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Soldaten: Wir sind keine bloßen Opfer!

Erfreulicher Weise ist der Weblog Sicherheitspolitik wieder online – das Forum für die verteidigungspolitische Debatte jenseits von Berliner Aufgeregtheiten. Hier schreiben kühle Beobachter und Kenner – oft auch aus der Perspektive der Soldaten, die in Auslandseinsätzen dienen.

Angesichts der bedauerlichen Tode deutscher Soldaten im Gefolge von Kämpfen in Nordafghanistan mahnen die Blogger dort zu einem anderen Ton beim Gedenken und in der politischen Debatte. Sie stören sich daran, dass auch Soldaten, die im Kampf gefallen sind, als bloße Opfer eines tragischen Geschehens dargestellt werden – ganz so als wären sie einem Unfall oder einer Naturkatastrophe zum Opfer geworden.

Ich finde das sehr verständlich und glaube, dass sich hinter dem Problem des richtigen Gedenkens ein tiefer liegendes Problem mit dem Einsatz in Afghanistan verbindet. Immer noch zögert die Politik und die weitere Öffentlichkeit, ehrlich und realistisch mit dem Konflikt umzugehen – „Kriegs“-Terminologie hin oder her.

Gestern wurde folgender Kommentar auf dem Blog gepostet:

Mit der offenbar wachsenden Präsenz möglicherweise professionellerer internationaler Kämpfer im Norden Afghanistans, der stärkeren Präsenz von Aufständischen im Kunduz-Baghlan-Korridor und der angekündigten stärkeren Präsenz der Bundeswehr dort wird möglicherweise auch ein Anstieg der deutschen Verluste verbunden sein. Die Politik könnte spätestens jetzt damit beginnen, die Öffentlichkeit besser darauf vorzubereiten.  Die Betroffenheitswellen, die nach jedem Vorfall durch Deutschland gehen, mögen gut gemeint sein, sind aber letztlich Ausdruck einer Einstellung, auf deren Grundlage möglicherweise noch höhere Opferzahlen kaum bewältigt werden können.

Wiederholt haben wir die deutsche Afghanistan-Diskussion kritisiert, weil sie aus unserer Sicht durch die Demonstration von Schwäche die Motivation der Aufständischen stärkt. Leider wird den Aufständischen von Politik, Bundeswehr und Gesellschaft weiterhin vermittelt, dass Deutschland auch relativ niedrige Verluste in Afghanistan kaum erträgt und sowohl Bundeswehr als auch Politik dabei sind, den Willen zur Fortsetzung des Einsatzes zu verlieren. Einen stärkeren Anreiz für weitere Anschläge könnte es kaum geben.

Über die Ursache dafür können wir nur spekulieren: Passen Profis nicht in das bei den Medien beliebte Klischee des Soldaten als Opfer?

Ansonsten zeigt der aktuelle Vorfall, dass die Gegenüberstellung von Kampfeinsatz einerseits und Ausbildungseinsatz andererseits in der Praxis nicht funktioniert. Die Politik erweckt gerne den Eindruck, als sei die vorgesehene Verstärkung der Ausbildung der ANA eine Fortsetzung jener Politik, die eigene Risiken durch Passivität minimieren will und dies hinter Euphemismen wie “Vorrang vor zivilen Mitteln” etc. versteckt. Die Begleitung der afghanischen Soldaten im Einsatz durch deutsche Mentoren bringt jedoch fast selbstverständlich auch Situationen mit sich wie jene, bei der gestern mindestens vier deutsche Soldaten fielen.

Es hat Jahre gedauert, bis die Politik minimale Kompromisse an die Realität in Afghanistan eingegangen ist und z.B. den nicht-internationalen bewaffneten Konflikt dort als solchen (und auch erst nach gerichtlicher Entscheidung) anerkannt hat oder die Verlegung von Panzerhaubitzen ermöglichte. Immer noch leugnet man eine zentrale Realität: In Afghanistan gibt es neben anderen Herausforderungen auch einen militärischen Gegner, der auch deutsche Soldaten in möglichst großer Zahl töten will und dessen zu dessen Überwindung deutsche Soldaten nicht nur in Selbstverteidigung kämpfen müssten.

Wer eine andere Art der Thematisierung kennenlernen will, lese die Aussage von Haupftfeldwebel Daniel Seibert, die hier auf dem Weblog zitiert wird.

 

Büßen die Araber (zu Unrecht) für den Holocaust?

Der große israelische Philosoph und Diplomat Shlomo Avineri erklärt in Ha’aretz, warum einige seiner Verwandten  sich nicht aus dem NS-beherrschten Polen nach Palästina retten konnten – wegen der erfolgreichen arabischen Opposition gegen die jüdische Einwanderung in der „dunkelsten Stunde des Judentums“.

„They succeeded in shutting the country’s gates during the darkest hour of the Jewish people. Anyone seeking reconciliation between us and the Palestinians must insist that both sides be attentive to the suffering of the other side, and that goes for the Palestinians as well as for us.“

Die damals in Palästina herrschenden Briten entschieden sich zum Appeasement gegenüber der arabischen Revolte, um den Nachschubweg aus Indien über den Suez-Kanal nicht zu gefährden. Man fürchtete, dass sich die Araber durch fortgesetzte gewaltsame Unterdrückung der Revolte zusammenschließen und näher an Nazideutschland und das faschistische Italien rücken würden. Die Briten deckelten darum im White Paper 1939 die  jüdische Einwanderung bei  75.000 und erschwerten den Immobilienerwerb für Juden in Palästina.

Die Appeasement-Politik hat den Mufti von Jerusalem nicht davon abgehalten, dennoch die Nähe Hitlers zu suchen:

„This policy did not completely achieve its goal; the Mufti of Jerusalem, Haj Amin al-Husseini, found his way to Berlin anyway. An anti-British and pro-Nazi rebellion erupted in Iraq, led by Rashid Ali. But as far as the Jews were concerned, the British continued to consistently apply the principles of the White Paper during the war. The gates were shut to legal Jewish immigration, the British navy fought illegal immigration and ships seeking to save Jews from the Nazi occupation (such as the Struma) were returned to their port of origin; some of their passengers died at sea, others in the gas chambers.

Guilt for the Holocaust lies with Nazi Germany and its allies. But an untold number of Jews, perhaps as many as hundreds of thousands – including my grandparents from the Polish town of Makow Podhalanski – were not saved and did not reach Mandatory Palestine because of the position taken by the Arabs.“

Avineri will vor allem ein Argument entkräften, dass man immer wieder in Debatten über die Legitimität Israels zu hören bekommt: „Warum mussten die Araber für den NS-Holocaust mit dem Verlust ihrer Heimat büßen?“

„One sometimes encounters the Palestinian argument that there is a basic injustice in the fact that they appear to have to pay the price for Europe’s crimes during the Holocaust. It’s true, of course, that Nazi Germany and its allies, and not the Palestinians, are those guilty of perpetrating the Holocaust. Nonetheless, any argument that links the establishment of the State of Israel exclusively to the Holocaust ignores the fact that modern Zionism preceded the annihilation of the Jews in World War II, even if the Holocaust clearly strengthened the claim for Jewish sovereignty.“

Die zionistische Einwanderung nach Palästina ging dem Holocaust erstens lange voraus, und zweitens hätten die Araber durch ihre Opposition gegen die jüdische Einwanderung ausgerechnet zur Zeit der schlimmsten jüdischen Bedrängnis eine Mitverantwortung für viele Opfer auf sich geladen.

Avineri hat Recht, an diesen dunkle Vorgeschichte der Staatsgründung Israels zu erinnern.  Man sieht hier, dass sehr viel mehr einer Aussöhnung im Wege steht als nur die Ereignisse der letzten Jahre.

Aber Empathie ist eben eine Sache auf Gegenseitigkeit. So lange eine isarelische Politik herrscht, die den Arabern Palästinas jedes Mitgefühl für ihre Katastrophe in Folge der Staatsgründung Israels verweigert, kann man kaum erwarten, dass jene der jüdischen Tragödie mit Empathie begegnen.

 

Jetzt auch in Kanada: Burka (Nikab) verbieten?

Auch die französischsprachige Provinz Québec debattiert leidenschaftlich über ein Verbot der Vollverschleierung im öffentlichen Leben.

Letzte Woche hat Jean Charest, der Premier der Provinz, einen Gesetzesentwurf eingebracht, der das unbedeckte Gesicht zur Pflicht machen will. Merke: Dies ist kein Kopftuchverbot, sondern ein Nichtverhüllungsgebot. Ehrlich gesagt: Damit könnte ich mich anfreunden. Wenn, ja wenn es denn nötig wäre, ein solches Gesetz…

Aus dem Toronto Star:

Bill 94 effectively bars Muslim women from receiving or delivering public services while wearing a niqab.  According to the draft law, they would not be able to consult a doctor in a hospital, for example, or even attend classes in a university.  „Two words: Uncovered face,” Charest told reporters during a press conference in Quebec City. ”The principle is clear.” However, Charest reaffirmed the right to wear other religious symbols, such as crosses, skullcaps or headscarves, which was met by some as evidence of hypocrisy and discrimination…

Charest explained that the legislation, Bill 94, demands a face in plain view, for reasons of identification, security and communication. He further clarified that even public-service employees who do not interact with the public – the majority of the provincial bureaucracy – would also not be permitted to wear the niqab…

The legislation doesn’t stop at driver’s licence or health card offices. It encompasses nearly every public and para-public institution as well, including universities, school boards, hospitals, community health and daycare centres.

Kritiker sehen das freilich ganz anders und schäumen regelrecht:

How many times does it have to be said that gender equity is about giving women the right to make their own choices?  If a woman’s choice is to wear a niqab, BARRING her from wearing one by removing access to work, childcare, healthcare and education is the absolute opposite of gender equality.

I cannot say enough how disgusting and dishonest this is.  If this bill was motivated by a real concern for women made to wear the niqab against their will, wouldn’t it make more sense to partner with organisations for Muslim women and/or organisations for women fleeing abuse and violence?

Instead, this legislation is being championed primarily by white men and women who are not Muslim.

(Komisches Argument: Abolitionisten waren auch mehrheitlich weiß und männlich. Hätten sich die Schwarzen etwa komplett selber befreien sollen? Sollen die Frauen unter dem Nikab, die nicht freiwillig drunter stecken,  etwa alleine dagegen angehen? Und ja: ich weiß, dass das nicht dasselbe ist – Sklaverei und Totalverhüllung.)

Die Frage bleibt, ob man wirklich ein Gesetz braucht angesichts der wenigen Fälle. Es ist eine Tugend, keine unnötigen Gesetze zu machen für Konflikte, die niederschwellig gelöst werden können. Der Toronto Star schreibt in dem oben zitierten Artikel, „only 10 of more than 118,000 visits to the health board’s Montreal office in 2008-09 involved niqab-wearers asking for special dispensation“.

10 von 118.000 Fällen!

Eine Kommentatorin aus Québec hat denn auch das Gefühl, dass ein solches Gesetz hauptsächlich Identitätspolitik für die Mehrheit ist, nicht so sehr Minderheitenschutz, wie behauptet:

However, it is much more a reaction to a growing feeling of unease  in the Québec population with questions of national identity. We feel a strong need to define and assert who we are as a nation and a culture in order to stave off assimilation. To understand the Québécois, one must be aware that the Quiet Revolution – the period of unprecedented social development where we threw off the shackles of religious oppression – made us probably the most ardently secular state in North America. It happened just over 40 years ago. Before that, the Québecois were firmly under the heel of the Catholic Church. Protection of the French language, secularity of the society and the primacy of the equality between men and women are three subjects of great importance to most Québécois. Unfortunately, the debate around these subjects most often centers around immigrants, especially those whose religion dictates some forms of expression which go against the principles of secularity and equality between men and women.

 

Warum Iran sich aus dem Nahostkonflikt heraushalten sollte

Begründet von einem Iraner auf Iranian.com:

If these people cannot find in their hearts to forgive each other after 60 years, then I say: the hell with them; they are cursed to hatred for the rest of their lives. Let them burn in that hatred!

We and the Iraqi’s forgave each other, although we killed a million of our youths and destroyed half of our countries. I was in the Iraq war, and saw their brutality first hand. Why can’t these Arab and Israeli’s forgive each other and get on with their lives. Their dead and wounded is not even a fraction of what we lost in Iraq-Iran war.

Ist was dran.

 

Iran: Menschenrechte und Misswahlen

Ich rate allen Mitbloggern, gelegentlich auf „Iranian.com“ vorbeizuschauen (Motto: Nothing is sacred.) Man findet oft sehr interessante Kommentare, Reportagen, Mediensplitter des anderen Iran, der nicht mit dem Mullahstaat verwechselt werden will.

Hier berichtet die Journalistin Roxana Saberi Jon Stewart von ihrer Haft im Iran, wo sie letztes Jahr als „amerikanische Spionin“ festgenommen wurde. Ein bizarre Geschichte. Die schöne Frau Saberi stammt aus North Dakota, wo sie vor Jahren zur „Miss North Dakota“ gekürt worden war. Nicht zuletzt daher bekam ihr Fall besondere Aufmerksamkeit:

The Daily Show With Jon Stewart Mon – Thurs 11p / 10c
Roxana Saberi
www.thedailyshow.com
Daily Show Full Episodes Political Humor Tea Party

Auch auf Iranian fand ich die Nachricht, dass in Kanada gleich fünf iranischstämmige Damen in der engeren Wahl um die Miss World Canada stehen. Auf so etwas ist man beim Iranian stolz. Und zwar zu Recht.

Roxana Saberi ist entkommen, aber viele iranische Blogger und Journalisten sind nach dem Volksaufstand um die Wahlen noch in Haft. Hier gibt es eine Petition, die sich dafür einsetzt, dass sie frei kommen.

 

Warum Ali Normalmuslim sich für die Islamkonferenz nicht interessiert

Der Sachverständigenrat der deutschen Stiftungen, die sich mit Fragen von Migration und Integration beschäftigen, hat eine interessante Untersuchung vorgelegt. Man hat unter Zuwanderern gefragt, wem die Deutsche Islamkonferenz bekannt sei. Die Ergebnisse frappieren, jedenfalls auf den ersten Blick:

„Insbesondere die Deutsche Islam Konferenz (DIK) ist der Hälfte der Zuwanderer unbekannt, gut bekannt ist sie nur 11%. Auch bei den muslimischen Zuwanderern haben 43% noch nie davon gehört. Besonders bedenklich erscheint, dass in Deutschland geborene Muslime die DIK mit 47% sogar noch weniger kennen als selbst zugewanderte Muslime (42%). Bei der Mehrheitsbevölkerung hat hingegen nur ein Drittel keine Ahnung von der DIK. Bei der Zuwandererbevölkerung deutlich bekannter sind praktische Maßnahmen wie der Einbürgerungstest.“

Die Ergebnisse der Umfrage werden in folgenden Schaubildern aufbereitet:

Ich muss sagen, das ich nichts davon wirklich überraschend oder alarmierend finde: Dass die Bekanntheit der Islamkonferenz mit dem Bildungsgrad steigt, ist zu erwarten. (Wer ohne Abi und FAZ-Abo hat schon einmal von der  „Föderalismuskomission“ gehört, deren Folgerungen enorme Konsequnzen fürs tägliche Leben hatten?) Und auch dass neu zugewanderte Muslime ein höheres Maß an Aufmerksamkeit für ihre neue Heimatgesellschaft mitbringen, ist nicht wirklich eine Sensation.  Dass die in Deutschland geborenen Muslime leider viel zu wenig Interesse für das politische Leben hierzulande aufbringen, selbst wenn tua res agitur, ist ebenfalls bekannt, und es fällt auf sie selbst zurück.

Kann die Politik mehr tun, um besser zu informieren? Sicher, aber wie erreicht die Politik Menschen, die sich für Politik nicht interessieren?

Bleibt die Tatsache, dass fast die Hälfte der muslimischen Befragten keine Ahnung von der DIK hat – ganz so wie bei der deutschen Mehrheitsbevölkerung mit niedrigem Abschluss (bei den höher gebildeten Muslimen immerhin noch etwa ein Drittel).

Das korrespondiert mit der Mediennutzung vieler zugewanderter Muslime: Vor allem bei den weniger Gebildeten, aber auch bei den gut Ausgebildeten ist der Zugang zu deutschen Qualitätsmedien, die intensiv über die DIK berichtet haben, immer noch sehr begrenzt. Das ist in einer Einwanderungsgesellschaft eben so: Es dauert Generationen, bis man die Nutzung der etablierten Medien beherrscht und deren Diskurse versteht. Geschweige denn bis man dort Karrieren machen kann, die diese Medien auch von innen her, von der Macherseite verändern. Die Karrieren von Einwanderern und deren Kindern in den Medien gehen langsamer voran als in anderen gesellschaftlichen Bereichen, in denen verallgemeinerbares, formalisiertes Wissens entscheindend ist, nicht so sehr mit einer speziellen kulturellen Tradition verknüpftes Kontextwissen. Die Ausnahmen werden allerdings immer häufiger, und das ist gut so.

Die Ergebnisse der Umfrage werfen aber vor allem ein Licht auf die islamischen Organisationen, die doch behaupten, für die Mehrheit der Muslime hier im Lande zu sprechen. Warum gelingt es ihnen dann nicht, einer Mehrheit zu vermitteln, dass sie seit Jahren an einer Islamkonferenz teilnehmen, die sie selbst für wichtig und entscheidend halten?

Vielleicht ist dies die schlichte Wahrheit: Die Verbände – zusammengeschlossen im KRM (Koordinierungsrat der Muslime) – sind (wenn das unislamische Bild erlaubt ist) sind Damen ohne Unterleib. Sie vermitteln nicht in die Moscheen, warum sie nach Berlin fahren, was sie dort erreichen wollen, und warum wann wer für sie spricht.

Haben Sie überhaupt Kontakt zur Basis? Seit Neuestem zum Beispiel ist turnusgemäß Ali Kizilkaya Sprecher des KRM, der Vorsitzende des Islamrats. Herr Kizilkaya spricht für den KRM: Pech nur, dass der Islamrat von der Islamkonferenz ausgeladen wurde, weil gegen den Mehrheitseigner Milli Görüs staatsanwaltlich ermittelt wird. Bizarr: Der Verband der Verbände läßt sich also nun von jemandem vertreten, der bei der wichtigsten Veranstaltung (die eigentlich das Lebensrecht des KRM begründet) nicht dabei ist.

Ja Herrgottszeiten – warum soll sich denn Ali Normalmuslim für diesen Unfug interessieren, den die Verbände da anrichten?

In der Schlußfolgerung des Sachverständigenrats heißt es:

Die 2006 begründete Deutsche Islam Konferenz sollte den Muslimen die wichtige Botschaft überbringen, dass der Islam Teil Deutschlands und Europas sei, wie Bundesinnenminister Schäuble aus Anlass des ersten Treffens der DIK im September 2006 im Bundestag erklärte. Diese Botschaft scheint bislang in Politik und Publizistik in Deutschland und der Türkei sowie bei der deutschen Mehrheitsbevölkerung deutlich wirkungsvoller zu sein als bei der Zuwandererbevölkerung in Deutschland selbst. Erreicht hat die DIK jedoch den erstrebten Organisationsschub bei den islamischen Verbänden, dessen Ergebnis der Koordinationsrat der Muslime als Dachverband der vier größten islamischen Organisationen in Deutschland ist.

Der letzte Satz irritiert: Er wird von den Ergebnissen der Untersuchung widerlegt. Der erreichte „Organisationsschub“ hat uns mit dem KRM nur eine Dachorganisation von Dachorganisationen beschert, die offenbar nicht – oder viel zu wenig – mit der Basis in den Moscheen kommuniziert.

Dass die DIK einen Disskussionsschub vor allem in der Mehrheistgesellschaft (aber auch bei wichtigen Eliten der islamischen Minderheit) ausgelöst hat, ist kein geringes Verdienst. Soll man dagegen die scheinbar geringe Anteilnahme unter Muslimen ausspielen? (Ist sie denn so gering? Ist fast die Hälfte nicht ein guter Anfang?) Man kann die relative Gelassenheit der muslimischen Zuwanderer angesichts der DIK ja auch so, lesen: Wenn viele Muslime es sich leisten können, an dieser Debatte nicht teilzunehmen, spricht das vielleicht auch dafür, dass in diesem Land ein gutes Leben als Muslim möglich ist – besser als in den meisten Herkunftsländern. Ist der Leidensdruck vielleicht nicht so hoch, wie manchmal behauptet?

Eines scheint die Untersuchung zu unterstreichen: Ob man sich beim weiteren Vorgehen auf die Verbände verlassen kann, ist fraglich. Der Islam in Deutschland braucht eine breitere Repräsentanz, damit sich eines Tages auch Ali Normalmuslim in dem öffentlichen Gespräch über seine Religion wiederfinden kann.


 

Tariq Ramadan endlich im Gelobten Land

Tariq Ramadan hatte nach Jahren des Banns endlich Gelegenheit, sich einem amerikanischen Publikum vozustellen – in New York bei der Cooper Union. Die Gründe für den Bann habe ich hier erklärt, und hier habe ich mich früh (2004) dagegen ausgesprochen, weil ich die Angst vor diesem Mann immer ein falsches Signal fand, das ihn nur größer macht als er ist.

Ich habe selbst zwei Mal mit Ramadan in Berlin öffentlich debattiert und feststellen müssen, dass er sehr gut aufzutreten weiß und geschickt argumentiert – aber am Ende eben doch kein Mann zum Fürchten ist.

Nun darf ich mich mit meiner Argumentation gegen das Einreiseverbot voll bestätigt fühlen: Ramadans Auftritt in New York war gut besucht und doch alles andere als eine Sensation: Der Prediger hat sich selbst entzaubert. George Packer, der mit Ramadan auf dem Podium saß, hat in seinem „New Yorker“-Blog über den Auftritt geschrieben:

Ramadan seemed wrong-footed in those opening remarks. He didn’t have a sense of where he was, of his American audience. It was as if he were speaking to disaffected young second-generation immigrants in a working-class mosque in Lille or Leicester, which is how he spends much of his time. Multiple identities, the value of diversity—not exactly news in this city, in this country. Many of his sentences amounted to buzz words strung together, without reaching a point. It seemed a missed opportunity: his first address in America since becoming an international figure, and he hadn’t prepared, hadn’t thought it through.

Once Ramadan sat down, and the panel and audience got involved, he became much sharper. Hearing him talk for an hour and a half, you realized what he is and isn’t. He is not a philosopher, or an original thinker. He has been cast in that role by recent historical crises and his own ambition—the role of someone whom large numbers of people turn to for insight on a vast range of issues, from the Islamic texts to globalization, from unemployment in France to women’s rights. What he has to say about most subjects is garden-variety European leftism. When questions of Islam and Muslims join the debate, his stance is that of a reconciler: he wants to make it possible for young Muslims to affirm their religious faith as an identity while fully participating as citizens of secular democracies. That’s his main project, an important one, and it’s where he is at his best: as a kind of preacher to confused, questing young Muslims who want to know how to live, where they fit in. And because American Muslims are not a large and disenfranchised and angry minority in this country, I don’t think this calling leaves him with very much to say to audiences here. An American Tariq Ramadan would likelier be talking to groups of young blacks or Hispanics.

So ist es. Und darum erübrigen sich Einreiseverbote ebenso wie hysterische Entlarvungen dieses Predigers als Mann mit einer doppelten Agenda (wie zuerst auf Französisch vorgelegt von Caroline Fourest, dann auf Englisch von Paul Berman in der New Republic). In New York „Diversität“ und multiple Identitäten zu preisen, heißt Eulen nach Athen tragen. Und im Gegenzug  gilt: Wenn sich die Europäer eines Tages beruhigt haben werden über diese unvermeidlichen Tatsachen, wird auch Ramadans Plädoyer in Europa „not exactly news“ sein. Hannes Stein kommt in seiner Rezension des Auftritts von Ramadan auf die Sache mit dem Mufti von Jerusalem zurück, der Hitler unterstützt hatte und seinerseits von Ramadans Großvater Hassan Al-Banna unterstützt worden war. Es wäre allerdings zu wünschen, dass Ramadan sich eindeutig zu dieser Geschichte des islamischen Antisemtismus verhält. Er ist kein ernst zu nehmender Philosoph oder Intellektueller (Theologe auch nicht), so lange da Zweideutigkeiten bestehen. Historische Klarheit ist eine Voraussetzung für Glaubwürdigkeit.

Aber die NS-Geschichte des Muftis ist nicht wirklich entscheidend für das Phänomen Ramadan. Für seine Hauptanhängerschaft unter jüngeren Muslimen hat er die Funktion eines Versöhners: Er verspricht, es sei möglich, am islamischen Glauben festzuhalten und dennoch voll an den modernen Gesellschaften des Westens partizipieren zu können. Im gleichen Maße, wie dieses Versprechen zu einer Selbstverständlichkeit in unseren Gesellschaften wird, wird sich das Faszinosum Tariq Ramadan erledigt haben. Amerika ist da weiter – nicht zuletzt wegen einer anderen Einwanderungspolitik, was die islamische Welt angeht. Aber das ist wieder eine andere Geschichte.

(Der Auftritt Ramadans als Audiodatei hier auf der Website des amerikanischen PEN. GRRRAUENHAFT die Einlassungen der „Feministin“ auf dem Podium, die allen Ernstes die Frauenquote des iranischen Parlaments als Indiz anführt, dass es mit der Unterdückung der Frauen im Islam doch nicht so schlimm sein können. Aua!)

 

„Abendland in Christenhand“

Die rechtsextreme und vom Verfassungsschutz beobachtete Partei Pro NRW tritt bei der Landtagswahl mit einem Spruch an, den sie bei der FPÖ geklaut hat: „Abendland in Christenhand“.

Die christlichen Kirchen haben sich gegen diese Diktion schärfstens verwahrt. Zu Recht.

Das ist natürlich bereits einkalkuliert in der Masche der Rechtsextremisten: Sie wollen jeden, der sich ihrem apokalyptischen Geraune von der drohenden, ja längst stattfindenden Islamisierung verweigert, als „Dhimmi“, „Appeaser“, „Moslemversteher“, „Schariafreund“ etc. hinstellen. Und also auch die christlichen Kirchen, die bei aller Kritik (s. Regensburger Rede des Papstes, s. „Klarheit und gute Nachbarschaft“ der EKD) weiter am Dialog festhalten (in der Sprache der Rechtsextremisten: „Dialüg“).

„Abendland in Christenhand“, im Juli 1933. Foto: Gedenkstätte deutscher Widerstand

Die Parole empört mich als Christen persönlich. Es ist einfach nur widerlich, dass sich ein Klub, in dem erwiesener Maßen alte Neonazis eine Rolle spielen, ausgerechnet auf das Christentum beruft. Das Christentum – eine unversalistische Religion aus dem Morgenland, die einen Juden als Sohn Gottes verehrt – wird hier ethnifiziert zu einem Abgrenzungsmerkmal von „Abendländern“. Es wäre zum Kotzen, wenn es nicht so doof und durchschaubar wäre.

Historisch gesehen gibt es durchaus Anknüpfungspunkte, leider insbesondere im deutschen Protestantismus, der im Dritten Reich weite Teile der Gläubigen und der Pfarrerschaft an den völkischen Rassismus verlor. Die „deutschen Christen“ machten aus der Liebesbotschaft Jesu eine Travestie, indem sie den Antisemitismus Hitlers unterstützten – zu Millionen.

Den Leuten, die heute unter neuen Vorzeichen an diese reaktionären Traditionen „abendländischen“ Wahns anknüpfen wollen, darf man keinen Schritt breit entgegenkommen. Sie gehören politisch bekämpft und geächtet wie alle anderen Extremisten, damit eine rationale Debatte über die Konflikte eines Einwanderungslandes weiter möglich bleibt.

 

Deutschland-Türken trauern um deutsche Soldaten

Gute Geste! Ich zitiere eine Pressemitteilung der „Türkischen Gemeinde“:
Zu der heute in Selsingen stattfindenden Trauerfeier für die drei am Karfreitag getöteten Soldaten, erklärt Kenan Kolat, Bundesvorsitzender der Türkischen Gemeinde in Deutschland (TGD): „Die Deutschland-Türken trauern an dem heutigen Tag mit den Angehörigen und Freunden der getöteten Soldaten. Es ist ein trauriger Tag für uns alle.“

An diesem Tag fühlen viele Menschen, unabhängig der ethnischen Herkunft, in der Bundesrepublik mit den Angehörigen und den Freunden mit.

Die Teilnahme der Bundeskanzlerin Frau Merkel an der Trauerfeier begrüßt die TGD.

Ich finde es sehr begrüßenswert, wenn sich die TGD zu solchen allgemeinen politischen Anlässen äußert, die mit Migration, Integration, Islam etc. nichts zu tun haben.

Die Botschaft ist klar: Türkeistämmige Deutsche sind – zu Hunderttausenden – Staatsbürger wie alle anderen und haben sich darum auch für solche das ganze Land bewegenden Ereignisse zu interessieren.