Eine Überraschung war es nicht: Der Zeuge Enrico T., ein früherer Kumpel von Uwe Böhnhardt, sagte im NSU-Prozess aus – und konnte sich angeblich an kaum etwas erinnern. Damit reiht er sich ein in eine lange Liste von Zeugen aus dem Umfeld der Gruppe, die mithin bei strafrechtlich relevanten Fragen von ihrem Gedächtnis im Stich gelassen werden. T., der im März bereits einen Kurzauftritt vor Gericht hatte, soll beim Transport der Mordwaffe Ceska 83 geholfen haben. Darüber mochte er nicht viel sagen: „Enrico T. ist nicht nur einer der widerständigsten Zeugen bisher. Er ist eine Zumutung“, schreibt Gisela Friedrichsen auf Spiegel Online.
An jedem Werktag sichten wir für das NSU-Prozess-Blog die Medien und stellen wichtige Berichte, Blogs, Videos und Tweets zusammen. Wir freuen uns über Hinweise via Twitter mit dem Hashtag #nsublog – oder per E-Mail an nsublog@zeit.de.
T. soll den Kontakt zwischen dem Schweizer Hans-Ulrich M. und einem Deutschen hergestellt haben – so gelangte die Pistole über Mittelsmänner in die Hände des NSU, der damit neun Menschen getötet haben soll. Dass der Zeuge so wenig dazu sagen konnte oder wollte, habe Richter Manfred Götzl wütend gemacht, berichtet Friedrichsen: „Götzl, langsam unwirsch, fragt weiter, seine Fragen werden nun spitz.“ T. antwortete später: „Das nervt.“
Bei weiteren Vernehmungen, zu denen T. erscheinen muss, werde es wohl ähnlich laufen, schreibt Oliver Bendixen vom Bayerischen Rundfunk: „Mit seiner Mixtur aus Ausflüchten und Erinnerungslücken hat er sich den Anwälten der Nebenkläger bereits als das ideale Opfer für die nächste Befragung aufgedrängt.“ Wenn diese das Fragerecht erhielten, könne es „noch ungemütlicher werden“.
Vor allem T.s Freundschaft zu M. dürfte weiter das Thema in den Befragungen sein. Der Zeuge sagte aus, er sei zuletzt im Februar 2014 mit M. in den Urlaub gefahren – dabei will er jedoch nicht über die anstehende Vernehmung gesprochen haben. So sicher war sich T. in der Verhandlung nur selten: „Er wisse das nicht genau, sind die häufigsten Antworten von Enrico T. Richter Manfred Götzl fragt bis zum Mittag geduldig nach, dann zieht er die Zügel an“, resümiert die Thüringer Allgemeine. T. erzählte zudem, er habe nur durch Zufall erfahren, dass die Pistole aus der Schweiz kam, bei seinem Freund M. habe er nie Waffen gesehen.
Der 39-Jährige „war vermutlich eine Art Bindeglied zwischen Jena und der Schweiz, somit ist er ein potenziell wichtiger Zeuge im NSU-Prozess“, heißt es im Bericht von Frank Jansen im Tagesspiegel. T. erzählte, er sei über die Leidenschaft für Autos mit dem älteren M. in Kontakt gekommen – „auch das Interesse an Waffen könnte die Männerfreundschaft gefestigt haben“.
Richter Götzl fragte schließlich, ob der T. schon einmal wegen einer Falschaussage verurteilt worden sei, was dieser bejahte. Es ist längst nicht der einzige Eintrag in seinem Strafregister – „seine Vergangenheit erweckt nicht gerade den Eindruck, T. könnte rein zufällig in den Waffentransport hineingezogen worden sein“, heißt es auf ZEIT ONLINE. Zudem sei er „ein Musterbeispiel für die Verquickung der Milieus von Rechtsradikalen und Kriminellen in Thüringen“ gewesen.
Der Zeuge T. muss nochmal kommen. Götzl unterbricht die zunehmend anstrengende Vernehmung und beendet den Prozesstag. #nsu
— NSU Watch (@nsuwatch) 28. April 2014
Wie Gisela Friedrichsen zusätzlich auf Spiegel Online berichtet, will das Gericht erneut die 92-jährige Zeugin Charlotte E. befragen – doch nicht im Gerichtssaal, sondern in einem Heim in Zwickau, wo die demente Frau lebt. Sie wohnte bis zum 4. November 2011 neben der letzten Wohnung des Trios, als Beate Zschäpe laut Anklage das Haus in Brand steckte. Im Dezember war sie bereits per Videovernehmung befragt worden, zeigte sich mit der Situation jedoch überfordert. Dem Bericht zufolge soll die Aktion möglichst geheim bleiben. Teilnehmen sollen nur der Richter, Zschäpes Anwälte und ein Anklagevertreter. Unter Umständen allerdings auch die Hauptangeklagte selbst – „mit dem entsprechenden Polizeiaufgebot“.
In einem Beitrag für das Neue Deutschland betrachtet der Korrespondent der türkischen Zeitung Evrensel das Verfahren aus der Perspektive der Hinterbliebenen des in Kassel ermordeten Halit Yozgat: „Obwohl schon so viele Zeugen gehört wurden, bleibt der Prozess ohne ersichtliche Fortschritte.“ Trotz vieler Unklarheiten bewahre der Vater des Opfers „seine Hoffnung, dass der Mord an seinem Sohn doch noch aufgeklärt wird“.
Das nächste Medienlog erscheint am Mittwoch, 30. April 2014.