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Ein Zeuge fühlt sich zu sicher – Das Medienlog vom Donnerstag, 12. März 2015

 

Marcel D. arbeitete als V-Mann für den thüringischen Verfassungsschutz – jedenfalls war das bislang Stand der Ermittlungen. Im NSU-Prozess widersprach der ehemalige Blood & Honour-Funktionär: Mit der Behörde habe er nie etwas zu tun gehabt. Doch ganz so einfach funktionierte es dann doch nicht für D. Denn die schmallippigen Antworten waren der Auftakt „einer dramaturgisch glänzenden Befragung des sich anscheinend sicher fühlenden Zeugen“, beobachtet Gisela Friedrichsen auf Spiegel Online.

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D. soll seinem Bekannten Thomas S. im Jahr 1999 eine Spende für die drei untergetauchten Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt angeboten haben. In seiner Aussage bestritt er dies. Ein Fehler, denn im Anschluss geriet „D. in Bedrängnis“, als Richter Manfred Götzl ihm eine ältere Aussage beim Bundeskriminalamt vorhielt. Darin war sehr wohl von einer Spende die Rede – und von einer Kooperation mit dem Verfassungsschutz. Auch weitere Vorhalte habe D. nicht erklären können.

Die Behauptung von Unwissenheit ist ein typisches Verhalten rechtsextremer Zeugen im Prozess. D.’s Aussage „wirkt ungewöhnlich dreist“, kommentiert Tanjev Schultz in der Süddeutschen Zeitung. Dies sei auch erstaunlich, weil der Verfassungsschutz D. für den Gerichtstermin eine unbeschränkte Aussagegenehmigung erteilt hatte. Die Befragung sei „sehr schleppend“ verlaufen. D., der noch einmal in München erscheinen muss, drohe nun ein Verfahren wegen Falschaussage. Der überaus offensive Auftritt im Verhandlungssaal machte durchaus Eindruck: „Da verschlägt es selbst Richter Manfred Götzl für einen Moment die Sprache“, notiert Kai Mudra von der Thüringer Allgemeinen.

Der zweite Zeuge, Steffen H., verfügte über Kontakt zu dem Mitangeklagten André E., der als Helfer des NSU beschuldigt wird. Wie sein Vorgänger gab er „Verharmlosungen, fehlende Erinnerung und vage Auskünfte“ zu Protokoll, berichtet Friedrichsen auf Spiegel Online. Zusammen gaben D. und H. „heute ein ziemlich jämmerliches Bild ab“, resümiert Thies Marsen vom Bayerischen Rundfunk. Die Ausflüchte hätten „eine Mischung aus Heiterkeit und Fassungslosigkeit“ beim Publikum im Saal ausgelöst.

„Gelangweilte Insassen haben Papierflieger gebastelt und nach oben auf ein Gitter geworfen, einige Wände sind bekritzelt mit Graffiti“ – so sieht es einem Bericht der Süddeutschen Zeitung zufolge hinter den Kulissen des Oberlandesgerichts aus, wo die Hauptangeklagte Beate Zschäpe vor jedem Prozesstag in eine sogenannte Vorführzelle gesperrt wird. Zuletzt zeigte Zschäpe Ermüdungserscheinungen – die möglicherweise auf ihre Unterbringung zurückzuführen sind. Ihre Anwälte hatten die Bedingungen kritisiert. Die Autoren befinden: „Erholsam ist es hier nicht.“

Aufgrund eines von den Verteidigern Wolfgang Heer, Anja Sturm und Wolfgang Stahl beantragten Beschlusses sind Kameras derzeit nur noch zweimal im Monat im Verhandlungsraum gestattet. Zschäpe habe an diesem Tag, ohne Fotografen und Kameraleute im Saal, „weniger angespannt als sonst“ gewirkt, schreibt Harald Biskup in der Berliner Zeitung. Er beobachtet: „Täuscht der Eindruck oder kümmert sich Anwalt Heer heute besonders fürsorglich um sie?“

Das nächste Medienlog erscheint am Freitag, 13. März 2015.