Beate Zschäpes neuer Anwalt Mathias Grasel nimmt zum ersten Mal am NSU-Prozess teil, das Gericht setzt das Verfahren aus. Wie der Jurist sich vernünftig auf ihre Verteidigung vorbereiten will, ist zweifelhaft.
Der Neue steuert allein auf die Anklagebank im Gerichtssaal A101 zu. Im NSU-Prozess ist nichts vorbereitet für Mathias Grasel, Strafverteidiger aus München mit eigener Kanzlei, es gibt keinen Stuhl für ihn. Auf ihren Plätzen sitzen bereits die Verteidiger Anja Sturm, Wolfgang Heer und Wolfgang Stahl. Ihre Mandantin, die Hauptangeklagte Beate Zschäpe, wollte Sturm vor Kurzem mit einem Antrag ans Gericht aus dem Team herauslösen. Ein Jahr zuvor sogar alle drei. Nichts davon hat geklappt. Nur einmal hat Zschäpe Erfolg gehabt: Das Gericht hat ihr Grasel als weiteren, als vierten Pflichtverteidiger an die Seite gestellt.
Der Neue ist 30 Jahre alt, seit vier Jahren im Anwaltsgeschäft. Er tritt einem Trio abgeklärter Strafverteidiger gegenüber. Er gibt Stahl und Heer die Hand. Es wirkt, als sei es der erste persönliche Kontakt. Dennoch gehen die drei Männer danach gemeinsam durch eine Tür zu den Vorführzellen, wo Zschäpe auf den Verhandlungsbeginn wartet.
Anja Sturm bleibt zurück. Zschäpe hatte dem Gericht geschrieben, dass sie ihr nicht mehr vertraue, unter anderem, weil sie vertrauliche Informationen bei Zeugenvernehmungen genutzt habe. Heer und Stahl solidarisierten sich daraufhin mit ihrer Kollegin und schrieben Zschäpe einen mahnenden Brief. Werden die drei einen neuen Anwalt an ihrer Seite widerspruchslos akzeptieren? Werden sie mit einem zusammenarbeiten, der nach mehr als zwei Jahren und weit über 200 Verhandlungstagen plötzlich in das wohl größte Projekt ihrer Juristenkarrieren platzt? Bislang sieht es nicht danach aus.
Ein Wachtmeister bringt einen zusätzlichen Stuhl. Es ist jetzt eng auf der Bank. Ganz links sitzt der Mitangeklagte André E. mit seinen Verteidigern. Wenn Zschäpe eintritt, sitzen acht Menschen in einer Reihe. Ellenbogenfreiheit sieht anders aus. Vertraulichkeit wohl ebenfalls.
Die Nachricht, dass Grasel als Pflichtverteidiger Nummer vier eingesetzt wird, hatte sich erst einen Tag zuvor verbreitet. Der Anwalt hatte sie per Pressemitteilung selbst lanciert. Noch immer gibt es keine offizielle Mitteilung, wie Zschäpe und er zueinander gefunden haben. Fest steht allerdings, dass sein Kanzleikollege Hermann Borchert bereits in der Vergangenheit Umgang mit Zschäpe pflegte. Grasel erklärte zudem, er werde bei seinem Mandat „von einem renommierten Strafverteidiger“ unterstützt – dabei dürfte es sich um Borchert handeln.
Für Vermutungen, nach denen Grasel wie so mancher Anwalt in Haftanstalten gezielt um Mandanten gekobert habe, gibt es keine Bestätigung. Unstreitig erkennbar ist jedoch sein tüchtiger Geschäftssinn. Im Internet erteilt er Rechtsberatungen auf Portalen für Anwälte, die Fragen reichen vom Thema „Selbstbefriedigung in der Öffentlichkeit“ bis zur Trunkenheitsfahrt.
Der NSU-Prozess wird ein Kraftakt für ihn werden. Nicht nur wegen der herausragenden Bedeutung, sondern auch, weil der Verhandlungsgegenstand Tausende Hinweise umfasst, Hunderte Zeugen, Verstrickungen und vertrackte Beziehungen. Längst ist die Verfahrensakte auf über 1.000 Ordner angeschwollen, 215 Verhandlungstage sind rum.
Doch Zschäpe hat Grasel vermutlich nicht ausgesucht, weil er einen Ruf als Aktenreiter hätte. Ihre alten Verteidiger hatten sich dagegen verwahrt, dass ihre Mandantin die Oberhand der Verteidigungsstrategie übernimmt – sich also praktisch als Chefin ansieht. Zschäpe hatte nun lange genug Zeit, sich einen neuen Anwalt auszusuchen – also wohl den, der sich am stärksten als ihr persönlicher Adjutant empfohlen hat. Es liegt auf der Hand, dass Grasel Zschäpes Wünsche durchsetzen soll. Das können Anträge an das Gericht, aber auch bestimmte Fragen an Zeugen sein.
Gegen zehn Uhr tritt Beate Zschäpe ein, gekleidet im rosa Polohemd. Grasel hat am linken Rand Platz genommen, Zschäpe setzt sich daneben. Es folgen in Richtung Richterbank Wolfgang Stahl, Anja Sturm und Wolfgang Heer. Die Mandantin selbst scheidet den neuen von ihren alten Verteidigern. Zschäpe würdigt das Dreiergespann keines Blickes mehr und unterhält sich mit Grasel. Man sieht sie – was in den letzten Wochen nicht mehr vorkam – lächeln.
Als der Verhandlungstag schließlich beginnt, erteilt der Vorsitzende Richter dem neuen Anwalt das Wort. Dieser liest einen Antrag vor: Er will, dass der Prozess für drei Wochen unterbrochen wird, damit er Zeit für eine Einarbeitung hat. Kaum jemand rechnet damit, dass Götzl nachgibt. Er ist ein Feind jeglicher Verzögerungen und Extrawünsche. Nach halbstündiger Beratung überrascht der Richter: Die Verhandlung wird für diese Woche ausgesetzt, auch zwei weitere Tage im Juli fallen weg. Das genüge, meint Götzl.
Später vor dem Saal beantwortet Grasel Fragen. „Mein Ziel ist nach wie vor, dass wir eine gemeinschaftliche Linie finden“, sagt er. Ob sich die Verteidigung von Zschäpe nun zu einem Viererteam zusammenfinden wolle, dazu wolle er sich noch nicht äußern. In der freigeräumten Zeit wolle er sich nicht in die vergangenen zwei Jahre einarbeiten, sondern sich auf die kommenden Zeugenvernehmungen vorbereiten.
Langfristig aber muss sich der neue Verteidiger mit dem auseinandersetzen, was bisher geschehen ist. Andernfalls wäre er für die Mitarbeit an einem Abschlussplädoyer kaum zu gebrauchen. Auch müssen Anwälte für eine scharfe Befragung Wissen aus Vernehmungen anderer Zeugen vorhalten, die oft Monate oder Jahre her sind. Streckenweise würde Grasel so im Blindflug arbeiten – außer, Zschäpe würde ihm im Gegensatz zu ihren anderen Verteidigern mehr Informationen aus ihrem eigenen Wissen geben. Das Verhältnis zu ihr sei gut, sagt Grasel. Seine Mandantin vertraue ihm.