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Der Taliban-Hauptmann von Köpenick

Es ist womöglich ein westliches Vorurteil, dass die Taliban keinen Sinn für Humor haben. Das zeigt sich an folgender Wendung in den Verhandlungen mit ihnen, von denen die New York Times heute berichtet.

Der Mann, der wochenlang als Mullah Akhtar Muhammad Mansour posiert hat, einer der ranghöchsten Talibankommandeure nach Mullah Omar, ist … na ja, man weiß es nicht, jedenfalls nicht, wer er behauptete zu sein.

Das ist peinlich, denn auf diesem hochrangigen Kontakt basierten die Hoffnungen, in absehbarer Zeit zu einer Art Frieden mit den Aufständischen zu kommen. Es zeigt, wie wenig die westliche Allianz offenbar von ihrem Feind weiß: Niemand war in der Lage, den beturbanten Herrn als den Betrüger zu entlarven, der er war.

(Ich muß sagen, ich verstehe das. Als ich vor zwei Jahren von Dubai nach Pakistan flog, hätte ich schwören können, jeder in dem Flugzeug war ein Talib. Die sahen einfach alle so aus. Und wer weiß…)

Wahnsinn:

“It’s not him,” said a Western diplomat in Kabul intimately involved in the discussions. “And we gave him a lot of money.”

American officials confirmed Monday that they had given up hope that the Afghan was Mr. Mansour, or even a member of the Taliban leadership.

NATO and Afghan officials said they held three meetings with the man, who traveled from in Pakistan, where Taliban leaders have taken refuge.

The fake Taliban leader even met with President Hamid Karzai, having been flown to Kabul on a NATO aircraft and ushered into the presidential palace, officials said.

Der Typ hat Geld abgezockt und sich mit einem Nato-Hubschrauber zu Karsai fliegen lassen! Und keiner hat’s gemerkt! Respekt, Mann!

(Natürlich ist die Sache alles andere als lustig. In dem Artikel gibt es verschiedene Thesen über das Ereignis: Der Mann war einfach ein Hochstapler. Er war eine Marionette des pakistanischen Geheimdienstes, der die Gespräche mit den Taliban sabotieren will. Oder er wurde von Mullah Omar persönlich geschickt, um den Westen vorzuführen. Was dann doch wieder lustig wäre, auf eine Art.)


 

Warum Afghanen nichts vom 11. September wissen (wollen)

Diese Zahlen sind ein Hammer:

Nach einer aktuellen Umfrage im Süden Afghanistans haben 90 Prozent der (männlichen) Bevölkerung (denn die Frauen kann man schwer befragen) nichts vom 11. September gehört. In anderen Worten: Sie wissen nicht, warum die Soldaten der westlichen Allianz seit fast einem Jahrzehnt in ihrem Land sind.

ICOS field research identified a significant lack of understanding of the history of the international community’s presence in the country. Many of the Afghans interviewed did not know about the events of 9/11, were unable to describe what democracy is, and were suspicious of international motives and actions.
At the grassroots level, the dissemination of the international community’s political narrative and public justification for its presence in Afghanistan is very limited. This creates a vacuum which the Taliban easily fills with its own information campaign.
Over 90% of interviewees in the south are not familiar with the events of 9/11 which brought NATO-ISAF to Afghanistan (p28) and 40% of respondents believe that foreigners are in Afghanistan to destroy the country, to occupy Afghanistan, or to destroy Islam (p27). Underlining another area of serious concern, 72% of southern interviewees view foreigners as disrespectful of their religion and traditions (p22).

Nun wird man vielleicht bei manchen Zahlen einige Abstriche machen können: Sind die 72 %, die Schlimmes über Fremde vermuten, nicht vielleicht der traditionellen Ablehnung alles „Fremden“ in diesem verschlossenen Land geschuldet?

Es gibt eine hohe Analphabetenquote in Afghanistan, etwa zwei Drittel sind es landesweit.

Und können  wirklich 9 von zehn Männern in dem Land das Ereignis verpasst haben, das die Weltpolitik eines Jahrzehnts – und das Schicksal ihres Landes wohl noch über viele kommende Jahrzehnte – bestimmt?

Manche leugnen vielleicht das Ereignis per se, indem sie sagen, sie hätten noch nie davon gehört. Es ist ihnen vielleicht unangenehm zuzugeben, dass ihr Land in dieses Verbrechen verwickelt war, weil es Al-Kaida einen sicheren Hafen bot. Sie leugnen damit auch die Ratio der Intervention, die ja die Bedingungen für einen weiteren 11.September verhindern will, indem das Loch der Staatenlosigkeit gestopft wird und eine Nation Afghanistan aufgebaut wird, die eines Tages für ihre eigene Sicherheit zu sorgen in der Lage ist.

(Noch eine Zahl: Über 40 Prozent der befragten Afghanen wissen nichts Positives über die Demokratie zu sagen. Erstaunlich: 44 % wünschen sich eine größere Beteiligung der Frauen am politischen Leben, und das in der konservativsten Gegend des Landes.)

Aber dennoch: Diese Zahlen bleiben niederschmetternd. Ein so langer Krieg mit derart viel Medienaufmerksamkeit, mit zahllosen Gipfeln und Konferenzen, die sich sorgenvoll über Afghanistan beugen – und im Land selbst kommt nichts davon an? Selbst das Grundelement des Narrativs – dass der Krieg dort etwas mit 9/11 zu tun hat, wird nicht akzeptiert?

General Petraeus hatte in seinen neuen Richtlinien zur Aufstandsbekämpfung doch den Sieg im „Informationskrieg“ gegen die Taliban als elementar bezeichnet. Petraeus steht für eine neue Transparenz, was die Ziele der Allianz und ihre Fehler angeht:

Be first with the truth. Beat the insurgents and malign actors to the headlines.  Preempt rumors.  Get accurate information to the chain of command, to Afghan leaders, to the people, and to the press as soon as possible.  Integrity is critical to this fight.  Avoid spinning, and don’t try to “dress up” an ugly situation.  Acknowledge setbacks and failures, including civilian casualties, and then state how we’ll respond and what we’ve learned.

Fight the information war aggressively. Challenge disinformation.  Turn our enemies’ extremist ideologies, oppressive practices, and indiscriminate violence against them.  Hang their barbaric actions like millstones around their necks. (Quelle)

Das ist ein bemerkenswerter Ton. Doch gemessen an den Daten, die die (afghanischen) ICOS-Interviewer in Helmand und Kandahar zu Tage förderten, muss man wohl von einer Sisyphos-Aufgabe reden.

Hunderte Millionen Dollar sind für den Kampf im „Informationskrieg“ schon ausgegeben worden. Doch neun von zehn Menschen, für deren Sicherheit und Unabhängigkeit unsere Soldaten die Knochen hinhalten, wissen nicht, warum sie das tun (oder sie bestreiten die guten Absichten und Gründe, indem sie 9/11 leugnen). Uff.

Die Nachrichten sind nicht ganz schwarz, schreiben die ICOS-Forscher:

The news is not all bad: ICOS figures show several areas where the numbers, while remaining low, have improved. For example in June 2010, only 34% of interviewees in Helmand’s Marjah district thought that NATO-ISAF were winning the war, whereas in October, this figure has risen to 64%. In Nawa district, in June 2010 only 20% of interviewees thought recent military operations in their area had been good for the Afghan people, while in October 2010 this figure was 51%.

Sehr schön, jetzt muss man den Menschen nur noch klarmachen, wofür dieser Krieg vielleicht doch noch gewonnen (oder jedenfalls nicht verloren) wird.

 

Das Grundsatzprogramm der Partei „Die Freiheit“

Das Grundsatzprogramm der neuen Partei „Die Freiheit“ ist veröffentlicht. Darin steht viel Allgemeines über Grundwerte, Aufklärung –  und „Freiheit“, natürlich – wie üblich in solchen Texten, die kaum jemand je liest.

Ich glaube, die potentiellen Kandidaten für den Beitritt zu dieser neuen Partei werden sich mehr für die wenigen konkreten Aussagen interessieren als für dieses abstrakte Werte-Gesumse – zum Beispiel für den Vorschlag, das Baurecht für Moscheen zu ändern. Die Erschwerung des Moscheebaus ist sicher ein Alleinstellungsmerkmal dieser Partei (damit ist Herr Stadtkewitz, der Parteigründer, schließlich bekannt geworden, als er in Pankow gegen die Ahmadiya-Muslime hetzte, als seien das natürliche Dschihadisten, während jene in Pakistan regelmäßig von Sunni-Extremisten ermordet werden, weil sie als Häretiker gelten, aber das ist für Herrn Stadtkewitz zu kompliziert). Wie passt die Erschwerung des Moscheebaus zum Bekenntnis zur Religionsfreiheit, die bei uns schließlich im Art 4 der Verfassung garantiert ist? Gar nicht, außer man behauptet schlankweg, Moscheen dienten nicht der Religionsausübung (oder wie das Vorbild Wilders: der Islam sei keine Religion). So steht es denn auch im Programm.

Wenn man nun aber dieses Programm liest, fällt etwas übel auf. Gleich zu Anfang geht es um „Patriotismus und Identität“. Ich habe hier öfter dargelegt, dass ich glaube, gerade eine Einwanderungsgesellschaft brauche Patriotismus und Leitkultur.

Aber dies hier ist etwas anderes. Dass den Freiheitlichen zu Patriotismus sofort einfällt, dass jetzt mit der Nazizeit Schluss sein muss, ist bezeichnend. Der Clou ist ja m. E. gerade, dass ein neuer deutscher Patriotismus nach dem Krieg nur durch die Vergangenheitsbewältigung möglich wurde (vom Auschwitz-Prozess bis zur Weizsäcker-Rede und immer weiter bis zur Aufarbeitung der NS-Vestrickung unserer Ministerien).

Es gibt keinen Gegensatz zwischen Vergangenheitsbewältigung und Patriotismus, im Gegenteil: Die Bereitschaft zu ersterer ist die Voraussetzung für jeden glaubwürdigen Patriotimus hierzulande. Aber die Freiheitlichen konstruieren  gleich zu Anfang ihres Programms einen Widerspruch zwischen beidem, und das läßt Übles ahnen:

„Ein Volk, welches nicht zu sich selbst steht, ist langfristig dem Untergang geweiht. Jahrzehnte hindurch haben Meinungsmacher und Politiker dabei mitgewirkt, das Schuldbewusstsein der Deutschen wach zu halten, was die Identifikation mit ihrer eigenen Nation schwinden ließ. Wir Deutsche dürfen uns nicht auf die zwölf Jahre einer verbrecherischen Periode reduzieren lassen, es muss uns erlaubt sein, auf die kulturellen und historischen Leistungen des Deutschen Volkes stolz zu sein, ohne die Tiefpunkte unserer Geschichte auszublenden. Den eigenen Patriotismus über den der anderen Nationen zu stellen – das lehnen wir ab.

Wer verbietet denn bitte den Stolz auf unsere historischen Leistungen? Die Identifikation mit der Nation schwindet, wenn man sich mit dem NS beschäftigt? Im Gegenteil, meine Herren: Ehrliche Identifikation mit Deutschland setzt die Bereitschaft voraus, sich den dunklen Seiten zu stellen  – ohne Schuldstolz, aber auch ohne Ressentiment und Verschwörungstheorien, irgendwelche finstren Kräfte würden hier künstlich „das Schuldbewußtsein wachhalten“. (Früher wurde das immer den Juden unterstellt. Hier werden nur „Meinungsmacher und Politiker“ beschuldigt, aber das Muster ist das alte.) „Die Freiheit“ will gezielt proisraelisch erscheinen. Aber die zwölf Jahre, die sollen nun schön in Ruhe gelassen werden. Eine gewisse Spannung tut sich da auf, vorsichtig gesagt.

Interessant auch diese Passage:

„Jüdisch-Christliche Wurzeln

Wir sind uns unserer jüdisch-christlichen Wurzeln stets bewusst und wollen Staat und Gesellschaft aus christlich-abendländischem Geist gestalten. Wir gehen dabei vom positiven Menschenbild aus, wie es das Neue Testament der Bibel verkündet. Mann und Frau sind gleich an Würde. Alle bürgerlichen Rechte und Pflichten, alle Menschenrechte und das Selbstverständnis des Staates basieren auf diesem Menschenbild. Die lange abendländische Tradition Deutschlands ist nicht beliebig austauschbar.“

Jüdisch-christliche Wurzeln will ja heute einfach jeder für sich reklamieren. Aber dann ist es doch das Menschenbild des Neuen Testaments, das ja so schön „positiv“ ist. (Wirklich?) Und schon sind die Juden hinten vom Karren gefallen. Deren Menschenbild braucht man dann doch nicht, thank you Ma’am, wir haben ja das NT. Dessen Menschenbild (inklusvie Paulinischer Erbschuld?) ist ja soo positiv. Im Gegensatz zum negativen Menschenbild des „Alten Testaments“, oder was? In der Tat wird ja in den Römerbriefen das Christentum von Paulus herausgearbeitet als Befreiung des Menschen vom „Gesetz“ – also von der jüdischen Gesetzesreligion. Daraus sind die herrlichsten und grauslichsten Dinge gemacht worden: die „Kirche der Freiheit“ ist darin angelegt, und der christliche Antsemitismus ebenso. (Ach, was solls, auch das ist ja zu kompliziert. Darum geht es doch nicht. Es geht doch nur darum, eine Front gegen die Musels aufzubauen. und da wird der Jude kooptiert.)

In diesem schwierigen Feld tappen die Freiheitlichen mit ihrer Evokation des „christlich-jüdischen“ Erbes herum, nichts ahnend ganz offenbar. Ich kann nur sagen, die zunehmende Instrumentalisierung dieser oft genug verhängnisvollen deutsch-jüdischen Geschichte macht mir Sorgen. Ganz offenbar geht es bei der Verwendung der Codewörter christlich-jüdisch ja um den Ausschluß der Muslime. Es gibt schon genug, was uns vom Islam trennt, es gehört sich nicht, Religionen für diesen Kulturkampf zu instrumentalisieren.

Und dann noch dies: „Mann und Frau sind gleich an Würde“? (Das sagt übrigens auch der Zentralrat der Muslime, und wird ganz mau, wenn es um die Frage gleicher Rechte geht). Warum spricht man  nicht von gleichen Rechten? Ist hier ein Vorbehalt?

Dass das Selbstverständnis unseres Staates und die Menschenrechte auf dem „positiven Menschenbild“ des NT beruhen, ist nichts als höherer Bullshit.

Wir haben einen säkularen Staat (wenn auch mit Offenheit für die eingehegte Mitwirkung der Religionen), und wir müssen uns dagegen wehren, dass alle möglichen Hobbytheologen jetzt daran herumfummeln.

 

Kriegsgetrommel gegen Teheran

Mein Kommentar zu der jüngsten rhetorischen Eskalation gegen Iran aus der ZEIT dieser Woche, S.4:

So geht es politischen Verlierern: Wer den Schaden hat, braucht sich um schlaue Tipps nicht zu sorgen. Seit Obamas Desaster bei den Kongresswahlen treffen täglich ungefragt außenpolitische Ratschläge im Weißen Haus ein. Ein Muster zeigt sich: Obama soll sich durch Eskalation im Atomkonflikt mit Iran sanieren.
Wie bitte? Hat nicht soeben die EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton grünes Licht aus Teheran bekommen, mit der Führung erneut in Verhandlungen einzusteigen? Am 5. Dezember will man sich erstmals nach einem Jahr Schweigen wieder zu Gesprächen mit den Iranern treffen. Doch vielleicht gibt es ja Wechselwirkungen zwischen der diplomatischen Offerte und dem anschwellenden Kriegsgetrommel. Die verschärften Sanktionen, die im Sommer von den Vereinten Nationen mit China und Russland beschlossen wurden, wirken: Dass die Iraner jetzt reden wollen, spricht dafür. Allerdings glauben auch glühendste Verfechter der Diplomatie nicht, dass Sanktionen allein reichen, ein Atomprogramm zu stoppen.
Man braucht Druck und Drohungen, um zu verhandeln. Doch hier scheint ein anderes Spiel zu beginnen: Der Druck auf Obama steigt, die Kriegsbemalung aufzutragen. Der dienstälteste Kolumnist der Washington Post, David Broder, rät dem Präsidenten, er solle »2011 und 2012 damit verbringen, einen Showdown mit den Mullahs zu orchestrieren. Dies wird ihm politisch helfen, weil die Opposition ihn dabei unterstützen muss. Während die Spannung anwächst und wir die Kriegsvorbereitungen beschleunigen, wird sich die Wirtschaft erholen.«
Krieg als Konjunkturprogramm – das ist schwer zu toppen. Doch beim Krieg der Worte lassen sich die erstarkten Republikaner nicht den Schneid abkaufen. Ihr Wiederaufstieg sei »eine gute Nachricht für den Präsidenten, wenn er stark gegenüber Iran sein« wolle, so der maliziöse Senator Lindsay Graham vor zehn Tagen auf dem Internationalen Sicherheitsforum im kanadischen Halifax. Graham prophezeite der Elite westlicher Verteidigungspolitiker, in einem Jahr werde »ziemlich klar sein, dass die Sanktionen nicht wirken«, und darum müssten jetzt »alle Optionen auf den Tisch«. Man solle »nicht bloß das Nuklearprogramm neutralisieren (…), sondern die iranische Marine versenken, ihre Luftwaffe zerstören und einen entscheidenden Schlag gegen die Revolutionsgarden führen. In anderen Worten: Kastriert dieses Regime.«
Ein altes Projekt der Neokonservativen hat Rückenwind nach den Kongresswahlen: Nach Kabul und Bagdad – auf nach Teheran! Senator John McCain, der führende Außenpolitiker der Republikaner, erklärt den Regimewechsel wieder zum Ziel amerikanischer Politik. Und der amerikanische Generalstabschef Mike Mullen sagte vor wenigen Tagen an der Stanford-Universität: »Die Sanktionen beginnen wehzutun, aber bis jetzt erkenne ich keine Distanzierung vom erklärten Ziel der Nuklearwaffenherstellung.« Iran habe »Isolation statt Verhandlungen« gewählt.
Warum diese erstaunliche Verschärfung des Tons – just in dem Moment, da die Verhandlungen wieder beginnen? Mullens, McCains und Grahams Äußerungen entziehen der Diplomatie den Boden. Es ist widersinnig, mit einem Land über seine Pflicht zur Transparenz zu sprechen, wenn man dessen Regime »kastrieren« will. Wer so redet, liefert der iranischen Staatspropaganda Vorlagen für den Verdacht, hinter den Verhandlungsangeboten der westlichen »Mächte der Arroganz« steckten nur neokoloniale Machtansprüche.
Die innenpolitische Logik der neuen Kriegstrommelei ist nicht schwer zu verstehen. Offenbar soll der geschwächte Obama auf den Pfad gelockt werden, der mit Bushs Abgang verlassen wurde, um ihn dann im Wahlkampf bequem vor sich her zu treiben. Die neo-neokonservative Kriegsrhetorik will vergessen machen, welche Politik es war, die Iran in den letzten Jahren stark gemacht hat. Amerikas Kriege haben die Mullahs von ihren ärgsten Feinden – erst von den Taliban und dann von Saddam Hussein – befreit. Teheran spielt nun in Afghanistan mit (und finanziert Karsais Spesenkasse) – und auch in Bagdad kann niemand mehr gegen Irans Willen Präsident werden: Der Schiit al-Maliki wurde soeben sogar gegen Amerikas Druck durchgesetzt. Dies ist das Paradox: Amerikas vermeintliche Politik der Stärke hat in Wahrheit Iran stark gemacht.
Die entschlossene Diplomatie der jüngsten Zeit (mit Russen und Chinesen) hat Teheran seine Grenzen aufgezeigt – durch schmerzhafte Sanktionen, die anscheinend begonnen haben zu wirken: Selbst die Inder sind seit einigen Tagen mit an Bord, Iran ist isoliert. Den Erfolg garantiert auch dies nicht. Diplomatie braucht Druck, wie Israel zu Recht mahnt.
Wer weiß, vielleicht sind die Kriegstrommler Obama am Ende unfreiwillig von Nutzen – führen sie doch den Iranern vor Augen, was droht, wenn er scheitert.

 

Nicht zuviel Islam, zuwenig Christentum?

Angela Merkel auf dem CDU-Parteitag:

«Unser Land leidet nicht an einem Zuviel an Islam, sondern an einem Zuwenig an Christentum!»

Ich sympathisiere mit dem Versuch der Entdramatisierung („nicht zuviel Islam“). Aber die Sache behagt mir dennoch nicht. Erstens weil es durchaus Leute gibt, die an einem „Zuviel“ Islam – oder an einem falsch verstanden Islam oder wie auch immer man das fassen will, leiden. Religionen sind nicht harmlos, sie sind kein bequemes, sicheres „Wertepolster“, das einfach nicht dick genug sein kann.

Religionen sind gefährlich, und sie müssen sozial, kulturell und politisch eingehegt werden, damit sie „gut“ sein können. Jahrhunderte haben wir gebraucht, um einen modus vivendi als Christen miteinander zu finden. Der Islam hat heute weltweit die größten Probleme unter allen Religionen mit der politischen Einhegung, und auch hierzulande sind wir von einer guten Lösung noch weit entfernt. (Immerhin arbeiten wir dran.)

Für das Christentum gilt weiß Gott das Gleiche, wie ein flüchtiger Blick in die deutsche Geschichte zeigt. Keineswegs ist „mehr davon“ besser – auch nicht unbedingt für Christen. Was heißt denn überhaupt „zuwenig“ Christentum? Zuwenig Einfluss auf die Politik? Zuwenig Zurschaustellung im Alltag? Oder zuwenig Innerlichkeit?

Die evangelische Kirche, der auch Frau Merkel angehört, hat sich das schöne Motto „Kirche der Freiheit“ gegeben. Kirche der Freiheit bedeutet auch, mit unseligen politischen Instrumentalisierungen aufzuhören: Glauben ist kein Werte-Rohstoff für die Politik, den man sich nach Belieben verfügbar machen darf. (Kritisieren wir das nicht am Islamismus?)

Es ist nicht gut, das Verhältnis der Religionen in einer nolens volens multireligiösen Gesellschaft in einem Verhältnis von zuviel-zuwenig zu denken. Weder geht es beim Verhältnis Christentum-Islam um ein Nullsummenspiel noch um eine Überbietungskonkurrenz.

Muß die Antwort auf „mehr Islam“ notwendigerweise „mehr Christentum“ sein? Oder umgekehrt: Ist mehr Islam die Antwort auf weniger Christentum, wie manche glauben? Das ist alles Quatsch. Solches Denken führt in die Sackgasse, oder im religiösen Vokabular gesprochen: in die Hölle künftiger Kulturkämpfe.

 

Multikulturalismus funktioniert

Jedenfalls in Kanada, das doch auch hierzulande jetzt immer wieder als Modell herumgereicht wird (Punktesystem…). Kanada hat sogar einen Minister für „Citizenship, Immigration and Multiculturalism“.

Die Voraussetzungen des Funktionierens beschreibt ein interessantes Stück aus der NYT über den Fall Manitoba: ein selektives Einwanderungsgesetz und unerbittliche Menschenfreundlichkeit gehören in Kanada zusammen.

In Kanada gibt es – unfasslich für unsere Breiten – einen Wettbewerb der Provinzen darum, wer mehr Migranten aufnehmen darf. (Hat natürlich auch geografische Gründe, die riesige Landmasse, kaum illegale Einwanderung durch die Grenzlage zu USA  etc… Aber was dem einen die Geografie, ist dem anderen die Demografie…)

Dabei geht es keineswegs nur um die höchst qualifiizierten Einwanderer, sondern auch um Handwerker und LKW-Fahrer:

Rancorous debates over immigration have erupted from Australia to Sweden, but there is no such thing in Canada as an anti-immigrant politician. Few nations take more immigrants per capita, and perhaps none with less fuss.

Is it the selectivity Canada shows? The services it provides? Even the Mad Cowz, a violent youth gang of African refugees, did nothing to curb local appetites for foreign workers.

“When I took this portfolio, I expected some of the backlash that’s occurred in other parts of the world,” said Jennifer Howard, Manitoba’s minister of immigration. “But I have yet to have people come up to me and say, ‘I want fewer immigrants.’ I hear, ‘How can we bring in more?’ ”

This steak-and-potatoes town now offers stocks of palm oil and pounded yams, four Filipino newspapers, a large Hindu Diwali festival, and a mandatory course on Canadian life from the grand to the granular. About 600 newcomers a month learn that the Canadian charter ensures “the right to life, liberty and security” and that employers like cover letters in Times New Roman font. (A gentle note to Filipinos: résumés with photographs, popular in Manila, are frowned on in Manitoba.)

“From the moment we touched down at the airport, it was love all the way,” said Olusegun Daodu, 34, a procurement professional who recently arrived from Nigeria to join relatives and marveled at the medical card that offers free care. “If we have any reason to go to the hospital now, we just walk in.”

“The license plates say ‘Friendly Manitoba,’ ” said his wife, Hannah.

“It’s true — really, really true,” Mr. Daodu said. “I had to ask my aunt, ‘Do they ever get angry here?’ ”

 

Sarrazins Applaus

Thilo Sarrazin hat in der 14. Auflage seines Buchs einige Passagen überarbeitet. Besonders die genetisch argumentierenden Stellen wurden abgeschwächt. Die Welt hat Text-Synopse betrieben:

„In seinem besonders umstrittenen achten Kapitel (‚Demografie und Bevölkerungspolitik: Mehr Kinder von den Klugen, bevor es zu spät ist‘) hat Sarrazin einen kompletten Satz gestrichen. Es geht hier um die kulturelle Fremdheit muslimischer Migranten und deren geringes ‚qualifikatorisches oder intellektuelles Potenzial‘. In der 1. Auflage schreibt Sarrazin auf Seite 370: ‚So spielen bei Migranten aus dem Nahen Osten auch genetische Belastungen – bedingt durch die dort übliche Heirat zwischen Verwandten – eine erhebliche Rolle und sorgen für einen überdurchschnittlich hohen Anteil an verschiedenen Erbkrankheiten.‘ In der aktuellen 14. Auflage ist dieser Satz nicht mehr enthalten. Sarrazin hat an seiner Stelle einen Satz, der sich zuvor in den Fußnoten befand, eingefügt: ‚Die für die Einwanderung nach Deutschland relevanten Herkunftsgebiete – Türkei, Nah- und Mittelost, Nordafrika – weisen sowohl bei den Pisa-Studien als auch bei den TiMSS-Studien (International Mathematics and Science Study) sehr niedrige Werte aus, die zur Schulleistung der entsprechenden Migrantengruppen in den Beziehungsländern passen.'“

Dass Sarrazin sich von Sarrazin distanziere, wie die kühne Überschrift behauptet, ist aber Quatsch. Es handelt sich um „Präzisierungen“, wohl nicht zuletzt um der SPD den Parteiausschluss so schwer wie möglich zu machen.

Es ist von einigen hier in diesem Blog immer wieder bemängelt worden, dass ich die Rezeption des Buchs mit mehr Aufmerksamkeit bedacht habe als die Thesen. Im Prinzip ist das ein korrekter Einwand. Aber erstens fand eine starke Auseinandersetzung mit den Thesen schon statt (ich selber habe auch zur ersten Runde Sarrazin-Debatte nach dem Lettre-Interview bereits mehrfach geschrieben). Und zweitens gibt es Bücher, deren Rezeption interessanter ist als ihr Inhalt. Dies hier ist so ein Fall. Zum Inhalt ist auch manches zu sagen, aber der Effekt des Buchs ist nicht auf der Sachebene allein zu klären. Gegenargumente vorbringen, Abwägen, Widerlegen bringt nicht viel angesichts des Gefühls der Befreiung, das manche Leser offenbar empfinden. Bitte: Es gibt kritische, abwägende Leser, die sich das Buch keineswegs nur reinziehen, um ihre Wut zu munitionieren.

Aber es gibt eben auch die anderen, und die sind furchteinflößend. Mir fällt dazu keine Parallele ein.

Zitat aus dem Porträt von Michael Slackman (New York Times) über Thilo Sarrazin:

„Still, it seems that what has made Mr. Sarrazin so popular, or notorious, is not just his attack on Muslims, which is certainly not the first. What he seems to have accomplished is blasting open a door many thought was sealed shut by Germany’s Nazi past. As a lifelong Social Democrat, and not some fringe far right extremist, Mr. Sarrazin has made it acceptable for the German everyman to criticize a specific minority group, and to make sweeping statements about that group’s intellectual capacity.“

Wer das für falsch hält, lese bitte die letzte Kolumne von Ulrich Jörges im Stern: Ihr Applaus, Herr Sarrazin. 

 

Islam, Islamismus und der Westen

Das Mideast Freedom Forum hat nun ein Video meiner Debatte mit Daniel Pipes hochgeladen.
(Sehr lang. Aber das Tolle am digitalisierten Leben ist ja die Vorspulfunktion, die im analogen Alltag leider noch fehlt.)

Daniel Pipes, Jörg Lau debate „Islam, Islamism and the West“ from Mideast Freedom Forum Berlin on Vimeo.

 

„Die Islam-Debatte ist primitiv“

Meint Daniel Pipes in einem Interview mit Ramon Schack (in der NZZ), das anläßlich unseres Berliner Disputs geführt wurde.

Zitat:

„Wie beurteilen Sie eigentlich die aktuelle Debatte in Europa und den USA um den Islam, die Integration von muslimischen Einwanderern usw.?

Die aktuelle Islam-Debatte im Westen ist primitiv. Unsere Probleme bestehen doch nicht aus Moscheebauten, Minaretten oder Kopftüchern. Es handelt sich um eine Phantomdebatte, an den eigentlichen Problemen wird vorbeidiskutiert. Wir müssen Massnahmen ergreifen, um die unbestrittenen, einmaligen Vorzüge der westlichen Zivilisation zu verteidigen, und dabei die Herzen der moderaten Muslime gewinnen, nicht aber Hysterie und Misstrauen streuen.

Sie selbst haben den niederländischen Politiker Geert Wilders öffentlich unterstützt. Begrüssen Sie den Aufstieg von islamfeindlichen, rechtspopulistischen Parteien in Europa?
Wilders‘ politische Agenda ist natürlich bizarr und nicht ernst zu nehmen, sein Parteiprogramm voller unhaltbarer Versprechungen und einfacher Lösungen. Allerdings hat er das Recht, seine Meinung zu äussern. Ich betrachte es als Skandal, dass er nicht ohne Leibwächter das Haus verlassen kann. Der Aufstieg dieser Parteien in Europa, die ja keinen einheitlichen Block bilden, ist das Resultat eines Versagens der politischen Klasse. Es wäre den etablierten Politikern und Parteien zu raten, sich dieses Themas anzunehmen, die Debatte zu führen und zu moderieren. Andernfalls wird die innenpolitische Lage in Europa weiter eskalieren, mit einer zunehmenden Radikalisierung auf allen Seiten.“

Mit diesen Äußerungen habe ich überhaupt kein Problem. Aber ich muss sagen, dass ich Pipes nicht verstehe, und das wird durch dieses Gespräch unterstützt. Er heizt doch selber eben jene haltlosen Debatten mit an, die er hier nun plötzlich als „primitiv“ oder „hysterisch“ bezeichnet. Er war es doch, der die geplante Moschee am Ground Zero als „Triumphalismus“ denunzierte. Er war es, der sogar noch die muslimische Miss America runtermachte zu einem Beleg für politische Korrektheit und affirmative action (lies: Dhimmitum auf seiten der Juroren). Er stilisiert das angebliche Verbot von Sparschweinen in England zum Beleg für für die Islamisierung Europas.

Und Wilders: Dass er ihn nun so runtermacht, wundert mich auch, denn er begrüßt ausdrücklich das Aufkommen rechtspopulistischer Parteien überall in Europa. So geschehen in unserer Debatte vorletzten Mittwoch in Berlin.
Mir fehlen die Worte dafür, dass er die  Türkei langfristig als eine „größere Bedrohung“ denn Iran ansieht und sie als schechthin „verloren“ für den Westen abtut. In Berlin hatte er sogar gesagt, die Türkei sei „the enemy“. Zugleich wird aber Iran als so gefährlich hingestellt, dass Obama „endlich handeln“ müsse, vulgo: bombardieren.
Und so hat man immer einen Feind im Ärmel. Ist der Iran erst ausgeschaltet, muss man sich etwas für den langfristigen „Feind“ Türkei überlegen.

 

Was an Obama unerträglich ist

Beste Erklärung bisher – für meinen Geschmack – von Ronald Dworkin in der New York Review of Books:

We must take seriously what so many of them actually say: that they feel they are losing their country, that they are desperate to take it back. What could they mean? There are two plausible answers, both of them frightening. They might mean, first, that their new government is not theirs because it is not remotely of their kind or culture; it is not representative of them. Most who think that would have in mind, of course, their president; they think him not one of them because he is so different. It seems likely that the most evident difference, for them, is his race—a race a great many Americans continue to think alien. They feel, viscerally, that a black man cannot speak for them.

Obama isn’t one of them in other ways as well: in the period since he was elected it’s become clearer that he is uncomfortable with the tastes, rhetoric, and reflexive religiosity they identify as at the heart of American political culture. He tries to find his way into that culture—he speaks of “folks” in every paragraph these days—but his articulate, rational style strikes the wrong note. Many of those who voted for him before don’t like what they got. They want to take their country back by taking its presidency back, by making its leader more like them.

There is a second, equally dismaying, understanding of what they mean. All their lives they have assumed that their country is the most powerful, most prosperous, most democratic, economically and culturally the most influential—altogether the most envied and wonderful country in the world. They are coming slowly and painfully to realize that that is no longer true; they are angry and they want someone to blame.

They read every day of our declining power and influence. Our dollar is weak, our deficit frightening, our trade balance alarming. The Chinese own more and more of our currency and our debt, they, not we, have built the world’s fastest computer, and they show no inclination whatever to heed our demands about revaluing their currency or helping to protect human rights in Africa or prevent nuclear weapons in Iran. Our requests and demands are more and more ignored in foreign capitals: in Jerusalem, for example, and in congresses on climate change. Our vaunted military power suddenly seems inept: we are unable to win any war anywhere. Iraq was a multiple disaster: we could not win peace in spite of a vast expenditure of blood and treasure. Afghanistan seems even worse: we are unable to win and morally unable to quit. The democracies of the world, who once thought us the model of the rule of law, now point to Guantánamo and Abu Ghraib and call us human rights criminals.