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Der Zeuge mit den Zufällen

 

Den NSU-Terroristen will er nicht geholfen haben – doch der Ausweis von Ralph H. lag in deren letzter Wohnung. Nur einer von vielen Zufällen um einen dubiosen Zeugen.

Ist Ralph H. ein engagierter rechtsextremer Helfer? Oder ein gutmütiger Mitläufer, der sich von den Terroristen des NSU hat einspannen lassen? Der hagere Mann wirkt auffällig harmlos – keine Insignien der rechten Szene, kein rasiertes Haupt. Im Ringelpullover setzt sich der 40-Jährige an den Zeugentisch im Münchner Oberlandesgericht. Doch H. hat wohl nicht ohne Grund vorgesorgt und seinen Anwalt mitgebracht, einen Szenejuristen aus Chemnitz.

Gegen H. gibt es einen schwerwiegenden Verdacht: Aus dem Schutt des niedergebrannten Hauses in Zwickau, in dem die drei NSU-Terroristen zuletzt gewohnt hatten, fischten Polizisten seinen Personalausweis. Vieles deutet darauf hin, dass H. ein weiterer Unterstützer war, der Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt mit seiner Identität half, unerkannt im Untergrund zu leben. Nicht auszuschließen ist außerdem, dass er ihnen mit einer Wohnung und Ausrüstungsgegenständen behilflich war.

Die drei flüchteten 1998, nachdem Sprengstoff in Zschäpes Garage in Jena gefunden worden war. In der Folgezeit kamen sie bei verschiedenen Kameraden aus der rechten Szene unter, bevor sie unter falschen Namen selbst Wohnungen mieteten. Die ersten Unterkünfte vermittelte der Neonazi Thomas S., eine Größe in den rechten Kreisen von Chemnitz. Auch bei Ralph H. rief er an.

Was folgte, war eine Szene wie aus einem Thriller: S. traf H. in der Innenstadt, begleitet von zwei Männern, die ihre Gesichter tief in Kapuzenpullovern verbargen. Der Kumpel fragte, ob er sie für ein paar Tage als Untermieter aufnehmen könne. H. sagt, er habe abgelehnt, weil er noch bei seinen Eltern lebte. Wer die beiden waren und warum sie so dringend eine Wohnung brauchten, danach habe er nicht gefragt: „Das hat mich nicht weiter interessiert.“ Womöglich gab es auch gar keinen Grund, nachzuhaken – dass drei Rechtsextreme aus Jena geflüchtet waren, war in weiten Teilen der Szene bekannt.

„Eine zentrale Figur“

Überhaupt schien H. von der dubiosen Anfrage nicht überrascht: „Ich glaube, ich war nicht der erste, der von S. angerufen wurde.“ Der sei schließlich „eine zentrale Figur“ gewesen und habe ihn nur selten getroffen. Merkwürdig nur, dass S. offenbar so erpicht auf H.s Unterstützung war, dass er ein halbes Jahr später schon wieder an ihn herantrat. An einem Abend in einer einschlägigen Kneipe fragte er erneut – doch H. will wieder nein gesagt und S. an einen Kumpel verwiesen haben.

Ob die beiden Männer Mundlos und Böhnhardt waren, steht nicht fest. Doch zur Zeit der Wohnungsanfrage mehren sich weitere Auffälligkeiten, die Ermittler nach dem Auffliegen des NSU im November 2011 zu H. zurückführten. So beantragte er im Februar 1999 einen neuen Personalausweis. Den alten will er verloren haben, möglicherweise nachdem er angetrunken von einem Wirtshausbesuch nach Hause ging.

Das Dokument tauchte erst zwölf Jahre später wieder auf – in der Zwickauer Brandruine. Richter Manfred Götzl verzichtet darauf, H. mit dieser Tatsache zu konfrontieren. Wahrscheinlich hätte H. eine der üblichen Ausweichfloskeln präsentiert, mit denen er auf die meisten Fragen antwortet: „Das kann ich nicht mehr einordnen.“

Über die Konsequenzen nicht im Klaren?

Unerklärlich ist H. angeblich auch, dass auf seinen Namen eine Wohnung in der Chemnitzer Cranachstraße gemietet wurde. Dort zog offenbar niemand ein – doch Unbekannte nutzten die Adresse, um bei mehreren Versandhäusern Waren zu bestellen und nicht zu bezahlen. Bei einem Versand für Jagdzubehör wurden unter anderem Abwehrsprays und ein Nachtsichtgerät bestellt – später gefunden im Schutt in Zwickau. Bei demselben Unternehmen hatte er schon Jahre zuvor etwas bestellt, regulär und ehrlich bezahlt.

Denkbar ist somit, dass das NSU-Trio den Ausweis nutzte, um sich kostenlos einzudecken – durchaus gegen H.s Willen, der Anzeige erstattete, als Inkassoforderungen an seiner Meldeadresse eintrafen. Hatte er das Papier abgegeben, ohne sich über die Konsequenzen im Klaren zu sein?

Möglich ist jedenfalls, dass H. einfach nur seinen rechten Kameraden gefallen wollte. Richter Götzl fragt ihn nach der Einstellung, die er Ende der neunziger Jahre vertrat. H. stammelt von Sonnenwendfeiern und Zusammengehörigkeitsgefühl in der Szene, vom „Elitären“ in der nationalen Bewegung. Von politischen Meinungen spricht er nicht.

Gegen Ende heizt sich die Stimmung auf, als der Nebenklageanwalt Mehmet Daimagüler H. jeden Namen der zehn mutmaßlichen NSU-Mordopfer vorliest und ihr Todesdatum ergänzt. Es ist wohl der Versuch, dem Zeugen die Tragweite einer Unterstützung von militanten Neonazis klarzumachen. Doch damit fängt er sich den Protest der Verteidigung ein: „Es ist eindeutig, dass diese Fragen für die Galerie sind“, wirft Olaf Klemke ein, der Verteidiger des Mitangeklagten Ralf Wohlleben. Daimagüler fragt zurück, ob der Anwalt „Probleme mit der deutschen Sprache“ habe. Es entbrennt ein lauter Konflikt, in dem auch Götzl mitmischt. Für die Prozessbeteiligten ein wenig würdevoller Auftritt – und für Ralph H. eine Gelegenheit, an seiner Version der Realität weiter zu feilen.