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Wie die Kameraden Böhnhardt deckten

 

Mit einer bizarren Tat bewies das NSU-Mitglied Uwe Böhnhardt früh, dass er zu Anschlägen bereit ist. Doch er kam dem Gesetz davon – weil Beate Zschäpe und Uwe Mundlos für ihn logen.

Es war ein Warnschuss des NSU, bevor Menschen starben: In einer Samstagnacht im April 1996 entdeckte ein Lkw-Fahrer eine Puppe, die von einer Brücke über der Autobahn A4 in der Nähe von Jena baumelte. Als Beamte der Autobahnpolizei den Gegenstand untersuchten, stellten sie fest, dass auf dem Torso ein Davidstern mit dem Schriftzug „Jude“ angebracht war. Am selben Wochenende besuchte der damalige Vorsitzende des Zentralrats der Juden, Ignaz Bubis, die Stadt Weimar.

Auf der Brücke fanden die Polizisten zwei Kartons, mit Kabeln verbunden, daneben ein Verkehrsschild mit den Worten „Vorsicht Bombe“. Die Autobahn wurde gesperrt, ein Entschärfungskommando schoss mit Wasserwerfern auf die Kartons. Die stellten sich als Attrappe heraus.

Verantwortlich war Uwe Böhnhardt, davon war und ist die Staatsanwaltschaft überzeugt. Die Tat reiht sich in eine Serie ein, bei der Böhnhardt und seine Freunde Beate Zschäpe und Uwe Mundlos Bombenattrappen verschickten oder in Jena ablegten. Fremdenhass und die Lust an der Provokation führten zu einer Reihe von Straftaten. Es war ein deutlicher Hinweis darauf, dass ein Krimineller wie der damals 18-jährige Böhnhardt vor Terroranschlägen nicht zurückschreckte. Vier Jahre später folgte der erste von zehn NSU-Morden, zwei Bombenanschläge kamen hinzu.

Im NSU-Prozess wurden zu dem Vorfall an der Autobahnbrücke mehrere Polizisten als Zeugen vernommen, die damals gegen Böhnhardt ermittelten. Am Dienstag sagte ein Beamter aus, der Beate Zschäpe befragt hatte.

Um den Fall kümmerte sich die Sonderkommission Rex, kurz für Rechtsextremismus. Die Beamten ermittelten weder mit viel Elan noch mit großen Erfolgen – vielmehr war die Sonderkommission ein Kessel voller Dorfpolizisten, die aus verschiedenen Ecken Thüringens für eine Art Praktikum abgeordnet wurden. Die Spur führte zu Böhnhardt, weil er einen Fingerabdruck auf einem der Kartons hinterlassen hatte.

Mehrere Freunde von Böhnhardt wurden zur Polizei geladen, darunter Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und der Mitangeklagte Ralf Wohlleben. Die Beamten von damals konnten sich im Prozess nach fast zwei Jahrzehnten nicht mehr an vieles erinnern – aber an den Wert der Angaben von damals: „Ich hatte immer das Gefühl, die veralbern einen“, sagte ein Kriminalobermeister. Die Vernehmungen hätte man sich sparen können.

Dieser Ansicht schloss sich das Amtsgericht Jena an. Demnach waren die Aussagen von Zschäpe, Mundlos, Wohlleben und eines weiteren Zeugen abgesprochen. Zschäpe sagte in ihrer Vernehmung sogar, sie sei durch einen gemeinsamen Bekannten zu einem Alibi „gekommen“. Doch unter Berücksichtigung früherer Taten verurteilte es Böhnhardt im April 1997 zu drei Jahren und sechs Monaten Jugendhaft – eine Einheitsstrafe.

Die Aussagen zeigen, dass Böhnhardt sich auf seine Kameraden verlassen konnte. Fast wortgleich hieß es immer wieder, man sei zu fünft auf eine Geburtstagsparty gefahren: Zschäpe, Mundlos, Böhnhardt, Wohlleben und ein anderer Kumpel. Die Feier kam als Quelle für ein Alibi gerade recht: „Da waren plötzlich 30 Mann und 29 haben sich nicht gekannt“, kommentierte der Polizist am Dienstag. Als es auf der Feier gegen Mitternacht zu langweilig wurde, fuhr die Clique in die Wohnung von Zschäpe, um Skat und Videospiele zu spielen. Wer gewonnen hatte, daran konnte sich niemand erinnern.

Jedenfalls solange nicht, bis Böhnhardt, der die Strafe noch nicht antreten musste, in Berufung ging. In der Verhandlung vor dem Landgericht fiel Ralf Wohlleben ein, dass er Uwe Mundlos auf der Spielekonsole besiegt hatte. Die Aussagen wurden also noch unglaubwürdiger – doch das Gericht nahm sie diesmal für bare Münze. An den Einlassungen der Zeugen gebe es keine Zweifel, Fingerabdruck hin oder her. In der Puppen-Tat wurde der Angeklagte im Oktober 1997 aus Mangel an Beweisen freigesprochen. Das Urteil lautete auf eine Einheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten, ausgesetzt zur Bewährung. Für schuldig befunden wurde er unter anderem wegen des Verkaufs rechtsextremer CDs.

Womöglich hatten sich die Richter von einer Fassade der Harmlosigkeit täuschen lassen. Denn natürlich taten die jungen Rechtsextremen alles, um ihr Handeln herunterzuspielen – auch Beate Zschäpe: Über ihre Gesinnung sagte sie in einer Polizeivernehmung, „dass diese zwar rechtsgerichtet ist, aber ich deshalb keine Straftaten begehe“. Und überhaupt sei in rechten Kreisen wenig über Politik geredet worden.

Tatsächlich waren Zschäpe und ihre Gesinnungsgenossen bis in die Haarspitzen politisiert – und bereit, im Kampf für ihre Vorstellung von einem Deutschland ohne Ausländer zu morden. Die Möglichkeit, mit einer Gefängnisstrafe wenigstens auf Böhnhardt einzuwirken, verstrich: Seine Bewährung wurde im März 1998 widerrufen, der Verurteilte zum Haftantritt geladen. Da waren er, Zschäpe und Mundlos schon in den Untergrund geflüchtet.