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Die Killerhaie des Mossad, Scharia in Oklahoma

Aus der Welt des Irrsinns, i.e. „Kampf der Kulturen“. Zwei Nachrichten von heute, die mir nahelegen, meine Frage von vor ein paar Wochen noch einmal zu wiederholen: Kann es sein, dass die Welt gerade durchdreht?

1. Juan Cole berichtet folgende Weiterung aus Ägypten, wo die Haie sich bekanntlich an deutschen Touristen vergehen. Der Gouverneur des südlichen Sinai hält es für möglich, dass der Mossad Haie in den Gewässern um Sharm El Sheik freisetzt, um der ägyptischen Touristenindustrie zu schaden. (Kein Witz, arabisches Original hier. Dass die israelischen Haie ausgerechnet deutsche Touristinnen in Ägypten angreifen, ergibt ja auch irgendwie Sinn. Ich freue mich schon auf das Weisser Hai-Remake von Quentin Tarantino: „Inglorious Beasts.“?)

„Even shark attacks in the Middle East get caught up in the Arab-Israeli conflict. The fifth victim of a shark attack this week at Sharm El Sheikh in Egypt’s Sinai, an elderly German woman, was killed this weekend.

The governor of southern Sinai, Muhammad Abd al-Fadil Shosha, said that it is not unlikely that the rumors that Israel’s intelligence service, Mossad, was releasing sharks into the waters around the Sharm El Sheikh resort in the Sinai on the Red Sea, in order to harm Egypt’s tourist industry. “It will take time to verify it,” he said. In the meantime, he noted, the strictest measures had been taken to halt swimming off the shore for 72 hours, after the death of a German swimmer. He also said that consultations were ongoing with scientists about how to deal with this sort of fish, which forensic investigation of its teeth had demonstrated to be a beast of prey. (I swear to God, that is what the Arabic article says he said!).“

2. Roger Cohen war in Oklahoma, wo jüngst ein Verfassungszusatz gegen den Vormarsch der Scharia angenommen wurde, der wahrscheinlich bald vor dem Supreme Court landen wird. Weniger als ein Prozent der Bevölkerung in dem Staat, der einst ein reines Indianergebiet war, sind überhaupt Muslime. Für die Einführung der Scharia in die Rechtssprechung hat sich bisher keiner von ihnen ausgesprochen. Der Initiator verteidigt das Amendment als „Präventivschlag“:

You might not expect Shariah, a broad term encompassing Islamic religious precepts, to be a priority topic at the Kumback given that there’s not a Muslim in Perry and perhaps 30,000, or less than one percent of the population, in all Oklahoma. And you’d be wrong.

Shariah is the new hot-button wedge issue, as radicalizing as abortion or gay marriage, seized on by Republicans to mobilize conservative Americans against the supposed “stealth jihad” of Muslims in the United States and against a Democratic president portrayed as oblivious to — or complicit with — the threat. Not since 9/11 has Islamophobia been at such a pitch in the United States.

The neoconservative Center for Security Policy in Washington recently described Shariah as “the pre-eminent totalitarian threat of our time.” Many Republicans, with Newt Gingrich leading, have signed up. Their strategy is clear: Conflate Obama with creeping Shariah and achieve the political double-whammy of feeding rampant rumors that he’s a closet Muslim and fanning the fears that propel a conservative lurch.

It’s not pretty, in fact it’s pretty odious, but to judge by the Republican surge last month, it’s effective in an anxiety-filled America.

Galvanized by State Question 755, barring “courts from considering or using Shariah Law,” Republicans swept to the Oklahoma governorship and veto-proof majorities in the Legislature for the first time.

Question 755 was “a pre-emptive strike,” in the words of its most active proponent, Republican State Representative Rex Duncan, whose portrait hangs in the Kumback. The question arises, given the quiet on the prairies, against whom? A prominent Oklahoma pastor, Paul Blair, told me it was aimed at those “whose plan is not to coexist but bring the whole world under Islam.”

A preliminary federal injunction, granted after a prominent local Muslim, Muneer Awad, challenged the constitutionality of the amendment in the nation where “Congress shall make no law respecting an establishment of religion, or prohibiting the free exercise thereof,” has blocked its certification for now. The very curious case of Shariah and Oklahoma may be headed to the Supreme Court.

 

Ist Religion gut für die Welt?

Ich habe gestern auf BBC World Service die großartige Debatte zwischen Christopher Hitchens und Tony Blair gehört (Transskript hier). Die beiden haben sich vor einigen Tagen in Toronto über die Frage unterhalten, ob „Religion gut für die Welt“ sei. Anrührend, wie der schwer krebskranke Hitchens sich hier aufrecht hält und auch bei seinen atheistischen Überzeugungen bleibt.

Für mich klarer Sieger: Hitch, der natürlich zeigt, dass Religion schlecht ist, weil sie in den Menschen überwiegend das Schlechte hervorbringt. Und weil man für das Gute, das in ihrem Namen geschieht, die religiöse Begründung nicht brauche (na ja, stimmt nicht immer…).

Der Nahostkonflikt, sagt er zum Beispiel, wäre längst lösbar, wenn es nicht von beiden Seiten die Vermischung von „Grundbesitzfragen mit Offenbarung“ gäbe. Darum werden sich dort die Menschen immer weiter gegenseitig umbringen und sich dabei im Recht fühlen. Dabei sind sich doch alle Seiten eigentlich über die Konturen einer Lösung einig. Also: Gelobtes Land, verfluchtes Land? Nicht leicht zurückzuweisen.

Blair hält eigentlich immer den gleichen Punkt dagegen, dass es zwar Missbrauch der Religion gebe, aber auch sehr viel Gutes in ihrem Namen geschehe. Nicht richtig stark argumentiert.

Das Ganze ist auch eine fantastische Werbung für die Debattenkultur, Englands vielleicht wichtigster Beitrag zum Weltkulturerbe. (Man kann alles hier auf Youtube sehen.)

Zum Thema interessant: diese Umfrage zum Thema. Saudis und Schweden bilden die Extreme, Deutschland ist auf der Skeptiker-Seite. Das ganze Gerede über ein Revival der Religion ist doch sehr erklärungsbedürftig. Die Länder, in denen die politisierte Religion die meisten Verwüstungen anrichtet, haben die höchste Meinung von ihrer Kraft zum Guten. Interessante Pointe: Die Türkei liegt im europäischen Skepsis-Bereich, sogar klar hinter Italien.

 

Tariq Ramadan: Migranten sind keine Opfer

Ich habe mit Tariq Ramadan ein Interview über die europäische Islam-Debatte geführt. Ich finde die Klarheit, mit der er ein Bekenntnis der Muslime zu Europa fordert und auch um Verständnis für die Irritation der Alteingesessenen wirbt, bemerkenswert. Über die Jahre habe ich mich immer wieder mit Ramadan auseinandergesetzt. Ich finde seine Entwicklung seit der Istanbuler Erklärung von 2006 ziemlich erfreulich.

Ramadan ist seit kurzem Professor für zeitgenössischen Islam am St. Antony’s College in Oxford. Dort habe ich ihn vor zwei Wochen besucht.

DIE ZEIT: Professor Ramadan, in Europa macht sich eine Stimmung gegen den Islam breit. Minarette, Burkas und Kopftücher werden verboten. Deutschland debattiert über integrationsunwillige Muslime. Warum diese Zuspitzung?
Tariq Ramadan: Unsere westlichen Gesellschaften sind verunsichert durch die Globalisierung. Auch die Einwanderungsströme gehören dazu. Aber entscheidend ist das Sichtbarwerden des Fremden. Darum erregen sich die Leute über Moscheebauten, Minarette, Kopftücher, andere Hautfarben, Sprachen und Gerüche in ihren Vierteln. Wenn gegen die angebliche Islamisierung der Städte protestiert wird, geht es um die Sichtbarkeit einer fremden Religion, die dazugehören will. Das ist neu. Solange das Fremde nicht dazugehört, kann man leichter damit leben.
ZEIT: Seit Jahren leben wir mit der Terrordrohung im Namen des Islams.

Foto: Martin Bureau, Getty Images

Ramadan: Gewalt im Namen der Religion vergiftet die Debatte. Wir Muslime können die Augen nicht davor verschließen, dass dies die Wahrnehmung des Islams beeinflusst. Doch handelt die Islam-Debatte von unserer europäischen Identität. Sie ist hochpolitisch: Auf dem ganzen Kontinent bilden sich Parteien, deren Wahlerfolg davon abhängt, Misstrauen zu schüren. Sie füttern das Gefühl der Verunsicherung, man könne nicht mehr Deutscher oder Niederländer sein wegen dieser Einwanderer.
ZEIT: Der deutsche Präsident hat gesagt, der Islam gehöre zu Deutschland. Er wurde angegriffen, auch aus dem eigenen Lager.
Ramadan: Diese Identitätsfragen übersteigen die Bindungskraft der politischen Lager. Sie können heute Menschen auf der Linken finden, die sehr scharf gegen den Multikulturalismus polemisieren, und auf der Rechten gibt es welche, die einer pluralistischen Gesellschaft offen gegenüberstehen. Ihr Präsident hat etwas Offensichtliches festgestellt: Wenn es Millionen von Muslimen in Deutschland gibt, ist der Islam natürlich auch eine deutsche Religion. Der Islam ist eine europäische Religion, er ist ein Teil von Europas Geschichte und Gegenwart. Er ist nicht das ganz andere, er ist für Europa nichts Äußerliches mehr, bei sieben Millionen Muslimen in Frankreich, drei Millionen in England, vier in Deutschland.
ZEIT: Ebendies macht vielen Angst. Wie kommt man vom Hiersein zum Dazugehören?
Ramadan: Es hilft nicht, wenn sich die Haltung breitmacht: Was auch immer diese Leute tun, sie können nicht zu uns gehören, denn ihre Werte sind nicht die unseren, ihre religiösen Dogmen und Praktiken sind anders. Den Muslimen sage ich: Ein Bürger zu sein bedeutet nicht nur, die Gesetze zu achten und die Sprache zu sprechen. Ich muss loyal zu meinem Land stehen, weil ich das Beste für es will. Nur so wird die Wahrnehmung eines unlösbaren Konflikts zwischen Muslimsein und Europäertum verschwinden. Weiter„Tariq Ramadan: Migranten sind keine Opfer“

 

8 Thesen zu Wikileaks

1 Wikileaks Enthüllungen nutzen dem Iran. Das Land steht nun als einziger aufrechter Hort des Widerstands gegen das amerikanische Imperium da. Die anderen Mächte der Region sind als Lakaien und Stiefellecker Amerikas entlarvt. (Sie nützen auch Israel, siehe unten.)

2 Die amerikanischen Diplomaten, die düpiert werden sollen, kommen eher gut weg. Ihre Berichte sind oft nicht nur gut recherchiert, sondern auch noch gut geschrieben. Mein Favorit: Putin und Medwedjew als „Batman und Robin“! Klasse, da muss man erst mal drauf kommen!

3 Obama und Clinton stehen auch eher gut da: Sie haben sich dem Druck, Iran zu bombardieren (der noch viel massiver ist als geahnt), bisher entzogen und haben sehr geschickt eine große Koalition gegen Iran gezimmert: der „Reset“ mit Rußland diente diesem Ziel, die Raketenabwehrpläne Bushs wurden zum Kapital im Handel mit den Russen umgeschmiedet. Ebenso die Diplomatie mit China: sehr geschickt wurde den Chinesen eine Alternative zum iranischen Öl vermittelt, indem man die saudischen Kontakte nutzte.

4 Die deutsche Regierung steht deppert da – aber: „what else is new“? Die Depeschen von Botschafter Lästermaul werden keine großen Folgen haben, weil sie das Maß des in deutschen Medien üblichen kaum überschreiten. Das ist alles höherer Klatsch.

5 Grundsätzlich: Je länger ich darüber nachdenke, um so falscher finde ich die Veröffentlichung des Kabel (bisher). Die Vorstellung, die Welt wäre besser, wenn alle alles von allen wüßten – Wikileaks‘ Geschäftsgrundlage – ist unfaßlich naiv und zeugt von einer geradezu kindlichen Weltsicht. Wer schon einmal ein Familienfest erlebt hat, bei dem die Verwandten einander endlich die Wahrheit sagen, weiß was ich meine. (Ich sage nur: Festivus, The Airing of Grievances. Seinfeld-Fans wissen, wovon ich rede.) Ich spreche aus beruflichen Gründen regelmäßig vertraulich mit Diplomaten. Sie müssen sich darauf verlassen können, dass ich mich ebenso an die Chatham-House-Regel halte wie ich umgekehrt mit ihrer Diskretion rechne. Sonst war es das letzte Treffen, und zwar zu recht. Brechen darf man eine solche Verabredung nur, um gravierenden Schaden abzuwenden. Bisher ist mir nicht ersichtlich, wo die Wikileaks-Dokumente dies rechtfertigen könnten.

6 Die Enthüllungskultur von Wikileaks trifft (was Cablegate angeht!) nur ohnehin schon relativ transparente, demokratische Gesellschaften. Alle Staaten, die nur 100%ige Kader in ihren Reihen dulden, sind auf diese Weise unverwundbar. Deren Diplomaten schreiben Berichte eh nicht so „candid“ und ungeschützt wie die Amerikaner. Und Menschen, die dort leaken, müssen mit ganz anderen Repressionen rechnen. Also könnte es sein, dass die radikale Transparenz-Ideologie von Wikileaks de facto der Freiheit einen Tort antut? (Das ist kein Plädoyer gegen echte Enthüllungen.) Diplomaten der USA handeln im Auftrag einer gewählten und abwählbaren Regierung, die ihre Außenpolitik im Kongress erklären und verantworten muss. Julian Assange ist von niemandem gewählt und auch nicht vom Weltgeist beauftragt worden. Er stellt aber sein Handeln als legitim dar und suggeriert, das diplomatische Regierungshandeln sei schon deshalb illegitim, weil es der Geheimhaltung unterliegt. Das ist eine Verdrehung der Realität und eine Anmaßung. (Die Anweisung der US-Regierung an Diplomaten, sie sollten sich als Spione betätigen und persönliche Daten ihrer Konterparte ermitteln, ist eine Ausnahme hiervon und bisher der einzige Scoop der Enthüllungen.)

7 Wikileaks sieht sich offenbar als Kämpfer gegen den bösen Drachen des amerikanischen Emipres. So mutig ist das denn doch nicht mehr: Denn leider ist dieses seit Jahren für alle ersichtlich im Abschwung. So erscheint es auch in den Cables, wie der Guardian treffend schreibt:  „The impression is of the world’s superpower roaming helpless in a world in which nobody behaves as bidden. Iran, Russia, Pakistan, Afghanistan, Yemen, the United Nations, are all perpetually off script. Washington reacts like a wounded bear, its instincts imperial but its power projection unproductive.“ Meine Genugtuung über die Relativierung amerikanischer Macht hält sich in Grenzen, bis jemand mir eine Macht oder meinetwegen Mächte zeigt, die den Job besser machen – oder überhaupt bereit wären, in die Lücke zu treten. Auch in diesem Sinn sind die Kabel entlarvend: Sie zeigen eine Welt, die nicht mehr auf Amerika hört, aber doch im Zweifelsfall auf Washington starrt, wenn es gilt, Probleme zu lösen, ganz egal ob Nahost, Iran, Nordkorea oder den Klimawandel.

8 Noch etwas. Israel ist bisher das einzige Land, das sich in seiner Weltsicht und in seiner Gefahrenanalyse voll bestätigt sieht. Eine sicherlich unbeabsichtigte Nebenfolge der Wikileaks-Enthüllungen: So kann es gehen: Du ziehst aus, das Imperium zu besiegen, und siehe da, plötzlich bist Du sein Propagandist.

 

Von wegen Enthüllungen

R.I.P., Leslie Nielsen, king of deadpan. (Ist dieser Ausschnitt aus Scary Movie 4 nicht eine herrliche Parabel auf Wikileaks?):

 

Wikileaks – nie davon gehört!

Ha’aretz genießt die Tatsache, dass die Bevölkerung Saudi-Arabiens nie erfahren wird, wie sehr der König sich wünscht, dass jemand – die Amerikaner oder die Israelis – „der Schlange den Kopf abschlagen“ möge. (Was heißt eigentlich „bomb, bomb, bomb Iran“ auf arabisch?)

„His Royal Highness begins course of physiotherapy,“ screamed a hard-hitting Saudi newspaper from its front page on Monday, the day WikiLeaks grabbed world attention with a huge dump of classified files. And not without good cause: WikiLeaks may have slipped a firecracker under the seat of the U.S. government but King Abdullah had, after all, slipped a disc.

Doubtless, too, the editor knew what he was doing when he gave second place to the diplomatic dialogue between Egypt and Tehran. But when the nation’s foremost paper has no place on its pages for a story that has not only captivated the world but has Saudi Arabia at its center, something is awry. Editorial error, perhaps? But take a look at the Saudi-owned al-Hayat. Here, too, little sign of WikiLeaks. A couple of short paragraphs fail to mention what is perhaps the central revelation, that Saudi Arabia asked America to bomb Iran.

 

Wikileaks: Erdogans „Machthunger“

Unter den Enthüllungen aus „Cablegate“, die wir bisher einsehen können – Wikileaks stellt die diplomatischen Kabelberichte nur Stück für Stück online – gehören die Einschätzungen über die Türkei sicher zu den aufregendsten. Richtig klasse geschrieben ist zum Beispiel dieser geheime Bericht des seinerzeitigen Botschafters Eric Edelman aus Ankara von Ende 2004. Darin finden sich sehr freimütige Einschätzungen des Premierministers Erdogan, des damaligen Außenminister Gül, der Chancen der Türkei auf einen EU-Beitritt, des islamistischen Einflusses auf die AKP, der Lage des Islams in der Türkei und allgemeiner Hindernisse der Türkei auf dem Weg in den Westen.

...Erdogan's hunger for power reveals
itself in a sharp authoritarian style and deep distrust of
others: as a former spiritual advisor to Erdogan and his wife
Emine put it, "Tayyip Bey believes in God...but doesn't trust
him."  In surrounding himself with an iron ring of
sycophantic (but contemptuous) advisors, Erdogan has isolated
himself from a flow of reliable information, which partially
explains his failure to understand the context -- or real
facts -- of the U.S. operations in Tel Afar, Fallujah, and
elsewhere and his susceptibility to Islamist theories.  With
regard to Islamist influences on Erdogan, DefMin Gonul, who
is a conservative but worldly Muslim, recently described Gul
associate Davutoglu to us as "exceptionally dangerous."
Erdogan's other foreign policy advisors (Cuneyd Zapsu, Egemen
Bagis, Omer Celik, along with Mucahit Arslan and chef de
cabinet Hikmet Bulduk) are despised as inadequate, out of
touch and corrupt by all our AKP contacts from ministers to
MPs and party intellectuals.
...
Two Big Questions

----------------- 

24. (C) Turkey's EU bid has brought forth reams of

pronouncements and articles -- Mustafa Akyol's

Gulenist-tinged "Thanksgiving for Turkey" in Dec. 27 Weekly

Standard is one of the latest -- attempting to portray Islam

in Turkey as distinctively moderate and tolerant with a

strong mystical (Sufi) underpinning.  Certainly, one can see

in Turkey's theology faculties some attempts to wrestle with

the problems of critical thinking, free will, and precedent

(ictihad), attempts which, compared to what goes on in

theology faculties in the Arab world, may appear relatively

progressive.

25. (C) However, the broad, rubber-meets-the-road reality is

that Islam in Turkey is caught in a vise of (1) 100 years of

"secular" pressure to hide itself from public view, (2)

pressure and competition from brotherhoods and lodges to

follow their narrow, occult "true way", and (3) the faction-

and positivism-ridden aridity of the Religious Affairs

Directorate (Diyanet).  As a result, Islam as it is lived in

Turkey is stultified, riddled with hypocrisy, ignorant and

intolerant of other religions' presence in Turkey, and unable

to eject those who would politicize it in a radical,

anti-Western way.  Imams are for the most part poorly

educated and all too ready to insinuate anti-Western,

anti-Christian or anti-Jewish sentiments into their sermons.

Exceptionally few Muslims in Turkey have the courage to

challenge conventional Sunni thinking about jihad or, e.g.,

verses in the Repentance shura of the Koran which have for so

long been used to justify violence against "infidels". 

26. (C) The problem is compounded by the willingness of

politicians such as Gul to play elusively with politicized

Islam.  Until Turkey ensures that the humanist strain in

Islam prevails here, Islam in Turkey will remain a troubled,

defensive force, hypocritical to an extreme degree and

unwilling to adapt to the challenges of open society. 

27. (C) A second question is the relation of Turkey and its

citizens to history -- the history of this land and citizens'

individual history.  Subject to rigid taboos, denial, fears,

and mandatory gross distortions, the study of history and

practice of historiography in the Republic of Turkey remind

one of an old Soviet academic joke: the faculty party chief

assembles his party cadres and, warning against various

ideological threats, proclaims, "The future is certain.  It's

only that damned past that keeps changing." 

28. (C) Until Turkey can reconcile itself to its past,

including the troubling aspects of its Ottoman past, in free

and open debate, how will Turkey reconcile itself to the

concept and practice of reconciliation in the EU?  How will

it have the self confidence to take decisions and formulate

policies responsive to U.S. interests?  Some in AKP are

joining what is still only a handful of others to take

tentative, but nonetheless inspiring, steps in this regard.

However, the road ahead will require a massive overhaul of

education, the introduction and acceptance of rule of law,

and a fundamental redefinition of the relation between

citizen and state.  In the words of the great (Alevi)

Anatolian bard Asik Veysel, this is a "long and delicate

road."

Es ist faszinierend, solche Dokumente einsehen zu können. Aber es wäre naiv, sie als Stenographie des Weltgeistes zu lesen. Sie ergeben nicht einmal das Bild der USA von der Türkei. Man sieht, wie es auch hier auf den Autor und seinen Kontext ankommt. Edelman benennt freimütig viele reale Missstände – vor allem dieser letzte Absatz ist sicher auch heute noch hoch relevant.

Aber aus dem gesamten Kabel spricht eben auch der Gesandte George W. Bushs, ein gut verdrahteter Neocon, der der Türkei niemals verzeihen kann, dass sie sich dem Irakkrieg verweigert hat. Edelman wurde der erste wirklich verhasste Botschafter in der Türkei. Er wurde als eine Art Kolonialoffizier empfunden. Die Enttäuschung des Botschafters über den selbstbewusster werdenden Alliierten spricht aus dem Kabel und färbt offensichtlich die Analyse. Erdogan, der den Irakkrieg für einen Fehler hält, versteht eben einfach die Fakten nicht! Nun ja, das sieht man heute etwas anders. All das muss man mitbedenken, wenn man Edelmans Kabel liest. Man kann hier zum Zeugen eines wachsenden Entfremdung unter Partnern werden.

 

Taugt Istanbul als „Kulturhauptstadt Europas“?

Dass V.S. Naipaul vom Treffen des „Europäischen Schriftstellerparlaments“ in Istanbul vergrault wurde, lässt nichts Gutes über die Offenheit der türkischen Kulturszene ahnen. Naipaul sollte eine der Eröffnungsreden halten. Doch nachdem er in Teilen der türkischen Presse als Feind des Islams hingestellt worden war, hat er „freiwillig“ auf die Reise nach Istanbul verzichtet. Die Türkei verspießert religiös-nationalistsich, ausgerechnet in dem Jahr, in dem sie „Kulturhauptstadt Europas“ sein will? Bitter.

Hari Kunzru, der britische Autor, der an Stelle Naipauls redete, hat das einzig richtige gemacht, indem er in seiner Rede auf die Abwesenheit Naipauls einging und die Beschränkung der Meinungsfreiheit in der Türkei anprangerte:

Kunzru referred to the Nobel laureate’s absence and said: „I feel we would be stronger and more credible if we were to deal with divergent views within this meeting rather than a priori excluding someone because of fear that offence might be given.“

The writer also attacked Turkey’s record on free speech, citing the cases brought against novelist Orhan Pamuk and editor Hrant Dink under article 301 of the country’s penal code, which makes it illegal to insult Turkey, Turkish ethnicity or Turkish government institutions.

Kunzru told the assembled authors: „Pamuk faced trial for giving the following statement to a Swiss magazine: ‚Thirty thousand Kurds have been killed here and a million Armenians. And almost nobody dares mention that. So I do.'“ He added: „Dink, one of Turkey’s most prominent Armenian voices was convicted under article 301 then murdered by a young nationalist, who was subsequently photographed in a police station surrounded by smiling officers, against the backdrop of the national flag. There are many other examples in Turkey of the weapons of offence and insult being used to silence dissent. Turkey is obviously not alone in this, but since we are here, it is important that we acknowledge it.“

Bitter ist die Angelegenheit für Orhan Pamuk, der wie Naipaul den Literaturnobelpreis bekommen hat, nicht zuletzt auch wegen seines mutigen Eintretens für die Meinungsfreiheit in der Türkei. Pamuk ist einer der Gründer des „Schriftstellerparlaments“.

Naipaul ist allerdings ein gnadenloser Analytiker der kulturellen Verwüstung, die vor allem der von Saudi-Arabien gesponserte Islam in Pakistan, Indien und auch Indonesien anrichtet. Recht hat er damit! Er hat den islamischen Kulturimperialismus immer wieder beschrieben, wo er ihn auf seinen vielen Reisen in Asien beobachtet hat.

Naipaul ist ein immens schwieriger Charakter, wie ich persönlich erfahren habe, als ich einmal vor Jahren versuchte, ihn zu interviewen. Ein hochmütiger, ungeduldiger, menschenfeindlicher Reaktionär reinsten Wassers – beste englische Tradition in der Linie Evelyn Waughs. Unterträglich, aber doch liebenswürdig in seiner störrischen Unabhängigkeit.

Und was für ein weltgewandter Autor! Seine Sympathien für die Hindu-Nationalisten sind allerdings sehr problematisch und auch entsprechend angegriffen worden. Von deren Gewalt, von deren Rassismus hat er sich nicht genügend distanziert. Aber seine gnadenlosen Einblicke in das selbstgeschaffene Elend der Dritten Welt sind von großem Wert.

Und so einen großen Autor kann man in der „Europäischen Kulturhauptstadt“ nicht mehr ertragen? So wird aus diesem Titel ein Witz.

 

Das Kopftuch als Befreiung?

Christina  von Braun, Kulturwissenschaftlerin in Berlin, habe ich in diesem Blog vor Jahren schon sehr heftig angegriffen, vielleicht ein bisschen zu polemisch. Nun hat sie der ZEIT (Printausgabe von morgen) ein Interview gegeben, in dem sie sich wieder mit der Frage des Feminismus und des Kopftuchs beschäftigt. Ich spare mir diesmal die Polemik, gebe aber erneut zu Protokoll, dass mich die Verharmlosung der Lage der Frau im Islam einfach baff macht, wie offenbar auch meine Kollegin Susanne Mayer, die das Interview geführt hat. Ich verstehe zwar Brauns Beunruhigung über die extreme Polarisierung in unserer Debatte der letzten Wochen (wie jeder Leser dieses Blogs weiß) – aber so kann man darauf doch nicht antworten:

ZEIT: Die Frauenbewegung wollte in der Vergangenheit  stets freie Räume eröffnen. Mein Bauch gehört mir! Ich trage, was ich will! Jetzt soll ein Verbot her – mit der Begründung, man müsse einen Raum schaffen, in dem Frauen nicht gezwungen werden können, ein Kopftuch zu tragen. Eine logische Volte – macht sie Sinn?

Von Braun: Einer der Slogans der Frauenbewegung war Virginia Woolfs Forderung: „Ein Zimmer für sich allein“. Vielleicht ist das Kopftuch eine Art, sich diesen Raum in einer fremden Öffentlichkeit zu verschaffen. Ich denke an muslimische Studentinnen, die vielleicht selbstbewußt ihr „Zimmer für sich allein“ auf dem Kopf tragen möchten.

ZEIT: Sie beschönigen!…

Allerdings. Es gibt Frauen, die das Kopftuch selbstbewußt und aus freien Stücken tragen, und es ist völlig richtig, auch für deren Rechte einzutreten.

Aber es ist doch wahnsinnig blauäugig, das Kopftuch per se als Fortsetzung des Feminismus mit anderen Mitteln hinzustellen. Virginia Woolf? Get real.

Baher Ibrahim, ein junger Medizinstudent in Alexandria (Ägypten), zeigt im Guardian, wie man sich des Vormarsches des Hijab feministisch annimmt. Er beschreibt den Trend, dass immer mehr junge Mädchen von acht Jahren an verhüllt werden und fragt sich, welche frauenfeindliche Vorstellung von Sexualität diesen Mädchen damit übergeholfen wird:

In general, the age at which Muslim girls in Egypt begin to wear the scarf has dropped. Back when I was in high school, very few female students wore headscarves. Today, my younger brother (who is 15) tells me that almost all the girls in his middle school wear a scarf. It hasn’t stopped there either, having caught on in primary schools.

The very sight of a little girl in a scarf is both disturbing and confusing. Adult Muslim women are expected to dress modestly so that men outside the family cannot see their bodies. But what is the point of a child or pre-pubescent girl wearing a hijab? It hints at what may be a disturbed (one is tempted to say diseased) concept of sexuality in the mind of the father who thinks his little girl should be covered up. What exactly is tempting about the body of an eight-year-old that needs to be covered?

Baher Ibrahim hat Recht! Die jungen Mädchen, die so früh an den Hijab gewöhnt werden, haben später de facto keine Wahl mehr. Ist ja auch der Sinn der Sache. Es soll ihnen zur zweiten Natur werden, dass Frauen ihren Körper nicht zeigen dürfen. Das ist eine Sexualisierung des weiblichen Körpers, an der nichts sympathischer ist als an der viel beklagten Sexualisierung durch westliche Dekadenz und Pornografie. Es ist gewissermaßen eine invertierte Form (religiös begündeter) Pornografisierung des männlichen Blicks.

Getting a little girl „used to“ the hijab effectively obliterates the „free choice“ element by the time the girl is old enough to think.

The hijab is aggressively marketed as the proper attire for a respectable woman. That isn’t new. What is new is that now even children are targets of this marketing. One need look no further than Fulla, the Middle Eastern version of Barbie, designed to suit Muslim values. When I recently stepped into a Toys R Us store in Cairo, it was quite shocking to see a Fulla doll clad in a headscarf and a full length abaya, the box proudly proclaiming „Fulla in her outdoor clothes“, in effect telling little girls that there is only one proper way to dress outside the house.

Many defenders of the hijab point to the influence of „decadent western culture“, endlessly criticising how western TV sexualises and objectifies women, though they fail to understand that they are doing they exact same thing to little girls when they constantly promote the hijab. If it is so important to cover up, there must be something worth covering up and hiding from men. Inevitably, little girls are taught to view themselves as sexual objects that must be covered up from an early age – and it is this culture permeating the minds of our younger generations.

To make matters worse, what about the brothers of these girls? Will they not grow up with the same mentality? If they see that their sisters have to be covered up from a very early age to avoid being exposed in front of men, it is only natural that they grow up with the concept that women have to be covered, controlled and restricted.

Männer sind manchmal eben die besseren Feministen. Wer’s nicht glaubt, lese den ganzen kämpferischen Text von Baher Ibrahim.