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Der souveräne Mundlos, der explosive Böhnhardt

 

Der Zeuge Tom T. wuchs mit dem späteren NSU-Trio in Jena auf. Im Prozess wundert er sich, dass die mutmaßlichen Mörder es über ein Jahrzehnt lang miteinander aushielten.

Wer verstehen will, wie aus ein paar versprengten Jugendlichen im thüringischen Jena gewaltbereite Neonazis und Terroristen wurden, der braucht sich nicht mit den großen Figuren der Szene aufzuhalten. Rechte Vordenker mauern im NSU-Prozess, sie leiden unter plötzlichen Gedächtnislücken, verlieren kaum ein Wort über ihre alten Kameraden.

Antworten liefert da eher einer wie Tom T., der mit Tätowierungen bis zum Ohr und Trainingsjacke in den Saal schlurft. Der 38-Jährige, tätig „im Stahl- und Betonbau“, lernte das spätere NSU-Trio aus der Hauptangeklagten Beate Zschäpe sowie den verstorbenen Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt kennen, als sie in den neunziger Jahren ihre rechte Sozialisation durchliefen. T. will vor sechs Jahren aus der Szene ausgestiegen sein, heute lebt er im Ruhrgebiet.

Es sind regelmäßig die Mitläufer, die im Prozess unbefangen über die Zeit sprechen, als sich die Jugendlichen die Haare abrasierten und grüne Bomberjacken zulegten. Und T. war so einer. Er traf auf „Scheitelträger“, während er selbst „mehr in die Skinhead-Richtung“ tendierte. Die jungen Rechten trafen sich damals im Winzerclub, einer Jugendeinrichtung im prekären Jenaer Stadtteil Winzerla. Doch dort waren sie bei den Sozialarbeitern nur geduldet mit ihren Ansichten über Migranten und den Staat. Es ist ein Thema, das T. auch heute nur stammelnd und hastig wiedergeben kann: „Wir waren schon politisch aktiv gewesen, ne?“

Zumindest das Feindbild war mehr oder weniger klar: „Die Ausländer … dass die daran Schuld sind, dass wir keine Arbeitsplätze haben.“ Richter Manfred Götzl stellt die klassische Konterfrage: „Kannten Sie Ausländer?“ – „Zu dem Zeitpunkt nicht.“ Er will sich lediglich an ein Erlebnis in der Disco erinnern, bei dem eine Gruppe Südländer gegenüber den Freundinnen der Jungs zudringlich geworden seien.

Trotzdem meinten die Jenaer, sie befänden sich auf politischer Mission und gründeten ihren eigenen Neonazi-Verband, nach dem Vorbild anderer Rechter, die sie auf Demonstrationen getroffen hatten. In den frühen neunziger Jahren entstand die Kameradschaft Jena, für 20 Mark im Monat war man dabei. T. glaubt heute, Böhnhardt habe damals die Beiträge eingesammelt. Als er 1997 von der Polizei vernommen wurde, gab er allerdings an, selbst der Kassenwart gewesen zu sein. Dafür aber sei er gar nicht der Typ gewesen, sagt er heute: Die Kameraden hatten pünktlich bei den Treffen zu sein, Alkohol war angeblich tabu. „Ich war knapp über 18, das war alles etwas zu heavy.“ Nach einem halben Jahr will er wieder ausgetreten sein.

In der Zeit hatte er allerdings viele wichtige Köpfe der Szene kennengelernt: Die gut vernetzten Organisatoren André K. und Ralf Wohlleben, der im NSU-Prozess als Unterstützer angeklagt ist. Den ebenfalls angeklagten Holger G., der unkompliziert rechtes Liedgut beschaffen konnte. Und vor allem das spätere NSU-Trio.

Hauptsächlich mit Mundlos kam T. in Kontakt. Er erlebte ihn als schlau und souverän – zumal er wahrscheinlich besser als T. ausdrücken konnte, was ihn an Ausländern störte. „Ihm war es wichtig, dass der andere eine eigene politische Meinung hatte und sie auch vertreten konnte.“ Mundlos selbst habe ein „Faible“ für Rudolf Heß gehabt. Er habe zwar begeistert diskutiert, sei aber nur langsam aufgetaut.

Seine damalige Freundin Zschäpe sei eher ein Anhängsel gewesen, hätte nicht viel gesagt – und wenn, dann das, was auch Mundlos sagte. Ansonsten sei sie „immer mal zu ’nem Späßchen bereit“ gewesen.

Böhnhardt hingegen schildert T. als explosiv: Bei Diskussionen habe er nicht mithalten können und sei dann wütend geworden. Vor dem reservierten Mundlos habe es deswegen lange gedauert, bis er akzeptiert war. Dafür hielt das Band zwischen den beiden bis in den gemeinsamen Tod 2011. „Ich konnte mir kaum vorstellen, dass Mundlos und Böhnhardt es so lange in einer Freundschaft aushalten“, sagt T.

Doch mit den beiden hatten sich zwei gefunden, die schließlich ganz und gar der nationalen Sache verschrieben waren. „Die haben sich wie die Szenepolizei aufgespielt“, erinnert sich der Zeuge. Man sah das extremistische Duo in Uniformen durch die Stadt gehen, die an SA-Uniformen erinnerten. Als Mundlos herausfand, dass T. gekifft oder sich betrunken hatte, gab es einen Vortrag. „Man wusste: Wenn man den in zehn Jahren nochmal trifft, hat er noch dieselbe Einstellung.“ Böhnhardt war demnach jedenfalls in seiner Jugend ein Fähnchen im Wind: „Wären wir alle links gewesen, wäre er Linksextremist geworden.“

Irgendwann aber war auch der intellektuell eher unterlegene Böhnhardt politisch eingenordet – und damit bereit für den Kampf. Das später als NSU bekannt gewordene Trio stand jetzt öfter zu dritt herum und war für die alten Freunde kaum noch zu erreichen. Im Frühjahr 1998 flüchteten sie nach einer Polizeidurchsuchung in den Untergrund. Auch bis zu T. sprach sich herum, was mit den Kameraden passiert war. Dass die drei mutmaßlich zehn Morde begingen, erfuhr er aber offenbar erst nach dem Auffliegen des NSU.

Richter Götzl fragt, ob in den Zeiten der Kameradschaft Waffen im Spiel gewesen seien. Der Zeuge verneint. Auch im berüchtigten Szeneladen Madley habe man sie nicht bekommen. Dort soll der heutige Mitangeklagte Carsten S. die Pistole gekauft haben, die bei neun Morden zum Einsatz kam. Nach T.s Schilderung unterhielt der Inhaber des Geschäfts allerdings eine enge Freundschaft zu einem der Mittelsmänner, die die Waffe aus der Schweiz nach Jena schafften. Damit ist nach Einschätzung von Prozessbeteiligten der letzte bisher fehlende Beweis in der Beschaffungskette der Ceska-Mordwaffe gefunden, die Mittelsmänner haben sich offenbar gekannt.

T. erzählt auch, dass es Diskussionen über Gewalt gegeben habe. Doch Schießübungen und Wehrsportgruppen seien als Mittel des politischen Kampfes durchgefallen. Nicht mal Schlägereien habe es gegeben.

Welches Ziel die Kameraden allerdings überhaupt erreichen wollten, das will T. heute nicht mehr wissen. „Da sollten Sie mal drüber nachdenken!“, rät der Richter eindringlich. T. muss im Oktober erneut aussagen.