In ihrer Aussage im NSU-Prozess hat sich Zschäpe bedeckt gehalten – wird sich das ändern, wenn sie Fragen des Richters beantwortet? Das Gericht hat nun offenbart, welche Details es für die wichtigsten hält.
Wie entlockt man jemandem etwas, der vielleicht nur so tut, als wolle er etwas sagen? Die Hauptangeklagte im Münchner NSU-Prozess, Beate Zschäpe, hat ihren Anwalt vergangene Woche eine 53 Seiten starke Aussage verlesen lassen. Schlauer war danach niemand: In dem Schriftstück schiebt Zschäpe alle Schuld an der rechtsextremen Mordserie auf ihre verstorbenen Komplizen Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt – etwas, was der 40-Jährigen und ihrem Anwalt kein Prozessbeobachter abkaufte.
In Wahrheit schwieg Zschäpe also weiter – jedenfalls an den Stellen, an denen es ihr gut zu passen schien. Dem vorsitzenden Richter Manfred Götzl reichte diese auf größtmögliche Unschuld getrimmte Einlassung nicht, das war schnell klar. Zschäpes Anwälte jedoch kündigten an, Fragen nur schriftlich beantworten zu wollen.
Am Dienstag trat das Gericht nun neu zusammen. Und Götzl versuchte es noch einmal und fragte Zschäpe, ob sie zumindest Fragen zu ihren Lebensverhältnissen selbst beantworten wolle. Mathias Grasel, der Verteidiger, lehnte ab. Seine Mandantin treibe die Sorge um, „dass es aufgrund der Umstände nicht möglich ist, die Worte so zu wählen, dass es nicht zu Fehl- oder Missinterpretationen kommen kann“. Zschäpe hat Angst, sich zu verplappern, versehentlich ein Stück Wissen preiszugeben, das ihr am Ende als Schuldeingeständnis ausgelegt wird.
Die Angeklagte geht auf Nummer sicher – auch, wenn sie so längst deutlich gemacht hat, dass taktische Erwägungen und nicht unbedingt das Bedürfnis aufzuklären bei ihrer Aussagebereitschaft eine entscheidende Rolle spielen.
Das Gericht lässt sich dennoch auf die mühselige Prozedur ein. Götzl verlas eine Liste von über 50 Fragen an die Angeklagte – den vollständigen Katalog haben wir hier dokumentiert. In dreien geht es um ihre Lebensumstände, in den restlichen um die Tatvorwürfe. Anwalt Grasel schrieb mit und erbat sich einige Tage Zeit, um die Antworten in Abstimmung mit seiner Mandantin aufzuschreiben. Die Antworten wird er wohl im neuen Jahr verlesen.
Zu den Taten an sich hat der vorsitzende Richter keinerlei Fragen – Zschäpe hatte ausgesagt, dass Mundlos und Böhnhardt ihr von den Morden und Bombenanschlägen immer erst hinterher erzählt hätten. Umfangreich will sich Manfred Götzl jedoch der rechten Szene widmen: So fragt er, mit welchen Freunden sich Zschäpe zu der Zeit traf, als sie ihre späteren Komplizen in Jena kennenlernte. Auch möchte er wissen, wer aus ihrer Sicht Mitglied der rechtsextremen Kameradschaft Jena war, einer Gruppierung, in der das spätere NSU-Trio verkehrte.
Zwei weitere Fragen beziehen sich auf den Thüringer Neonazi-Vordenker und V-Mann des Verfassungsschutzes, Tino Brandt, den Zschäpe in ihrer Aussage als wesentlichen Grund für ihre Radikalisierung dargestellt hatte. Götzl fragt ansonsten aber nicht weiter nach möglichen Verbindungen des Verfassungsschutzes oder anderer Geheimdienste zum NSU – was etwas verwundert, da er Nachfragen in diese Richtung lange Zeit im Prozess unterstützt hatte. Denkbar ist allerdings, dass Götzl es halten will wie schon bei vielen rechtsextremen Zeugen im Verfahren: sich über mehrere Fragen so an den Kern der Sache heranzutasten, dass ein glaubhaftes Leugnen kaum mehr möglich ist. Bei einer mündlichen Vernehmung funktioniert das. Schriftlich erscheint es wesentlich schwerer.
Fragen nach Zschäpes eigener Beteiligung an den Aktivitäten des NSU kommen etwas kurz. So fragt Götzl nicht, ob Zschäpe – mit welchen Mitteln auch immer – einmal versucht habe, der Mordlust ihrer Kameraden Mundlos und Böhnhardt Einhalt zu gebieten.
Die Aussagekraft von Zschäpes Antworten lässt sich erahnen – wesentliche Erkenntnisse wird sie ihrer Einlassung jedenfalls nicht hinzufügen. Bleibt die Frage: Wieso lässt sich das Gericht darauf ein? Im deutschen Strafprozess gilt das Prinzip der Mündlichkeit – von dem bei Aussagen allerdings bisweilen abgewichen wird. Höchst selten ist jedoch, dass sämtliche Fragen zunächst gestellt und dann mit reichlich Bedenkzeit schriftlich beantwortet werden, um dann von einem juristischen Profi vorgetragen zu werden. Denn zur Sache äußern soll sich immer noch der Angeklagte selbst.
Ist das fair etwa gegenüber dem Mitangeklagten Carsten S., der zu Prozessbeginn gleich neun Tage lang ausgesagt hatte – mit brutalstmöglicher Offenheit und ohne Netz und doppelten Boden? S. selbst sagte hinterher, er habe sich „nackig gemacht“: Erst entblätterte er Details wie die Entdeckung seiner Homosexualität, später weinte er, als er Hinweise auf einen möglichen weiteren Bombenanschlag gab – dies übrigens eine Erinnerung, die er seinen Anwälten zuvor nicht erzählt hatte. Eine schriftliche Stellungnahme wäre wohl weitaus zahmer ausgefallen.
Zschäpe darf sich, wie es als Angeklagte ihr Recht ist, nach Belieben äußern oder nicht äußern. Die Art der Verhandlung aber darf sie nicht diktieren. Hat sich das Gericht nun das Heft aus der Hand nehmen und von ihrem Verteidiger vorführen lassen? Nicht unbedingt. Schließlich ist zu erwarten, dass der Mangel an wahrer Aussagebereitschaft eben nicht zu einem Strafrabatt führt, wie wohl von Zschäpe erhofft.
Zschäpe aber hat gezeigt, dass eine Aussage aus eigenem Mund absolut ausgeschlossen ist. Götzl hat das erkannt und versucht nun zumindest, weitere Namen aus der rechten Szene zu recherchieren und das Bild vom Innenleben des NSU abzurunden. Beim Urteil dürfte der Richter noch genug Gelegenheit finden, seine Durchsetzungskraft zu demonstrieren.