheen, in denen politische Ansprüche der Religion artikuliert werden ebenso wie an solchen, in denen das nicht geschieht. Es ist mithin kein eindeutig religiös-politisch zu fixierendes Symbol. (Es gibt minarettlose Hinterhofmoscheen, die radikaler sind als die minarettbewehrten.) Wie man jedenfalls begründen will, dass ein Verbot des Minarettbaus eine „notwendige Einschränkung“ der Religionsfreiheit wäre (und nicht etwa nur der Ausdruck eines Mehrheitengeschmacks oder diffuser Ängste, wie berechtigt auch immer) – notwendig mithin „für die öffentliche Sicherheit, zum Schutz der öffentlichen Ordnung“ – das ist völlig schleierhaft.

Mit anderen Worten: Ein Minarettverbot hält der EMRK nicht stand, und damit kommt das schweizer Demokratiemodell in die Krise. Denn den Volkswillen nun nicht umzusetzen geht auch nicht. Wo liegt der Ausweg?

Es bestehe „keine generelle Möglichkeit, das Bundesgericht anzurufen mit der Begründung, ein Bundesgesetz verstosse gegen die Bundesverfassung oder das Völkerrecht“, schreibt Frau Schoch in dem oben zitierten Artikel. „Dazu gibt es aber seit gut zehn Jahren eine Ausnahme, die viele Bürger bisher kaum bemerkt haben dürften: Das Bundesgericht tritt auf Beschwerden ein, die bei der Anwendung von Bundesgesetzen eine Verletzung der EMRK geltend machen. Denn das Gericht ist der Ansicht, dass sich die Schweiz nicht durch Berufung auf inländisches Recht seiner völkerrechtlichen Verpflichtungen entziehen dürfe. Eine völkerrechtswidrige Landesnorm könne deshalb im Einzelfall nicht angewendet werden. Dies gelte namentlich, wenn sie im Widerspruch zu den Menschenrechten steht. Einer Volksinitiative, die gegen die EMRK verstösst, könnte somit bei ihrer Umsetzung die Anwendung durch das Bundesgericht versagt bleiben.“

Das bedeutet: Wenn ein konkreter  Minarettbau verboten werden sollte und eine Beschwerde beim Bundesgericht eingereicht wird, kann dieses feststellen, dass die Norm nicht angewendet werden darf, weil sie dem Völkerrecht widerspricht. So kann eine peinliche Situation vermieden werden. Doch die Delegitimierung der direkten Demokratie wird dadurch eigentlich noch offensichtlicher. Denn wie kann eine Norm Bestand haben, deren Anwendung dem Völkerrecht zuwider liefe?

 

Eine türkisch-islamische Selbstkritik

Ein fantastischer Essay von Hakan Turan, einem jüngeren türkischstämmigen Intellektuellen aus Stuttgart, auf seinem Blog erklärt viel besser als ich das könnte, warum die (meist türkischen) Muslime in Deutschland sich nicht nur kaum für die Islamkonferenz interessieren, sondern überhaupt viel zu passiv dem öffentlichen Diskurs gegenüber stehen.

Was ich besonders beeindruckend finde, ist der ernsthafte Ton der Selbstbefragung, den Turan in diesem Stück anschlägt.

Am liebsten würde ich gleich alles zitieren. Ich belasse es aber bei folgender Passage über die historischen Wurzeln des türkischen Obrigkeitsdenkens und erteile für den Rest einfach einen Lesebefehl:

Es ist dieses grundlegende Misstrauen gegen alles, was sich kritisch oder öffentlich mit den eigenen identitätsstiftenden Begriffen befasst, das eine weitere Beschäftigung z. B. mit DIK obsolet erscheinen lässt.
Nun wäre es erfreulich, wenn skeptische Muslime sich selbst aktiv in die Debatten einmischen würden – jedoch scheitert dies in den meisten Fällen an einem dritten Problem, nämlich am unerschütterlichen Glauben, dass der Durchschnittsmuslim in dieser Welt niemals eine faire Chance bekommen wird öffentliches Gehör zu finden, geschweige denn etwas zu verändern. Geradezu übermächtig erscheinen in ihren Augen die türken- und moslemkritischen Stimmen in Deutschland – boshafte Stimmen, die man unter Schmerzen und Bauchkrämpfen aushalten muss, bis sie verstummen und sich einem anderen Thema widmen.

In ihren Augen muss man lediglich etwas gegen den Islam haben um in Kürze aufzusteigen und bei den Deutschen Gehör zu finden. Dieses Ohnmachtsbewusstsein ist mehr als eine reine Opferhaltung. Es ist Ausdruck eines tief verwurzelten Obrigkeitsdenkens, in dem der Staat und die mediale Öffentlichkeit eine Art transzendente Sphäre darstellen, die von oben herab jederzeit Segen, oder Sturm und Hagel senden kann, die umgekehrt für uns jedoch sowohl unerreichbar, als auch unveränderbar ist – ganz wie die ewige, gottähnliche translunare Sphäre jenseits des Mondes in antiken und mittelalterlichen Kosmologien. Ewig und unveränderlich ist diese Sphäre – so wie auch der türkische Staat seit der Gründung der Republik seinem Volk beigebracht hat, dass der Bürger angesichts des Staates annähernd unbedeutend ist.

Zugespitzt könnte man die kritische Seite des Verhältnisses des türkischen Staates zu seinen Bürgern so beschreiben: Wer sich in der Öffentlichkeit assimiliert genug zeigt, braucht keine Angst zu haben – wer jedoch nicht in das vorgeschriebene Schema passt und öffentlich seine konservative, kurdische, christliche oder jüdische Seite darstellt, riskiert es zum inneren Feind erklärt zu werden, der das System bedroht und mit allen Mitteln des Staates zurechtgewiesen oder bekämpft werden muss. So hat z. B. das anatolische Volk Aufklärung überwiegend als staatlich vorgeschriebene, blinde Assimilation an eine europäische Lebensweise erfahren – ein Weg in die Moderne mit Hut und Walzer statt mit dem Mut zum Gebrauch des eigenen Verstandes.

Es besteht kein Zweifel daran, dass die Vordenker der heutigen Republik gebildete und westlich orientierte und in einem bestimmten Sinn aufgeklärte Männer waren. Das von mir umschriebene Problem betrifft in erster Linie ihr Verhältnis zum Volk und ihre fraglichen Mittel das Volk zu homogenisieren um es für die eigene Lebensweise und Weltanschauung zu gewinnen. Das unangepasste und oft ungebildete Volk erfuhr Kontrolle, Zurechtweisung und gewann den allgegenwärtigen Eindruck, dass der Staat, seine Organe, und die staatsnahen Medien etwas sind, das für das Volk unerreichbar und unkontrollierbar ist und ausgehalten werden muss. Opposition galt dem Volk als aussichtslos und Demokratie und öffentliche Diskursmöglichkeiten als Augenwischerei – wurde nicht der erste in freien Wahlen gewählte Ministerpräsident Adnan Menderes noch 1961 am Ende eines höchst umstrittenen Prozesses, der von der Militärjunta eingeleitet wurde, gehängt? Haben die türkischen staatlichen Instanzen nicht noch bis in die jüngste Zeit hinein oft genug unter entscheidender Beteiligung staatsnaher Medien mit dem Militär gemeinsame Sache gegen das unbelehbare Volk und seine gewählten Vertreter gemacht, statt auf Demokratie und Diskurse zu setzen? Auch wenn sich in den letzten Jahren einiges zum Positiven verändert hat – das Grundmisstrauen zwischen Staat und Volk bzw. den Volksvertretern an der Türkei ist geblieben. Von einer Normalität ist man heute leider noch weit entfernt.

Dieses Obrigkeitsdenken beginnt natürlich nicht erst 1923 mit der Gründung der Türkischen Republik, sondern lässt sich weit in die Zeit des Osmanischen Reiches zurückverfolgen. Es überrascht nicht, dass das Obrigkeitsdenken und der Autoritätsgehorsam heutzutage in den meisten politisch relevanten Kreisen der Türkei, von den religiösen, über die kurdischen bis zu den kemalistischen, verblüffende Ähnlichkeiten aufweist. Und: Dieses Denken ist implizit noch bei dem Großteil der türkischen Jugend in Deutschland verbreitet. Insofern muss man sich auch diese Einflüsse auf die Mentalität vieler Türken hierzulande vor Augen halten, wenn man sich weitere Perspektiven überlegen will. Jedenfalls spricht das hier geschilderte Problem auch nicht für einen überragenden Erfolg des so oft gescholtenen deutschen Bildungssystems – offensichtlich gelingt es den Schulen nicht bei muslimischen Jugendlichen Vertrauen in eine Praxis der demokratischen Beteiligung und des öffentlichen Diskurses zu wecken.

Wow!

 

Warum Islamkritik weiter nowendig ist

Johannes Kandel von der Friedrich-Ebert-Stiftung antwortet auf einen Essay von Carolin Emcke, der dem „Liberalen Rassismus“ galt:

Es werde, so die Behauptung, ständig ungerecht auf die Defizite bei Muslimen hingewiesen – Homophobie, Patriarchalismus, Machismo –, aber gezielt übersehen, dass es ähnliche Überzeugungen auch im konservativen Lager gegeben hat oder immer noch gibt.

Solche Immunisierungsversuche habe ich schon in zahllosen »Dialogrunden« und Talkshows erlebt und finde sie nur noch ärgerlich. Denn die historische Konstellation etwa der fünfziger und sechziger Jahre in Deutschland ist überhaupt nicht mit den autoritären Regimen in der islamischen Welt zu vergleichen: Dort ist Opposition lebensgefährlich, während es natürlich schon zu Adenauers und Erhardts Zeiten in der deutschen Gesellschaft massiven Widerspruch gegen die repressive Sexualmoral der CDU gab. Widerspruch, der zur Liberalisierung der Gesellschaft erheblich beigetragen hat.

Nein, in der Bundesrepublik sind wir über alle parteipolitischen Lager hinweg in puncto Homosexualität und in der Frauenfrage um Lichtjahre weiter als jene muslimischen Verbände, die hierzulande den Ton angeben und die »Anerkennung« ihres konservativ-orthodoxen bis islamistisch orientierten Islams verlangen – von der islamisch geprägten Welt ganz zu schweigen.

Alles lesen.

 

Lamya Kaddor über Islam im Schulalltag

Lamya Kaddor spricht im Tagesspiegel über ihre Erfahrungen als Lehrerin mit dem Islam ihrer Schüler:

Na ja, ich gehe eigentlich nie in eine Moschee.

Bitte?

Mir passt vieles nicht, was da gepredigt wird – etwa, wenn es um die Rollenverteilung zwischen Mann und Frau geht. Fast immer spielt die Politik hinein: In der einen Moschee wird gegen Israel gewettert, in der anderen kriegen Sie die türkische Staatspolitik serviert. Auch die Art des Predigens, dieses ständige Ermahnen, gefällt mir nicht.

Sie gelten als Vordenkerin der liberalen Muslime in Deutschland. Viele Menschen bezweifeln, dass es das überhaupt gibt: liberale Muslime.

Und ob es die gibt! Leute wie ich sind die Mehrheit. Wir sind hier aufgewachsen, haben eine Ausbildung gemacht oder studiert. Wir leben hier gut, und wir identifizieren uns mit diesem Staat. Nur glauben wir eben an den Islam.

(…)

Sie schreiben, einige Ihrer Schüler seien entsetzt gewesen, dass Sie kein Kopftuch tragen.

Ja, für viele der Mädchen gehört das Kopftuch einfach dazu, wie bei anderen die offenen, langen blonden Haare – es geht dabei nicht um religiösen Zwang oder ein politisches Symbol. Keine Einzige konnte mir bislang erklären, warum sie es trägt. Sie sagen: Das steht im Koran. Dann frage ich: Wo denn? Antwort: Das weiß doch jeder, dass das da drin steht! Ich selbst halte das Kopftuch hier im Deutschland des 21. Jahrhunderts einfach für unzeitgemäß. Im 7. Jahrhundert, als Mohammed den Koran empfangen hat, war man ohne das Tuch angreifbar, fast vogelfrei. Diese Schutzfunktion braucht es in der heutigen Gesellschaft nicht mehr, da mich Recht und Gesetz schützen. Ob ich meine Haare zeige oder nicht, ist völlig egal. Ich habe natürlich nichts dagegen, dass jemand Kopftuch trägt, aber ich finde, man sollte wissen, warum.

(…)

Warum begehren die Jugendlichen nicht gegen diese überkommenen Traditionen auf?

Weil sie gar nicht in der Lage sind, zu hinterfragen. Ihnen fehlt es an Bildung.

Oder trauen sie es sich nicht, weil es in den Familien sehr autoritär zugeht?

Bei den meisten gibt es gar keine Autorität. Die Mutter ist überfordert, der Vater schlägt zu oder ist abwesend, weil er arbeitet oder in einer Teestube rumsitzt. Bei unseren deutschstämmigen Schülern sieht es zu Hause nicht besser aus. Die Jugendlichen können sich dann auch nicht anders wehren als durch schreien und schlagen. Morgens sind viele schon so aggressiv aufgeladen, dass man ihnen am liebsten lauter Sechsen geben würde. Die Ehrgeizigen werden gemobbt oder leben in ihrer eigenen Welt. Kaum einer meiner Schüler hat jemals von seinem Vater gesagt bekommen: Ich habe dich lieb. Zuwendung bekommen sie höchstens von der Mutter. Ich habe sie mal gefragt: Findet ihr das nicht komisch? Das ist denen auch aufgefallen, dass das komisch ist.

 

Jetzt auch in Kanada: Burka (Nikab) verbieten?

Auch die französischsprachige Provinz Québec debattiert leidenschaftlich über ein Verbot der Vollverschleierung im öffentlichen Leben.

Letzte Woche hat Jean Charest, der Premier der Provinz, einen Gesetzesentwurf eingebracht, der das unbedeckte Gesicht zur Pflicht machen will. Merke: Dies ist kein Kopftuchverbot, sondern ein Nichtverhüllungsgebot. Ehrlich gesagt: Damit könnte ich mich anfreunden. Wenn, ja wenn es denn nötig wäre, ein solches Gesetz…

Aus dem Toronto Star:

Bill 94 effectively bars Muslim women from receiving or delivering public services while wearing a niqab.  According to the draft law, they would not be able to consult a doctor in a hospital, for example, or even attend classes in a university.  „Two words: Uncovered face,” Charest told reporters during a press conference in Quebec City. ”The principle is clear.” However, Charest reaffirmed the right to wear other religious symbols, such as crosses, skullcaps or headscarves, which was met by some as evidence of hypocrisy and discrimination…

Charest explained that the legislation, Bill 94, demands a face in plain view, for reasons of identification, security and communication. He further clarified that even public-service employees who do not interact with the public – the majority of the provincial bureaucracy – would also not be permitted to wear the niqab…

The legislation doesn’t stop at driver’s licence or health card offices. It encompasses nearly every public and para-public institution as well, including universities, school boards, hospitals, community health and daycare centres.

Kritiker sehen das freilich ganz anders und schäumen regelrecht:

How many times does it have to be said that gender equity is about giving women the right to make their own choices?  If a woman’s choice is to wear a niqab, BARRING her from wearing one by removing access to work, childcare, healthcare and education is the absolute opposite of gender equality.

I cannot say enough how disgusting and dishonest this is.  If this bill was motivated by a real concern for women made to wear the niqab against their will, wouldn’t it make more sense to partner with organisations for Muslim women and/or organisations for women fleeing abuse and violence?

Instead, this legislation is being championed primarily by white men and women who are not Muslim.

(Komisches Argument: Abolitionisten waren auch mehrheitlich weiß und männlich. Hätten sich die Schwarzen etwa komplett selber befreien sollen? Sollen die Frauen unter dem Nikab, die nicht freiwillig drunter stecken,  etwa alleine dagegen angehen? Und ja: ich weiß, dass das nicht dasselbe ist – Sklaverei und Totalverhüllung.)

Die Frage bleibt, ob man wirklich ein Gesetz braucht angesichts der wenigen Fälle. Es ist eine Tugend, keine unnötigen Gesetze zu machen für Konflikte, die niederschwellig gelöst werden können. Der Toronto Star schreibt in dem oben zitierten Artikel, „only 10 of more than 118,000 visits to the health board’s Montreal office in 2008-09 involved niqab-wearers asking for special dispensation“.

10 von 118.000 Fällen!

Eine Kommentatorin aus Québec hat denn auch das Gefühl, dass ein solches Gesetz hauptsächlich Identitätspolitik für die Mehrheit ist, nicht so sehr Minderheitenschutz, wie behauptet:

However, it is much more a reaction to a growing feeling of unease  in the Québec population with questions of national identity. We feel a strong need to define and assert who we are as a nation and a culture in order to stave off assimilation. To understand the Québécois, one must be aware that the Quiet Revolution – the period of unprecedented social development where we threw off the shackles of religious oppression – made us probably the most ardently secular state in North America. It happened just over 40 years ago. Before that, the Québecois were firmly under the heel of the Catholic Church. Protection of the French language, secularity of the society and the primacy of the equality between men and women are three subjects of great importance to most Québécois. Unfortunately, the debate around these subjects most often centers around immigrants, especially those whose religion dictates some forms of expression which go against the principles of secularity and equality between men and women.

 

Warum Ali Normalmuslim sich für die Islamkonferenz nicht interessiert

Der Sachverständigenrat der deutschen Stiftungen, die sich mit Fragen von Migration und Integration beschäftigen, hat eine interessante Untersuchung vorgelegt. Man hat unter Zuwanderern gefragt, wem die Deutsche Islamkonferenz bekannt sei. Die Ergebnisse frappieren, jedenfalls auf den ersten Blick:

„Insbesondere die Deutsche Islam Konferenz (DIK) ist der Hälfte der Zuwanderer unbekannt, gut bekannt ist sie nur 11%. Auch bei den muslimischen Zuwanderern haben 43% noch nie davon gehört. Besonders bedenklich erscheint, dass in Deutschland geborene Muslime die DIK mit 47% sogar noch weniger kennen als selbst zugewanderte Muslime (42%). Bei der Mehrheitsbevölkerung hat hingegen nur ein Drittel keine Ahnung von der DIK. Bei der Zuwandererbevölkerung deutlich bekannter sind praktische Maßnahmen wie der Einbürgerungstest.“

Die Ergebnisse der Umfrage werden in folgenden Schaubildern aufbereitet:

Ich muss sagen, das ich nichts davon wirklich überraschend oder alarmierend finde: Dass die Bekanntheit der Islamkonferenz mit dem Bildungsgrad steigt, ist zu erwarten. (Wer ohne Abi und FAZ-Abo hat schon einmal von der  „Föderalismuskomission“ gehört, deren Folgerungen enorme Konsequnzen fürs tägliche Leben hatten?) Und auch dass neu zugewanderte Muslime ein höheres Maß an Aufmerksamkeit für ihre neue Heimatgesellschaft mitbringen, ist nicht wirklich eine Sensation.  Dass die in Deutschland geborenen Muslime leider viel zu wenig Interesse für das politische Leben hierzulande aufbringen, selbst wenn tua res agitur, ist ebenfalls bekannt, und es fällt auf sie selbst zurück.

Kann die Politik mehr tun, um besser zu informieren? Sicher, aber wie erreicht die Politik Menschen, die sich für Politik nicht interessieren?

Bleibt die Tatsache, dass fast die Hälfte der muslimischen Befragten keine Ahnung von der DIK hat – ganz so wie bei der deutschen Mehrheitsbevölkerung mit niedrigem Abschluss (bei den höher gebildeten Muslimen immerhin noch etwa ein Drittel).

Das korrespondiert mit der Mediennutzung vieler zugewanderter Muslime: Vor allem bei den weniger Gebildeten, aber auch bei den gut Ausgebildeten ist der Zugang zu deutschen Qualitätsmedien, die intensiv über die DIK berichtet haben, immer noch sehr begrenzt. Das ist in einer Einwanderungsgesellschaft eben so: Es dauert Generationen, bis man die Nutzung der etablierten Medien beherrscht und deren Diskurse versteht. Geschweige denn bis man dort Karrieren machen kann, die diese Medien auch von innen her, von der Macherseite verändern. Die Karrieren von Einwanderern und deren Kindern in den Medien gehen langsamer voran als in anderen gesellschaftlichen Bereichen, in denen verallgemeinerbares, formalisiertes Wissens entscheindend ist, nicht so sehr mit einer speziellen kulturellen Tradition verknüpftes Kontextwissen. Die Ausnahmen werden allerdings immer häufiger, und das ist gut so.

Die Ergebnisse der Umfrage werfen aber vor allem ein Licht auf die islamischen Organisationen, die doch behaupten, für die Mehrheit der Muslime hier im Lande zu sprechen. Warum gelingt es ihnen dann nicht, einer Mehrheit zu vermitteln, dass sie seit Jahren an einer Islamkonferenz teilnehmen, die sie selbst für wichtig und entscheidend halten?

Vielleicht ist dies die schlichte Wahrheit: Die Verbände – zusammengeschlossen im KRM (Koordinierungsrat der Muslime) – sind (wenn das unislamische Bild erlaubt ist) sind Damen ohne Unterleib. Sie vermitteln nicht in die Moscheen, warum sie nach Berlin fahren, was sie dort erreichen wollen, und warum wann wer für sie spricht.

Haben Sie überhaupt Kontakt zur Basis? Seit Neuestem zum Beispiel ist turnusgemäß Ali Kizilkaya Sprecher des KRM, der Vorsitzende des Islamrats. Herr Kizilkaya spricht für den KRM: Pech nur, dass der Islamrat von der Islamkonferenz ausgeladen wurde, weil gegen den Mehrheitseigner Milli Görüs staatsanwaltlich ermittelt wird. Bizarr: Der Verband der Verbände läßt sich also nun von jemandem vertreten, der bei der wichtigsten Veranstaltung (die eigentlich das Lebensrecht des KRM begründet) nicht dabei ist.

Ja Herrgottszeiten – warum soll sich denn Ali Normalmuslim für diesen Unfug interessieren, den die Verbände da anrichten?

In der Schlußfolgerung des Sachverständigenrats heißt es:

Die 2006 begründete Deutsche Islam Konferenz sollte den Muslimen die wichtige Botschaft überbringen, dass der Islam Teil Deutschlands und Europas sei, wie Bundesinnenminister Schäuble aus Anlass des ersten Treffens der DIK im September 2006 im Bundestag erklärte. Diese Botschaft scheint bislang in Politik und Publizistik in Deutschland und der Türkei sowie bei der deutschen Mehrheitsbevölkerung deutlich wirkungsvoller zu sein als bei der Zuwandererbevölkerung in Deutschland selbst. Erreicht hat die DIK jedoch den erstrebten Organisationsschub bei den islamischen Verbänden, dessen Ergebnis der Koordinationsrat der Muslime als Dachverband der vier größten islamischen Organisationen in Deutschland ist.

Der letzte Satz irritiert: Er wird von den Ergebnissen der Untersuchung widerlegt. Der erreichte „Organisationsschub“ hat uns mit dem KRM nur eine Dachorganisation von Dachorganisationen beschert, die offenbar nicht – oder viel zu wenig – mit der Basis in den Moscheen kommuniziert.

Dass die DIK einen Disskussionsschub vor allem in der Mehrheistgesellschaft (aber auch bei wichtigen Eliten der islamischen Minderheit) ausgelöst hat, ist kein geringes Verdienst. Soll man dagegen die scheinbar geringe Anteilnahme unter Muslimen ausspielen? (Ist sie denn so gering? Ist fast die Hälfte nicht ein guter Anfang?) Man kann die relative Gelassenheit der muslimischen Zuwanderer angesichts der DIK ja auch so, lesen: Wenn viele Muslime es sich leisten können, an dieser Debatte nicht teilzunehmen, spricht das vielleicht auch dafür, dass in diesem Land ein gutes Leben als Muslim möglich ist – besser als in den meisten Herkunftsländern. Ist der Leidensdruck vielleicht nicht so hoch, wie manchmal behauptet?

Eines scheint die Untersuchung zu unterstreichen: Ob man sich beim weiteren Vorgehen auf die Verbände verlassen kann, ist fraglich. Der Islam in Deutschland braucht eine breitere Repräsentanz, damit sich eines Tages auch Ali Normalmuslim in dem öffentlichen Gespräch über seine Religion wiederfinden kann.


 

Tariq Ramadan endlich im Gelobten Land

Tariq Ramadan hatte nach Jahren des Banns endlich Gelegenheit, sich einem amerikanischen Publikum vozustellen – in New York bei der Cooper Union. Die Gründe für den Bann habe ich hier erklärt, und hier habe ich mich früh (2004) dagegen ausgesprochen, weil ich die Angst vor diesem Mann immer ein falsches Signal fand, das ihn nur größer macht als er ist.

Ich habe selbst zwei Mal mit Ramadan in Berlin öffentlich debattiert und feststellen müssen, dass er sehr gut aufzutreten weiß und geschickt argumentiert – aber am Ende eben doch kein Mann zum Fürchten ist.

Nun darf ich mich mit meiner Argumentation gegen das Einreiseverbot voll bestätigt fühlen: Ramadans Auftritt in New York war gut besucht und doch alles andere als eine Sensation: Der Prediger hat sich selbst entzaubert. George Packer, der mit Ramadan auf dem Podium saß, hat in seinem „New Yorker“-Blog über den Auftritt geschrieben:

Ramadan seemed wrong-footed in those opening remarks. He didn’t have a sense of where he was, of his American audience. It was as if he were speaking to disaffected young second-generation immigrants in a working-class mosque in Lille or Leicester, which is how he spends much of his time. Multiple identities, the value of diversity—not exactly news in this city, in this country. Many of his sentences amounted to buzz words strung together, without reaching a point. It seemed a missed opportunity: his first address in America since becoming an international figure, and he hadn’t prepared, hadn’t thought it through.

Once Ramadan sat down, and the panel and audience got involved, he became much sharper. Hearing him talk for an hour and a half, you realized what he is and isn’t. He is not a philosopher, or an original thinker. He has been cast in that role by recent historical crises and his own ambition—the role of someone whom large numbers of people turn to for insight on a vast range of issues, from the Islamic texts to globalization, from unemployment in France to women’s rights. What he has to say about most subjects is garden-variety European leftism. When questions of Islam and Muslims join the debate, his stance is that of a reconciler: he wants to make it possible for young Muslims to affirm their religious faith as an identity while fully participating as citizens of secular democracies. That’s his main project, an important one, and it’s where he is at his best: as a kind of preacher to confused, questing young Muslims who want to know how to live, where they fit in. And because American Muslims are not a large and disenfranchised and angry minority in this country, I don’t think this calling leaves him with very much to say to audiences here. An American Tariq Ramadan would likelier be talking to groups of young blacks or Hispanics.

So ist es. Und darum erübrigen sich Einreiseverbote ebenso wie hysterische Entlarvungen dieses Predigers als Mann mit einer doppelten Agenda (wie zuerst auf Französisch vorgelegt von Caroline Fourest, dann auf Englisch von Paul Berman in der New Republic). In New York „Diversität“ und multiple Identitäten zu preisen, heißt Eulen nach Athen tragen. Und im Gegenzug  gilt: Wenn sich die Europäer eines Tages beruhigt haben werden über diese unvermeidlichen Tatsachen, wird auch Ramadans Plädoyer in Europa „not exactly news“ sein. Hannes Stein kommt in seiner Rezension des Auftritts von Ramadan auf die Sache mit dem Mufti von Jerusalem zurück, der Hitler unterstützt hatte und seinerseits von Ramadans Großvater Hassan Al-Banna unterstützt worden war. Es wäre allerdings zu wünschen, dass Ramadan sich eindeutig zu dieser Geschichte des islamischen Antisemtismus verhält. Er ist kein ernst zu nehmender Philosoph oder Intellektueller (Theologe auch nicht), so lange da Zweideutigkeiten bestehen. Historische Klarheit ist eine Voraussetzung für Glaubwürdigkeit.

Aber die NS-Geschichte des Muftis ist nicht wirklich entscheidend für das Phänomen Ramadan. Für seine Hauptanhängerschaft unter jüngeren Muslimen hat er die Funktion eines Versöhners: Er verspricht, es sei möglich, am islamischen Glauben festzuhalten und dennoch voll an den modernen Gesellschaften des Westens partizipieren zu können. Im gleichen Maße, wie dieses Versprechen zu einer Selbstverständlichkeit in unseren Gesellschaften wird, wird sich das Faszinosum Tariq Ramadan erledigt haben. Amerika ist da weiter – nicht zuletzt wegen einer anderen Einwanderungspolitik, was die islamische Welt angeht. Aber das ist wieder eine andere Geschichte.

(Der Auftritt Ramadans als Audiodatei hier auf der Website des amerikanischen PEN. GRRRAUENHAFT die Einlassungen der „Feministin“ auf dem Podium, die allen Ernstes die Frauenquote des iranischen Parlaments als Indiz anführt, dass es mit der Unterdückung der Frauen im Islam doch nicht so schlimm sein können. Aua!)