Bezahlte V-Mann Tino Brandt die NSU-Mordwaffe? Im Münchner Prozess bestreitet der Neonazi den Vorwurf – und führt den Verfassungsschutz vor.
Seine Personalien muss Tino Brandt auch bei seinem vierten Termin im NSU-Prozess noch angeben – geboren am 30. Januar 1975 im thüringischen Saalfeld, gelernter Kaufmann im Einzelhandel, allerdings „derzeit ohne Arbeit“. Was wenig verwunderlich ist angesichts der Tatsache, dass Brandt seit Dezember 2014 wegen Kindesmissbrauchs in Haft sitzt.
In der rechten Szene Thüringens war Brandt in den neunziger Jahren das Scharnier, über das jede Demonstration, jede öffentlichkeitswirksame Kundgebung lief. Zum unumstrittenen Anführer stieg er dank der Honorare auf, die ihm der Verfassungsschutz zahlte, geschätzt 200.000 Mark von 1994 bis zu seiner Enttarnung 2001. Seit gut einem halben Jahr steht eine neue Frage im Raum: Bezahlte Brandt von diesem Geld den Kauf der Pistole Ceska 83, mit der Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt neun Menschen erschossen haben sollen?
Behauptet hatte das der Mitangeklagte Ralf Wohlleben. Der Anklage zufolge gab er dem ebenfalls vor Gericht stehenden Carsten S. um die Jahrtausendwende Geld und Auftrag zum Waffenkauf. Im Dezember 2015 entschloss sich Wohlleben jedoch zur Aussage – dabei stritt er jede Verwicklung in den Deal ab und brachte Brandt als Finanzier ins Spiel.
Die Behauptung hat Brandt eine neuerliche Reise von Thüringen nach München eingebracht. Es liegt auf der Hand, dass der 41-Jährige seinen Gefängnisaufenthalt nicht noch durch eine Verurteilung wegen Beihilfe zum Mord verlängern will – zumal ihm ohnehin noch eine weitere Anklage ins Haus steht.
„Momentan nicht erinnerlich“
Es folgt daher der von Brandt gewohnte Auftritt: Plauderei mit der Gewandtheit eines rhetorisch geschulten Rechten, ohne sich selbst oder einen seiner alten Kameraden mit belastenden Aussagen ans richterliche Messer zu liefern. Diesmal allerdings tritt Brandt an der Seite des Rechtsanwalts Thomas Jauch auf, der als Zeugenbeistand fungiert – eine Art Verteidiger für Zeugen.
Richter Manfred Götzl fragt: Hat es eine Geldübergabe von Brandt an Carsten S. gegeben? Es sei ihm „momentan nicht erinnerlich, ihm Geld gegeben zu haben“, antwortet der Zeuge. Doch das ist noch nicht alles: „Ausschließen kann ich das nicht, da ich sehr viel Geld vom Landesamt für Verfassungsschutz für alle möglichen Tätigkeiten weitergegeben habe.“
Das Thüringer Landesamt ließ sich acht Jahre lang von Brandt mit Informationen versorgen. Eine Tätigkeit, die der weiterhin linientreue Neonazi heute bereut – der Spitzeldienst sei ein Fehler gewesen, „was mich mein Leben, mein Alles gekostet hat“, wie Brandt in seiner ersten Aussage zu Protokoll gegeben hatte. Der Groll schwingt noch immer mit.
Und so erzählt er gern davon, wie das Landesamt über seine Person Geld in die rechte Szene pumpte, aus heutiger Sicht ein perverses Gebaren, mit dem Brandt seine früheren Partner immer wieder vorführen kann. Aus Geldzuwendungen bezahlte er etwa Geldstrafen seines Kumpels André K., einem Freund des NSU-Trios. Wie oft und in welcher Höhe das Geld hereinkam, darüber will er kein Buch geführt haben. „Es war recht alltäglich“, sagt er, „ein durchlaufender Posten“. Sprich: Der Verfassungsschutz war für die Neonazis die reinste Geldquelle.
Furcht vor der Rasterfahndung
Auch an Mundlos, Böhnhardt und Beate Zschäpe sollen über Brandt einmal 500 Mark aus der Kasse des Geheimdienstes geflossen sein. Von Götzl erneut nach dem Zweck gefragt, führt Brandt aus, dass das 1998 abgetauchte Trio die Spende für „das pure Überleben“ genutzt habe. Darüber, dass die drei eine Waffe besaßen, will er nichts gewusst haben.
Das herumgereichte Geld jedenfalls sei stets in bar weitergegeben worden, sagt Brandt auf Frage von Wohllebens Anwalt Wolfram Nahrat: „In der rechten Szene überweist man ja nicht solche Summen und sagt: Helft damit drei Mann.“ Dabei habe auch die Furcht vor einer Rasterfahndung mitgespielt.
Wohllebens Verteidigerin Nicole Schneiders fragt Brandt nach einem Begriff, der aus den Gerichtsunterlagen stammt: Sonderaktion. Ins Spiel gebracht hatte ihn ein Münchner Gefängnisinsasse, mit dem Brandt während seiner ersten Aussage im September 2014 zusammen Hofgang hatte und dem er offenbar einiges anvertraute, wie der Häftling in einem Fax an das Gericht behauptete.
Darin heißt es, bei einem konspirativen Gespräch von Telefonzelle zu Telefonzelle habe Uwe Böhnhardt Brandt „um finanzielle Unterstützung für eine Sonderaktion“ ersucht. Was sich dahinter verbirgt, habe Brandt damals im Vertrauen gesagt, danach habe er nicht gefragt.
Mehr ist dazu nicht zu erfahren. Brandt sagt, der Mitinsasse habe „seine Fantasie sprießen lassen“ und die Informationen an die Presse verkauft. Auch Carsten S., der Waffenkäufer, habe ihn seiner Erinnerung nach nie um Geld für eine entsprechende Aktion gebeten.
Nach Brandts Aussage liegt der Ball nun wieder bei Wohllebens Verteidigern. Werden sie das Gericht noch einmal deutlich daran erinnern, dass Brandt die Finanzierung der Pistole zumindest nicht eindeutig abgestritten hat? Die Überzeugungsarbeit in dem Fall wird nicht einfach. Dass das Geld von Wohlleben stammte, hatte Carsten S. gegenüber Ermittlern ausgesagt – und zwar schon 2012, kurz nach seiner Festnahme. Nicht erst, als es im Prozess taktisch klug schien.