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Zwei Spitzel an einem Tag? – Das Medienlog vom Freitag, 28. März 2014

 

Am Donnerstag haben im NSU-Prozess die Ex-Freundin von Ralf-Wohlleben, Juliane W., und zwei Mitarbeiter des Thüringer Verfassungsschutzes ausgesagt. Das Thema war in allen Vernehmungen dasselbe, wenn auch aus unterschiedlichen Perspektiven: die V-Mann-Tätigkeiten des Geheimdienstes in Thüringen. Die Prozessbeteiligten erkundigten sich sowohl nach nachrichtendienstlichen Befragungen bei W. als auch nach der Arbeit des V-Manns Tino Brandt. Dessen ehemaliger V-Mann-Führer Norbert Wießner „lobte den 1994 von ihm angeworbenen Spitzel in höchsten Tönen“, berichtet Frank Jansen im Tagesspiegel.

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Wießner beschrieb den früheren Informanten als ehrlich und zuverlässig – und machte gleichzeitig deutlich, dass es Brandt bei der Zusammenarbeit in erster Linie um sein Honorar ging. Das Geld floss bis 2001, als Brandt enttarnt wurde. Dass es soweit kam, „war offenbar auch ein Resultat interner Konflikte im Thüringer Verfassungsschutz“, resümiert Jansen. Wießner wirft seiner Behörde vor, den V-Mann „verraten“ zu haben. Brauchbare Hinweise auf den Aufenthaltsort des untergetauchten NSU-Trios lieferte Brandt indes nicht, obwohl er nach dessen Flucht im Januar 1998 noch mit den Dreien in Kontakt stand. Fraglich ist, ob er den Geheimdienstlern alles gesagt hatte, was er wusste: „Bis heute ist offen, ob der Neonazi ein doppeltes Spiel getrieben haben könnte.“

Brandt war eine Quelle, „wie man sie sich als Verfassungsschützer nur wünschen konnte“, schreibt ZEIT ONLINE. Deshalb habe sich Wießner auch noch für den V-Mann eingesetzt, als dieser das erste Mal von der Behördenleitung „abgeschaltet“ wurde, wie es im Geheimdienstjargon heißt. Das Ende der Zusammenarbeit bedeutete auch das Aus für Wießners Karriere beim Verfassungsschutz – der Beamte sei „gemeinsam mit seiner Quelle untergegangen“.

Wießner habe „freimütig“ über den V-Mann berichtet, den er als „einzig wichtige Quelle“ bezeichnete, wie Per Hinrichs in der Welt berichtet. Dass Brandt so entscheidend für Erkenntnisse aus der rechten Szene gewesen war, habe Erstaunen hervorgerufen: „Ein einziger NPD-Funktionär leistet die gesamte Aufklärung im Bereich Rechtsextremismus eines Bundeslandes?“

Der Zeuge hatte seinerzeit auch eine andere Quelle befragt: Juliane W., die Ex-Freundin des Mitangeklagten Ralf Wohlleben. Am Mittwoch hatte sie bereits einen Tag lang Fragen beantwortet, am Donnerstagvormittag stand sie erneut im Zeugenstand. Die Verfassungsschützer versuchten über W. und damit ihren Freund Hinweise zum Unterschlupf des NSU zu bekommen, jedoch ohne Erfolg. Pikant an der Befragung: Die Zeugin war damals gerade 17 Jahre alt. 16 Jahre später ist ihr angeblich vieles aus der Zeit entfallen. „So mühsam die Befragung ist, sie erhellt immerhin die Arbeit des Verfassungsschutzes“, berichtet Tanjev Schultz in der Süddeutschen Zeitung.

W. selbst hatte angegeben, nur zweimal von den Beamten angesprochen worden zu sein. Wießner sagte nun, es habe sich um drei bis sechs Treffen gehandelt. Ging W.s Rolle in dem Fall also doch eher in Richtung Spitzel? W. sagte auch, sie habe wie von den Ermittlern gewünscht ihrem Freund nichts von den Gesprächen erzählt. „Sollte sie es doch getan haben, wäre er gewarnt gewesen“, bemerkt Schultz. Verfassungsschützer Wiesener hätten „die unklaren Loyalitäten der 17-Jährigen bewusst gewesen sein müssen“, merkt Claudia Wangerin in der Jungen Welt an.

Andreas Speit beleuchtet im Blog Blick nach Rechts die angespannte Stimmung zwischen Nebenklagevertretern und der Bundesanwaltschaft. Wegen W.s „Verweigerungshaltung“ habe die Anwältin Gül Pinar einen Antrag auf Verhängung eines Ordnungsgelds gegen die Zeugin angekündigt. Im Anschluss schien die Stimmung im Saal „giftiger zu werden“. Überhaupt seien im Prozess „die Fronten erhärtet“, Nebenkläger hätten sich in der vergangenen Woche von den Anklagevertretern in ihrem Fragerecht beschnitten gefühlt. Die Bundesanwaltschaft wies das auf Anfrage des Mediums zurück.

Das nächste Medienlog erscheint am Montag, 31. März 2014.