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Zschäpe könnte sich mit ihrer Aussage schaden – Das Medienlog vom Dienstag, 10. November 2015

 

Zwei Sätze von Beate Zschäpe gewinnen schlagartig an Bedeutung: „Ich habe mich nicht gestellt, um nicht auszusagen.“ Und: „Da ich mich durchaus mit dem Gedanken beschäftige, etwas auszusagen (…).“ Am Montag wurde durch einen Spiegel-Online-Bericht der Autorin Wiebke Ramm bekannt, dass die Hauptangeklagte sich morgen äußern will – jedenfalls durch eine Erklärung, die ihr Anwalt Mathias Grasel verlesen soll. Dadurch steht der NSU-Prozess vor dem Umbruch – mit völlig ungewissen Folgen für Zschäpe.

An jedem Werktag sichten wir für das NSU-Prozess-Blog die Medien und stellen wichtige Berichte, Blogs, Videos und Tweets zusammen. Wir freuen uns über Hinweise via Twitter mit dem Hashtag #nsublog – oder per E-Mail an nsublog@zeit.de.

An einen Freispruch, schreibt Ramm, glaube Zschäpe wohl selbst nicht mehr. Doch wolle sie mit „einem glaubwürdigen und umfassenden, vielleicht sogar von Reue getragenen Geständnis“ vielleicht die zu einer möglichen lebenslangen Gefängnisstrafe hinzukommende Sicherungsverwahrung abwehren.

Einige Aspekte ihrer geplanten Aussage sollen konträr zu den bisherigen Erkenntnissen sein. „Das dürfte eine Menge Verwirrung stiften und nicht zuletzt den Prozess vielleicht noch mehr in die Länge ziehen, wenn neue Ermittlungsansätze auftauchen“, schreibt Hannelore Crolly in der Welt.

Wie aber wären die Konsequenzen für Zschäpe selbst? Für ihre Aussage ist lediglich ein Tag angesetzt – was dafür spricht, dass sich Zschäpe nur zu ausgewählten Aspekten äußern und keine Rückfragen beantworten will. Mit einem solchen Verhalten verliert ein Angeklagter jedoch möglicherweise „das Privileg, dass sein Schweigen zu anderen Punkten nicht zu seinen Lasten gewertet werden darf“, analysiert Helene Bubrowski in der FAZ. Juristen sprechen dann von Teilschweigen – eine halbe Einlassung, die dem Mitangeklagten Holger G. bereits zum Verhängnis zu werden droht. Das heißt: Zschäpe könnte nach der Aussage sogar noch schlechter dastehen als zuvor.

Ein zentraler Aspekt der Aussage könnte auch die Brandstiftung in der Zwickauer Frühlingsstraße sein, dem letzten Versteck des NSU, wie Welt-Autorin Crolly schreibt. Diese wird Zschäpe als versuchter Mord angelastet. Zudem könnte Zschäpe Unterstützer des NSU benennen. „Damit würden die Ermittler und die Bundesanwaltschaft blamiert.“ Denn die Anklage geht bislang weitgehend davon aus, dass der NSU als isoliertes Trio handelte. Als weniger drastisch wertet die Autorin die Folgen für Zschäpe selbst: Für sie werde es „wohl zu spät sein, um das Ruder noch einmal maßgeblich herumzureißen“.

Tatsächlich scheine es, als ob ihr neuer Anwalt lediglich „eine halbherzige Abkehr der bisherigen Strategie beabsichtigt“, kommentiert Christian Gottschalk in der Stuttgarter Zeitung. Diese Strategie bedeutete bislang, eisern zu schweigen. Nun komme der Verdacht auf, dass sich die Angeklagte „selbst als Hauptdarstellerin begreift, die bestimmen möchte, wo es lang geht“. Schließlich könnten 14 Jahre im Untergrund kaum „durch den Monolog eines Anwalts ausgeleuchtet werden“, schreibt Mirko Weber in derselben Zeitung.

Ähnlich sieht es Holger Schmidt vom SWR, der den Fall für die Tagesschau kommentiert: „Eine Lebensbeichte scheint ebenso ausgeschlossen wie eine Entschuldigung.“ Eher sei zu erwarten, dass sich Zschäpe als Opfer darstelle und versuche, „um die eigentlichen Morde herumzureden und ihre Rolle klein zu machen“.

Der genaue Inhalt bleibt vermutlich bis zur Verlesung geheim. Wenn eine Strafmilderung möglich ist, könne die Angeklagte womöglich auch „Auskunft über eine Verstrickung in Nachrichtendienste geben“, wie der Nebenklageanwalt Yavuz Narin im Interview mit der Nachrichtenagentur dpa sagt. Er gehe davon aus, „dass sie sehr viel weiß, auch über die Mordpläne“.

Auch andere Anwälte der Nebenklage äußerten sich am Montag zu Zschäpes Plänen. Sie vermuten, dass die Hauptangeklagte aus der Gewissheit handelt, beim Urteil nichts mehr zu verlieren zu haben. „Egal was Zschäpe jetzt macht, eine höhere Strafe kann sie nicht erhalten“, sagt etwa der Opfervertreter Alexander Hoffmann in einem Artikel auf Spiegel Online.

Kollege Stephan Kuhn sagt: „Ich glaube nicht, dass Frau Zschäpes Erklärung wirklich Licht ins Dunkel bringen wird.“ Zschäpes eigene alte Anwälte Wolfgang Heer, Wolfgang Stahl und Anja Sturm erfuhren übrigens auch erst aus den Medien von Zschäpes Aussagebereitschaft. Sie selbst hat die Einlassung offenbar ausschließlich mit ihrem neuen Verteidiger Grasel und dessen Kanzleikollegen Hermann Borchert vorbereitet. Die Richter sollen hingegen seit Längerem eingeweiht sein.

Das nächste Medienlog erscheint am Mittwoch, 11. November 2015.

ZEIT ONLINE  fasst den Prozesstag am Abend auf diesem Blog zusammen. Informationen aus der Verhandlung gibt es via Twitter hier. Weitere Berichte stellen wir morgen im NSU-Medienlog zusammen.

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