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Anschlagsopfer mit eisernem Willen – Das Medienlog vom Donnerstag, 5. Juni 2014

 

Im NSU-Prozess hat Mashia M. ausgesagt, das Opfer des ersten NSU-Bombenanschlags vom Januar 2001 in Köln. Die damals 19-jährige Tochter einer iranischen Familie wurde damals schwer verletzt und befand sich in Lebensgefahr. Prozessbeobachter hoben nach der Aussage hervor, wie sachlich M. heute über den Schicksalstag sprechen kann und mit welcher Anstrengung sie sich ins Leben zurückkämpfte. „Mashia M., die nach dem Willen des NSU sterben sollte, zeigte einen eisernen Willen“, resümiert Per Hinrichs in der Welt – auch wenn sie bis heute unter den Folgen der Tat leide.

An jedem Werktag sichten wir für das NSU-Prozess-Blog die Medien und stellen wichtige Berichte, Blogs, Videos und Tweets zusammen. Wir freuen uns über Hinweise via Twitter die dem Hashtag #nsublog – oder per E-Mail an nsublog@zeit.de.

Die heute 32 Jahre alte M. holte nach ihrer Entlassung aus dem Krankenhaus rasch ihr Abitur nach, studierte, wurde Ärztin. Daran zeigt sich für Hinrichs die große Kluft zwischen dem Opfer und ihren Peinigern, bei denen es sich mutmaßlich um die Mitglieder der Terrorgruppe handelt – schließlich „hatten die selbst ernannten Elitearier in ihrem Leben nichts auf die Reihe gebracht“.

Tanjev Schultz und Annette Ramelsberger stellen in der Süddeutschen Zeitung ebenfalls heraus, wie M. die Nazitruppe nach bürgerlichen Maßstäben übertrumpfte: Möglicherweise erlaube ihr der Beruf der Ärztin, „so professionell, so distanziert darüber zu sprechen, wie sie überlebte“. Mashia M. kontrolliere die Situation, füge sich nicht in die Rolle eines Opfers. „Hier sitzt eine, die nicht bemitleidet werden will“, schreiben die Autoren.

„Längst hat die junge Frau ihr Leben wieder im Griff“, analysiert Mira Barthelmann vom Bayerischen Rundfunk. Die Zeugin habe die Beobachter im Saal mit ihren Schilderungen beeindruckt, ihre Vernehmung war „eine starke Vorstellung, die bei vielen Prozessbeteiligten noch lange nachwirken wird“. Auch die Nachrichtenagentur dpa gewinnt den Eindruck „eines beeindruckenden Auftritts einer starken Frau“.

Mashia M. sprach im Gerichtssaal allerdings auch über ihre Zweifel. Sie sei enttäuscht von der Arbeit der Ermittler, die einen fremdenfeindlichen Hintergrund ausschlossen, und sagte, sie habe überlegt, Deutschland zu verlassen. Dass sie es nicht tat, werten die Beobachter auch als Signal gegen die Rechtsextremisten: „Mit ihrem Durchhaltewillen bietet sie den Rechten stärker die Stirn, als es den Ermittlungsbehörden möglich war“, heißt es auf ZEIT ONLINE. Sie habe das Leben zurückgewonnen, „das der Attentäter ihr oder einem anderen Menschen nehmen wollte“.

„Die Aussage ist wieder einer dieser fast unerträglich beklemmenden Momente im NSU-Prozess“, fasst Frank Jansen im Tagesspiegel zusammen. Trotz ihrer souveränen Vorstellung sei bis heute zu spüren, dass M. traumatisiert sei. So sagte sie aus, sie habe unter Schock gestanden, als sie erfuhr, dass ihr Name im hetzerischen Bekennervideo des NSU auftauchte.

Claudia Wangerin hebt in der Jungen Welt die Perfidität des Anschlags hervor: Die Bombe war in einer roten Christstollendose mit Sternen darauf verpackt. „Wer eine potenziell tödliche Bombe so verpackt, nimmt billigend in Kauf, dass auch Kinder sterben.“ Bis heute ist unklar, ob die Täter eine bestimmte Person treffen wollten oder Migranten im Allgemeinen. Zudem, schreibt die Autorin, sei nicht auszuschließen, dass der NSU bei dem Anschlag Unterstützer hatte.

Bislang noch nicht abgeschlossen war die Aussage der Zeugin Charlotte E., die sich am 4. November 2011 in der Nachbarwohnung aufhielt, als Beate Zschäpe laut Anklage die letzte Unterkunft des NSU in Brand steckte. Mitte Mai war der neue Versuch einer Vernehmung der dementen 92-Jährigen in ihrem Zwickauer Pflegeheim gescheitert, wie die Nachrichtenagentur dpa berichtet. E. habe ihr Geburtsdatum falsch angegeben und sich nicht an das Feuer erinnert. Ein Richter des Amtsgerichts Zwickau vernahm die betagte Zeugin. Im Dezember hatte das Gericht in München bereits versucht, E. per Videoschaltung zu befragen, brach den Versuch jedoch ab.

Das nächste Medienlog erscheint am Freitag, 6. Juni 2014.