Lesezeichen
‹ Alle Einträge

Der Nazi, der auspackte

 

In der rechten Szene trommelte er die Kameraden zusammen, nebenbei plauderte er mit Geheimdienstlern: Über den früheren V-Mann Tino Brandt hat ein Verfassungsschützer im NSU-Prozess ausgesagt.

Wenn Norbert Wießner heute von seinem früheren V-Mann Tino Brandt spricht, kommt er regelrecht ins Schwärmen. Kooperativ und ehrlich sei Brandt gewesen, er habe „umfangreich und wahrheitsgemäß“ Bericht erstattet. Brandt war eine Quelle aus der rechten Szene, wie man sie sich als Verfassungsschützer nur wünschen konnte: Er gründete den berüchtigten Thüringer Heimatschutz, ein Sammelbecken für Rechte aus dem ganzen Bundesland – auch für Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt. Er verfügte über beste Kontakte in die Szene und wusste, was die Kameraden planten.

Brandt geriet im Jahr 1994 auf den Schirm von Wießner, der beim Thüringer Landesamt für Verfassungsschutz (LfV) für die Anwerbung von Spitzeln zuständig war. Er warb Brandt als V-Mann mit dem Tarnnamen Otto an und schmiedete ein Vertrauensverhältnis, das sieben Jahre lang dauerte – bis der Informant 2001 enttarnt wurde. Vor Gericht hat Wießner nun von der gemeinsamen Arbeit mit Brandt berichtet.

Der 67-jährige Zeuge ist mittlerweile in Pension, doch sein ehemaliger V-Mann ist ihm immer noch bestens in Erinnerung. Brandt überragte andere Szenekenner bei Weitem: „Tino Brandt war die wichtigste Quelle des Amts.“ Ohne seine Hilfe wäre es kaum möglich gewesen, Auskünfte über die rechte Szene weiterzugeben.

Nach der Anwerbung wurde Wießners Kollege Reiner Bode zum V-Mann-Führer. In dieser Zeit schrieb dieser die Berichte über die heimlichen Treffen, bei denen Brandt über die Szene auspackte. Als die Behörde 1998 umstrukturiert wurde, war die Betreuung des Informanten wieder Wießners Job. Persönlichen Kontakt gab es einmal wöchentlich „und telefonisch rund um die Uhr“, erinnert er sich. Treffen waren immer vormittags am Donnerstag, kurz bevor ein Sicherheitsausschuss im Innenministerium die Einsätze fürs Wochenende plante.

Über den NSU sagt keiner was

In den Gesprächen ging es um den Thüringer Heimatschutz, aber auch um die NPD, in deren Kreisen sich Brandt ebenfalls bewegte. Anfang 1998 kam ein weiteres Thema dazu: Die Suche nach Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt, die nach einer Razzia untergetaucht waren. Brandt bekam den Auftrag, sich bei dem heute Angeklagten Ralf Wohlleben und dem dubiosen Zeugen André K. umzuhören. Doch in diesem Fall versagte die sonst so brillante Quelle: „Es hieß immer wieder: Keiner weiß was, keiner sagt was“, beschreibt Wießner die Situation. Schließlich mussten die Verfassungsschützer einsehen, dass sie Brandt bei den Kameraden in Verdacht gebracht hätten, wenn sie ihn immer wieder mit Nachfragen beauftragt hätten.

Über die Motivation ihres Kontakts machten sich die Verfassungsschützer indes keine Illusionen: „Das entscheidende Führungsmittel war Geld“, sagt Wießner. Für Bares „hätte er vermutlich 24 Stunden Dienst gemacht“. Zwischen 1998 und 2001 erhielt Brandt laut Wießner 1.200 bis 1.500 Mark im Monat. Damit dürfte Brandt einer der bestbezahlten V-Männer auf der Gehaltsliste des LfV gewesen sein. Er selber sagt, er habe insgesamt 200.000 Mark erhalten.

Gehorsamsverweigerung für den besten Informanten

V-Mann-Führer Wießner war von seinem Informanten so überzeugt, dass er sogar den Gehorsam verweigerte, um Brandt zu schützen. Denn im Sommer 2000 entschied Amtsleiter Helmut Roewer, Brandt „abzuschalten“.

Der Spitzel hatte sich bei den Beamten unbeliebt gemacht, weil er einen Posten als stellvertretender Landesvorsitzender der NPD angenommen hatte. Führungskräfte in rechten Parteien wollte das Amt nicht in seiner Informantenkartei. Wießner sagt, er habe das ergiebige Verhältnis nicht „Knall auf Fall“ beenden wollen. Weil er sich weigerte, musste der frühere V-Mann-Führer Bode die Nachricht an Brandt überbringen.

Die Trennung war jedoch nicht von Dauer: Schon ein Vierteljahr später griff das Thüringer Innenministerium ein und ließ Brandt zurückbeordern. Der Informant war einfach zu wertvoll. Brandt bekam eine neue Akte und wurde unter dem Decknamen Oskar geführt. Erst, nachdem Roewer als Verfassungsschutzpräsident abgelöst worden war, kam das endgültige Aus für die Zusammenarbeit. Im Januar 2001 schaltete Wießner Brandt ab, vereinbarte jedoch sogenannte Nachsorgetreffen, um gelegentlich noch auf dessen Wissen zugreifen zu können.

Das letzte der sechs Treffen war aus Sicht der Verfassungsschützer eines zu viel: Am 1. Mai 2001 plante die NPD in Frankfurt am Main einen Aufmarsch, an dem auch eine Busladung Rechter aus Thüringen teilnehmen sollte. Brandts Informationen waren gefragt. Doch das passte einigen Mitarbeitern des LfV nicht. „Dieser Treff ist vom Amt verraten worden“, sagt Wießner. Der Leiter des Referats für Rechtsextremismus habe einige Mitarbeiter zur Observation des Treffens abgestellt – „das war total unüblich“, sagt Wießner vor Gericht hörbar erregt.

Das Gespräch wurde an die örtliche Zeitung durchgestochen, deren Redakteure Brandt und Wießner beim vermeintlich vertraulichen Austausch beobachteten. Kurz darauf war Brandt öffentlich enttarnt. Wießner ließ sich nach der Indiskretion zum Landeskriminalamt versetzen. Beim Verfassungsschutz war er gemeinsam mit seiner Quelle untergegangen.