Eisiges Schweigen, Gesten der Verachtung: Der Bruch zwischen Beate Zschäpe und ihren Anwälten ist im Gericht nicht mehr zu übersehen. Der NSU-Prozess geht dennoch weiter.
Vielleicht wiegen kleine Gesten viel schwerer als pompöse Anträge. Auch in einem Verfahren wie dem Münchner NSU-Prozess gibt es Sticheleien und Gemeinheiten, auch hier kann man einander bedeutungsreich ignorieren. Beate Zschäpes neu beigeordneter Anwalt Mathias Grasel steht auf, als seine Mandantin eintritt und sich vom Pulk der Fotografen im Gerichtssaal abwendet. Ihre drei alten Verteidiger ziehen nicht einmal die Roben an, bis die Fotografen verschwunden sind. Anwalt Wolfgang Stahl vertieft sich in die Zeitung. Bloß nichts wahrnehmen.
Wer dem anderen Beachtung schenkt, verliert, gibt sich die Blöße. Das scheint das Spiel zu sein, das Zschäpe und ihre Stammverteidiger spielen. Sie will die Anwälte loswerden, und die würden den Job am liebsten aufgeben.
Was wird nach dem Urteil vom NSU-Verfahren in Erinnerung bleiben? Die Knalleffekte der Konflikte auf der Anklagebank? Oder die durchaus ambitionierte Aufklärungsarbeit über das Umfeld, in dem der Nationalsozialistische Untergrund in den neunziger Jahren erwuchs? Aktuell jedenfalls stellen Formalien das in den Schatten, was das Gericht über die Terrorserie mit Akribie ans Tageslicht befördert hat.
Neue Scharmützel, immerhin, gibt es am ersten Prozesstag nach der Anzeige nicht. Dafür verteilen Wachtmeister am Vormittag die Kopie eines handschriftlichen Briefs aus Zschäpes Feder. Das einseitige Dokument ist die Erwiderung auf eine Stellungnahme ihrer Anwälte. Es scheint, als würden zumindest wieder Argumente ausgetauscht.
Fast schon vergessen geglaubte Sachlichkeit auch bei der Zeugenvernehmung: Tatsächlich ist am 221. Prozesstag etwas zu erfahren über die Zeit, in der Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt eine eingeschworene Gemeinschaft namens NSU schmiedeten. Der 40-jährige Sandro T. mischte damals kräftig in der Szene mit, heute lebt er nach eigenen Angaben in Kuwait. Vom Gedankengut allerdings hat sich der Zeuge nicht entfernt. „Die nationale Bewegung wäre viel weiter, hätte es diese Vorfälle nicht gegeben“, sagt er über die Morde, die der Terrorzelle zugeschrieben werden. Es klingt nach Bedauern.
Während sich andere Rechtsextreme mit Verweigerung und Ausflüchten durch die Verhandlung wurschteln, gibt T., Mitglied der NPD, reichlich Auskunft. Die rechte Szene der neunziger Jahre gibt er in lieblichen Tönen wieder.
„Der NSU war ein Tabuthema“ sagt Zeuge T.
Zschäpe war demnach „sehr lustig und spaßig“, Uwe Böhnhardt entgegen aller bisher gehörten Beschreibungen unauffällig und friedfertig, Uwe Mundlos habe Organisationstalent besessen. Die Beschreibungen seiner Kameraden klingen wie aus dem Arbeitszeugnis. Im Januar 1998 setzten sich die drei nach einem Sprengstofffund in Zschäpes Garage in den Untergrund ab. In der Szene, erzählt T., habe man damals von zwei Flüchtigen gesprochen – Mundlos und Böhnhardt. Für Zschäpe habe man die Erklärung gehabt, dass sie „aus reiner Abenteuerlust mit auf die Flucht gegangen ist“.
Wenn die Kameraden überhaupt mal über die abgetauchten Mitstreiter sprachen. Denn in der Szene habe man alle Gespräche über sie sofort abgebügelt: „Das war ein Tabuthema.“ Jeder in den rechten Kreisen sei als Spitzel verdächtig gewesen. Das hatte zur Folge, dass kaum eine Erzählung über Gerüchte hinausging. „Man hat keinem getraut und man wollte eigentlich auch gar nichts wissen über die ganze Geschichte.“
Glaubt man T., das sollte man jedoch nicht unbedarft, waren die abgetauchten Drei in der Szene keineswegs Helden. Denn die politisch engagierten Kameraden hätten Gewalt „komplett abgelehnt“ – für Exzesse seien stets Polizei und Linksradikale verantwortlich gewesen. In der rechten Vereinigung Thüringer Heimatschutz hätten sich ausschließlich Idealisten versammelt. Die Organisation hatte T.s Kumpel Tino Brandt gegründet, der wie er aus dem thüringischen Rudolstadt stammte.
Die Stammtische des Heimatschutzes besuchten auch Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt. Auch, wenn es viele der damals Anwesenden gern bestreiten: Die späteren mutmaßlichen Terroristen radikalisierten sich vor den Augen ihrer Kameraden – denen Gewalt als Argument wohl doch lieber war, als sie heute zugeben.