Wie man die Muslimbrüder (vielleicht) in Wahlen schlagen kann

Ein früheres Mitglied der Muslimbrüder fragt, wie die säkularen Kräfte in Ägypten sich auf die kommenden Wahlen vorbereiten müssen:

Why are the secular democratic forces in Egypt so much weaker than the Muslim Brotherhood?

One reason is that they are an amalgam of very diverse elements: There are tribal leaders, free-market liberals, socialists, hard-core Marxists and human rights activists. In other words, they lack common ideological glue comparable to the one that the Brotherhood has. And there is a deep-seated fear that opposition to the Muslim Brotherhood, whose aim is to install Shariah once they come to power, will be seen by the masses as a rejection of Islam.

What the secular groups fail to do is to come up with a message of opposition that says “yes” to Islam, but “no” to Shariah — in other words, a campaign that emphasizes a separation of religion from politics. For Egypt and other Arab nations to escape the tragedy of either tyranny or Shariah, there has to be a third way that separates religion from politics while establishing a representative government, the rule of law, and conditions friendly to trade, investment and employment.

The bravery of the secular groups that have now unified behind Mohamed ElBaradei cannot be doubted. They have taken the world by surprise by mounting a successful protest against a tyrant.

The secular democrats’ next challenge is the Brotherhood. They must waste no time in persuading the Egyptian electorate why a Shariah-based government would be bad for them.

 

Nutzt die ägyptische Revolte den Muslimbrüdern?

Die Muslimbrüder haben sich zuerst aus den Protesten herausgehalten. Ab heute ist das anders. Die älteste, mitgliederstärkste und wichtigste islamistische Gruppe weltweit, der Inbegriff des politischen Islam, hat sich hinter die Protestierenden gestellt. Nach den Freitagsgebeten kamen Tausende auch mit der Rückendeckung der „Ikhwan“ (Brüder) auf die Straßen.

Die Muslimbrüder waren viele Jahre ein wichtiges Element in der Selbstrechtfertigung des ägyptischen Regimes gewesen. Mubarak empfahl sich seinen westlichen Unterstützern als Bollwerk gegen die einflussreiche islamistische Bewegung. Der Westen ging auf den Deal ein und schaute zum Dank nicht so genau hin, wenn das Regime Islamisten (genau wie auch seine säkularen Gegner) verhaftete und folterte. Mit dem 11. September und seinen Folgen aber hatte sich das Spiel verändert. Mit al-Qaida und anderen global operierenden Dschihadisten tauchte ein radikalerer Zweig des politischen Islam auf, der die Muslimbruderschaft plötzlich in einem moderateren Licht erschienen ließ.

Der ehemalige ägyptische Muslimbruder Aiman al-Sawahiri prangerte die Muslimbrüder nun dafür an, dass sie an Wahlen teilnahmen: Sie sollten die jungen Männer lieber für den Dschihad mobilisieren, statt sie an die Wahlurnen zu treiben. Selbst die Hamas, der Zweig der Muslimbrüder in Gaza, der mit Gewalt gegen Israel kämpft, sieht sich der Kritik von al-Qaida ausgesetzt: Es sei zuwenig, nur um Land gegen die Juden zu kämpfen. Man müsse es als göttlichen Auftrag begreifen.

In jeder Nach-Mubarak-Regierung, die nicht eine Militärdiktatur ist, werden die „Brüder“eine Rolle spielen. Bei den letzten einigermaßen offenen Wahlen im Jahr 2005 kamen ihre Kandidaten auf etwa 20 Prozent. Wie viele in freien Wahlen für sie stimmen würden, ist schwer zu sagen, weil ihr Nimbus natürlich auch vom Verbot profitiert.

Die breite Volksbewegung gegen das Regime hat das Spiel der ägyptischen Regierung mit den westlichen Ängsten vor dem Islamismus nun aber endgültig als erpresserische Überlebenstaktik entlarvt. Nach dem Motto: Wenn wir nicht mehr da sind, dann wird dies hier ein zweiter Iran. Dafür spricht im Moment nichts. Die Muslimbrüder sind bisher nur ein Teil einer nationalen Bewegung. Sie führen die Proteste nicht an. Und der derzeitige Führer der MB, Mohammed Mehdi Akef, wird wohl kaum Ägyptens Chomeini werden.

Die Muslimbrüder wurden 1928 von Hassan al-Banna gegründet. Ihre beiden Themen waren von Beginn an das fundamentalisch-islamische Revival und der Anti-Imperialismus. Die beiden Wege dahin: die Islamisierung der Gesellschaft von unten und der paramilitärische Kampf. Sie hatten ein wechselvolles Verhältnis zu den ägyptischen Machthabern, sowohl zum König Faruk, der bis 1946 die Engländer im Land dulden musste, wie auch zu den „Freien Offizieren“ um Nasser und Sadat, die ihn 1952 stürzten. Hassan al-Banna wurde 1948 ermordet, die Bruderschaft in den Untergrund getrieben. Das anfängliche antiimperialistische Bündnis mit den Offizieren endete in Unterdrückung der Bruderschaft. Sayyid Qutb, der einflussreichste Denker der Brüder, trieb eine Radikalisierung voran, die zur Grundlage des modernen Dschihadismus wurde: die Unterdrücker waren keine Muslime, so Qutb, sondern Apostaten, und die ganze weltliche Ordnung der Gegenwart erschien im Licht der vorislamischen Zeit der Unwissenheit und Gottlosigkeit (Dschahiliya).

Dschahiliya Foto: Jörg Lau

Gewaltsamer Widerstand gegen diese Weltordnung wurde für Qutb zur religiösen Pflicht. Qutb wurde hingerichtet und damit zum Märtyrer. Bis heute werden seine Schriften in Kreisen der Muslimbruderschaft vertrieben. Die offizielle Haltung der Organisation wird aber von Qutbs internen Kritikern wie Hassan al-Hudeibi bestimmt, der Ende der sechziger Jahre gegen die Praxis des Takfir Stellung nahm: Nur Gott könne beurteilen, wer ein guter Muslim sei. Menschen dürften sich nicht wechselseitig zu Apostaten erklären und damit zum legitimen Ziel politischer Gewalt. Die Ablehnung von Takfir durch die MB war wiederum einer der Gründe für die Gründung radikalerer Abspaltungen wie des „Islamischen Dschihad“ und der „Jama’al Islamiya“. Letztere war für die Attentate auf Touristen in den achtziger Jahren verantwortlich. Wiederum eine ihrer Abspaltungen brachte 1981 vor laufenden Kameras den Präsidenten Sadat um, weil er nicht gemäß der Scharia regierte und Frieden mit Israel gemacht hatte.

Während der breite Strom der Muslimbruderschaft solchen Terrorismus verurteilt, unterstützen auch die Moderaten im Mainstream der Bewegung Attentate im Irak und in Israel als „legitimen Widerstand“. Der Ableger der Bruderschaft in Gaza, die Hamas, erkennt Israels Recht zu existieren nicht an. Die MB hat allerdings die Attentate vom 11. September als Taten von „Kriminellen“ bezeichnet, was al-Qaida gegen sie aufgebracht hat. Und der wichtigste Prediger der MB, Yussuf al Qaradawi, hat es Wahnsinn genannt, dass al-Qaida der ganzen Welt den Krieg erklärt hat. Diese Brüche im islamistischen Lager machen deutlich, dass es falsch ist, die Muslimbrüder in einem Kontinuum mit den militanten Dschihadisten zu sehen.

Heißt das, niemand muss sich vor einem möglichen maßgeblichen Einfluss der „Brüder“ auf die künftige ägyptische Politik fürchten? Nein. Die Bruderschaft hat das klare Ziel, die ägyptische Gesellschaft zu islamisieren, wenn auch auf dem legalistischen Weg. Das schariakonforme öffentliche Leben ist für die Bruderschaft als Ziel nicht verhandelbar. Nur über den Weg kann man streiten. Und Ägypten ist in den letzten Jahren schon von unten her stark islamisiert worden. Was mehr MB-Einfluss für die ohnehin schon belagerten Minderheiten bedeuten würde – wie Kopten oder Bahais – kann man sich ausmalen.

Und die ohnehin schon stockenden Bemühungen um eine Zweistaatenlösung in Nahost könnte man womöglich endgültig vergessen. Ägypten ist maßgeblich für die Abriegelung Gazas verantwortlich. Wie wird eine neue Regierung handeln? Zu erwarten wäre wohl, dass die Restriktionen für das von Hamas regierte Gebiet aufgehoben würden. (Allerdings könnte das die Hamas-Herrschaft auch destabilisieren, weil man ja nur unter Belagerung die Bevölkerung als Geisel halten kann.)

Aber welchen Einfluss die Bruderschaft auf ein neues Ägypten hätte, ist alles andere als ausgemacht. Die jungen Leute, die derzeit die Straßen beherrschen, haben nicht auf die Führung durch die Brüder gewartet, um gegen das Regime vorzugehen. Sie haben sich an den Tunesiern orientiert, die ebenfalls ohne die Islamisten ihren Pharao Ben Ali losgeworden waren.

Bisher hatte Demokratisierung in der islamischen Welt meist Islamisierung geheißen. Wer weiß, vielleicht ist diese Welle in Tunis gebrochen?

 

Tunesien: Blamage der europäischen Realpolitik

Die französische (und damit die europäische) Außenpolitik steht angesichts der tunesischen Revolution plötzlich in kurzen Hosen da.  Noch vor einer Woche hatte die Außenministerin Michèle Alliot-Marie den Aufstand gegen den Diktator Ben Ali als Problem mangelnder Professionalität der tunesischen Sicherheitskräfte behandelt. Von Demokratie ist trotz wochenlanger Proteste erst die Rede, seit der Diktator verjagt wurde. Le Monde schreibt, dass die französische Regierung noch am letzten Dienstag, nachdem das Regime in Tunis bereits zugibt, 21 Menschen bei Demonstrationen getötet zu haben, eine Polizeikooperation vorschlägt. Das ist ein Tiefpunkt der europäischen Diplomatie.

Mardi 11 janvier, tandis que la contestation gagne Tunis, des propos tenus par la ministre des affaires étrangères française, Michèle Alliot-Marie, devant l’Assemblée nationale, à Paris, suscitent une certaine consternation, y compris à l’intérieur du Quai d’Orsay. Le gouvernement tunisien vient d’établir un bilan de 21 civils tués par balles depuis le début des troubles, et Mme Alliot-Marie propose… une coopération policière.

La France veut faire bénéficier la Tunisie du „savoir-faire de (ses) forces de sécurité“, afin de „régler des situations sécuritaires de ce type“, explique la ministre, afin que „le droit de manifester soit assuré, de même que la sécurité“. L‘„apaisement peut reposer sur des techniques de maintien de l’ordre“, estime Mme Alliot-Marie.

La crise semble ainsi ramenée à un problème de professionnalisme des forces de l’ordre tunisiennes, auquel viennent s’ajouter les difficultés économiques.

Und wenige Tage später sieht das nun natürlich sehr peinlich aus. Während der iranischen Proteste nach den „Wahlen“ im letzten Jahr hatten die Franzosen die anderen Europäer noch angetrieben, deutlich Stellung zu beziehen. Doch wenn es um den Freund jenseits des Mittelmeers geht, erlischt der demokratische Furor.

Angst vor dem militanten Islamismus kann im Fall Tunesiens kaum geltend gemacht werden. Die ohnehin schwachen tunesischen Islamisten spielen keine nennenswerte Rolle. Doch viele Jahre lang hat man das Spiel von Ben Ali mitgespielt, der sich – wie seine Kollegen in Algerien, Ägypten und Libyen – gerne als Garant säkularer Ordnung inszenierte.

Auf Facebook ist der Bena Ali Wall of Shame entstanden, in dem immer weitere Zeugnisse (vor allem) französischer Geschmeidigkeit vorgeführt werden. In einem Blog auf lemonde.fr sind einige der peinlichsten Momente der französischen Tunesiendiplomatie aufgeführt, darunter zum Beispiel dieser Auftritt von Präsident Sarkozy in Tunis, wo man ihm den Goldenen Schlüssel der Stadt überreichte.

Nach der zweiten Minute spricht Sarkozy
sur l’islam en Tunisie, tolérant et ouvert, “qu’on aimerait voir dans tant d’autres pays”. “Il m’arrive de penser que certains des observateurs sont bien sévères avec la Tunisie, qui développe sur tant de points l’ouverture et la tolérance. Qu’il y ait des progrès à faire, mon Dieu, j’en suis conscient pour la France… et certainement aussi pour la Tunisie”, conclut le chef de l’Etat, avant de vanter le dynamisme de l’économie tunisienne.

Niemand weiß heute, was sich in Tunesien entwickeln wird. Nach einer islamistischen Revolution sieht es nicht aus. Nach einer Militärdiktatur bisher auch nicht. Bis auf die Ausnahme der Türkei waren das bisher die beiden denkbaren Formen des Wandels in der islamischen Welt.
Ob sich tatsächlich etwas Drittes entwickelt?
Immerhin: Die Politik der „Stabilität“ und des status quo, für die in diesem Fall vor allem die Franzosen stehen, ist blamiert.

 

Deutsche Muslime verurteilen Massaker an Christen

Es treffen auch Tage nach dem Anschlag von Alexandria immer noch neue Bekundungen des Abscheus von muslimischer Seite ein.  Ein paar Kernaussagen seien hier zusammengestellt (nur deutsche Quellen):

Der Koordinationsrat der Muslime schrieb am Samstag auf seiner Website:

Der Koordinationsrat der Muslime verurteilt diesen feigen und schrecklichen Anschlag auf das Schärfste. Der Sprecher des KRM Erol Pürlü äußerte sich bestürzt: „Wir verurteilen diesen schrecklichen und unmenschlichen Anschlag auf das Schärfste. Wer Menschen so hinterhältig und grausam Schaden zufügt und ermordet, kann sich auf keine Religion oder eine andere Weltanschauung berufen. Der Koran fordert den Schutz des Lebens und den Schutz von Gotteshäusern.“
Sure 22, 40: „Und wenn Allah nicht die einen Menschen durch die anderen abgewehrt hätte, so wären fürwahr Mönchsklausen, Kirchen, Synagogen und Moscheen zerstört worden, in denen Allahs Name häufig genannt wird.“

Der „Liberal-Islamische Bund“ schreibt:

Der Liberal-Islamische Bund verurteilt diesen heimtückischen Angriff auf das Schärfste. Dabei sehen wir uns an der Seite vieler Musliminnen und Muslime in Deutschland und in aller Welt. Unsere Gedanken sind bei den Opfern und ihren Angehörigen. Möge Gott ihnen allen die Kraft und Stärke geben, die nötig ist, um das Erlebte zu ertragen. Wir trauern in der Hoffnung, dass sich alsbald niemand mehr finden wird, dieses blutige Werk fortzuführen.

Im Internet kursieren Bekennerschreiben von al-Qaida nahen Gruppierungen. Sollten die Täter ihre mörderischen Pläne unter Berufung auf den Islam durchgeführt haben, so möchten wir hier klarstellen, dass es dafür keine theologische Rechtfertigung gibt. Der schreckliche Anschlag ist die Tat von feigen Fanatikern, die den rechten Weg längst verlassen haben.

Es liegt an uns allen, unmissverständlich klarzustellen, dass niemand im Auftrag Gottes handeln kann, wenn er andere Menschen ermordet. Es liegt an uns allen, solche Verbrechen beim Namen zu nennen und die Täter aus unserer Gemeinschaft auszuschließen. Es liegt an uns allen, den Tätern deutlich zu machen, dass sie keine Sympathie und keine Solidarität für ihr Handeln erfahren werden.

Die Antwort auf den Terror und auf das Schüren von religiösem Hass kann jetzt nur sein, dass sich Christen und Muslime gemeinsam wehren und sich nicht spalten lassen. Wir appellieren an die ägyptische Regierung, ernsthafte Schritte zu unternehmen, um die strukturelle Diskriminierung von Kopten und anderen religiösen Minderheiten in ihrem Land zu überwinden.

Das „Forum für Interkulturellen Dialog e.V.„, das dem türkischen Prediger Fethullah Gülen nahesteht,

„verurteilt den Bombenanschlag von Alexandria auf das schärfste. Es gibt keine im Islam begründete, theologische Rechtfertigung für eine solche Tat. Unsere Gedanken sind bei den Opfern und ihren Angehörigen.
Fethullah Gülen zu Terror im Islam:

Muslime sollten sagen: „Im wahren Islam gibt es keinen Terror.“ Niemand darf einen Menschen töten. Niemand darf einen Unschuldigen töten, selbst im Krieg ist das verboten. Niemandem steht es zu, zu diesem Thema ein Urteil zu erstellen. Niemand darf sich als Selbstmordattentäter betätigen. Niemandem ist es erlaubt, mit Bomben am Körper in eine Menschenmenge zu stürmen. Völlig unabhängig von der Religionszugehörigkeit der Menschen in jener Menge verbietet dies die Religion. Selbst im Kriegsfall ist das nicht erlaubt. Der Islam ist eine gerechte Religion, die auch richtig gelebt werden sollte. Es wäre definitiv falsch, auf dem Weg zum Islam von sinnlosen Ausreden Gebrauch zu machen. Wenn das Ziel, das man verfolgt, ein gerechtes Ziel ist, dann sollten auch die Mittel zur Erreichung dieses Ziels gerecht sein. Aus dieser Perspektive betrachtet, kann niemand dadurch ins Paradies eingehen, dass er einen anderen tötet. Kein Muslim kann sagen: „Ich werde einen Menschen töten und dann ins Paradies eingehen.“ Die Akzeptanz des Willens Gottes verdient man sich nicht dadurch, dass man andere Menschen tötet. Ein wahrer Muslim, der den Islam in all seinen Aspekten versteht, kann kein Terrorist sein. Jemand, der sich an terroristischen Aktivitäten beteiligt hat, kann kaum ein Muslim bleiben. Die Religion billigt es nicht, einen Menschen zu töten, um ein Ziel zu erreichen.

Der Penzberger Imam Benjamin Idriz schreibt zum gleichen Thema:

Als Imam und Vorsitzender des „Zentrums für Islam in Europa – München (ZIE-M)“ habe ich immer und immer wieder bekräftigt,
– dass Terror durch nichts auf der Welt zu rechtfertigen ist,
– dass diejenigen, die Anschläge verüben, Verbrechen gegen Gott und gegen die Menschheit begehen,
– dass das Ansehen unserer Religion, die den Frieden im Namen führt, durch die sinnlosen und verbrecherischen Taten verblendeter Gewalttäter geschändet und entstellt wird.
Mit den Mitgliedern des ZIE-M bin ich entsetzt und fassungslos, was unseren christlichen Brüdern und Schwestern in Alexandria angetan wurde.
Wir rufen denjenigen zu, die in Hass und Gewalt involviert sind, oder die dazu neigen, solche Verbrechen zu verharmlosen anstatt sie in aller
Schonungslosigkeit beim Namen zu nennen: Hört auf mit Eurem Tun und hört auf, Euch dabei auf Gott und auf unsere Religion zu berufen! Terror ist niemals eine Lösung, aber immer eine Sünde. Jeder Angriff auf eine Kirche – oder eine Synagoge – ist wie ein Angriff auf eine Moschee: eine Sünde und ein Verbrechen.
Im Namen Gottes und der Menschen:
denkt nach, glaubt an die wahre Botschaft des Islam und verbreitet Frieden! Wer sich bei solchem Tun auf Gott und auf unsere Religion beruft, stellt sich
in Wahrheit gegen Gott und gegen den Islam. Deshalb rufen wir auch alle Glaubensbrüder und -schwestern auf, keinesfalls aus falsch verstandener Solidarität potentielle Täter zu schützen oder ihr Tun zu verharmlosen! Der Islam gebietet uns, für die Sicherheit der Menschen in jedem Land, in dem wir leben, einzustehen. Deshalb ist für uns gemeinsame Wachsamkeit mit allen friedliebenden Menschen ebenso wie mit den zuständigen Behörden eine Selbstverständlichkeit. Gemeinsam müssen wir gegen Extremismus, gegen Gewalt wie gegen radikale Gesinnungen eintreten, egal gegen wen sie sich richten.

Der Koptisch-Orthodoxen Gemeinde in München drücken wir unsere Solidarität, unsere Betroffenheit und unser tief empfundenes Mitgefühl aus.
Wir wünschen Ihnen und Ihren Brüdern und Schwestern in Ägypten, dass Sie trotz des Entsetzens und der Trauer eine friedvolle Weihnacht feiern können und mit Gottes Segen ein Jahr der Aufrichtigkeit, des Miteinanders und der Überwindung von Konflikten gelingen wird!

Und schließlich, this just in, schreibt die Religionsgemeinschaft des Islam Baden Württemberg:

Als Religionsgemeinschaft des Islam verurteilen wir die Anschläge auf Christen und andere Minderheiten in muslimischen Ländern aufs Schärfste. Es ist höchst bedauerlich und inakzeptabel, dass Menschen aufgrund ihres Glaubens diskriminiert werden und dass ihnen sogar das Lebensrecht abgesprochen wird.
Nach islamischem Glauben stehen Menschen, die unschuldigen Menschen nach dem Leben trachten, außerhalb des Islam. Sie sind durch Gehirnwäsche manipulierte Menschen, die alle anderen als Feinde sehen, die nicht wie sie denken und glauben.
Der Islam verbietet solche intolerante, inhumane Aktionen und Auffassungen. Kein aufrichtiger gläubiger Muslim würde sich jemals zu einer solchen Untat  hinreißen lassen.
Wir kennen solche Menschen mit verzerrtem Glaubensbild zu genüge. Daher ist unser Anliegen die Aufklärung der Muslime hier wie dort.

 

Die Killerhaie des Mossad, Scharia in Oklahoma

Aus der Welt des Irrsinns, i.e. „Kampf der Kulturen“. Zwei Nachrichten von heute, die mir nahelegen, meine Frage von vor ein paar Wochen noch einmal zu wiederholen: Kann es sein, dass die Welt gerade durchdreht?

1. Juan Cole berichtet folgende Weiterung aus Ägypten, wo die Haie sich bekanntlich an deutschen Touristen vergehen. Der Gouverneur des südlichen Sinai hält es für möglich, dass der Mossad Haie in den Gewässern um Sharm El Sheik freisetzt, um der ägyptischen Touristenindustrie zu schaden. (Kein Witz, arabisches Original hier. Dass die israelischen Haie ausgerechnet deutsche Touristinnen in Ägypten angreifen, ergibt ja auch irgendwie Sinn. Ich freue mich schon auf das Weisser Hai-Remake von Quentin Tarantino: „Inglorious Beasts.“?)

„Even shark attacks in the Middle East get caught up in the Arab-Israeli conflict. The fifth victim of a shark attack this week at Sharm El Sheikh in Egypt’s Sinai, an elderly German woman, was killed this weekend.

The governor of southern Sinai, Muhammad Abd al-Fadil Shosha, said that it is not unlikely that the rumors that Israel’s intelligence service, Mossad, was releasing sharks into the waters around the Sharm El Sheikh resort in the Sinai on the Red Sea, in order to harm Egypt’s tourist industry. “It will take time to verify it,” he said. In the meantime, he noted, the strictest measures had been taken to halt swimming off the shore for 72 hours, after the death of a German swimmer. He also said that consultations were ongoing with scientists about how to deal with this sort of fish, which forensic investigation of its teeth had demonstrated to be a beast of prey. (I swear to God, that is what the Arabic article says he said!).“

2. Roger Cohen war in Oklahoma, wo jüngst ein Verfassungszusatz gegen den Vormarsch der Scharia angenommen wurde, der wahrscheinlich bald vor dem Supreme Court landen wird. Weniger als ein Prozent der Bevölkerung in dem Staat, der einst ein reines Indianergebiet war, sind überhaupt Muslime. Für die Einführung der Scharia in die Rechtssprechung hat sich bisher keiner von ihnen ausgesprochen. Der Initiator verteidigt das Amendment als „Präventivschlag“:

You might not expect Shariah, a broad term encompassing Islamic religious precepts, to be a priority topic at the Kumback given that there’s not a Muslim in Perry and perhaps 30,000, or less than one percent of the population, in all Oklahoma. And you’d be wrong.

Shariah is the new hot-button wedge issue, as radicalizing as abortion or gay marriage, seized on by Republicans to mobilize conservative Americans against the supposed “stealth jihad” of Muslims in the United States and against a Democratic president portrayed as oblivious to — or complicit with — the threat. Not since 9/11 has Islamophobia been at such a pitch in the United States.

The neoconservative Center for Security Policy in Washington recently described Shariah as “the pre-eminent totalitarian threat of our time.” Many Republicans, with Newt Gingrich leading, have signed up. Their strategy is clear: Conflate Obama with creeping Shariah and achieve the political double-whammy of feeding rampant rumors that he’s a closet Muslim and fanning the fears that propel a conservative lurch.

It’s not pretty, in fact it’s pretty odious, but to judge by the Republican surge last month, it’s effective in an anxiety-filled America.

Galvanized by State Question 755, barring “courts from considering or using Shariah Law,” Republicans swept to the Oklahoma governorship and veto-proof majorities in the Legislature for the first time.

Question 755 was “a pre-emptive strike,” in the words of its most active proponent, Republican State Representative Rex Duncan, whose portrait hangs in the Kumback. The question arises, given the quiet on the prairies, against whom? A prominent Oklahoma pastor, Paul Blair, told me it was aimed at those “whose plan is not to coexist but bring the whole world under Islam.”

A preliminary federal injunction, granted after a prominent local Muslim, Muneer Awad, challenged the constitutionality of the amendment in the nation where “Congress shall make no law respecting an establishment of religion, or prohibiting the free exercise thereof,” has blocked its certification for now. The very curious case of Shariah and Oklahoma may be headed to the Supreme Court.

 

Das Kopftuch als Befreiung?

Christina  von Braun, Kulturwissenschaftlerin in Berlin, habe ich in diesem Blog vor Jahren schon sehr heftig angegriffen, vielleicht ein bisschen zu polemisch. Nun hat sie der ZEIT (Printausgabe von morgen) ein Interview gegeben, in dem sie sich wieder mit der Frage des Feminismus und des Kopftuchs beschäftigt. Ich spare mir diesmal die Polemik, gebe aber erneut zu Protokoll, dass mich die Verharmlosung der Lage der Frau im Islam einfach baff macht, wie offenbar auch meine Kollegin Susanne Mayer, die das Interview geführt hat. Ich verstehe zwar Brauns Beunruhigung über die extreme Polarisierung in unserer Debatte der letzten Wochen (wie jeder Leser dieses Blogs weiß) – aber so kann man darauf doch nicht antworten:

ZEIT: Die Frauenbewegung wollte in der Vergangenheit  stets freie Räume eröffnen. Mein Bauch gehört mir! Ich trage, was ich will! Jetzt soll ein Verbot her – mit der Begründung, man müsse einen Raum schaffen, in dem Frauen nicht gezwungen werden können, ein Kopftuch zu tragen. Eine logische Volte – macht sie Sinn?

Von Braun: Einer der Slogans der Frauenbewegung war Virginia Woolfs Forderung: „Ein Zimmer für sich allein“. Vielleicht ist das Kopftuch eine Art, sich diesen Raum in einer fremden Öffentlichkeit zu verschaffen. Ich denke an muslimische Studentinnen, die vielleicht selbstbewußt ihr „Zimmer für sich allein“ auf dem Kopf tragen möchten.

ZEIT: Sie beschönigen!…

Allerdings. Es gibt Frauen, die das Kopftuch selbstbewußt und aus freien Stücken tragen, und es ist völlig richtig, auch für deren Rechte einzutreten.

Aber es ist doch wahnsinnig blauäugig, das Kopftuch per se als Fortsetzung des Feminismus mit anderen Mitteln hinzustellen. Virginia Woolf? Get real.

Baher Ibrahim, ein junger Medizinstudent in Alexandria (Ägypten), zeigt im Guardian, wie man sich des Vormarsches des Hijab feministisch annimmt. Er beschreibt den Trend, dass immer mehr junge Mädchen von acht Jahren an verhüllt werden und fragt sich, welche frauenfeindliche Vorstellung von Sexualität diesen Mädchen damit übergeholfen wird:

In general, the age at which Muslim girls in Egypt begin to wear the scarf has dropped. Back when I was in high school, very few female students wore headscarves. Today, my younger brother (who is 15) tells me that almost all the girls in his middle school wear a scarf. It hasn’t stopped there either, having caught on in primary schools.

The very sight of a little girl in a scarf is both disturbing and confusing. Adult Muslim women are expected to dress modestly so that men outside the family cannot see their bodies. But what is the point of a child or pre-pubescent girl wearing a hijab? It hints at what may be a disturbed (one is tempted to say diseased) concept of sexuality in the mind of the father who thinks his little girl should be covered up. What exactly is tempting about the body of an eight-year-old that needs to be covered?

Baher Ibrahim hat Recht! Die jungen Mädchen, die so früh an den Hijab gewöhnt werden, haben später de facto keine Wahl mehr. Ist ja auch der Sinn der Sache. Es soll ihnen zur zweiten Natur werden, dass Frauen ihren Körper nicht zeigen dürfen. Das ist eine Sexualisierung des weiblichen Körpers, an der nichts sympathischer ist als an der viel beklagten Sexualisierung durch westliche Dekadenz und Pornografie. Es ist gewissermaßen eine invertierte Form (religiös begündeter) Pornografisierung des männlichen Blicks.

Getting a little girl „used to“ the hijab effectively obliterates the „free choice“ element by the time the girl is old enough to think.

The hijab is aggressively marketed as the proper attire for a respectable woman. That isn’t new. What is new is that now even children are targets of this marketing. One need look no further than Fulla, the Middle Eastern version of Barbie, designed to suit Muslim values. When I recently stepped into a Toys R Us store in Cairo, it was quite shocking to see a Fulla doll clad in a headscarf and a full length abaya, the box proudly proclaiming „Fulla in her outdoor clothes“, in effect telling little girls that there is only one proper way to dress outside the house.

Many defenders of the hijab point to the influence of „decadent western culture“, endlessly criticising how western TV sexualises and objectifies women, though they fail to understand that they are doing they exact same thing to little girls when they constantly promote the hijab. If it is so important to cover up, there must be something worth covering up and hiding from men. Inevitably, little girls are taught to view themselves as sexual objects that must be covered up from an early age – and it is this culture permeating the minds of our younger generations.

To make matters worse, what about the brothers of these girls? Will they not grow up with the same mentality? If they see that their sisters have to be covered up from a very early age to avoid being exposed in front of men, it is only natural that they grow up with the concept that women have to be covered, controlled and restricted.

Männer sind manchmal eben die besseren Feministen. Wer’s nicht glaubt, lese den ganzen kämpferischen Text von Baher Ibrahim.

 

Syrien: verschleierte Lehrerinnen unerwünscht

Interessante Parallele zum französischen Burkaverbot: Syrien geht unter der Hand massiv gegen Nikab tragende Lehrerinnen vor. Ein gesetzliches Verbot gibt es zwar nicht, denn man will die Konservativen im Land nicht gegen das baathistische Regime aufbringen.
Aber der Economist berichtet, dass bereits über 1200 (!) voll verschleierte Lehrerinnen in andere Tätigkeiten bugsiert worden seien, weil dass Assad-Regime die islamistische Unterwanderung des Schulsystems fürchtet:
„Ali Saad, the education minister, is reported to have told teachers that the niqab undermines the “objective, secular methodology” of Syria’s schools.“

Auch in Syrien gibt es, wie in Ägypten, einen Trend zur Verhüllung als Zeichen religiöser Observanz. Vor wenigen Jahren wäre das – vor allem in gebildeten städtischen Kreisen wie unter Lehrerinnen – noch undenkbar gewesen.

Syrien unterhält als nominell säkular-sozialistische Republik ein ambivalentes Verhältnis zum politischen Islam. Damaskus beherbergt Hamas- und Hisbollah-Führer, doch unvergessen ist das Massaker von Hama an der Muslimbruderschaft, bei dem über 10.000 Menschen umkamen.

Der Economist zitiert eine Frauenrechtlerin: “The niqab is a Wahhabi way of influencing Syria and is a form of violence against women,” says Bassam al-Kadi, the outspoken head of the Syrian Women’s Observatory, a lobby that strongly supports the curb.

 

Das Islambild in den Medien

Mein Gastvortrag vom Dienstag, 6.7.2010, an der Goethe-Universität Frankfurt im Rahmen der Ringvorlesung: „Wieviel Islam verträgt Europa?“

Wo soll man bloß beginnen? Der Zugang der Muslime zu den Me­dien in Deutschland, das Bild des Muslims in den Medien, Muslime als Medienma­cher?
Woher nehme ich überhaupt die Berechtigung, über dieses Thema – Islam in den deutschen Medien – zu reden vor einem akademischen Publikum. Woher nehme ich das Recht, darüber zu schreiben? Denn: Islamwis­senschaftler wie viele von Ihnen hier bin ich nicht. Ich spreche weder türkisch noch arabisch und habe auch nicht Theologie oder Islamkunde studiert.
Trotzdem haben Sie mich ja eingeladen. Sie werden sich schon was dabei ge­dacht haben. Und ich fühle mich geehrt, in einer Reihe mit großen Fachleuten hier vor ihnen reden zu können. Sie werden von mir keinen wissenschaftlichen Vortrag er­warten, sondern eine Reflexion der Praxis, aus der ich selbst komme. Ich danke Ihnen für die Gelegenheit dazu, einmal innezuhalten und zu fragen: Wie über den Islam, die Muslime und islambezogene Themen berichten?
Immer mehr Muslime in Deutschland, Frankreich und Großbritannien glauben nicht, dass die Mainstream-Medien ausgewogen über sie berichten. Zu diesem Ergebnis kommt ein Pilotprojekt des Londoner Institute for Strategic Dialogue und der Vodafone Stiftung Deutschland.
55 Prozent der befragten Muslime vertraten die Auffassung, die großen Medien berichteten negativ über Muslime. Bei den nicht muslimischen Befragten waren es immerhin 39 Prozent.
Mehr als die Hälfte der Studienteilnehmer sind überzeugt, dass es in den meisten Berichten über Muslime um Terrorismus geht. Ein Drittel glaubt, dass vor allem Fundamentalismus eine Rolle spielt; ein Viertel nimmt als häufigstes Thema in der Berichterstattung über Muslime die Kopftuchdebatte wahr.
Natürlich haben diese Befragten nicht Recht in einem objektiven Sinn: Keineswegs geht es in der Mehrzahl der Berichte um Terrorismus. Und das Kopftuch ist immer noch ein Aufregerthema, aber das „häufigste“? Nein. Dennoch scheint es mir unbestreitbar richtig, dass die Intuition der Befragten stimmt, dass hier etwas im Argen liegt.
Ein jüngeres Beispiel: „Jung, muslimisch, brutal“ titelte Spiegel Online einen Bericht über die Studie des Kriminologen Christian Pfeiffer zum Zusammenhang von Religi­ösität und Gewaltneigung. Der Süddeutschen fiel zur gleichen Untersuchung die Zei­le ein: „Die Faust zum Gebet“.  blick.ch: „Macht Islam ag­gresiv? Jung, brutal — Muslim“, Tagesspiegel: „Allah macht hart“, heise.de: „Jun­ge männliche Macho-Muslime“, Financial Times Deutschland: „Studie zu jungen Muslimen — Je gläubiger, desto gewalttätiger“, Welt.de: „Studie — Gläubige Musli­me sind deutlich gewaltbereiter“, Welt: „Muslime — Mehr Religiosität = mehr Ge­waltbereitschaft“, Bild.de: „Junge Muslime: je gläubiger desto brutaler“, Hamburger Abendblatt: „Junge Muslime: Je gläubiger, desto brutaler“.
Das ist die Ausbeute der Schlagzeilen, und sie ist nicht einmal vollständig. In Wahr­heit steht in der Studie allerdings, Weiter„Das Islambild in den Medien“

 

Noch mehr gute Argumente für (und wider) ein Burka-Verbot

Irgendwie lässt mir das Thema keine Ruhe, auch wenn ich es weiß Gott nicht für das zentrale Problem beim Umgang mit dem Islam in Deutschland halte. Gestern habe ich es wieder getan. Der SWR hat einen Kommentar zum Burkaverbot in Deutschland von mir gesendet. Ich erspare den Mitbloggern die Argumente, die sie schon kennen.
Neu ist in unserem Zusammenhang vielleicht dieser Aspekt:
Es ist aber kaum anzunehmen, dass sich durch ein Verbot die Freiheit der Frauen erhöht. Es kann sogar sein, dass der Staat, der den Vollschleier verbietet, sich zum Komplizen derjenigen macht, die Frauen auf diese eklatante Weise einschränken wollen.Wenn die Burka einerseits als Zwang und Gefängnis angesehen wird, andererseits aber genau diejenige bestraft wird, die dem Zwang unterliegt – also die betroffene Frau -, dann ist das eine fragwürdige Vorstellung von Opferschutz.
Und dieser:
Was soll mit den Frauen geschehen, die bei der Kleiderkontrolle im öffentlichen Raum sagen, sie tragen den Vollschleier freiwillig? Wie wollen wir ihnen nachweisen, dass das nicht stimmt?
Der Iran hat eine Sittenpolizei, die bei Frauen den korrekten Sitz des Kopftuchs kontrolliert. Wollen wir, dass auf unseren Straßen unter umgekehrten Vorzeichen Verschleierte angehalten und bestraft werden? Eine liberale Sittenpolizei – welch eine absurde Vorstellung!

Ich muß freilich gestehen, dass ich mir trotzdem alles andere als sicher bin bei meinem Urteil in dieser Frage.
Die Tontechnikerin im Hauptstadtstudio verwickelte mich sofort in eine Debatte. Sie war lange Jahre mit einem Ägypter zusammen und fand jede Form der Toleranz gegenüber dem Vollschleier falsch. Sie konnte meine Argumente gegen die Umsetzbarkeit eines Verbots zwar nachvollziehen, aber ihre Erfahrungen mit einem seinerzeit noch leidlich säkularen Ägypten, das heute von Nikabs überschwemmt wird, machten sie sehr viel alarmierter als ich es bin (was die Lege hierzulande angeht).
Und wenn ich Berichte lese wie diesen, der von einem Bewohner eines reichen Viertels in Chicago stammt, in dem viele Araber wohnen, kann ich nur sagen: Ich verstehe absolut das Unbehagen. Ich würde auch nicht gerne in einer Gegend wohnen, in der diese Frauen zur Normalität gehören:

I live in the extremely multi-ethnic Uptown neighborhood of Chicago. The high-rise across the street from me has a large fundamentalist Muslim community living in it, and there are several dozen fully-veiled women who live in the building. I run into them at the bus stop, the grocery store, McDonald’s – pretty much all over my ‘hood.

And although I’m an uber-liberal urbanite who embraces my multi-culti neighborhood, I have to confess: there is nothing creepier than having a burqa-wearing woman coming at you in the cereal aisle. I’ve lived here for years and see them all the time, but I can’t help but find them spooky. They’re wraith-like and eerie. I know I’m not supposed to admit that, but it’s true.

I understand that it is (theoretically) their choice to wear the veil, but the same is not true of their daughters. I have seen few sadder things in my life than the day I ran into one of my neighbors at the store, and saw that her adorably goofy and energetic little daughter had suddenly been converted into a somber, ghostly, black-clad shadow of herself. That was the first time I felt like a burqa ban might not be such a bad idea….

Und auch dieser Vergleich der Burka mit der Ku-Kux-Klan-Kapuze von Christopher Hitchens hat etwas:

Let me ask a simple question to the pseudoliberals who take a soft line on the veil and the burqa. What about the Ku Klux Klan? Notorious for its hooded style and its reactionary history, this gang is and always was dedicated to upholding Protestant and Anglo-Saxon purity. I do not deny the right of the KKK to take this faith-based view, which is protected by the First Amendment to the U.S. Constitution. I might even go so far as to say that, at a rally protected by police, they could lawfully hide their nasty faces. But I am not going to have a hooded man or woman teach my children, or push their way into the bank ahead of me, or drive my taxi or bus, and there will never be a law that says I have to.

Ein exzellenter Hintergrundbericht zum ägyptischen Streit um den Vollschleier von Andreas Jacobs, dem Leiter des Kairoer Büros der Adenauer Stiftung, findet sich hier. Zitat:

„Die Kontrahenten sind auf beiden Seiten Ägypter und Muslime. Für die Gegner der Vollverschleierung, darunter zahlreiche Regierungs- und Religionsvertreter, ist es daher völlig selbstverständlich, den Niqab als ‚dummen Unfug‘ und seine Trägerinnen als ‚Verrückte‘ zu bezeichnen. Außerdem, und diese Position teilen auch viele streng religiöse Ägypter, sei die Vollverschleierung ein gänzlich ‚unägyptischer‘ Import aus dem Ausland, der die gesellschaftliche und religiöse Integrität des Landes unterwandere.“

 

Hat Obama die Demokratisierung aufgegeben?

Die Neocons sind endlich wieder da, wo sie hingehören: in der Opposition. Und dort können sie vielleicht wieder wertvolle Beiträge leisten, indem sie die Regierung kritisieren. Augenscheinlich sind sie darin besser als im Regieren, wie die Bilanz der Regierung Bush zeigt.

Joshua Muravchik, eines der wenigen verbliebenen (intellektuellen) Neocon-Schwergewichte nimmt sich nun die Obama-Aussenpolitik vor und durchleuchtet sie auf den Status der Demokratie hin.

Obama habe einen Pfeiler der amerikanischen Aussenpolitik seit Carter, Reagan und Clinton aufgegeben, meint Muravchik – die Demokratisierungs-Agenda.

Muravchik

Seine Belege findet er in der neuen Weise, wie die Obama-Regierung mit China, Russland, Birma und Sudan umgeht – vor allem aber in der Nahost-Politik, aus der die Demokratisierung als Ziel nahezu völlig getilgt worden sei. (Was er nicht schreibt, ist allerdings, dass dieser Wandel bereits in den späten Bush-Jahren eingesetzt hatte – spätestens nach dem Sieg der Hamas in Gaza und dem Erfolg der Muslimbrüder bei den Wahlen in Ägypten. Und es wird natürlich auch nicht bilanziert, was Bushs Politik zum Niedergang der Demokratie-Agenda beigetragen hat. Aber geschenkt…)

Muravchiks Panorma ist recht beeindruckend und verlangt nach einer Antwort.

Besonders im Bezug auf das arabische Schlüselland Ägypten macht Muravchik einen Politikwechsel dingfest:

Perhaps the clearest shift in U.S. policy has been toward Egypt. By far the largest of the Arab states, and the most influential intellectually, Egypt has also been the closest to Washington. Thus, the Bush administration’s willingness to pressure the government of Hosni Mubarak was an earnest sign of its seriousness about democracy promotion.

For their part, Egyptian reformers urged the U.S. to make its aid to Egypt conditional on reforms. The Bush administration never took this step, but the idea had support in Congress, and it hung like a sword over the head of Mubarak’s government. Obama has removed the threat.

Und in der Kairoer Rede fällt Muravchik besonders stark die merkwürdige Betonung des Kopftuchs auf:

At three different points in the speech, Obama defended a woman’s right to wear the hijab, apparently as against the restrictions in French public schools or Turkish government offices or perhaps in the U.S. military, which insists on uniform headgear. But he said not a word about the right not to wear head covering, although the number of women forced to wear religious garments must be tens of thousands of times greater than the number deprived of that opportunity. This was all the more strange since he had just arrived from Saudi Arabia, where abbayas—head-to-toe cloaks put on over regular clothes—are mandatory for women whenever they go out. During Obama’s stop in Riyadh, the balmy spring temperature was 104 degrees; in the months ahead it will be twenty or thirty degrees hotter. The abbayas must be black, while the men all go around in white which, they explain, better repels the heat.

Nor did Obama mention either directly or indirectly that all Saudi women are required to have male “guardians,” who may be a father, husband, uncle or brother or even a son, without whose written permission it is impossible to work, enroll in school or travel, or that they may be forced into marriage at the age of nine. Speaking on women’s rights in Egypt, he might—but did not—also have found something, even elliptical, to say about genital mutilation, which is practiced more in that country than almost anywhere else.