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Maskenmänner mit Masterplan

 

Mit Banküberfällen finanzierte der NSU sein Leben im Untergrund. Beweise aus dem Prozess zeigen: So rabiat wie die Täter vorgingen, so sorgfältig war ihre Planung.

Als die maskierten Männer kamen, war Eckhard D. wie erstarrt. Er stand am Überweisungsautomaten der Stralsunder Sparkasse, die EC-Karte steckte noch. Einer der Täter schoss in die Luft. In der Schalterhalle breitete sich der Geruch von Zündplättchen aus, der Schuss kam aus einer Schreckschusspistole. „Alles auf den Boden“, schrie der Maskierte. D. begriff nicht, was passierte. Er füllte weiter das Formular aus. Ob er blöd sei, schrie ihn der Mann an. „Ich entgegnete, ich werde nur noch die Überweisung zu Ende bringen“, erzählte der 62-Jährige vor Gericht.

Erst als die Karte aus dem Automaten kam, legte Eckhard D. sich hin. Viel später verstand er, dass er in Gefahr war. Denn die Bankräuber hatten auch scharfe Waffen dabei – und waren nicht für Friedfertigkeit bekannt: Es handelte sich mutmaßlich um die NSU-Mitglieder Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt. Am 18. Januar 2007 war es bereits das zweite Mal, dass sie in der Sparkassenfiliale Knieper Nord in Stralsund zuschlugen.

Nur gut zwei Monate früher waren sie schon einmal in das Geldhaus gestürmt. Der Doppelüberfall war Teil einer Serie von 15 Taten, mit denen der NSU seine Existenz im Untergrund finanzierte. In den vergangenen Tagen hörte das Gericht im Münchner Prozess gegen die Terrorzelle Mitarbeiter und Kunden, die unfreiwillig Zeugen davon wurden.

Mundlos, Böhnhardt und Beate Zschäpe lebten abseits eines bürgerlichen Daseins. Jeder legale Job, jeder überflüssige Kontakt, hätte das Trio in die Gefahr gebracht, entdeckt zu werden. Doch war es letztlich ein Überfall, der zur Aufdeckung des NSU führte: Im November 2011 raubten die beiden Männer eine Sparkasse in Eisenach aus, auf der Flucht wurden sie gestellt und im Anschluss tot in ihrem Wohnmobil aufgefunden.

Mit dem zweifachen Angriff auf dieselbe Filiale in Stralsund gingen Mundlos und Böhnhardt ein ungewöhnlich hohes Risiko ein. Bis heute ist nicht ganz klar, was sie dazu verleitete. Womöglich wurden sie schlicht von Habgier gesteuert – denn die Beute bei der ersten Tat war mit knapp 85.000 Euro so hoch wie nie zuvor. Noch besser lief es aus Tätersicht beim zweiten Mal: Sie stürmten mit fast 170.000 Euro aus der Filiale und flüchteten, wie immer, auf Fahrrädern.

„Ich dachte: nein, nicht schon wieder“, schilderte eine Angestellte der Filiale die Situation, als sie den Mann mit der Maske sah, auf der eine Art Vampirgesicht aufgedruckt war. Viele trugen noch lange an den seelischen Folgen der Ausnahmesituation. Eine Mitarbeiterin ließ sich in den Innendienst versetzen. Als sie die Erinnerungen auch dort nicht abschütteln konnte, quittierte sie die Arbeit.

Die Vampirmaske ist heute einer der Beweise, mit denen die Überfälle dem NSU zugeordnet werden. Sie lag 2011 im Wohnmobil in Eisenach – an der Innenseite stellten die Ermittler DNA von Uwe Mundlos sicher, in einer Skimaske hatte sich Erbgut von Uwe Böhnhardt angesammelt.

Beweise fanden Polizisten auch in der letzten Wohnung des Trios: Im Schutt des ausgebrannten Hauses in der Zwickauer Frühlingsstraße lagen die Feuerwaffen, die auf den Überwachungsbändern der Sparkasse zu sehen sind. Weitere Asservate machen stutzig: Banderolen, mit denen Geldscheine als Bündel zusammengehalten wurden – allerdings ohne die Banknoten. Anhand von Stempeln und Unterschriften ordneten die Ermittler die Banderolen der Stralsunder Filiale zu. Hatten die Bewohner in fünf Jahren nie aufgeräumt?

Die Vorbereitung der Raube war offenbar deutlich sorgfältiger als der Umgang mit der Beute, wie ein Berliner Ermittler des Bundeskriminalamts vor Gericht darlegte: Im Schutt lag eine angekokelte Liste mit Adressen von Banken und Sparkassen. Neben der Anschrift der Stralsunder Sparkasse war handschriftlich die Ziffer zwei mit einem Sternchen eingetragen.

Noch minutiöser planten die Täter den Überfall einer Sparkasse im thüringischen Arnstadt, wo sie nach fast vier Jahren Pause im September 2011 zuschlugen. Zu der Tat passte ein ausgedruckter Stadtplan, auf dem die Filiale eingetragen war, zudem die Standorte der örtlichen Polizeistationen – sogar über den Rand der Karte hinaus.

Auch bei der Flucht überließen Mundlos und Böhnhardt nichts dem Zufall. Sie wählten enge Gassen, durch die sie auf Mountainbikes flüchten und so mögliche Polizeiautos abhängen konnten. Auf einem Funkscanner konnten sie den Sprechverkehr der Fahnder mithören – auch dieses Gerät wurde im Wohnmobil in Eisenach sichergestellt.

14-mal ging die akribische Taktik auf. In der Zeit im Untergrund standen dem NSU-Trio über die Jahre rund 540.000 Euro aus Überfällen zur Verfügung. Damit hatten Mundlos und Böhnhardt jedoch nicht mehr viel zu tun: Die Kasse des Trios führte, zu diesem Schluss kam die Bundesanwaltschaft, die Hauptangeklagte Beate Zschäpe.