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Der NSU und seine radikalen Freunde

 

Stachelte V-Mann Tino Brandt das spätere NSU-Trio zum mörderischen Hass an? Das behauptet ein bayerischer Neonazi – und vermutet den Verfassungsschutz dahinter.

Zwölf Jahre lang spitzelte der Rechtsextremist Kai D. für den bayerischen Verfassungsschutz. Gleichzeitig trommelte er während der neunziger Jahre in seiner Heimat Franken die Kameraden zusammen, es gab Demonstrationen und Kundgebungen. Im Norden Bayerns, an der Grenze zu Thüringen, war er unangefochtener Anführer – und ein wertvoller Informant für den Geheimdienst.

Man muss darüber rätseln, ob ihm die Behörde neben seinen Spitzelgehältern auch eine Rhetorikschulung spendierte. Der 50-jährige D. ist als Zeuge im NSU-Prozess geladen. Gehüllt in einen schwarzen Rollkragenpulli redet er mal im Plauderton, mal im Parteitagssprech, die meiste Zeit entspannt nach vorn über den Zeugentisch gelehnt. Seine Antworten sind wortreiche Monologe, umfangreiche Ausschweifungen, die Richter Manfred Götzl immer wieder bremsen muss. Hier redet jemand, der es genießt, für ein Publikum vorzutragen.

Das Gericht muss sich mühen, eine klare Botschaft aus seinen Aussagen herauszuschälen: Es geht um die Rolle eines weiteren Neonazis – Tino Brandt, der ebenfalls V-Mann war und in den neunziger Jahren die rechtsextreme Organisation Thüringer Heimatschutz aufbaute, ganz in der Nähe von D.s Einflussgebiet. Zu den Treffen des Heimatschutzes kamen wöchentlich bis zu 70 Kameraden, darunter Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt – es war die Zeit, in der sich das Trio radikalisierte. Die drei legten Bombenattrappen in Jena ab, verschickten Drohbriefe und bauten in einer Garage eine Sprengstoffwerkstatt auf.

Nachdem sie 1998 untergetaucht waren, ermordeten sie mutmaßlich zehn Menschen. Nahm Brandt an dieser Entwicklung Einfluss, indem er das Trio aufpeitschte? Und welchen Anteil hatte daran der Verfassungsschutz, der Brandt gleichzeitig fürs Spitzeln bezahlte?

In illegale Hausbesetzung reingedrückt?

D. liefert dazu mehrere deutliche Hinweise. Er habe Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt zwar nicht gekannt, aber die Entwicklung des Thüringer Heimatschutzes genau verfolgt. Kurz nach der Gründung, wohl um die Jahre 1992 oder 1993, nahm Brandt Kontakt mit D. auf und lud ihn ein. Der fuhr zeitweise wöchentlich hinüber ins benachbarte Bundesland – wohl auch, weil sich der bayerische Geheimdienst für Aktivitäten dort interessierte. „Mir ist aufgefallen, dass da eine ziemliche Radikalität vorhanden war“, erzählt er.

Wie das ausgesehen habe, will Götzl wissen. D. erzählt, wie Brandt seine Leute einmal angestachelt habe, bei einem Treffen im Sommer einen Streifenwagen mit Bierflaschen zu bewerfen. Ein andermal habe er als Agent Provocateur in einer alten Fabrikhalle versucht, „seine Gefolgschaft in eine illegale Hausbesetzung reinzudrücken“, mit der Folge, dass alle Beteiligten und Umstehenden festgenommen wurden. Er selbst, sagt D., habe solche Aktionen abgelehnt, weil er sie unsinnig gefunden habe.

Radikalität der Rechtsextremisten

Und schließlich war da noch die Sache mit den Schießübungen: Nach einem der Treffen habe ein Kamerad vorgeschlagen, „noch schießen zu gehen“, Brandt habe das begrüßt. Überhaupt sei in der Szene immer über Waffen gesprochen worden. Innerhalb des Thüringer Heimatschutzes habe sich so ein „militanter Arm“ gebildet.

Gehörte dazu auch das spätere NSU-Trio? Zwar ist bekannt, in welchen Cliquen sich die drei bewegten und dass sie sich selbst als elitäre Truppe betrachteten. Unklar ist allerdings, wer oder was ihren Hass auf Einwanderer und den Staat so weit steigerte, dass sie schließlich zum Mord bereit waren.

Brandt selbst hatte D.s Vorwürfe, der Heimatschutz habe Schießübungen veranstaltet, in seiner eigenen Vernehmung als Unsinn bezeichnet. Vielmehr sei es D. gewesen, der versucht habe, „Radikalität reinzubringen“.

„THS-Krake“

Tatsächlich blitzen in den Aussagen beider Männer die Spuren eines heftigen Revierkampfes innerhalb der rechten Szene auf. Brandt und D. waren in ihren angestammten Regionen die Gebietsfürsten. Doch 1996 zog Brandt nach Coburg – und habe damit „versucht, seine Finger nach Bayern auszustrecken“, indem er eine weitere Organisation aufbauen wollte. D. betrachtet das bis heute als Wilderei in seinem Bereich. „Diese THS-Krake“ habe schließlich fränkische Kameraden radikalisieren wollen, und zwar „unter den Möglichkeiten eines begleitenden Nachrichtendienstes“.

Dass der Verfassungsschutz Brandts Mobilmachung förderte, dafür gibt es keine Beweise. Und auch, dass der Thüringer Geheimdienst die heimischen Neonazis gezielt zu Gewalttätern machen wollte, um Gründe für Festnahmen zu schaffen, ist nicht erwiesen. Doch es bleibt der schale Beigeschmack, dass sich mit dem Machtkampf zweier Spitzen-Rechter zwei Verfassungsschutzämter direkt gegenüber standen.