Was die DDR für Marwas Tod kann

Fragt sich die Vorsitzende der säschsischen Landtagsfraktion der Grünen, Antje Hermenau, in einem bedenkenswerten Stück (ebenfalls in der heutigen taz).

Die DDR-Tradition der Abschottung von Einwanderern hat ein unheilvolles Erbe hinterlassen, meint sie. Und man muss die Grünen wirklich dafür leiben, dass sie solche Fragen stellen, denen sich alle anderen gerne verweigern wollen: Hat die Fremdenfeindlichkeit im Osten etwas mit dem sozialistischen Staat zu tun?

Als 1989 die Mauer fiel, lebten etwa 192.000 Ausländer in der damaligen DDR. Viele von ihnen waren Arbeitsmigranten, in der DDR ‚Vertragsarbeiter‘ genannt. Sie waren über staatliche Abkommen ins Land gekommen. Das SED-Regime achtete streng darauf, dass sie nach der vereinbarten Zeit wieder in ihre Heimatländer zurückkehrten. Während sie in der DDR lebten, wohnten sie abgeschottet in Heimen, über die Einzelheiten der Abkommen mit ihren Herkunftsländern war bei der Bevölkerung wenig bekannt.

Ein Miteinander zwischen einheimischer und eingewanderter Bevölkerung, das über demonstrative Gastfreundschaft hinausging, war nicht vorgesehen. Bestehende Ressentiments und fremdenfeindliche Übergriffe, die es sehr wohl gab, wurden tabuisiert und geheim gehalten. Im Gegensatz zur Bundesrepublik gab es keine Normalisierungsprozesse zwischen Eingeborenen und Eingewanderten.

Dieses Erbe der Vergangenheit ist auch heute noch in Ostdeutschland gegenwärtig. Auch 20 Jahre nach der Wende gibt es ausreichend Anzeichen, dass die Vorstellung, Migrantinnen und Migranten seien nicht Teil dieser Gesellschaft, sondern eine Gruppe von ‚Besuchern‘ auch weiterhin verbreitet ist.(…)

Was in Sachsen und Ostdeutschland fehlt, ist eine aktive Auseinandersetzung mit dem DDR-Erbe sowie eine realistische Analyse zur Situation der Einwanderer in Ostdeutschland.

Die Ausschreitungen in Hoyerswerda 1991, der Tod von Jorge Gomondai in Dresden 1991 oder aber auch die Übergriffe in Rostock-Lichtenhagen 1993 hätten Anlass sein müssen, eine eigene ostdeutsche Debatte zu Zuwanderung, Fremdenfeindlichkeit und den Umgang mit Migrantinnen und Migranten in breite gesellschaftliche Schichten zu tragen.

(…)

Auch die politisch Verantwortlichen tragen zu einem Zerrbild bei, wenn sie in Veranstaltungen über den Islam hauptsächlich über die Gefahr von Terrorismus reden, statt über in Ostdeutschland tatsächlich bestehende Herausforderungen und Probleme von Menschen mit Migrationshintergrund zu diskutieren.

Der Mord an Marwa el-Sherbini hat auch etwas anderes deutlich gezeigt: Dass diese Frau hervorragend gebildet war, Deutsch sprach und das deutsche Rechtssystem nicht nur anerkannte, sondern sich ihm sogar anvertraute, hat sie nicht vor der schrecklichen Gewalttat bewahrt. Auch wenn sie schon bald nach Ägypten zurückkehren wollte, entsprach sie fast dem konservativen Wunschbild der „Integration“. Das hat sie nicht geschützt. Wir müssen uns also die Frage stellen, ob wir in Sachsen den Menschen, die von vielen als „Fremde“ wahrgenommen werden, den Respekt entgegenbringen, auf den jeder, wirklich jeder Mensch Anspruch haben muss – unabhängig von Herkunft oder Religionszugehörigkeit.

 

Zur Kritik der arabischen Vernunft

Herzliche Einladung zu einer Veranstaltung im Haus der Kulturen der Welt, Berlin, am Mittwochabend dieser Woche:

Der bedeutendste arabische Vernunft- und Gesellschaftstheoretiker, Mohammed Abed al-Jabri (geb. 1935) ist in Deutschland nahezu unbekannt. Warum wurde das Werk al-Jabris bisher in Deutschland ignoriert? Eine Übersetzung auch nur eines seiner über 30 Werke und Aufsätze ins Deutsche, gab es bis vor kurzem nicht. 1995 machte die Islamwissenschaftlerin Sonja Hegasy den Verleger Reginald Grünenberg mit dem Werk von Mohammed Abed al-Jabri bekannt. Seitdem verfolgt Grünenberg das Projekt al-Jabris Hauptwerk auf Deutsch zu verlegen.
Aber erst Anfang 2009 konnte eine Einführung auf Deutsch herausgegeben werden. Dieses Buch ist Grundlage für die Veranstaltung des Zentrums Moderner Orient, Haus der Kulturen der Welt und des Perlen Verlags.

Mohammed Abed Al-Jabri Foto: Verlag
Seit über vierzig Jahren arbeitet der marokkanische Philosoph Mohammed Abed Al-Jabri an einer umfassenden und kritischen Reflexion des Niedergangs der arabischen Kultur. Sein Hauptwerk Naqd al-‚aql al-‚arabî, zu Deutsch: Kritik der arabischen Vernunft, erschien von 1984 bis 2001 in vier Bänden und löste von Marokko über Ägypten bis in die Golfstaaten kontroverse Diskussionen aus. Al-Jabri ist im besten Sinne ein ‚public intellectual’. Er will die rationale intellektuelle Tradition im islamischen Denken, die er insbesondere im arabischen Westen tradiert sieht, stärken. Hierzu greift er auf die Werke des andalusischen Aristoteleskommentators Averroes/Ibn Rushd zurück.
Mohammed Abed Al-Jabri absolvierte nach der Koranschule eine Schneiderlehre, wurde   anschließend Volksschullehrer sowie Übersetzer und begann 1958 ein Philosophiestudium in Damaskus. 1970 promovierte er mit einer Dissertation über Ibn Khaldun. Sein Wirken ist  besonders einflussreich, da Al-Jabri Inspektor und Bildungsplaner für die Ausbildung von Philosophielehrern in Marokko war. 1973 gab er das Buch „Einblick in die Probleme der  Schulausbildung“ mit einer Sammlung seiner Artikel heraus. Bis 1981 war er politisch in der oppositionellen ‚Union Nationale des Forces Populaires’ engagiert. Heute ist Al-Jabri Professor emeritus für Philosophie und islamisches Denken an der Universität Mohammed V. in Rabat, wo er bis 2002 unterrichtete. Im Dezember 2008 erhielt al-Jabri den Preis für freies Denken der Ibn Rushd Stiftung in Karlsruhe. Viele andere Preise hat er abgelehnt, etwa 1989 den Saddam-Hussein-Preis oder 2002 den Gaddafi-Preis für Menschenrechte.

Einführung: Stefan Weidner (Journalist, Autor), Moderation: Jörg Lau (DIE ZEIT). Mit Sonja Hegasy (Zentrum Moderner Orient, Berlin), Gudrun Krämer (Islamwissenschaftlerin, FU Berlin), Vincent von Wroblewsky (Philosoph und Übersetzer)

 

Der politische Islam blüht und gedeiht

Mitblogger C. Sydow (selber Mitbetreiber eines lesenswerten Nahost-Blogs) widerspricht der Analyse von Mshari Al-Zaydi:

Ich denke nicht, dass sich der politische Islam im Niedergang befindet.

Die angeführten Hinweise sind für mich nicht schlagkräftig.

Die Hizbollah hat bei den Wahlen im Juni alle Parlamenssitze, für die sie kandidiert hat, gewonnen. In den mehrheitlich von Schiiten bewohnten Wahlkreisen im Südlibanon erhielt sie etwa 90% der abgegebenen Stimmen.

Dito Palästina: Die Hamas hat die letzten Wahlen 2006 deutlich gewonnen.

In Ägypten, dem bevölkerungsreichsten arabischen Land, sind die Muslimbrüder die stärkste Oppositionsgruppe. Bei freien Wahlen würden sie vermutlich die größte Parlamentsfraktion stellen.

Wichtiger aber ist noch: Man kann den Erfolg islamistischer Bewegungen nicht allein an Wahlergebnissen messen. Ihr oberstes Ziel ist eine (Re-)Islamisierung der Gesellschaft. Diese erreicht sie zuerst über Predigten und die Indoktrinierung der Bevölkerung. Wahlen sind für das Ziel der Islamisierung nur einer von mehreren Wegen. Schaut man sich die gesellschaftliche Entwicklung in vielen arabischen Ländern oder auch in Pakistan an, scheint mir der Islamismus unverändert unverändert auf dem Vormarsch zu sein.

 

Drei Muftis in zwei Tagen: Wolfgang Schäuble internationalisiert den Dialog mit den Muslimen

(Aus der ZEIT Nr. 27 vom Donnerstag, 25. Juni 2009)

Kairo, im Juni
Das Smartphone des Großmuftis vibriert, er nimmt den Anruf an und beginnt hinter vorgehaltener Hand vernehmbar zu plaudern. Der deutsche Innenminister – Ehrengast bei diesem Dinner mit islamischen Würdenträgern – schaut kurz irritiert auf den Nil und fährt dann fort, andere Teilnehmer mit Fragen zu löchern: Wie stark sind die Muslimbrüder wirklich? Schützt der Staat die christliche Minderheit? Wie kooperiert die Regierung mit den theologischen Fakultäten?

Der Nil in Kairo, südwärts      Foto: Jörg Lau
Ägyptens Mufti Ali Gomaa hat unterdessen sein Gespräch beendet und tippt nun eine SMS. Neben ihm sitzt Großscheich Tantawi von der Al-Azhar-Universität, höchste Autorität des sunnitischen Islams. Doch auch er spricht ins Handy, und so verbringt der deutsche Innenminister den Rest des Dinners neben zwei plaudernden Turbanträgern, die offenbar durchaus Interesse am Dialog haben – nur nicht mit ihm.
Wolfgang Schäuble ist 3000 Kilometer weit geflogen, um das Gespräch mit den Muslimen zu internationalisieren. Er sucht in den Herkunftsländern dieser für Deutschland noch immer neuen Religion nach Partnern für das Projekt, das ihm zur politischen Lebensaufgabe geworden ist: die Einbürgerung des Islams in Deutschland. Schäuble wirbt in Alexandria, Kairo und Damaskus auch für seine Islamkonferenz.
Vor allem aber will er verstehen: Der Aufruhr in Iran treibt ihn um, bei dem Hardliner wie Reformer die Sprache des politischen Islams benutzen. Werden diejenigen sich durchsetzen, die Islam und Demokratie für kompatibel halten? Oder wird der militärisch-theologische Komplex der Islamischen Republik Iran die Reformer niederwalzen? Und wie geht es mit dem moderaten Islamismus der türkischen AKP weiter? Wird sich daraus ein glaubensbasierter, aber pragmatischer Konservatismus entwickeln wie in der euro­päischen Christdemokratie?

Landschaft mit Ministerkolonne Foto: Jörg Lau
Dass Entwicklungen in weit entfernten Ländern Rückwirkungen auf die deutsche Dis­kus­sion um den Islam haben werden, ist Wolfgang Schäuble nur allzu bewusst. In Kairo und Damaskus fragt er: Was tut ihr gegen die Radikalisierung der Jugend? Wie entwickelt ihr die Theologie weiter? Wie stellt ihr euch die Rolle des Islams in einer globalisierten Welt vor?
Es kommt an diesem Wochenende ernüchternd wenig zurück. Drei Muftis in zwei Tagen, neben den beiden Ägyptern noch ein Syrer, hinterlassen beim deutschen Innenminister das Gefühl: Bei diesem Kampf sind wir allein. Auf die arabischen Gelehrten kann er nicht bauen. Verkehrte Welt: Wer dem deutschen Innenminister zuhört, wie er die Würdenträger mit seinen besorgten Nachfragen wachzurütteln versucht, erwischt sich bei der Frage: Wer ist hier eigentlich der Obermufti? Wer macht sich mehr Gedanken um die Zukunft des Islams?
Gleich nach dem Dinner mit Nil-Blick rast Schäubles Kolonne zur Universität Kairo, wo der Minister eine Rede über das »Miteinander der Religionen« hält – unmittelbar gegenüber dem Saal, in dem 18 Tage zuvor der amerikanische Präsident eine Rede an die »muslimische Welt« gerichtet hat. Schäuble bemüht sich zwar, schon aus Gründen der Fallhöhe, nicht im gleichen Genre anzutreten. Er spricht über seine Erfahrungen mit der Islamkonferenz und über seine Vision für ein gleichberechtigtes und friedliches Zusammenleben der Religionen in Deutschland. Doch für viele unter den etwa 300 Zuhörern ist er in diesem Moment auch ein weiterer Repräsentant des Westens, der sich um Entspannung und Abrüstung im Krieg der Kulturen bemüht. Dass so eine »bedeutende Persönlichkeit«, wie die Moderatorin mehrmals betont, hierher gekommen ist, um sich der Debatte zu stellen, wird mit Genugtuung aufgenommen. Wie die Welt sich doch verändert hat: Ein Innenminister macht Außenpolitik. Die lange geforderte »Weltinnenpolitik« beginnt mit kleinen Schritten.
Und plötzlich, in dem stuckge­schmückten Foyer der Kairoer Universität, bekommt Schäuble doch noch die Debatte, die ihm die telefonierenden Muftis schuldig blieben: Ein ägyptischer Säkularer hält es für einen Fehler, dass der Staat überhaupt mit der Religion kooperiere. Eine Feministin sorgt sich um die Rechte der Frauen, wenn die konservativen Gläubigen mitbestimmen dürfen. Und eine Teilnehmerin mit Kopftuch fragt misstrauisch: Wollen Sie einen deutschen Islam schaffen, Herr Minister?

Der Innenminister trifft den Stellvertreter seines syrischen Kollegen   Foto: Jörg Lau

Nein, repliziert Schäuble. Er wolle überhaupt keinen »Islam schaffen«. Er sei bloß für die Rahmenbedingungen zuständig, unter denen die Muslime sich dann selbst entfalten müssten.
Das ist die politisch und juristisch korrekte Antwort. Aber sie ist nicht ganz aufrichtig. Denn natürlich geht es dem Minister um ebendies: die Förderung eines deutschen, eines europäischen, eines moderneverträglichen, westlichen Islams. Das ist eine Lehre der Nahostreise des Innenministers, die er so natürlich niemals aussprechen wird: In der islamischen Welt gibt es herzlich wenige brauchbare Partner für diese Entwicklung. Wenn man von zwei modernen theologischen Fakultäten der Türkei in Ankara und Istanbul absieht, muss man der Tatsache ins Auge sehen, dass die Reform des Islams ein langwieriger europäischer Kraftakt sein wird. Diese Reise macht das schmerzlich klar. In der Kairoer Uni sagt Schäuble, es sei jetzt »Zeit zu handeln«, sonst würden »die anderen« weiter die Religion missbrauchen, »um die Welt zu zerstören«. Großer Beifall.
Schäubles doppelte Mission, wie er sie in Kairo entfaltet, ist folgende: Wir Europäer, sagt er, müssen uns daran gewöhnen, dass die Religion, die wir als politischen Faktor schon abgehakt hatten, wieder sichtbarer geworden ist – und dies vor allem durch die muslimische Präsenz auf unserem Kontinent. Und die Muslime müssen, wenn sie die Gleichstellung mit anderen Religionsgemeinschaften erreichen wollen, ohne Vorbehalt ihren Frieden mit Rechtsstaat, Demokratie und Menschenrechten machen.

Omajadenmoschee in Damaskus     Foto: Jörg Lau
Schäuble sagt den Satz immer wieder, mit dem er seinerzeit die Islamkonferenz eröffnet hatte: »Der Islam ist ein Teil Deutschlands.« Wenn man sich in einigen Jahren zu vergegenwärtigen versucht, was die Große Koalition eigentlich zustande gebracht hat, werden diese sechs schlichten Worte dazugehören: Sie haben eine Zeitenwende im deutschen Selbstverständnis eingeläutet. Der Minister weiß das, und er ist unverholen stolz darauf. Er genießt die Verwirrung seiner Beobachter, dass der Autor dieser Worte derselbe Schäuble sein soll, der einst gegen die doppelte Staatsangehörigkeit polemisiert und die populistische Kampagne Roland Kochs gegen den »Doppelpass« unterstützt hatte.
Aber ist es wirklich derselbe? Ist das einfach nur konsequent, wie er selbst zu glauben scheint: Wer die Integration will – so die innere Logik, die den Schäuble des Jahres 2000 mit dem von heute verbindet –, darf sich eben nicht scheuen, Einwanderern die Loyalitätsfrage vorzulegen und eine Entscheidung für dieses Land abzuverlangen. Und darum sei er eben auch heute noch gegen die doppelte Staatsangehörigkeit.
Mag sein. Aber als Unterstützer einer hässlichen Kampagne wie seinerzeit kann man sich ihn eben einfach nicht mehr vorstellen. Und das spricht dafür, dass irgendetwas Grundlegendes passiert sein muss, ein auch für ihn selbst überraschender, unabgeschlossener Lernprozess.
Als er 2005 zum zweiten Mal Innenminister wurde, waren gerade die Bomben in Londoner U-Bahnen explodiert. Die Pariser Banlieue brannte, und kurz darauf starben Menschen wegen der dänischen Mohammed-Karikaturen. Während die Rechte vielerorts in Europa mit antiislamischer Rhetorik reüssierte, startete Schäuble mit der Islamkonferenz ein gesellschaftliches Experiment: Entspannungspolitik im Inneren, gegen den populistischen Strom der Zeit.

Freundlich grüßen Vater und Sohn Assad. Flughafen Damaskus    Foto: Jörg Lau

Wolfgang Schäuble ist stolz darauf, dass Rechtspopulisten in Deutschland kaum Chancen haben, mit Hetze gegen Moscheebauten und Kopftücher Stimmen zu gewinnen. Dass »Pro Köln« es nicht vermochte, die Domstädter gegen die geplante Großmoschee zu agitieren, schreibt er nicht zu Unrecht auch seiner Politik gut. In seiner eigenen Partei seien die Abwehrreflexe rückläufig: Klar könne man auch dort Menschen finden, erklärt er, die erst mal eine Abwehrhaltung einnehmen – »Muslime, uuh!« –, aber in Wahrheit seien die Leute in seinen Parteiversammlungen stolz, dass die Union bei dem Thema heute führe. Luftherrschaft über den Stammtischen bedeute, für klare Luft zu sorgen, »nicht sich dem Mief anzupassen«. Die Leute wollen vielleicht ja gar nicht, sinniert der Minister, »dass wir ihnen nach dem Mund reden«. Sie wollen Führung, sagt er verschmitzt. Wer mag, darf diesen Satz wohl auch auf andere Politik­bereiche beziehen.
Auf dem Rückflug von Damaskus, nach einem weiteren enttäuschenden Gespräch mit dem dortigen Großmufti, macht Wolfgang Schäuble schon Pläne für die nächsten vier Jahre. Weil wir auf die Scheichs und Muftis nicht zählen können, brauchen wir schnell eine richtige islamische theologische Fakultät in Deutschland. Er werde Druck machen, dass sich ein Bundesland der Sache annehme, sagt er. Der Innenaußenminister nun auch noch als Bildungsminister?
Deutschland hat noch kein Inte­grationsministerium, aber einen Integrationsminister in einem ganz wörtlichen Sinn: Er hält die widerstreitenden Pole in der Konferenz zusammen, die islamkritischen Feministinnen und die konservativen Herren von den Verbänden, die ihn gleichermaßen respektieren. Und er kann auch die skeptischen Teile der deutschen Mehrheit integrieren, vielleicht gerade weil er selber früher harte Töne angeschlagen hat. Und weil er auch das Inbild des harten Sicherheitsministers abgibt. In der Islamkonferenz, so hat es Navid Kermani als Teilnehmer formuliert, müssten »die Beteiligten gewissermaßen stellvertretend für ihre Gesellschaft lernen, wie kompliziert es sich mit den Identitäten verhält«. Das gilt ganz offensichtlich auch für ihren Erfinder.

 

In eigener Sache

Aufregende Tage müssen leider ohne die Kommentierung dieses Blogs vergehen – ich bin dieser Tage auf Reisen in Mecklenburg-Vorpommern, Ägypten und Syrien.

 

Where is my vote?

Die Frage aller Fragen im Iran. Mit diesem Logo liefen viele heute auf den Demos herum. Manche riefen auch: „Ahmadi, wo sind Deine 24 Millionen?“ Angesichts der Masse von Menschen auf den Strassen – nicht nur in Teheran, auch in den anderen Zentren der Islamischen Republik wie Kerman, Schiraz, Maschhad – eine schlagende Formel.

Die Islamische Republik ist zwar ein tyrannisches Regime. Aber weil sie aus einer breit getragenen Revolution hervorgegangen ist, die immer noch die Legtimationsgrundlage darstellt, darf sie das Volk nicht verlieren. Das unterscheidet Iran von unfreien Gesellschaften der Region wie Ägypten oder Syrien, in denen solche Szenen, wie wir sie dieser Tage sehen, undenkbar wären.

Auch heute Nacht wieder waren die Allahu akbar Rufe zu hören über den Dächern. Für die Regierenden muss das schauerlich klingen – denn mit diesen Rufen hatte auch Chomeinis Revolution gegen den Schah begonnen.

Für morgen ist zu einem Generalstreik aufgerufen.

p.s. Hilfreiche Websites: Andrew Sullivans Blog (in Weltmeisterform!) und Tehranbureau.

 

Obama: Keine Entschuldigung bei Muslimen

Der BBC gab Obama Auskunft über die Absichten seiner Rede in Kairo am kommenden Donnerstag.
Er werde sich nicht für die Bush-Jahre entschuldigen, sondern einen Dialog eröffnen, in dem wechselseitige Missverständnisse bearbeitet werden können.

Interessant, wie er auf die Frage der politischen Gefangenen in Ägypten reagiert: „there are some human rights issues“ . Und dann spricht er über „unversalistische Werte“, die den Gesellschaften der islamischen Welt nicht einfach übergestülpt werden könnten. Sie könnten aber von diesen Gesellschaften selbst übernommen und zu einem Teil ihrer nationalen Identität gemacht werden.

Mubarak wird als „verlässlicher Alliierter“ gelobt und dafür gepriesen, Frieden mit Israel gehalten zu haben sowie „unnötige Demagogie“ vermieden zu haben.

Ab Minute 10 wiederholt er sein Angebot an den Iran – „den Islamischen Staat Iran“, wie er sagt – seine legitimen Interessen in der Region ohne Atomwaffen zu verfolgen.

Interessant auch seine Antwort auf die Frage nach der europäischen Zögerlichkeit bei der Anwendung militärischer Gewalt. Nach Jahrhunderten von Erfahrung mit Verwüstungen durch Krieg müsse man die Skepsis der Europäer verstehen. So hat man das lange nicht mehr gehört, nach Jahren des Hohns im Stil der neokonservativen „Venus und Mars“-Polemik.

 

Netanjahu – Obama 1:2

Meine Analyse zum ersten Treffen der beiden Regierungschefs aus der ZEIT von morgen:

Er hat die Zauberformel nicht benutzt: Das Wort »Zweistaatenlösung« kam Benjamin Netanjahu bei seinem Antrittsbesuch in Washington nicht über die Lippen. Obama bekannte sich umso eifriger zu einem palästinensischen Staat. Hat Netanjahu sich trotzig durchgesetzt gegen Obamas neue Nahostpolitik? Nein, der israelische Premier steht vor der Schicksalsfrage seines politischen Lebens. Und es ist Obama, der ihn durch seine Kursänderung dahin drängt.
Unter solchem Druck hat lange kein israelischer Regierungschef gestanden und unter solchen Bedingungen noch kein Gipfel stattgefunden: Netanjahu musste lange auf ein Treffen warten, um sich zwischen lauter Arabern eingeklemmt zu finden. Obama rahmt den Antrittsbesuch des Israelis mit hochsymbolischen arabischen Auftritten ein. Schon Wochen zuvor hatte er König Abdullah von Jordanien empfangen. Nächste Woche kommt Palästinenserpräsident Machmud Abbas nach Washington und die Woche darauf Ägyptens Präsident Mubarak. Solche Politik mit dem Terminkalender wäre früher ein Eklat gewesen. Kann es sein, dass sich hier gerade Grundlegendes verschiebt in der Nahostpolitik? Weiter„Netanjahu – Obama 1:2“

 

Die Freiheit, religiöse Gefühle zu verletzen…

…ist eine wichtige Grundfreiheit, ohne die es keine freie Gesellschaft geben kann. Jahrelang haben wir immer wieder die schrecklichen Fälle der Beschränkung der Meinungsfreiheit im Namen des „Respekts“ vor der Religion zur Kenntnis genommen, die sich in Ländern wie Iran, Saudi-Arabien, Ägypten abspielten.

Aber zunehmend werden auch in den freien Gesellschaften des Westens Anti-Blasphemie-Gesetze verabschiedet, und es gab kürzlich gar eine UN-Resolution, die Verunglimpfung religiöser Inhalte verbieten will. Dagegen wendet sich dieser engagierte Kommentar in der Washington Post. Auch das ist eine wichtige Osterbotschaft:

But now an equally troubling trend is developing in the West. Ever since 2006, when Muslims worldwide rioted over newspaper cartoons picturing the prophet Muhammad, Western countries, too, have been prosecuting more individuals for criticizing religion. The „Free World,“ it appears, may be losing faith in free speech.

Emblematic of the assault is the effort to pass an international ban on religious defamation supported by United Nations General Assembly President Miguel d’Escoto Brockmann. Brockmann is a suspended Roman Catholic priest who served as Nicaragua’s foreign minister in the 1980s under the Sandinista regime, the socialist government that had a penchant for crushing civil liberties before it was tossed out of power in 1990. Since then, Brockmann has literally embraced such free-speech-loving figures as Iranian President Mahmoud Ahmadinejad, whom he wrapped in a bear hug at the U.N. last year.

The U.N. resolution, which has been introduced for the past couple of years, is backed by countries such as Saudi Arabia, one of the most repressive nations when it comes to the free exercise of religion. Blasphemers there are frequently executed. Most recently, the government arrested author Hamoud Bin Saleh simply for writing about his conversion to Christianity.

While it hasn’t gone so far as to support the U.N. resolution, the West is prosecuting „religious hatred“ cases under anti-discrimination and hate-crime laws. British citizens can be arrested and prosecuted under the 2006 Racial and Religious Hatred Act, which makes it a crime to „abuse“ religion.

Mehr hier.

 

Anders Fogh Rasmussen darf nicht Nato-Chef werden

Mein Porträt aus der ZEIT von morgen:

Das hat es so noch nicht gegeben: Die Regierungschefs Deutschlands, Frankreichs und Großbritanniens haben sich auf einen neuen Nato-Generalsekretär geeinigt. Die Amerikaner signalisieren Zustimmung. Doch dann greift der Premier eines anderen Mitgliedslandes zum Telefon, ruft den Auserkorenen an und erklärt ihm, warum er leider trotz allerhöchster Protektion nicht infrage komme. Damit nicht genug: Der Störenfried wendet sich anschließend an die Presse und macht seine Ablehnung öffentlich. So geschehen am Wochenende, als der türkische Premierminister Erdoğan den Medien in Ankara eröffnete, dass die Türkei den dänischen Ministerpräsidenten Anders Fogh Rasmussen nicht als politisches Gesicht der Nato akzeptieren werde. 

 

Der 56-jährige Rechtsliberale Rasmussen regiert bereits seit 2001 in Kopenhagen, immer aus der Minderheitenposition, zusammen mit den Konservativen, geduldet von den Rechtspopulisten der Folkeparti. Rasmussen hat das sozialdemokratische Machtmonopol in Dänemark gebrochen, die Steuern gesenkt, das Land in zwei Kriege geführt und die schärfsten Ausländergesetze Europas verabschiedet. Er hinterlässt ein anderes Dänemark, wenn er nun auf den Posten des Generalsekretärs wechseln sollte, wie es sein Wunsch ist. 

Ob es allerdings dazu kommt, ist unterdessen fraglich geworden. Weiter„Anders Fogh Rasmussen darf nicht Nato-Chef werden“