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Von jetzt an kann es jeden treffen

(Mein Kommentar aus der ZEIT von morgen, Nr. 34, S. 8)
Europa darf sich von Teheraner Schauprozessen nicht einschüchtern lassen
Der Teheraner Prozess gegen die Opposition wirft vor allem eine Frage auf: Wen soll diese Inszenierung eigentlich beeindrucken? Man fühlt sich per Zeitmaschine in die Hochzeiten totalitärer Schauprozesse zurückversetzt: Ehemalige Stützen des Regimes beschuldigen sich in demütigender Häftlingskleidung vor der Weltöffentlichkeit selbst, eine »samtene Revolution« geplant zu haben. Der Höhepunkt des absurden Theaters war erreicht, als Clotilde Reiss, eine 24-jährige Französisch-Lektorin von der Universität in Isfahan, sich vergangenen Samstag vor dem Gericht gezwungen sah, beim »iranischen Volk« um Gnade zu bitten. Ihr »Verbrechen«: Sie hatte Fotos von zwei Demonstrationen gemacht und in E-Mails an Freunde von den Ereignissen nach den Wahlen berichtet. Die verängstigte junge Frau – sie hatte bereits fünf Wochen Haft hinter sich – sah sich mit über hundert Reformanhängern angeklagt, im Auftrag des Westens die Islamische Republik destabilisiert zu haben.
Hat Clotilde Reiss die Hunderttausende auf die Straßen getrieben? Im Internet kursieren schon Persiflagen auf solche »Geständnisse«, in denen sich Iraner in immer bizarreren Selbstbezichtigungen ergehen. Es wäre zum Lachen, wenn es nicht so abstoßend wäre.
Was aber ist der Sinn des Spektakels? Wen wollen die Mullahs auf diese Weise überzeugen, dass der Protest gegen die Wahlfälschung eine Machenschaft des Auslands sei? Die Antwort ist womöglich: Niemand. Es geht nicht um Beweise, sondern um Einschüchterung. Und da gilt die Logik: Je absurder die Anschuldigungen, umso wirksamer.
Iran ist nicht wie Nordkorea. Viele Menschen haben Zugang zu Satellitenfernsehen und Internet. Eben weil das Regime die eigene Öffentlichkeit nicht überzeugen kann, will es seine Entschlossenheit demonstrieren. Der Prozess dient der ideologischen Vorbereitung weiterer Repression: Jeglicher Protest – so die Botschaft – wird nun als Verrat behandelt und mit allen Mitteln niedergemacht werden.
Es spricht viel dafür, dass der Versuch, die Volkserhebung gegen die gefälschten Wahlen als West-Einmischung zu verleumden, zum Scheitern verurteilt ist. Denn die schärfste Kritik kommt dieser Tage aus dem Inneren des Systems. Es ist die loyale Opposition, die den Finger in die Wunde legt. Der frühere Präsident Chatami hat als Erster den »Schauprozess« kritisiert. Der Reformpolitiker Mehdi Karubi schreibt einen Brief an den ewigen Strippenzieher Rafsandschani, in dem er ungeheuerliche Vorwürfe publik macht: In einem Gefängnis der Revolutionsgarden seien Frauen und Männer aus der Opposition vergewaltigt worden. »Nicht einmal zu Zeiten des Schahs« – so Karubi – habe es dergleichen gegeben. Radikaler kann man die Legitimität der Regierung kaum infrage stellen. Mir Hussein Mussawi legte eine Liste mit 69 toten Demonstranten vor – dreimal so viele, wie die Regierung zugibt. Und Parlamentspräsident Laridschani kündigte einen Untersuchungsausschuss an.
Clotilde Reiss wurde unterdessen Haftverschonung gewährt. Der Prozess geht weiter, doch sie wird womöglich bald freikommen – nicht zuletzt, weil die Europäer diesmal zusammengehalten und klare Worte gefunden haben. Mit seinen Anklagen fordere Iran »die gesamte EU heraus«, sagte der Außenminister Carl Bildt im Namen der schwedischen Ratspräsidentschaft.
Gut gesprochen. Doch was wird aus den Iranern, die vor zwei Monaten, friedlich demonstrierend, ein anderes Bild ihres Landes prägten und nun noch zu Hunderten in den Gefängnissen sitzen? Der Prozess hat auch eine nach außen gerichtete Botschaft. Die westliche Öffentlichkeit, die Menschenrechtsorganisationen, die akademischen Austausch-Institutionen und nicht zuletzt unsere Regierungen sollen wissen: Wer sich für einen freieren Iran einsetzt, muss jetzt mit allem rechnen. Wir tun – zeigt das Regime – mit den Aktivisten und jenen, die ihnen helfen, was wir wollen. Jeder kann der Nächste sein. Und wir scheren uns nicht um eure Meinung. Gebt ihnen also keine Unterstützung mehr, sonst landen sie im Knast. Hört ihnen besser nicht mehr zu, druckt sie nicht mehr, ladet sie nicht mehr ein, sonst verurteilen wir sie als Spione.
Der Westen muss sich dieser Logik schon aus Selbstachtung entziehen und sich weiter für die Menschenrechte einsetzen. Es war richtig, Iran »Gespräche ohne Vorbedingungen« und die Rückkehr in die Weltgemeinschaft in Aussicht zu stellen. Dieses Angebot hat aber nur Wert, wenn wir uns im Dienst der neuen Entspannungspolitik nicht selbst aufgeben. Mit jedem weiteren Prozesstag werden die allseits gewünschten Gespräche unwahrscheinlicher. Ohne Vorbedingungen – das heißt eben nicht um jeden Preis.

 

Warum Russland und China Iran stützen

Eine Analyse auf Tehranbureau arbeitet heraus, warum Russen und Chinesen das Teheraner Regime unterstützen, obwohl sie offiziell gegen das Atomprogramm sind und Sanktionen befürworten (jedoch nie, ohne sie vorher in langen Verhandlungen vewässert zu haben):

„Russia treats Iran as a winning card in its relations with the United States. The fact that anti-American hardliners are in power in Iran is to Russia’s advantage. First, because it keeps the U.S. influence in Iran, if any at all, minimal. Second, it forces the United States to focus its attention on Iran, and less elsewhere. At the same time, by not completing the Bushehr reactor and promising to sell it the S-300 system, but not actually going through with the sale, Russia keeps the hardliners in Iran in need. The Iranian public and the reformist-democratic groups in Iran in particular, also see this, which explains their anger at Russia.

China, on the other hand, has a long history of supporting despots around the world, so long as doing so protects and expands its interests. Iran is no different in that respect for it. In Africa, for example, China supports Robert Mugabe’s regime in Zimbabwe and the Omar Al-Bashir’s in Sudan, despite all the calamities there. In East Asia, China supported the bloody Khmer Rouge regime in Cambodia who murdered 2 million Cambodians; and it supports North Korea.

Iran’s natural resources, large population, and strategic position are all important to China. China imports about 700,000 barrels of oil a day from Iran.“

Aber: Nach einem Bericht der LA Times beginnt immerhin in Russland eine Debatte darüber, ob das eigentlich eine schlaue Politik ist. Vor allem im Licht der jüngsten Ereignisse im Iran. Dort sind nämlich Russland und China zu den meist verhassten Ländern aufgestiegen, weil sie das Regime auch nach dem Coup mit den gefälschten Wahlen noch stützen. Es wird, wie in dem oben erwähnten Artikel von Tehranbureau geschildert, mittlerweile auch „Marg bar Rusieh“ (Tod Russland) und „Marg bar Chin“ (Tod China) gerufen – nach den rituellen „Tod Amerika“-Rufen.

Der Leitartikel der Nesavissimaja Gaseta vom 6. August fordert die russische Führung nun zu einer Revision ihrer Ahmadinedschad-Politik auf:

„It appears that recent events in Iran, when the opponents of Ahmadinejad shouted slogans of ‚Death to Russia,‘ indicate that Moscow’s defense of Ahmadinejad’s government has not been met with approval among a considerable portion of the Iranian population,“ the editorial said.

„It appears that the idea that Iran is a regional power which Russia could use as a trump card in relations with the West has turned out to be mistaken,“ the editorial says.

„As a matter of fact, it has turned out that Iran is using Russia to polarize the Group of Six,“ the five permanent members of the United Nations Security Council plus Germany, over Iran’s nuclear program.

The editorial pointed out that Russians are being singled out by the West and Iranians themselves as the primary backers of Ahmadinejad, possibly to Moscow’s disadvantage.

 

Clotilde Reiss – Opfer der Schauprozesse im Iran

So sieht die Frau ohne Kopftuch aus, die derzeit in Teheran eine Hauptrolle in dem Schauprozeß spielen muss, den das Regime gegen seine Opposition durchpeitscht.

Clotilde Reiss ist eine 24jährige Akademikerin, die in Isfahan als Französisch-Lektorin gearbeitet hat.

Sie wurde am 1. Juli verhaftet, als sie nach Beirut ausfliegen wollte. Ihr „Verbrechen“: Sie soll Fotos von den Demonstrationen gemacht und weiter verbreitet haben.

Clotilde Reiss ist offenbar eine vom Iran begeisterte Orientalistin, die sich zu dem Land hingezogen gefühlt hatte. So heißt es auf einer französischen Website: „Ses amis, eux, parlent d’une amoureuse de l’Iran, qui n’a jamais manifesté aucune hostilité au régime.“

Nun findet sie sich als Opfer eben dieses Regimes auf den ersten Seiten der Weltpresse wieder – nach 6 Wochen Haft gefügig gemacht und „geständig“ – eine Schande für den Iran.

Hier eine Facebook-Seite zu ihrer Unterstützung.

 

Iranische Protest-T-shirts

Protest-T-Shirts von Tehranbureau.

Einige der Aufschriften:

„Facebook made me do it“ – „Mockracy“ – „Class of Evin 2009“ – „Islamic Republic 1979-2009“ – „My brother got a cracked skull in Tehran, and all he got me is this lousy T-shirt“ – „I don’t even like green“

Genauer anssehen hier.

 

Iranischer Journalist mit Hilfe von Nokia eingesperrt

Der kürzlich hier zitierte junge Blogger Mehdi Saharkhiz hat sich in einem herzerweichenden Aufruf für seinen Vater eingesetzt, den bekannten Reform-Journalisten Issa Saharkhiz. Der 56jährige Issa Saharkhiz wurde am 4. Juli verhaftet, er wurde dabei geschlagen (mehrere Rippen wurden gebrochen), sein Verlag wurde durchsucht, Computer beschlagnahmt und seine Büros verwüstet.
So lange die abstoßenden Schauprozesse im Iran weitergehen und die Journalistenkollegen dort mit willkürlichen Verhaftungen, Folter und Behinderung ihrer Arbeit rechnen müssen, werde ich hier regelmässig der Tyrannei ein Gesicht zu geben versuchen – das Gesicht ihrer Opfer.

Übrigens: In einem Gespräch mit seiner Familie hat Issa Saharkhiz gesagt, er sei mit Hilfe der Nokia-Tracking-Technologie aufgespürt worden. Er ist somit auch das Gesicht der Schande dieses skandalösen Konzerns, der den Mullahs Mittel zur Unterdrückung der Opposition an die Hand gegeben hat.

Dies ist Issa Saharkhiz, und unten folgt der Aufruf seines Sohnes:

„I am Mehdi Saharkhiz, Proud son of the journalist and political activist Isa Saharkhiz.  He is in jail for speaking his mind in opposition to the dictators that hijacked the elections in Iran. He was kidnapped in a way that his ribs were broken, he is kept in solitary confinement in an undisclosed location. My dad dedicated his life in order to depose the Shah and help with the establishment of the Islamic Republic of Iran—a republic that was supposed to be free and respect peoples’ votes, voices, and opinions. My father spent years fighting Saddam whom had illegally entered Iran’s sovereign land and imposed a war against the Iranian people. He fought alongside his brother, my uncle, Saeed who was eventually killed in the war, and millions of other brave Iranians. He fought for my rights. He fought for the rights of Iranians. They rewarded him by putting him behind bars in solitary confinement…“ (Mehr lesen.)

Hier ein Appell von Amnesty.

Hier die Texte von Saharkhiz auf Rooz Online.

 

Iran: Protest geht weiter

Diese Aufnahmen stammen aus der Stadt Kermanshah und zeigen Proteste am 40. Tag nach dem Tod von Kianoosh Asa, einem jungen Unterstützer der Opposition, der während der Unruhen nach den Wahlen erschossen wurde. Die Aufnahmen sind nach der Auskunft des Bloggers Mehdi Saharkhiz am Donnerstag entstanden.

Und offenbar hat Mehdi Saharkhiz bei all den deprimierenden Nachrichten aus seinem Land nicht den Humor verloren. Hier ist seine „Beichte“:

 

Der andere Iran: Hypernova rockt

Diese Rockgruppe hat sich in Teheran formiert und dort durch Untergrundkonzerte in  den Jahren unter Ahmadinedschad ihren Sound perfektioniert – der mich nicht wenig an Sisters of Mercy, die Ramones, Joy Division und Nine Inch Nails erinnert.

Die vier Bandmitglieder, die ihre wahren Namen lieber geheimhalten, weil es in ihrer Heimat gefährlich ist, Rock zu machen, stehen für einen anderen Iran, wie auch ihr Protestsong „Freedom, Glory Be Our Name“ zeigt:

 

Wie stark ist Ahmadinedschad? Ein Bilderrätsel.

Manche Kommentatoren halten den Präsidenten des Iran für gestärkt durch die Niederschlagung des Protests. Denkbar ist das. Doch die Bilder von seiner Amtseinführung durch den Revolutionsführer sprechen eine andere Sprache – vor allem, wenn man sie mit denen vor 4 Jahren vergleicht.

Heute:

Damals:

Dank an AK für den Hinweis.