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Die schützende Hand des Geheimdienstes

 

V-Mann Piatto lieferte aus dem Gefängnis Informationen zum NSU. Der Neonazi war an einer lebensgefährlichen Prügelorgie beteiligt – doch kam schnell wieder aus der Haft frei. Mithilfe des Verfassungsschutzes?

Seinen ehemaligen Angestellten, sagt Michael P., habe er schnell auf dem Kieker gehabt. Er besitze zwar keine Menschenkenntnis, doch er habe gespürt, dass man Carsten Sz. nicht vertrauen könne. P. betrieb im sächsischen Limbach einen Laden „für Jugendliche, die sich in der patriotischen Schiene bewegt haben“. Das bedeutet im Nazi-Jargon: ein Geschäft für Gleichgesinnte, das rechte Musik und rechte Markenkleidung verkauft. P. ließ Sz. ein knappes Jahr lang für sich arbeiten, dann warf er ihn raus, weil er ihm vorwarf, er habe Ware unterschlagen.

Heute sagt P. im NSU-Prozess als Zeuge über die Verbindung zu seinem früheren Kollegen aus. Nach den Maßstäben der rechtsextremen Szene hatte er recht mit seinem Misstrauen: Im Jahr 2000 enthüllte ein Magazin, dass Sz. seit sechs Jahren unter dem Decknamen Piatto als V-Mann für den brandenburgischen Verfassungsschutz arbeitete – und das, obwohl er die meiste Zeit wegen versuchten Mordes in Haft saß. Bei seiner vorzeitigen Entlassung 1999 unterstützte ihn womöglich der Geheimdienst – und Michael P.

Noch während seiner Gefängniszeit in der JVA Brandenburg lieferte er einen wertvollen Hinweis auf drei Neonazis aus Thüringen, die im Januar 1998 nach Sachsen geflohen waren: Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt. Kurz nach deren Untertauchen diktierte Sz. seinen Quellenführern den Tipp, nach dem sein Kumpel Jan W. den Auftrag hatte, für Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt Waffen zu besorgen, bezahlt aus einer Kasse der militanten Organisation Blood & Honour. Später schickte W. eine SMS an Piatto und erkundigte sich, was denn nun „mit dem Bums“ sei. Die Ermittler verzichteten jedoch darauf, sich an W.s Fersen zu hängen, und so womöglich auf Hinweise auf den Aufenthaltsort des Trios zu stoßen.

Dafür, dass seine Hinweise so wenig Widerhall fanden, wurde Sz. vom Verfassungsschutz regelrecht hofiert. Im NSU-Komplex ist er einer der wichtigsten V-Männer von allen. Das zeigt sich auch an der Befragung von Michael P. Der 43-Jährige könnte einiges erzählen von seinen eigenen Verstrickungen in das Umfeld von Blood & Honour, wo sich besonders seine Ex-Frau engagierte, die vor zwei Wochen in München ausgesagt hatte. Doch die meiste Zeit befragt ihn Richter Manfred Götzl nach den Informanten, die sich in der Szene tummelten.

P. sagt, er habe von Sz.s Umtrieben etwas geahnt: „Er wirkte sehr von außen geleitet, konnte niemandem in die Augen gucken.“ Das allerdings bemerkte er erst ziemlich spät. Denn als er Sz. im April 1999 in seinem Geschäft namens Sonnentanz einstellte, handelte es sich offenbar um einen Akt zutiefst empfundener Kameradschaft: Sz. saß im Gefängnis, weil er 1992 an einem Gewaltexzess beteiligt war. Dabei wurde ein Nigerianer in einer Brandenburger Diskothek beinahe zu Tode geprügelt. 1994 wurde er verhaftet und ein Jahr später zu acht Jahren Haft wegen versuchten Mordes verurteilt. P. spricht heute von einer „Kneipenschlägerei“.

Sz. nahm die Stelle als Freigänger an. Dass er sich als verurteilter Gewalttäter so frei in der Öffentlichkeit bewegen konnte, dafür dürfte vor allem seine Zusammenarbeit mit dem Verfassungsschutz verantwortlich sein. Noch in der Untersuchungshaft hatte er sich als Informant angeboten.

Weder der Geheimdienst noch die Justizvollzugsanstalt hatten ein Problem damit, dass Sz. in einem Laden des Milieus arbeitete, in dem er straffällig geworden war. P. erzählt, der neue Kollege habe in seiner Heimat Brandenburg den Markt sichten und potenzielle Kunden ausmachen sollen. Dort wollte er eine Zweigstelle des Sonnentanz eröffnen. Und noch einen Vorteil brachte Sz. mit: „Das Arbeitsamt hat ihn gefördert.“

Wollte von den Verantwortlichen niemand hinsehen, wo sich der verurteilte Gewalttäter Tag für Tag herumtrieb? Oder geschah all dies unter der schützenden Hand des Geheimdienstes?

P. sagt, bei Sz. sei es ihm irgendwann so vorgekommen, „als müsste er jeden Tag eine Sache planen“. Denn V-Mann Piatto war viel unterwegs, wollte auf einmal Plakate kleben oder eine neue Ortsgruppe einer Partei gründen. „Ich habe das als Haftmeise abgetan“, als Schrulligkeit nach der Zeit hinter Gittern. Dabei handelte es sich möglicherweise um Aktionen, die Sz. mit der Segnung des Verfassungsschutzes veranstaltete.

Fest steht, dass die Arbeit im Sonnentanz Sz. sogar mehrere Jahre Haft ersparte: Im Dezember 1999 befasste sich ein Gericht mit der Frage, ob die Reststrafe zur Bewährung ausgesetzt werden könne. Die Richterin lobte im Urteil, dass Sz. sich als „Vertriebsassistent und Werbegestalter“ betätige. Ob sie wusste, dass der Häftling wieder im Dienst für den nationalen Kampf stand, ist nicht bekannt. Er kam frei.