Viel Geld zahlte der Verfassungsschutz einem V-Mann, der heimlich den NSU unterstützte. Im Münchner Prozess kommt heraus: Die Behörde hat die Gefahr der rechten Terrorgruppe grob unterschätzt.
Marcel D. war im Nebenjob Neonazi mit besonderen Verbindungen. Zumindest verdiente er dank seiner rechtsextremen Aktivitäten ein Gehalt, das von seinen Einkünften als Elektriker nicht allzu weit entfernt war. Seine Tätowierungen verbarg er unter der Arbeitskleidung, wenn er unter der Woche auf Montage fuhr. Zurück in seiner Heimat Gera gab es Treffen mit den Mitarbeitern des Thüringer Verfassungsschutzes, für die er als V-Mann aus der rechten Szene berichtete. Nach den Plauderstündchen gab es Bargeld: 400 bis 500 Mark jede Woche, vier Jahre lang von 1997 bis 2000.
Und D. hatte durchaus etwas zu berichten: Er war Anführer der Thüringer Sektion des aus den USA importierten Neonazi-Netzwerks Blood & Honour (B&H). Für ihn als Informanten mit dem Decknamen „Hagel“ war der Verrat an seinen glatzköpfigen Kameraden ein lukratives Geschäft. Davon berichtet am Dienstag D.s V-Mann-Führer, der frühere Verfassungsschützer Jürgen Z., im Münchner NSU-Prozess. „Er war immer offen zu mir“, erinnert sich der 64-Jährige.
Z. war es, der sich mit D. hinsetzte und aufschrieb, wo sich die Jungs von B&H trafen und welche Konzerte sie planten. Bei diesen Veranstaltungen wurden auch Spenden für Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt gesammelt – die Gruppe, die 1998 aus Jena abgetaucht war und das als Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) zehn Morde begangen haben soll.
Die Spenden, zweimal 700 Mark, hielt D. in seinem Notizbuch fest. Dazu kam ein offenbar erfolgloser Versuch, Geld an die drei weiterzuleiten. Das Geld aus D.s Hand war aber womöglich nicht viel mehr als ein Almosen für die flüchtigen Kameraden. Denn sie waren ab Ende 1998 dazu übergegangen, ihren Lebensunterhalt mit Raubüberfällen zu bestreiten.
Als D. allerdings selbst im März und Mai als Zeuge geladen war, präsentierte er dem Gericht eine überraschende Aussage: Er habe niemals als V-Mann gearbeitet. So blockierte er auch Fragen zu der Spende an den NSU. Neben all den Berichten, die er beim Landesamt für Verfassungsschutz ablieferte, ist nun die Aussage des Beamten Z. ein Schritt, D. wegen Falschaussage belangen zu können.
Dabei allerdings zeigt sich erneut, wie erstaunlich entspannt der Verfassungsschutz in frühen Zeiten mit Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt umsprang. Schon 1998 galten die drei als potenzielle Terroristen, waren doch Sprengstoff und Rohrbomben in einer von Zschäpe gemieteten Garage gefunden worden. Z. sagt, alle Quellenführer hätten damals auf Anweisung von oben jeden V-Mann gefragt, ob er etwas zum Aufenthaltsort der drei sagen könne. D. habe dies verneint und behauptet, er kenne sie überhaupt nicht. Vor dem Hintergrund seiner Spendensammelaktion eine heute schwer zu glaubende Aussage.
Wirkliches Interesse bestand aber aufseiten der Verfassungsschützer ohnehin kaum: „So hoch angebunden war das Untertauchen der drei gar nicht“, sagt Z., als ihn ein Anwalt der Nebenkläger nach Details fragt: „Es waren ja keine Rädelsführer, sondern Mitläufer.“ Eine im Rückblick fatale Fehleinschätzung der Thüringer Verfassungsschützer.
Ganz offenkundig hatte der Geheimdienst Marcel D. auch viel Geld für Geschichten bezahlt, die nicht immer stimmten. Zu dem Honorar kam die Erstattung für Spenden hinzu, die der Skinhead in der Szene tätigte. Z. erinnert sich zumindest an einen Fall, in dem sein V-Mann die milde Gabe in Rechnung stellte. Die Zahlungen an den NSU gehörten demnach jedoch nicht dazu.
Im Jahr 2000 wurde D. „abgeschaltet“. Die B&H-Bewegung wurde deutschlandweit verboten, wogegen D. und ein Kamerad mithilfe eines Anwalts vorgehen wollten. Wegen der nicht abgesprochenen Aktion musste er seine V-Mann-Karriere, jedenfalls beim Thüringer Landesamt, beenden.
Die Berichte aus seiner Spitzelzeit sind erst vor Kurzem beim Bundesamt für Verfassungsschutz in Köln wieder aufgetaucht. Sie galten zuvor als vernichtet. Fraglich ist nur, wie viele von D. frisierte oder gar erfundene Angaben noch darin stecken. Geld gab es schließlich, wie bei allen V-Männern, nur für frische Informationen. Und über die Motivation des Rechtsextremisten macht sich auch der Führungsbeamte Z. keine Illusionen: „Eine finanzielle Geschichte, denke ich mal.“