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Falsches Spiel mit Zschäpes Brief? – das Medienlog vom Donnerstag, 14. April 2016

 

Mag sich im NSU-Prozess an sich derzeit nicht allzu viel bewegen – die Hauptangeklagte des Verfahrens, Beate Zschäpe, kann immer noch durch Einblicke in ihr Seelenleben für Aufsehen sorgen. In einem Brief an die Richter lässt sie Mitleid für die NSU-Opfer erkennen, jedenfalls für die Betroffenen der Raubüberfälle. „Mir tut es leid, was diese Menschen erleben mussten“, heißt es dort unter anderem. Doch das ist offenbar weniger als die halbe Wahrheit. „Hinter Zschäpes Empörung versteckt sich augenscheinlich ein anderer Grund“, schreiben Helene Bubrowski und Karin Truscheit von der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Denn mit dem Brief könnte ein falsches Spiel getrieben worden zu sein.

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In dem Schreiben entschuldigt sich Zschäpe für das Verhalten ihrer Anwälte Wolfgang Heer und Wolfgang Stahl bei der Befragung eines Überfallopfers im März. Der Zeuge äußerte sich allgemein zum Staatsversagen im NSU-Komplex, was die Verteidiger sogleich unterbanden – juristisch korrekt, vielleicht mit wenig Fingerspitzengefühl. Die Verbreitung des Dokuments zeige jedoch, „dass es vor allem darum ging, Stahl und Heer öffentlich vorzuführen“, schreiben Bubrowski und Truscheit. Denn Zschäpes neuer Anwalt Mathias Grasel verschickte ihn über einen E-Mail-Verteiler an Journalisten, mit der Bitte, nicht als Verbreiter genannt zu werden, wie am Vortag öffentlich wurde.

Den FAZ-Autoren zufolge könnte sich Grasel mit der Aktion strafbar gemacht haben. Dieser sagt hingegen, er habe das Dokument mit Zustimmung seiner Mandantin weitergeleitet. Die Idee, den Brief zu schreiben, sei von ihm.

Auch Gisela Friedrichsen von Spiegel Online erkennt in dem Brief vor allem Kalkül. „Zschäpe versucht hier, zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen. Zum einen wolle sie Reue zeigen, zum anderen gehe es ihr darum, „ihrem Abscheu vor den alten Verteidigern freien Lauf zu lassen“. Ziel sei es letztlich, „sich selbst in ein gutes Licht zu rücken“.

„Dass Zschäpe die beiden Verteidiger hart kritisiert, ist offenkundig Teil der Strategie, die Anwälte loszuwerden“, merkt auch Frank Jansen vom Tagesspiegel an. Bei dem Disput mit den drei Altverteidigern handle es sich um einen „Kleinkrieg“.

Als Zeuge sagte am Mittwoch zum zweiten Mal der aus dem kriminellen Milieu stammende Jens L. aus. Er machte zwar wenige Angaben, „bestärkte aber dennoch den Verdacht, dass die Neonaziszene um die mutmaßlichen NSU-Terroristen mit Rotlicht- und Drogengangstern kooperierte“, heißt es in einem dpa-Bericht. Zum Schluss verweigerte er jede weitere Aussage, da er nach eigenen Angaben fürchtete, sich selbst einer Straftat zu bezichtigen.

Sein Aussageverhalten war „mehr als provokativ“, bilanziert Oliver Bendixen vom Bayerischen Rundfunk. Richter Manfred Götzl habe ihm allerdings geglaubt, dass er von früheren Komplizen bedroht werde, wie der Zeuge selbst angegeben hatte.

Das nächste Medienlog erscheint am Freitag, 15. April 2016.