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Verfassungsschutz war dem NSU dicht auf den Fersen – Das Medienlog vom Donnerstag, 23. April 2015

 

Wieder einmal steht der Verfassungsschutz nach einem Verhandlungstag im NSU-Prozess in einem schlechten Licht: Der Geheimdienst war Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt nach deren Untertauchen 1998 dicht auf der Spur, sagte der heutige Chef des sächsischen Verfassungsschutzes, Gordian Meyer-Plath.

Insgesamt fünf Berichte des V-Manns Piatto deuteten damals unter anderem auf ihren damaligen Fluchtort Chemnitz hin. „Warum wurden die Tipps nicht entschlossen verfolgt?“, fragt Björn Hengst auf Spiegel Online. Richtig verwertet, hätte das abgetauchte Trio damit möglicherweise dingfest gemacht werden können.

An jedem Werktag sichten wir für das NSU-Prozess-Blog die Medien und stellen wichtige Berichte, Blogs, Videos und Tweets zusammen. Wir freuen uns über Hinweise via Twitter mit dem Hashtag #nsublog – oder per E-Mail an nsublog@zeit.de.

Piatto, damals ein gewalttätiger Neonazi, lieferte seine Hinweise Ende der neunziger Jahre an den brandenburgischen Verfassungsschutz. Meyer-Plath arbeitete dort als Quellenführer. Die Berichte habe seine Behörde weitergegeben, unter anderem an den Bundesverfassungsschutz in Köln. Unklar ist jedoch, ob auch die Polizei davon erfuhr.

Dies zeige „ein altes Problem: Die Geheimdienste teilen ihre Informationen nur ungern mit der Polizei“, kommentiert Annette Ramelsberger in der Süddeutschen Zeitung. Weitere Hinweise betrafen einen geplanten Raubüberfall, eine mögliche Flucht nach Südafrika und eine Bewaffnung des Trios.

Die Aussage des Beamten zeigte, wie bedeutend Piatto alias Carsten Sz. für die Informationsbeschaffung war: Seine Tipps waren „mit die besten, die Sicherheitsbehörden bekamen“, notiert Frank Jansen im Tagesspiegel. Umso tragischer ist vor diesem Hintergrund, dass auf die Ermittlungen kein Zugriff folgte, denn die flüchtigen Neonazis „verhielten sich damals noch nicht sehr konspirativ und tauchten auch bei Zusammenkünften der rechten Szene auf“, merkt Ramelsberger in der Süddeutschen an.

„Vielleicht wäre es dem Landesamt-Chef auch am liebsten, das Versagen der Sicherheitsbehörden nicht noch einmal offenlegen zu müssen“, schreibt Eckart Querner vom Bayerischen Rundfunk. Meyer-Plath sagte, er habe sich auch bei knapp 40 Treffen mit Piatto kein Bild von seinem Gegenüber machen können. „Irgendwie nicht vorstellbar“, kommentiert der Autor.

Im Laufe der Befragung versuchten die Anwälte von Beate Zschäpe, mehrere Fragen an Meyer-Plath zu verhindern, weil sie nicht prozessrelevant seien. Anders sah das der Verteidiger des Mitangeklagten Ralf Wohlleben: Läge Behördenversagen vor, gelte dies als strafmindernd, sagte er.

Das nächste Medienlog erscheint am Freitag, 24. April 2015.