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Die naive Informantin

 

Jung und naiv: So beschreibt sich die Ex-Freundin von Ralf Wohlleben im NSU-Prozess. Hinter dem Rücken der Szenegröße arbeitete sie allerdings mit dem Verfassungsschutz zusammen.

Manfred Götzl zu verärgern ist nicht schwer. Oft reicht eine kleine Spitze oder eine leicht durchschaubare Lüge, um sich vom Vorsitzenden Richter im NSU-Prozess eine heftige Zurechtweisung einzufangen. Insofern hatte die Zeugin Juliane W. Glück, dass sich Götzl von ihrem lückenhaften Gedächtnis und ihren hinkenden Erklärungen nicht vollends auf die Palme treiben ließ.

Die 32-jährige Sanitätsfachverkäuferin war von 1997 bis Anfang 1999 die Freundin von Ralf Wohlleben, der an diesem Prozesstag wenige Meter von ihr entfernt auf der Anklagebank sitzt und sich keine Regung anmerken lässt. Mit 15 hatte sie ihn kennengelernt, kurz darauf zogen sie zusammen in eine Wohnung. Dass ihr Partner ein führender Rechtsextremer war, störte sie offenbar wenig. Sie selber, sagt sie, habe mit der Szene wenig zu tun gehabt. Sie sei „eher ein Mitläufer gewesen“, habe allenfalls mal ein paar Aufkleber angebracht. Unvermeidlicherweise lernte sie während der Liaison wichtige Köpfe der Thüringer Naziszene kennen: André K., den V-Mann Tino Brandt. Außerdem Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt.

Mehrmals betont W., sie sei damals „sehr jung und naiv“ gewesen. Das äußerte sich vor allem darin, dass sie selten Fragen stellte. Vor allem nicht an dem Tag, dessen Geschehnisse den Großteil der Befragung einnehmen: dem 26. Januar 1998, als das NSU-Trio nach einer Razzia untertauchte.

W. erzählt, Uwe Böhnhardt sei mit einem Kameraden bei der Berufsschule aufgetaucht, in der sie damals Unterricht hatte. Sie müsse jetzt schnell mitkommen, habe Böhnhardt gesagt, es könne sein, dass ihr Freund ins Gefängnis komme. Wohlleben besuchte eine Berufsschule in Erfurt. Böhnhardt ging, gemeinsam mit dem Kameraden fuhr Juliane W.  in Mundlos‘ Auto nach Erfurt. Ob sie Wohlleben dort antrafen, daran kann W. sich heute angeblich nicht mehr recht erinnern.

„Als junger Mensch habe ich mir nichts dabei gedacht“, erzählt W. Doch Richter Götzl wird der Sinn der Aktion nicht klar. „Was wollten Sie Herrn Wohlleben denn sagen? ‚Du musst jetzt ins Gefängnis‘?“, fragt er. W. sagt, sie wisse nur noch, dass sie sich Sorgen um ihren Freund gemacht habe. Auch erinnere sie sich nicht, gefragt zu haben, warum Wohlleben überhaupt in Schwierigkeiten stecke.

Die vielen Dinge, die W. heute nicht mehr überzeugend erklären kann, ziehen sich wie ein roter Faden durch den 98. Prozesstag. Das gilt auch für den Freundschaftsdienst, zu dem sich W. im Anschluss an die Fahrt nach Erfurt überreden ließ: Sie sollte Kleidung aus den Wohnungen von Uwe Mundlos und Beate Zschäpe abholen. Als sie Mundlos‘ Wohnung aufschloss, lief sie der Polizei in die Arme, konnte sich jedoch mit einer Ausrede zurückziehen. Besser lief es bei Zschäpes Wohnung. Dort schleppte sie blaue Plastiktüten mit den Sachen der Kameradin ihres Freundes heraus.

Wer ihr den Auftrag dazu erteilt hatte, von wem sie die Schlüssel hatte – das will W. alles entfallen sein. Sie habe sich jedenfalls „keine Gedanken gemacht, dass jemand flüchten möchte“. „Ich habe Sie belehrt, dass Sie nichts verschweigen dürfen“, weist Götzl die Zeugin zurecht. W. antwortet, sie sage nur, „was ich bei der Polizei gehört habe“. „Mich interessiert, was Sie heute wissen. Und zwar vollständig. Verstehen Sie mich?“, blafft Götzl zurück.

Anfang 2012, also nach dem Auffliegen des NSU, war W. bei der Polizei in Jena zum Verhör. Viele Angaben, die sie dort gemacht hatte, unterscheiden sich krass von ihren Aussagen im Gericht: Erst hatte sie ausgesagt, Wohlleben schon am Nachmittag in der gemeinsamen Wohnung getroffen zu haben, nun soll es erst am Abend gewesen sein. Auch dass das Auto, mit dem sie nach Erfurt gebracht wurde, Uwe Mundlos gehörte, will sie bei der ersten Vernehmung nicht gewusst haben. Dass Götzl zunehmend ungeduldiger mit der Zeugin wird, ruft irgendwann Zschäpes Verteidiger Wolfgang Stahl auf den Plan. „Ich würde mir wünschen, dass Sie einen BKA-Beamten so befragen, der sich nicht erinnern kann. Sie sind ganz schön scharf“, wirft er dem Vorsitzenden vor. Das lässt der nicht auf sich sitzen.

Ihn interessieren auch noch die Begegnungen mit zwei Beamten, von denen W. bereits der Polizei erzählt hatte. Im September 1998, als W. gerade eine Lehrstelle als Friseurin begonnen hatte, seien zwei Mitarbeiter des Verfassungsschutzes zu ihr auf die Arbeit gekommen. Sie hätten gefragt, ob W. wisse, wo das untergetauchte Trio sei. W. sagt, sie habe nicht helfen können. Im Anschluss hätten die beiden ihr 100 Mark in die Hand gedrückt. „Das habe ich blauäugig angenommen, weil ich ja nicht viel verdient habe.“

Eine Bedingung hatten die Geheimdienstler allerdings: Ihr Freund dürfe nichts von dem Treffen erfahren. Daran hielt sich W. Kurz darauf gab es ein zweites Treffen. Die Beamten warteten im Auto an der Saalebrücke auf die Informantin. W. sagt erneut, sie habe keine Informationen gehabt. Erneut zahlten ihr die Männer 100 Mark und baten sie, sich bei Wohlleben nach dem Trio zu erkundigen. Das tat sie, doch der sagte, er wisse nichts. Mehr als die beiden Treffen habe es nicht gegeben, beteuert W. vor Gericht – keinesfalls habe sie ein Dutzend Mal mit dem Verfassungsschutz zusammengearbeitet, wie es in Medienberichten geheißen habe.

Die Vernehmung zieht sich, W. soll am Donnerstag erneut in den Zeugenstand treten. Klar ist, dass sie mit der Vernehmungstechnik des Richters nichts anfangen kann. „Sie wollen mich ins Rudern bringen“, sagt sie und blickt auf die Anklagebank. „Soll ich mich auch noch da rüber setzen?“