Die Bankangestellte glaubt, dass der Mann mit der schwarzen Maske auf Drogen ist, so irrsinnig springt er mit gezogener Pistole durch den Schalterraum der Zwickauer Sparkassenfiliale. Danielle G. erstarrt, als der Räuber „Gib das Geld raus!“ schreit. Sie sieht, wie er nach einem Tischventilator greift und ihn einer Kollegin auf den Arm, einer anderen auf den Kopf schlägt. Dann wirft er eine Vase in Richtung eines Fensters. „Nur Angst, nur furchtbare Angst“, so beschreibt sie das Gefühl.
Am 5. Oktober 2006 stürmte Uwe Böhnhardt nach Überzeugung der Anklage die Filiale in der Zwickauer Kosmonautenstraße. Es war der elfte von 15 Überfällen, mit denen der Nationalsozialistische Untergrund (NSU) sein Leben in der Anonymität finanzierte, die Grundlage für die Mordserie an neun Migranten und einer deutschen Polizistin.
Diese Tat allerdings stach unter den anderen heraus: Normalerweise raubte Böhnhardt zusammen mit seinem Komplizen Uwe Mundlos, sie flüchteten meist mit mehreren Zehntausend Euro. Doch diesmal war Böhnhardt allein, er entkam ohne Beute – und ein Mensch wäre fast gestorben.
Die Stimme der heute 50 Jahre alten Danielle G. bebt, wenn sie als Zeugin im Münchner NSU-Prozess von der Tat erzählt. Zwischendurch legt ihr ein Wachtmeister Taschentücher auf den Tisch.
Böhnhardt hält der Angestellten die Pistole an die Stirn, „ist ja gut, ist ja gut“, kann sie nur sagen. Nach der Attacke mit dem Ventilator weisen die Kollegen den Täter darauf hin, dass nur der Chef den Tresor öffnen kann. Und der ist nicht da. Die anderen rennen in Richtung Kaffeeküche, Böhnhardt hinterher. Danielle G. bleibt mit Nico R. in der Schalterhalle zurück, dem damals 18-jährigen Auszubildenden.
Auf den Rücken gesprungen
Dann hören sie einen Schuss. Frau G. glaubt, dass jemand erschossen wurde. Tatsächlich hat ein Kunde versucht, den Räuber aufzuhalten, im Handgemenge schießt Böhnhardt auf den Fußboden, direkt neben G.s Schreibtisch.
Böhnhardt läuft zurück zu den Bankschaltern. Er steht jetzt direkt vor Nico R. „Wenn dein Chef in drei Sekunden nicht da ist, knalle ich dich ab“, droht er. Er dreht sich zu Frau G. Da sieht R. seine Chance, er springt von hinten auf Böhnhardt und versucht, ihn zu überwältigen. „Bist du verrückt?“, ruft der Täter. Ohne hinzuschauen, hält er seine Pistole nach hinten. Und drückt ab.
R. ist im Prozess deutlich ruhiger und gefasster als seine damalige Kollegin – obwohl auch ihm die Folgen des Überfalls nicht erspart geblieben sind. Er sagt, er habe damals gedacht, der Täter habe nur eine Schreckschusspistole dabei. Doch dann habe er sich an den Bauch gegriffen und Blut an seinen Händen gesehen. Böhnhardt hatte ihm durch den Oberkörper geschossen, das Geschoss zerfetzte seine Milz und streifte die Wirbelsäule.
Möglicherweise wäre es anders gekommen, wenn Böhnhardt und Mundlos gemeinsam in die Filiale gekommen wären. Immer wieder haben Zeugen berichtet, wie gewalttätig und überschießend Böhnhardt sein konnte. Mundlos dürfte bei vielen Taten das ausgleichende Moment gebildet haben. Doch diesmal entfaltete sich Böhnhardts explosives Wesen ohne jede Hemmung.
Die Milz entfernt
R. bricht zusammen. Frau G. kniet sich neben ihn, streichelt ihn und bittet ihn, durchzuhalten. Zufällig ist ein Arzt an der Sparkasse, dem Böhnhardt draußen im Vorbeilaufen mit der Pistole auf den Kopf zielt. Er versorgt den zusammengebrochenen R. mit Schmerzmitteln und einer Infusion. Es ist eine lebensgefährliche Verletzung.
Böhnhardt nahm offenbar ohne Schwierigkeiten den Tod des jungen Manns in Kauf, um rauben zu können. Deshalb wertet die Bundesanwaltschaft die Tat als versuchten Mord. Das kann der Hauptangeklagten Beate Zschäpe zum Verhängnis werden: Als Mitglied des rechtsextremen Gruppe muss sie nach Ansicht der Ankläger auch für diese Tat die Verantwortung übernehmen, denn auch die Überfälle dienten der Sicherung der terroristischen Ziele.
Zumal Zschäpe bei ihrer Aussage im Dezember zugegeben hatte, grundsätzlich in die Überfälle eingeweiht gewesen zu sein: „Ich war damit einverstanden, weil auch ich keine Möglichkeit sah, legal und ohne Gefahr der Verhaftung an Geld zu kommen“, so verlas ihr Anwalt Mathias Grasel die Einlassung. Auch wenn die Angeklagte behauptet, sich nie an der Planung der Raube beteiligt zu haben, hat sie sich diese bereits zu eigen gemacht. Möglicherweise, ohne die Folgen abgeschätzt zu haben. Auf versuchten Mord steht lebenslange Haft.
Böhnhardt flieht auf einem Fahrrad, wegen der verriegelten Tresortür jedoch ohne Geld. Zurück bleiben schwer geschädigte Angestellte der Sparkasse. Nico R. liegt zwei Wochen im Krankenhaus, ihm muss die Milz entfernt werden, er kann sich aus dem Liegen nicht mehr ohne Arme aufrichten.
Noch drastischer sind die seelischen Folgen. Ein halbes Jahr lang versucht er, wieder in der Sparkasse anzufangen, doch irgendwann geht es nicht mehr. Ein Jahr lang ist er krankgeschrieben, dann macht er eine Umschulung zum Tischler. Weil er durch eine Operationsnarbe nicht mehr schwer heben kann, folgt die nächste Eingliederungsmaßnahme. Heute macht er einen Bürojob. „Ich kann damit umgehen. Ich versuche, das einfach zu verdrängen“, sagt er.
Für Frau R. war es „eine ganz schwere Zeit“. Den Kollegen habe es geholfen, sich in der Küche zusammenzusetzen und über die Tat zu reden. Im Dienst habe sie sich beherrschen müssen. Wenn sie im Fernsehen jemanden mit einer Maske sieht, schaltet sie ab. „Ich hätte nicht gedacht, dass mich das noch mal so stark beeinflusst“, sagt sie.