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Ein Nazi sieht sich als Märtyrer

 

Immer wieder haben mögliche NSU-Unterstützer im Prozess ihr Wissen verschleiert – zum Ärger von Opfervertretern. Der Thüringer Neonazi Thomas G. könnte nun erstmals für sein Schweigen bestraft werden.

Gleich zu Beginn seines zweiten Gerichtstermins kann Thomas G. noch mal jeden Zweifel über seine Gesinnung ausräumen. Richter Manfred Götzl fragt den Mann im Kapuzenpulli einer rechten Szenemarke, was er mit dem Begriff Volkstod verbindet. „Nationale Kreise verbinden damit, dass das deutsche Volk an Substanz ausstirbt, durch die niedrige Geburtenrate und den Zuzug von Ausländern“, setzt der Zeuge an.

Als dann noch das Wort „Ausländerrückführung“ fällt, stöhnt eine Frau auf den Zuschauerrängen: „Um Gottes Willen.“ Es ist Claudia Roth, die Vizepräsidentin des Bundestags, die als Zuschauerin den Prozesstag verfolgt. Kurz zuvor hatte sie in einer Pause vor Journalisten gesagt, man müsse den Migranten in Deutschland „das Gefühl geben, dass Deutschland ihre Heimat ist, in der sie sicher und ohne Angst leben können“.

Ein kühner Wunsch, solange Menschen wie Thomas G. ihre Hassgedanken verbreiten. Der 35-Jährige war bereits Anfang des Monats in den Zeugenstand getreten, weil er einer der am besten vernetzten Neonazis in Thüringen ist. Er gilt als Anführer und Gründer mehrerer radikaler Organisationen, aktiv gewesen sein soll er auch im Thüringer Heimatschutz. Dort trieben sich auch Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt herum, zudem der Mitangeklagte Ralf Wohlleben. G. bestritt allerdings, mit dem NSU-Trio Kontakt gehabt zu haben. Er will nur Ralf Wohlleben gekannt haben.

Von der Aussage rückt der Zeuge auch diesmal nicht ab. Überhaupt ist er alles andere als gesprächig, wenn es nicht um seine extreme Ideologie geht. Andere hatten mehr zu erzählen: „Es ging darum, das Volk zu überzeugen, dass unser System scheiße ist“ – so skizzierte seine frühere Freundin Mandy S. seinen Kampf gegen den Staat. G. kümmerte sich demnach um viele Veranstaltungen der Szene „und seine Hammerskins. Die gingen ihm über alles“.

Die Hammerskins sind eine Gruppe, auf deren Mitgliedschaft G. offenbar überaus stolz ist: eine Elitetruppe unter den Rechten, ursprünglich in den USA gegründet, mit langer Probezeit für Neulinge und strengen Regeln. Zum Beispiel zur Geheimhaltung. Schon in der ersten Vernehmung hatte sich G. geweigert, Richter Götzls Frage zu beantworten, ob er der Gruppe angehöre. Götzl drohte daraufhin mit einem Ordnungsgeld, die Befragung wurde abgebrochen.

Nun stellt Götzl erneut die Frage nach den Hammerskins. Es ist eine wichtige Frage. Denn es geht um die Autorität des Strafsenats. Monatelang sagten im NSU-Prozess mögliche Unterstützer des Terroristentrios aus, die sich mehr oder weniger raffiniert in Schweigen hüllten. Etliche sagten immer wieder, sie könnten sich an nichts erinnern. Viele Prozessbeteiligte, vor allem die Opferanwälte, regten sich darüber auf. Sie forderten härtere Maßnahmen gegen redefaule Zeugen. Doch alle kamen sie vor Götzl davon.

Damit könnte es jetzt ein Ende haben, G. droht ein Ordnungsgeld. Im Extremfall könnte er sogar in Ordnungshaft genommen werden. Käme G. mit einer unverhohlenen Aussageverweigerung durch, könnte der Senat keine Zeugenvernehmung mehr souverän führen. „Kennen Sie ein Logo der Hammerskins?“ fragt Götzl. „Wie ich gesagt habe – ich werde zu der Thematik nichts sagen“, antwortet G.

Und es bleibt nicht bei einem Thema, das der Zeuge gerne ausklammern würde: Götzl fragt, wer mit ihm in seiner Heimat Altenburg Demonstrationen organisierte. „Sie wollen, dass ich die Namen nenne von Leuten, die damals aktiv waren? Das mache ich nicht“, konstatiert G. Als Grund dafür gibt er an, die Nebenklageanwälte würden Namen von Neonazis an Mitglieder der Antifa weitergeben. Diese würden die Genannten dann „aggressiv behandeln“ und am Arbeitsplatz drangsalieren.

Götzl braucht erkennbar seine Geduld auf: „Das ist ein weiterer Komplex, zu dem sie nichts sagen wollen.“ G. gibt scheinbar verständnisvoll zurück: „Ich sehe den Konflikt zwischen der Autorität des Gerichts, also Ihnen, und mir.“ An seiner Haltung ändere das aber nichts: „Auch wenn ich eine Strafe dafür bekomme, ich kann’s nicht.“ Die Identität von anderen zu enthüllen, das könne er mit seinem „Wertegefühl“ nicht vereinbaren. Daheim in Altenburg dürften ihm die Kameraden für seine Haltung auf die Schulter klopfen.

G. stellt sich dar als Märtyrer, bedrängt vom Justizsystem und Repressalien gegen einen national eingestellten Kämpfer wie ihn. Noch deutlicher wird das, als Nebenklageanwalt Sebastian Scharmer ihm einen Beitrag vorhält, den er direkt nach seiner ersten Vernehmung auf Twitter geschrieben hat: „Die Tafelrunde ist entehrt, wenn ein Falscher ihr angehört“, das Zitat eines Ritters. Scharmer fragt, ob G. damit auf seine unnachgiebige Haltung zur Hammerskin-Frage angespielt habe. „Sie können das so verstehen, dass ich mein Verhalten hier als ritterlich empfinde“, sagt der Zeuge.

Andere Fragen des Anwalts will er nicht beantworten. Das Ordnungsgeld ist praktisch unausweichlich. Doch ganz so einfach ist es nicht: Olaf Klemke, der Verteidiger des Mitangeklagten Ralf Wohlleben, kommt G. zur Hilfe. Er hat recherchiert, dass die Dresdner Staatsanwaltschaft 2003 ein Ermittlungsverfahren gegen mehrere Mitglieder der Hammerskins begonnen hatte, offenbar auch gegen G. Sollte das Verfahren noch laufen, könnte G. straffrei zur Frage nach seiner Mitgliedschaft schweigen, weil er sich nicht selbst belasten muss. G. sagt, er wisse nicht, ob das Verfahren bereits eingestellt wurde – auch wenn alles andere nach elf Jahren höchst ungewöhnlich wäre.

Die Bundesanwaltschaft lässt das Verfahren von den Kollegen in Dresden recherchieren. Götzl unterbricht derweil die Verhandlung. G. muss in zwei Wochen wiederkommen. Dann dürfte er der erste Zeuge im Prozess sein, für den sein Schweigen ernsthafte Folgen hat.