Lesezeichen
 

Die arabische Kritik an Hamas wird lauter

Tariq Alhomayed, der Kommentator der wichtigsten panarabischen Zeitung Asharq Alawsat, ist wieder einmal in großer Form.

Er hat das hier von mir analysierte Interview mit dem Hamas-Führer Khaled Meshal gelesen und mach sich nun mit gehörigem Sarkasmus darüber her. 

Die militanten Islamisten sind wirklich seltsam, schreibt er, denn am Morgen greifen sie ihre eigenen Leute an, weil sie unterwürfige Agenten Amerikas seien (das bezieht sich auf dievon den Radikalen kritisierten „moderaten“ arabischen Regime), um dann am Abend selber direkt mit den Amerikanern reden zu wollen.

Tariq Alhomayed  Foto: Asharq Alawsat

 

Alle Extremisten und Schurken (Syrien, Iran, Hamas, Muslimbrüder) wollen auf einmal mit den Amerikanern reden. Der Grund dafür ist einfach, so Alhomayed: 

The reason for this is very simple; all of the above movements and countries with counterfeit slogans want to become part of the international community. They can no longer tolerate isolation, because the price of this has become too high, but they do not want to say so [openly] otherwise people will tell them; [if that is the case] why have you shed all this blood, and why have you brought all this destruction down upon us?

And so [now] here is Khalid Mishal telling the New York Times that Hamas is eager for a ceasefire with Israel, and ready to complete the deal [for the release] of the kidnapped Israeli soldier, which is the complete opposite of what Hamas and the chorus of [other] Arab blood traders told the public at the time.

At the time they were saying to let Israel kill as many innocent people as possible, as this will force them to stop their attack due to international pressure, which is what happened in the 2006 Lebanon war. After this Hamas declared victory, which is literally what one of the Hamas leaders in New York announced on the same day that the Arabs were trying to push through a UN resolution to stop the war in Gaza.

Ausserdem macht Alhomayed sich auch her über die Behauptung Meshals, man habe den Raketenbeschuß Israels ausgesetzt, um eine Revision der Strategie zu unternehmen. Wenn das so ist, dann stellt sich folgende Frage: 

„Mein Gott! Warum haben sie uns als Verräter und Agenten fremder Mächte bezeichnet, als wir gesagt haben, dass ihre Raketen nur aus Blech bestehen und kaum das Äussere der israelischen Häuser anzukratzen vermögen – trotzdem aber eine israelische Antwort auslösen, die Hunderte das Leben kostet!“

„Warum haben Sie uns Verräter und Agenten geschimpft, als wir sagten dass Hamas kein Recht hat, Unschuldige und Wehrlose zu gefährden, während ihre Führer in ihren Kellern saßen, in Moscheen und Schulen?“

Und schließlich:

It is unfortunate that Khalid Mishal now begins to speak with reason, after nearly 1,400 Gazans were killed, more than 5,000 were wounded, and a cost to the [Palestinian] economy of almost 1.9 billion dollars.

 

Wir sind Präses

Eine Grüne ist das neue Gesicht des deutschen Protestantismus

Katholische und evangelische Kirche liegen hierzulande ziemlich gleichauf, was die Mitgliederzahl angeht: je etwa 25 Millionen Gläubige. Aber was das öffentliche Interesse angeht, könnte man meinen, gab es in den vergangenen Jahren eine klare Neigung zu Papstkirche.
Kann es sein, dass sich das Blatt nun wendet? Die Protestanten haben am vergangenen Wochenende auf ihrer Synode in Würzburg eine kleine Kulturrevolution angezettelt. Die ostdeutsche Grünen-Politikerin Katrin Göring-Eckardt hat den ehemaligen bayerischen Ministerpräsidenten Günther Beckstein mit 72 zu 50 Stimmen auf den zweiten Platz verwiesen und wird damit Präses, also Chefin des einflussreichen evangelischen Kirchenparlaments. Jung, grün, weiblich und aus dem Osten: Für sechs Jahre soll die 42-jährige Thüringerin nun das Gesicht und die Stimme der 25 Millionen evangelischen Laien sein.

Göring-Eckardt Foto: Bundestag

Es werden entscheidende Jahre. Denn schon im Herbst muss ein neuer EKD-Vorsitzender in die riesengroßen Fußstapfen von Bischof Huber treten. Oder erstmals eine Vorsitzende? Katrin Göring-Eckardt wird als EKD-Ratsmitglied dabei entscheidend mitzureden haben. Und so kann es durchaus sein, dass bald noch eine weitere Frau an die Spitze des deutschen Protestantismus aufsteigt: Margot Käßmann, die Bischöfin von Hannover, auch gerade erst fünfzig Jahre alt. Zwei berufstätige Mütter stünden dann für das Evangelische – toughe, meinungsstarke und attraktive Frauen, die beide gegen Widerstände ihren Weg gemacht haben.
Der scheidende Bischof Huber hat seiner  Kirche mit zahlreichen Interventionen – zum Klima, zur Armut, zum Dialog mit dem Islam, zur Unverantwortlichkeit der Manager – wieder ein öffentliches Gewicht gegeben. Aber gegen den Sog der anfänglichen Papst-Euphorie kam auch er nicht an. Selbst noch in seinen späteren Skandalen war Benedikt meist interessanter als die klügste EKD-Einmischung. »Vatikanisierung« der EKD haben seine Neider Huber vorgeworfen. Das war ungerecht, wenn es auch tatsächlich einen klammheimlichen Neid der Protestanten auf die katholische Konkurrenz im Kampf um die fromme Hegemonie in Deutschland gab.
Mit einem Team Göring-Eckardt/Käßmann könnte etwas kippen: Die Evangelischen kämen wieder in die Vorhand bei der Frage, was »Kirche der Freiheit« heute bedeutet – ein Teil dieser Gesellschaft zu sein und doch einem Heilsversprechen treu zu bleiben, das nicht von dieser Welt ist.
Beide Frauen können sehr lebhaft von dem alltäglichen Kampf erzählen, den das bedeuten kann, von Erfolgen ebenso wie von Bedrängnis und Scheitern – als christliche Dissidentin im Osten die eine; als Frau, die mit Kindern, Karriere und Krankheit jonglieren musste und eine Scheidung nicht vermeiden konnte, die andere.
Mit der Grünen an der Spitze der EKD endet ein Vierteljahrhundert, in dem die führenden Evangelischen stets Sozialdemokraten waren. Auch wenn früher einmal große Kirchenpolitiker wie der mehrfache SPD-Minister Jürgen Schmude diese Zeit geprägt haben: Es ist gut für die Glaubwürdigkeit der Kirche, dass das Abo der Sozialdemokratie auf dieses Amt nun abgelaufen ist. Die Sozialdemokraten haben im Übrigen durch ihren erbitterten Berliner Kulturkampf gegen den Religionsunterricht selbst einiges zur neuen Distanz beigetragen. Und die Kirche muss nach ihrer Niederlage an den Wahlurnen ihr politisches Engagement überdenken. Folgen daraus nun Rückzug und Entpolitisierung? Nein. Die Synodalen von Würzburg haben mit ihrer Wahl zum Ausdruck gebracht, dass sie nicht weniger gesellschaftliche Einmischung der Kirche wollen – aber doch eine weniger berechenbare als zuvor.
Wenn diese Einmischung gelegentlich etwas lebensfroher daherkäme, wäre schon viel gewonnen. Katrin Göring-Eckardt hat aus der DDR eine vitale Bindung an die Kirche mitgebracht, an die Kirche als Raum der Freiheit: »Ich hätte das nicht überstanden, wenn es damals die Kirche nicht gegeben hätte.« Durch die Wende ist sie seinerzeit aus der Theologie in die Politik getrieben worden. Sie brach ihr Studium in Leipzig ab, um sich politisch einzumischen. Nun ist sie als Politikerin berufen, das Kirchenvolk wieder stärker in der Gesellschaft in Erscheinung treten zu lassen.
Der deutsche Protestantismus neigt dazu, sich in Sorge, Mahnung und moralischer Selbstüberforderung zu verzetteln. Ob es nicht auch anders geht, wird die Probe für die Neue: »Wir müssen öfter zeigen«, sagt Göring-Eckardt, »dass es uns erleichtert und nicht etwa beschwert, Christen zu sein.«
Dass die evangelische Kirche im Jahr 20 nach der Wende eine Bürgerrechtlerin aus Thüringen an ihre Spitze wählt, die einen »fröhlichen, einladenden Protestantismus« vertritt, ist kein schlechter Anfang.

 

Wie Amerika mit Hamas umgehen sollte

Die amerikanische Debatte über Hamas geht weiter.

Akzeptiert sie als Teil einer palästinensischen Einheitsregierung, rät Peter Beinart, einer der führenden „Falken“ unter den Intellektuellen der demokratischen Partei.

Er ist kein Naivling. Einer seiner Freunde starb in einem Bus, den Hamas in die Luft gejagt hatte.

So there’s a negative reason for the U.S. and Israel to talk to a government that includes Hamas, the same negative reason the U.S. talked to the Baathists and seems set to talk to the Taliban: not talking isn’t working out very well. But that alone doesn’t justify a change in policy. Critics point out that dealing with Hamas would break precedent, since the U.S. never publicly dealt with Yasser Arafat’s Palestine Liberation Organization until it accepted Israel and renounced violence. They say Hamas must be forced to choose between the ballot and the bullet. They’re right — it must. But what matters is getting it to choose, not whether Hamas chooses before we talk to it or after. The Irish Republican Army only publicly renounced armed struggle in 2005, a full seven years after the 1998 Good Friday Agreement, which brought its civilian wing into the political process. And even in the case of the PLO, the U.S. and Israel negotiated secretly with Arafat for years before he finally met our demands.

To make a positive case for easing the boycott of Hamas, you have to believe that through negotiation the group can change — that it can moderate both its goals and the means it uses to achieve them. Ironically, the Israeli government once considered Hamas quite moderate. In the late 1980s, when the Israelis were primarily concerned with Arafat’s secular-nationalist terrorism, they allowed Hamas to hold rallies and appear on television, even as they banned the PLO. So if Hamas, in Israel’s view, was moderate once, could it moderate itself again? The group’s founding charter — which brims with anti-Semitism and rules out conceding any historically Palestinian land — doesn’t exactly fill one with hope. On the other hand, Hamas‘ leader in Damascus, Khaled Mashaal, declared a couple of years ago, „I speak of a Palestinian and Arab demand for a state on 1967 borders. It is true that in reality there will be an entity or a state called Israel on the rest of Palestinian land.“ Ephraim Halevy, a former head of Israel’s national intelligence agency, the Mossad, thinks Hamas‘ leaders understand that their „ideological goal is not attainable and will not be in the foreseeable future.“

Is he right? If you bring Hamas into the political process and it acquiesces in a peace deal, will it abandon its dreams of eradicating Israel or not? Will Palestinian statehood moderate Hamas — by making it invested in the status quo — or — simply whet its appetite for more?

We can’t know, but for now, it’s best to stop worrying so much about what Hamas says and try to create a situation in which we can better influence what it does. That doesn’t require any handshakes between Americans, Israelis and Hamas on the White House lawn. What it requires is this: at some point, Fatah and Hamas will probably form another national-unity government, which is what the Palestinian people badly want. In some form or another, that government will most likely include Hamas ministers. America should ignore them, just as we ignore the Hizballah ministers in the Lebanese government. But we should keep dealing with Abbas and the other non-Hamas types. This will do two things. First, it will allow commerce to start flowing into Gaza, since technically the strip won’t be under Hamas‘ control. In practice, of course, Hamas will help decide how the money is spent. But lifting the Israeli blockade — along with doing more to stop the smuggling of rockets into Gaza and returning kidnapped Israeli soldier Gilad Shalit — is crucial to getting a real, long-term cease-fire between Israel and Hamas. Once Gaza’s reconstruction begins, Hamas will have an incentive not to provoke Israel and blow up the entire process. The happier Palestinians are with what they have, the harder it will be for Hamas to jeopardize that in the name of a kamikaze mission to wipe Israel off the map.

If the U.S. pursues this path, Netanyahu may grumble. But a full two-thirds of Israelis think their own leaders should talk to a Palestinian unity government that includes Hamas. After all, what is the alternative? Trying to keep the Palestinians divided when their people desperately want unity? That will only make Abbas look like a U.S. and Israeli stooge; keep Gaza a festering, terrorism-breeding hellhole; destroy much of Barack Obama’s goodwill in the Muslim world; and foster war between Hamas and Fatah, and Hamas and Israel.

I don’t need any lectures on the evil of Hamas: 13 years ago, the organization blew up a Jerusalem bus carrying one of my friends. But sooner or later, America and Israel will have to start dealing with a Palestinian government that includes it for the same reason the U.S. is dealing with an Iraqi government that includes Baathists and is trying to broker an Afghan government that includes the Taliban — because it’s our best shot at getting terrorists out of the terrorism business. If there were an easier way, we’d have found it by now.

Mehr hier.

 

Hamas-Chef: Wir wollen einen Staat in den Grenzen von ’67

Das diplomatische Geplänkel zwischen der Hamas und der neuen amerikanischen Regierung geht weiter, diesmal mit einem Vorstoß von der palästinensischen Seite.
Der Politbüro-Chef der Hamas, Khaled Meshal, hat der New York Times ein Interview gegeben, das sich ganz offensichtlich an die neue amerikanische Regierung richtet. Es fällt in eine Zeit intensiver politischer Neubestimmung im Nahost-Prozess. In zwei Wochen wird der isralische Premier Netanjahu in Washington erwartet, um Obama die neue Linie seiner Regierung vorzustellen. Von einer Zweistaatenlösung wird dabei wohl nicht mehr die Rede sein. Die neue israelische Regierung versucht das Thema zu wechseln – vom Friedensprozess weg zur iranischen Bedrohung. In dieser Woche ist Avigdor Lieberman, der neuen Aussenminister, in Europa unterwegs, um seine Antrittsbesuche zu machen.
Nun also der Hamas-Chef: Meshal ruft auf, die 20 Jahre alte Hamas-Charta zu ignorieren, in der zur Zerstörung Israels aufgerufen wird. Er bietet einen zehn Jahre langen Waffenstillstand an. Und er beschränkt die Gebietsansprüche auf die Grenzen von 1967. Er beharrt auf dem vollen Rückkehrrecht der palästinensischen Flüchtlinge. Damit entspricht sein Angebot dem saudischen Friedensplan – bis auf einen Punkt: Die Anerkennung Israels ist von Meshal nicht zu haben. Arafat habe eben dies getan, argumentiert Meshal, und die Besatzung sei trotzdem weitergegangen.
Das ist nicht leicht von der Hand zu weisen.
Dieses Angebot Meshals ist bemerkenswert, obwohl es viele Hürden enthält. Es wird keinen vollständigen Rückbau aller Siedlungen geben können, sondern höchstens einen Deal, bei dem Land gegen einige wenige verbleibende Siedlungen getauscht wird. Und das vollständige Rückkehrrecht aller Flüchtlinge nach Israel ist schlicht nicht durchsetzbar, weil es das Ende des jüdischen Staates bedeuten würde. Hier wird es eine Kompensationslösung geben müssen.
Aber das Angebot eines langen Friedens ist schon bedeutsam. Es ist eine für den Hamas-Chef diplomatisch vertretbare Form der Anerkennung. Ein Land, mit dem man 10 Jahre Frieden hätte, wäre eine Realität, mit der man schließlich auch leben könnte/müsste.
Die Äusserungen können natürlich auch vorwiegend taktisch bedingt sein. Aber dass Hamas sich genötigt sieht, überhaupt Bewegungsfähigkeit zu demonstrieren, ist interessant.
Im übrigen sucht Meshal seine Ernsthaftigkeit zu untermauern, indem er auf den nahezu völligen Stopp der Raketenangriffe auf Israel im April hinweist.
Ob Hamas einen islamischen Staat in Palästina errichten wolle? Das liege am Ende in der Hand der Menschen. Hamas werde ihn nicht aufzwingen, so Meshal. Daran allerdings kann man – siehe die brutale Machtübernahme der Hamas in Gaza – Zweifel haben.

 

Zur Hinrichtung von Delara Darabi im Iran

Ein Kommentar von mir auf Zeit online (mehr hier):

„Ich kann die Schlinge schon sehen, Mama.“ Dies war Delara Darabis letzter Anruf bei ihrer Mutter. Am frühen Morgen des ersten Mai hat die 22-Jährige einen letzten verzweifelten Versuch unternommen, ihre Familie zu alarmieren. Doch die Henkersknechte im Gefängnis der iranischen Provinzstadt Rasht nahmen ihr das Telefon weg. Stunden später war sie tot durch den Strang.

Delara Darabi ist in Iran nach Schätzungen von amnesty international bereits die mindestens 140. Exekutierte in diesem Jahr. Mehr als eine Hinrichtung pro Tag in einem 70 Millionen-Volk! Nur in China werden in absoluten Zahlen noch mehr Menschen hingerichtet als in der Islamischen Republik. Iran jedoch kann sich eines traurigen Weltrekords rühmen: Das Land ist Weltführer bei der Hinrichtung von Angeklagten, die ihre Tat vor der Volljährigkeit begangen haben. Nirgendwo werden so viele Kinder und Jugendliche exekutiert – eine in weiten Teilen der Welt geächtete Praxis.

Delara Darabi soll 2003, im Alter von 17, gemeinsam mit ihrem damaligen Freund eine wohlhabende Kusine ihres Vaters überfallen und tödlich verletzt haben. Sie hat anfangs die Tat gestanden, wohl im Vertrauen darauf, so ihren Freund, der als eigentlicher Täter vermutet wird, retten zu können. Sie selbst würde nicht zum Tode verurteilt werden, konnte Delara hoffen, denn Iran hat internationale Konventionen unterzeichnet, die solche Exekutionen verbieten. Das war eine trügerische Hoffnung. …

Hier eine Dokumentation des Falls (nicht für schwache Nerven):

Ein wahrer Segen für die reaktionärsten Kräfte des Regimes ist dabei auch der internationale Streit um das iranische Atomprogramm: Die Welt hat heute andere, schlimmere Sorgen als die Menschenrechtslage in der Islamischen Republik. Es gab zwar eine internationale Kampagne von Menschenrechtlern für Delara. Aber die Regierungen des Westens haben für solche vermeintlichen Nebenschauplätze heute kaum noch einen Sinn, während sie Iran hindern wollen, die Bombe zu bauen.

Es wäre fatal, die Zusammenhänge nicht zu sehen: Die Atombombe würde die Machtbasis eben jener Kräfte stärken, die auch Delara Darabi hingerichtet haben. Sie haben kein Interesse an einem Ausgleich mit dem Westen. Im Gegenteil. Unser Entsetzen passt ihnen gut in den Kram. Denn Isolation ist überlebenswichtig für sie, und schauderndes Abwenden der Weltöffentlichkeit wäre ihnen gerade recht.

Es wird geschätzt, dass 130 weitere Fälle von minderjährig zu Tode Verurteilten in Irans Gefängnissen auf die Exekution warten.

 

Eine neue US-Haltung zur Hamas?

Nachdem in der letzten Woche  berichtet worden war, die Obama-Regierung dränge auf eine Gesetzesänderung dahingehend, dass es möglich gemacht werden soll, Hilfsgelder an eine palästinensische Einheitsregierung zu geben, noch bevor Hamas die so genannten Quartett-Kriterien erfüllt (Anerkennung Israels, Gewaltverzicht, Anerkennung bestehender Verträge), kommen nun weitere Hinweise auf einen amerikanischen Politikwechsel im Bezug auf Hamas.

Marc Lynch berichtet in seinem Blog von einem Vortrag des syrischen Botschafters in den USA vor dem (eher konservativen) Washingtoner Middle East Institute. Da behauptet der Botschafter, Washington habe Syrien gedrängt, auf Hamas einzuwirken, in eine Einheitsregierung einzutreten. (Bisher vergeblich.)

Zitat:

„Perhaps the most interesting single thing he said was the claim — repeated twice — that the U.S. was asking Syria to use its influence with Hamas to convince them to overcome its differences with Mahmoud Abbas and join a unity government.  That would be very interesting, if true. I have my doubts, given the administration’s very clear line against including Hamas in the unity government without its first meeting the Quartet pre-conditions, but it’s worth looking into.  According to Moustapha, Damascus supports a unity government and the Egyptian mediation, is pushing both Fatah and Hamas to compromise, and is urging the U.S. to be realistic about Hamas and to drop the Bush-era Quartet pre-conditions against dealing with it.  Syria has no intention of expelling Khaled Meshaal, in case you were wondering.“

Quelle.

 

Das Christentum und die große Stadt – vom Sinn des Pfingstwunders

Eine kleine vorgezogene Predigt zu Pfingsten:

Das Pfingstwunder konnte nur in einer großen Stadt geschehen – wo viele Fremde sich begegnen und aneinander vorbei reden. Ohne die “gottesfürchtigen Männer aus allerlei Volk, das unter dem Himmel ist”, von denen die Apostelgeschichte berichtet, wäre ein solches Wunder ja gar nicht nötig geworden.
Pfingsten ist der Ursprung der Kirche. Man hat bei der Deutung der Pfingsüberlieferung immer großen Wert darauf gelegt, dass durch das Pfingstwunder die “babylonische Sprachverwirrung” aufgehoben werde. Zweifellos ist das eine Pointe der Geschichte.  Einer der Zeugen wird zitiert: ”Wir hören sie mit unsern Zungen die großen Taten Gottes reden.” Und dann heißt es weiter: “Sie entsetzten sich aber alle und wurden irre und sprachen einer zu dem andern: Was will das werden?”

Und darin liegt für mich eine wichtige, oft übersehene Seite der Pfingstgeschichte: Das Christentum ist von allem Anfang an Stadtmission – eine frohe Botschaft in einer und für eine multikulturelle Gesellschaft. Die Apostel sprechen zu den “Juden und Judengenossen, Kretern und Arabern”.
Und von Anfang an hat ihr Sprechen auch Widerstände – ja sogar Entsetzen ausgelöst. Denn in dem Universalismus der christlichen Botschaft liegt etwas Umstürzlerisches. Die Menschheit in ihrer Vielgestaltigkeit anzunehmen und doch ihre Zersplittertheit nicht einfach hinzunehmen, wie es die Apostel nach Pfingsten taten, das war etwas Revolutionäres.
Kein Wunder, dass die harthörigen Städter sich über die in Zungen redenden Prediger lustig machen und ihnen nicht abkaufen wollen, dass ihre Botschaft für jedermann gilt und von allen verstanden werden kann: “Die andern aber hatten’s ihren Spott und sprachen: Sie sind voll süßen Weins.”
Das Christentum ist eine städtische Religion. Seine Gemeinde entsteht an Pfingsten aus der Situation einer bedrängten und verlachten Minderheit, die nichts für sich aufzubieten hat als ihre Botschaft und den “Heiligen Geist”.
Viele Zeitgenossen heute sind zu höflich, um es so offen zu sagen: Aber Christen müssen sich auch heute wieder einer Welt erklären, die die christliche Botschaft für “verrückt” hält. Das “Entsetzen” und der Widerstand gegen diese Botschaft sind immer noch da. Man hat die Apostel für Spinner und für Betrunkene erklärt.

Das wird oft zur Seite gedrückt durch den anderen Aspekt des Pfingstwunders – den großartigen Moment, in dem alle plötzlich die Botschaft in ihrer eigenen Sprache verstehen. Ja wohl, in ihrer eigenen Sprache: An Pfingsten wird keine neue christliche Einheitskultur mit einer Einheitssprache begründet. Die Unterschiede bleiben bestehen, und doch ist Verständigung möglich. Eine schöne Utopie für unsere zersplitterte und doch mehr und mehr aufeinander angewiesene globalisierte Welt.

Eine Welt, in der “Juden, Kreter und Araber” sich verstehen lernen und miteinander auskommen müssen.

 

Ägypten: Schweinekeulung als antichristlicher Kulturkampf?

Ägypten hat unter dem Eindruck der Schweinegrippe damit begonnen, alle Schweine des Landes zu töten. Professor Günter Meyer von der Universität Mainz vermutet hinter der Aktion einen Versuch, der christlichen Minderheit die Lebensgrundlage zu nehmen. Doch auch Muslime halten Schweine in Ägypten.

Aus einer Pressemitteilung der Uni Mainz:

„Bei dem gewaltsamen Widerstand der Müllsammler in Kairo gegen die behördlich angeordnete Schlachtung ihrer Schweine wurden am Sonntag 14 Personen verhaften und zahlreiche Menschen verletzt. Diese Auseinandersetzungen markieren den vorläufigen Höhepunkt der staatlichen Bemühungen, das Ärgernis der Schweinehaltung durch meist christliche Familien in dem überwiegend muslimischen Land zu beseitigen.
 
Professor Meyer, der Leiter des Zentrums für Forschung zur Arabischen Welt an der Universität Mainz, untersucht seit den 1980er Jahren die wirtschaftliche und soziale Entwicklung in den sechs Müllsiedlungen am Rande der ägyptischen Metropole. Nach seiner Ansicht „hat die Schweinegrippe nur den willkommenen Anlass für die Entscheidung der ägyptischen Regierung geliefert, den gesamten Schweinebestand des Landes töten zu lassen. Dabei wird die Vernichtung der wirtschaftlichen Existenz von mehr als 150.000 Menschen in Kauf genommen.“
 
Die Weltgesundheitsorganisation hat nachdrücklich unterstrichen, dass von den in Ägypten gehaltenen Schweinen keine Grippegefahr ausgeht. Es ist deshalb offensichtlich, dass die tatsächlichen Gründe für die Massenschlachtung ganz anderer Art sind:
 
Den ägyptischen Behörden waren die überwiegend christlichen Müllsammler schon lange ein Dorn im Auge. Diese erzielen den größten Teil ihre Einkünfte durch die Haltung von Schweinen, die vor allem mit Speiseresten und Küchenabfällen aus wohlhabenden Haushalten gefüttert werden. Für konservative Muslime ist jedoch die Schweinehaltung nicht akzeptabel, da der Koran den Genuss von Schweinefleisch verbietet. „Dass dort Schweine gehalten werden, ist eine Schande für das ganze Land“, bekam der Mainzer Geograph immer wieder zu hören, wenn er außerhalb der Müllsiedlungen seine Untersuchungen erwähnte.
 
Dennoch wurde bisher die Schweinehaltung toleriert, da sonst das gesamte System der Abfallentsorgung in den Stadtteilen der gehobenen Mittel- und Oberschicht zusammengebrochen wäre. Deren relativ wertvolle Haushaltsabfälle sicherten allein in Kairo das wirtschaftliche Überleben von rund 2000 Müllsammlerfamilien.
 
In den letzten Jahren haben sich jedoch mehrere private Großunternehmen der Abfallwirtschaft etabliert, die bisher vor allem den Müll aus den ärmeren Stadtteilen einsammeln. Die dortigen Abfälle enthalten jedoch zu wenig wertvolles Material, das eine profitable Wiederverwertung in modernen Recyclinganlagen lohnt. Diese Unternehmen werden jetzt die großen Gewinner sein, wenn sie auch die Abfallentsorgung in den wohlhabenden Stadtteilen übernehmen können, weil sich dies für die kleinen traditionellen Müllsammlerbetriebe nach dem Wegfall ihrer wichtigsten Einnahmequelle aus der Schweinehaltung nicht mehr lohnt.
 
Vor dem Hintergrund der Vogelgrippe hatte der ägyptische Präsident schon 2008 die Tierhaltung – insbesondere von Geflügel und Schweinen – aus hygienischen Gründen in dicht besiedelten Gebieten verboten. Diese Anordnung ließ sich im vergangenen Jahr nicht durchsetzen. Jetzt dagegen liefert die Schweinegrippe ein scheinbar überzeugendes Argument für die schon lange angestrebte Ausschaltung der Schweinehaltung.
 
Ein weiterer Grund, weshalb sich gerade konservative muslimische Parlamentarier vehement für diese gesetzliche Regelung einsetzen, ist darin zu sehen, dass die Schweinehaltung keineswegs nur von Christen, sondern auch von Muslimen betrieben wird – was in der Regel als schwerer religiöser Frevel angesehen wird. Bei Befragungen jedes zehnten Müllsammlerbetriebes im Großraum Kairo konnte Meyer feststellen, dass rund 20 Prozent der Müllsammlerfamilien Muslime waren, die ebenso wie ihre christlichen Nachbarn Schweine hielten. Auf die erstaunte Frage des Wissenschaftlers, wie dies mit dem Koran in Einklang zu bringen sei, war die Antwort jedes Mal die gleiche: „Der Prophet hat nur den Genuss von Schweinefleisch verboten, nicht die Haltung von Schweinen!“
 
Die Schweinehaltung nimmt als wichtigster Wirtschaftsfaktor eine Schlüsselrolle in dem aktuellen System der Abfallwirtschaft in Kairo ein, dessen Anfänge um 1880 Jahren zu suchen sind. Damals ließen sich völlig verarmte Zuwanderer aus den Oasen in der Westlichen Wüste in Kairo nieder. Die Wahis, d.h. „die Leute aus den Oasen“ sicherten ihr wirtschaftliches Überleben, indem sie die Abfälle aus den Haushalten der reichen Oberschicht einsammelten und dafür eine Gebühr erhielten. Außerdem verkauften sie das brennbare Material vor allem an öffentliche Badehäuser zum Erhitzen des Badewassers. In den 1920er Jahren gingen jedoch immer mehr Badehäuser dazu über, Heizöl statt Abfällen als Brennmaterial einzusetzen. Damit verloren die Wahis eine ihrer wichtigsten Einnahmequelle.
 
In dieser Phase strömten zahlreiche koptische Migranten aus christlichen Dörfern in Mittelägypten nach Kairo. Sie erkannten die Möglichkeit, die Küchenabfälle der Reichen als Schweinefutter zu nutzen. Nur zu gern traten die Wahis – gegen Entgelt – die mühselige Schmutzarbeit des aktiven Sammelns und Aufbereitens der Abfälle an die mittellosen koptischen Neuankömmlinge ab, die ihr wirtschaftliches Überleben durch die Schweinehaltung sicherten. Die Wahis kassieren jedoch nach wie vor die Gebühren für die Müllabfuhr von den jeweiligen Haushalten – für eine Leistung, die nicht von ihnen, sondern von den Zabbalin, den „Schweinehaltern“, erbracht wird.
 
Zur Sicherung ihrer lukrativen Pfründe schlossen sich die Wahis in einem öffentlich registrierten Müllkontraktoren-Verband zusammen. Als Mitglieder sind nur Personen zugelassen, die in fünf Dörfern der Dachla-Oase geboren sind, und deren Nachkommen. Dem Verband gelang es noch bis vor wenigen Jahren – zum Teil mit gewaltsamen Methoden – alle Konkurrenten abzuwehren, die sich ebenfalls in diesem einträglichen Abfallsektor etablieren wollten. Nur bei der Gruppe der Hausbesitzer gelang ihnen das nicht.“

(p.s. Professor Meyer ergänzt:)

In der Praxis funktioniert das System der Müllabfuhr in Kairo folgendermaßen: Wird ein Apartmentgebäude für relativ einkommensstarke Bewohner errichtet, so verkauft der Hausbesitzer das Recht auf Müllabfuhr an einen Müllkontraktor. Dieser kassiert in Zukunft die Gebühr für die Müllabfuhr von allen Haushalten des betreffenden Wohngebäudes. Außerdem erhält er einen einmaligen Betrag von dem Müllsammler, der damit das Recht hat, fortan den Abfall täglich aus den Haushalten abzuholen und zu verwerten.
Wie Meyer bei seinen Untersuchungen zeigen konnte, beziehen die Müllsammlerfamilien im Durchschnitt zwei Drittel ihrer Einkünfte aus dem Verkauf ihrer Schweine. Die übrigen Einnahmen stammen aus dem Verkauf des Schweinemistes und der Altmaterialien. Nachdem die aktuelle Wirtschaftskrise bereits zu einem Preisverfall bei den Altmaterialien geführt hat, bedeutet die staatlich verordnete Aufgabe der Schweinehaltung für die Zabbalin die Vernichtung ihrer wirtschaftlichen Existenz. Erschwerend kommt hinzu, dass die angekündigten Entschädigungszahlungen für die geschlachteten Schweine nur etwa halb so hoch sind, wie die bisherigen Marktpreise.
Angesichts des drohenden Verlustes ihrer Lebensgrundlage ist es nur zu verständlich, dass sich die Müllsammler in ihrer Verzweiflung gewaltsam gegen die Tötung ihrer Tiere wehren und in der größten Müllsiedlung Manshiet Nasser die Sicherheitskräfte mit Steinen und Flaschen angegriffen haben. Allein in diesem Viertel werden rund 65.000 Schweine gehalten, die bisher ein wirtschaftliches Überleben für mehr als 50.000 Menschen sicherten.
Betroffen sind auch Tausende von Kleinbetrieben, die sich auf das Recyceln der Abfälle spezialisiert haben. Es bedeutet auch das Ende dieser Kleinbetriebe, wenn nach dem Ausscheiden der traditionellen Müllsammler die Großunternehmen mit ihren modernen Recycling-Anlagen die Abfallentsorgung übernehmen. Als Folge der Vernichtung der ägyptischen Schweinebestände werden mehr als 150.000 Menschen ihre wirtschaftliche Existenz verlieren.”

 

Was kommt nach dem Pumpkapitalismus?

Ein großartiger Essay von Ralf Dahrendorf im Merkur über die Welt nach der Krise. Auszüge:

Die hier verfochtene These ist, dass wir einen tiefgehenden Mentalitätswandel erlebt haben und dass jetzt, in Reaktion auf die Krise, wohl ein neuerlicher Wandel bevorsteht. Man kann dem hinter uns liegenden Wandel einen simplen Namen geben: Es war ein Weg vom Sparkapitalismus zum Pumpkapitalismus. (Ich habe diesen Weg vor einem Vierteljahrhundert beschrieben.(1)) Es geht also um vorherrschende Einstellungen zu Wirtschaft und Gesellschaft. Das sind nicht etwa nur Einstellungen der Unternehmer und Manager aller Art, sondern auch der Verbraucher, also der meisten Bürger. Das ist wichtig, auch wenn viele es nicht gerne hören, weil sie lieber ein paar Schuldige an den Pranger stellen wollen, als Selbstkritik zu üben.

Die Mentalitäten, von denen hier die Rede ist, haben etwas zu tun mit Max Webers Analyse Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus. Die brillante Schrift hat ihre Schwächen, Richard Henry Tawney hat schon früh gezeigt, dass es auch in katholisch geprägten Gegenden Kapitalismus gab.(2) Plausibel bleibt jedoch Webers These, dass der Anfang des kapitalistischen Wirtschaftens eine verbreitete Bereitschaft verlangt, unmittelbare Befriedigung aufzuschieben. Die kapitalistische Wirtschaft kommt nur in Gang, wenn Menschen zunächst nicht erwarten, die Früchte ihres Tuns genießen zu können. In jüngerer Zeit ist diese Wirkung häufig eher durch staatlichen Zwang erzielt worden. Russland, auch China haben diesen »sowjetischen« Weg genommen. Es lässt sich aber argumentieren, dass es in Teilen Europas eine Zeit gab, in der religiöser Glaube Menschen zum Verzicht und zum Sparen trotz harter Arbeit anhielt. Im calvinistischen Protestantis mus zumal galt das Jenseits als der Ort der Belohnung für den Schweiß der Arbeit im Diesseits.

Max Weber hatte England und Amerika im Sinn, als er derlei schrieb, wobei er für die luthersche Variante Raum fand. Auch gibt es in Europa noch sehr alte Leute, die sich an eine Zeit erinnern können, als Arbeit und Sparen die prägenden Lebensmaximen waren. (In den Vereinigten Staaten haben Veränderungen schon früher, gleich nach dem Ersten Weltkrieg, begonnen.) Seitdem aber hat überall ein Mentalitätswandel stattgefunden, den Daniel Bell in seinem Buch Cultural Contradictions of Capitalism in mehreren Aufsätzen beschrieben hat. Sein Thema dort ist »die Entwicklung neuer Kaufgewohnheiten in einer stark auf Konsum angelegten Gesellschaft und die daraus resultierende Erosion der protestantischen Ethik und der puritanischen Haltung«.

Das Buch erschien 1976. Schon damals sah Bell ein explosives Paradox im Kapitalismus. Auf der Seite der Produktion werden weiter die alten Werte von Fleiß und Ordnung verlangt; aber der Antrieb der Produktion ist in zunehmendem Maße »materialistischer Hedonismus und psychologischer Eudaimonismus«. Mit anderen Worten, der entwickelte Kapitalismus verlangt von den Menschen Elemente der protestantischen Ethik am Arbeitsplatz, aber das genaue Gegenteil jenseits der Arbeit, in der Welt des Konsums. Das Wirtschaftssystem zerstört gleichsam seine eigenen Mentalitätsvoraussetzungen.

Als Bell das schrieb, war der nächste Schritt der Wirtschaftsmentalität noch nicht getan, nämlich der vom Konsumwahn zum fröhlichen Schuldenmachen. Wann begann dieser Weg? In den achtziger Jahren gab es jedenfalls schon Menschen, die für ein paar hundert Mark auf eine sechswöchige Weltreise gingen und deren tatsächliche Kosten noch abzahlten, als schon niemand von ihren Freunden und Bekannten die Dias mehr sehen wollte, die sie in Bangkok und Rio gemacht hatten. Daniel Bell spricht zu Recht vom Ratenzahlen als dem Sündenfall. Nun begann der Kapitalismus, der schon vom Sparkapitalismus zum Konsumkapitalismus mutiert hatte, den fatalen Schritt zum Pumpkapitalismus.

Ein Zurück zur protestantischen Ethik wird es also nicht geben. Wohl aber ist eine Wiederbelebung alter Tugenden möglich und wünschenswert. Ganz wird man Daniel Bells Paradox des Kapitalismus nicht auflösen: Der Antrieb des modernen Kapitalismus liegt in Präferenzen, die die Methode des modernen Kapitalismus nicht gerade stärken. Weniger abstrakt formuliert: Arbeit, Ordnung, Dienst, Pflicht bleiben Erfordernisse der Voraussetzungen des Wohlstandes; der Wohlstand selbst aber bedeutet Genuss, Vergnügen, Lust und Entspannung. Menschen arbeiten hart, um im strengen Sinn überflüssige Dinge zu schaffen. Da tut es gut, an Ludwig Erhards ständige Mahnungen zum Maßhalten zu erinnern. Es ist auch wichtig, dass Menschen den Bezug zu unentbehrlichen Elementen des Lebensstandards – in diesem Sinne zu Realitäten – nicht verlieren.

Hat die Welt nach der Krise einen Namen? Das Fragezeichen, mit dem diese Anmerkungen begonnen haben, bleibt bestehen. Allzu viele Ungewissheiten verbieten die entschiedene Stellungnahme für den einen oder anderen Begriff. Zum Sparkapitalismus werden wir nicht zurückkehren, wohl aber zu einer Ordnung, in der die Befriedigung von Bedürfnissen durch die nötige Wertschöpfung gedeckt ist. Der »rheinische Kapitalismus«, also die Konsenswirtschaft der Großorganisationen, hat wahrscheinlich ausgedient. Sogar die Frage muss erlaubt sein, ob das System der Mitbestimmung irgend hilfreich war und ist bei der Bewältigung der Krise. Wenn die Frage nicht eindeutig bejaht werden kann, ist neues Nachdenken über die Formen der Berücksichtigung der »stakeholder« nötig. Der Pumpkapitalismus muss jedenfalls auf ein allenfalls erträgliches Maß zurückgeführt werden. Nötig ist so etwas wie ein »verantwortlicher Kapitalismus«, wobei in dem Begriff der Verantwortung vor allem die Perspektive der mittleren Fristen, der neuen Zeit, steckt.

 

Alles lesen.

 

Bitte, gebt Pakistan kein Geld mehr!

Dafür plädiert Fatima Bhutto, die Nichte der ermordeten Staatspräsidentin. Fatima Bhutto hat in Amerika studiert und lebt heute wieder in Karatschi. Es ist schon recht pikant, wie sie den Mann ihrer Tante Benazir angreift, der heute das Land regiert: ein Tunichtgut, korrupt, unfähig und bereitwillig, das Land den Taliban auszuliefern.


Fatima Bhutto

Obama – und die gesamte Welt – sollte Pakistan kein Geld mehr geben, schreibt Bhutto. Die horrenden Summen, die seit 2001 an das Land geflossen sind, habe weder Pakistan noch die Welt sicherer gemacht, sondern seien in „tiefen Taschen“ gelandet. Die pakistanische Regierung tue einfach ihren Job nicht: den Menschen Lebenschancen bieten, die Korruption bekämpfen, Wasserversorgung und Müllentsorgung gewärhleisten, die Terroristen bekämpfen:

It may surprise some Americans that even in the midst of this recession, billions of their tax dollars are given directly to the thievery corporation that is Pakistan’s government, never to be seen again. George W. Bush gave Pakistan a whopping $10 billion to fight terror, money that seems to have gone down the drain—or rather, into some pretty deep pockets. And it’s not just the U.S.—last week, international donors from 30 countries met in Tokyo and pledged $5 billion to Pakistan to “fight terror.” The IMF has given the country $7.6 billion in a bailout deal that boggles the mind. Saudi Arabia has generously pledged $700 million over the next four years, and the less-generous European Union an additional $640 million over the same period. And then there’s Obama’s promise of $1.5 billion a year, dependent, the White House says, on results.

It’s phenomenally silly to give that kind of money to a president who, before becoming president, was facing corruption cases in Switzerland, Spain, and England. Zardari and his wife, the late Prime Minister Benazir Bhutto, are estimated to have stolen upwards of $3 billion from the Pakistani Treasury—a figure Zardari doesn’t seem desperate to disprove, he placed his personal assets before becoming president at over $1 billion.

Mehr hier.