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Beweise aus dem Urlaubsalbum?

 

Eine glückliche Beate Zschäpe neben ihren beiden Männern auf Urlaubsfotos – der Beleg, dass die Angeklagte in ihrer Aussage gelogen hat? Im NSU-Prozess stellt sich die Frage nach der Grenze zwischen Beweis und Mutmaßung.

„Moin, moin!“, grüßt der Zeuge Kunibert W. norddeutsch-fröhlich, als er zu seiner Aussage in den Saal des Münchner Oberlandesgerichts eintritt. Er ist einer von etlichen Menschen, die Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt trafen, ohne zu wissen, wen sie da vor sich hatten. In seinem Fall war es eine kurze Begegnung: Unter Tarnnamen hatte das Trio im Sommer 2004 einen Wohnwagen auf dem Campingplatz im schleswig-holsteinischen Ascheberg reserviert, den W. betreute.

Wie die drei aussahen, daran erinnert sich W. nicht mehr. Aber daran, dass es Unmut gab: Den Urlaubern war der angebotene Wagen zu klein und zu unmodern. Nach zehn Minuten fuhren sie weiter.

Man schätzte eben Komfort und Gediegenheit. Den Rest des gut zweiwöchigen Urlaubs verbrachten Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt auf zwei anderen Campingplätzen in der Nähe. Unbeschwerte Tage – obwohl Mundlos und Böhnhardt rund sechs Wochen zuvor, am 9. Juni, eine Bombe in der Kölner Keupstraße gezündet und damit über 20 Menschen teils schwere Verletzungen zugefügt hatten.

Die Reisen des NSU-Trios waren im Terrorprozess immer wieder Thema. Im Urlaub nämlich trauten sich die drei aus der Deckung der konspirativen Wohnungen, in denen sie über die Jahre wohnten. Es gab Sport, Geplänkel mit den Campingnachbarn, und ab und zu kaufte Uwe Mundlos mal einen Döner. Seit 2004 fuhren sie jährlich in Urlaub, besonders häufig auf die Ostseeinsel Fehmarn.

Ermittler und Richter interessieren sich für die Urlaube, weil Ferienbekanntschaften der drei mehrfach bezeugten, dass Zschäpe dabei die Kasse der drei verwaltete – nach Ansicht der Bundesanwaltschaft ein Indiz dafür, dass Zschäpe sich gegenüber den Männern behaupten konnte. Zum anderen stand zur Zeit der Ermittlungen wohl auch die Möglichkeit im Raum, anhand der Campingplatz-Aufenthalte Rückschlüsse auf weitere Taten zu erlangen. Darum ließ das Bundeskriminalamt die Meldebögen sämtlicher deutscher Zeltplätze mit einer Liste von Aliasnamen der drei abgleichen.

Die Ferien in Schleswig-Holstein sind nicht nur durch Meldedokumente, sondern auch durch zahlreiche Fotos dokumentiert: Böhnhardt und Zschäpe sitzen am Plastiktisch und genießen die Sonne, alle drei sitzen im Wohnwagen, Böhnhardt auf einem Sportboot, ein Stadtausflug nach Kiel. Fotos, die wie das damalige Auftreten der mutmaßlichen Terroristen eigentlich nicht stutzig machen.

Anderer Ansicht war der Kölner Anwalt Eberhard Reinecke, ein Vertreter von Opfern der Keupstraße. Er ließ die Fotos von 2004 kürzlich per Beweisantrag in den Prozess einführen und bezog sich auf Zschäpes Aussage vom Dezember 2015. Darin berichtete sie, dass Mundlos und Böhnhardt ihr kurz nach dem Kölner Anschlag von ihrer Tat erzählt hatten. In der Erklärung folgte der Satz: „Ich war einfach nur entsetzt und konnte diese Aktion nicht nachvollziehen.“

Reinecke betrachtete die Fotos als Beweis, dass Zschäpe gelogen hatte: Entsetzen über die Bombentat ihrer Komplizen, gefolgt von einem harmonischen Urlaub – das passe nicht zusammen, ließ er wissen.

Anders sah das Zschäpes Anwalt Wolfgang Stahl, der wie seine Kollegen Anja Sturm und Wolfgang Heer seit über einem Jahr von Zschäpe ignoriert wird, angesichts dieser gewagten Argumentation aber nicht schweigen konnte: Die Schlussfolgerungen Reineckes seien „nicht zwingend“, warf er ein.

Nun folgte die Replik des Nebenklageanwalts: Ja, man könne die Fotos auch anders interpretieren, sagte er, „dies räume ich ein“. Vor Gericht komme es jedoch nicht darauf an, zu zwingenden Schlüssen zu kommen – und seine Interpretation sei schließlich naheliegender als alle anderen. So zeigten die Fotos mit Mundlos und Böhnhardt „junge Männer, die mit ihrem Leben hochzufrieden sind“, diese „halten sich mit Laufen fit und entdecken ihre Freude an Booten“. Zudem sei damit das weiterhin liebevolle Verhältnis zwischen Zschäpe und den Männern belegt, auch nach dem Kölner Anschlag.

Aus ein paar Urlaubsknipsereien auf die soziale Konstruktion des NSU zu schließen – man könnte sagen, dass hier ein Anwalt eine These ein klein wenig zu vehement vertreten hat. Dennoch gibt der Fall einen Ausblick auf das, was wahrscheinlich in den kommenden Monaten im Besprechungszimmer der Richter stattfinden wird: eine Diskussion um die Auslegung der zahlreichen Indizien, aus denen die NSU-Anklage gebaut ist.

Besonders über die Rolle Zschäpes und die Frage, ob sie die Taten von Mundlos und Böhnhardt unterstützte, dürfte unter den Richtern leidenschaftlich diskutiert werden. Vor dem Urteil halten Ankläger, Verteidiger und Nebenklage ihre Plädoyers – dann werden wohl noch einige Interpretationen dazukommen.