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Das Plädoyer ist gehalten

 

Im NSU-Prozess haben sich die Verteidiger des Mitangeklagten Ralf Wohlleben auf eine Verteidigungslinie festgelegt: Ihr Mandant sei das Opfer. Stimmig wirkt das nicht.

Eigentlich folgt das Plädoyer der Verteidiger erst nach der Beweisaufnahme, wenn also alle Zeugen gehört und alle Beweisstücke gesichtet sind. Es ist der letzte Appell ans Gericht, die letzte Chance, noch einmal mit Argumenten zu punkten – bevor die Richter eine möglicherweise sehr lange Haftstrafe verhängen.

Im NSU-Prozess aber warten immer Überraschungen. Und so ist am Dienstag lange vor Ende der Beweisaufnahme ein Vortrag zu hören, der alle Qualitäten eines Plädoyers besitzt – gehalten von Nicole Schneiders und Olaf Klemke, den Verteidigern des Mitangeklagten Ralf Wohlleben. Überraschend legen sich die Anwälte dabei auf eine Verteidigungslinie fest: Ihr Mandant stehe als „Sündenbock“ des gleichsam wegen der Beihilfe zum Mord angeklagten Carsten S. vor Gericht.

S. überbrachte Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt 1999 oder 2000 die aus der Schweiz nach Deutschland geschmuggelte Pistole Ceska 83, mit der die NSU-Mitglieder später neun Menschen erschossen. Angewiesen wurde der damals etwa 20-Jährige von Wohlleben, wie er zu Prozessbeginn ausgesagt hatte. Wohlleben habe ihm auch das Geld gegeben, um die Waffe bei einem Verbindungsmann zu kaufen.

Der so beschuldigte bestritt seine Beteiligung, als er im vergangenen Dezember vor Gericht aussagte – zweieinhalb Jahre nach S.‘ öffentlicher Einlassung. Nun legen Wohllebens Verteidiger nach: S. versuche, „den Kopf aus der Schlinge zu ziehen und jemand anderen zu belasten“.

Dabei stützen sie sich auch auf Protokolle von Vernehmungen, die Beamte des Bundeskriminalamts mit S. führten. Denn S. hatte sich dabei oft überaus vage geäußert: „Es kann möglich sein, dass ich bei einem Treffen mit Sch. den Kaufpreis erfahren haben könnte und dann Rücksprache mit Wohlleben hielt“, heißt es etwa in einer der Niederschriften. Die Schlussfolgerung der Anwälte: „Bei einem Zeugen wäre die Aussage nichts wert.“ Zum Zeitpunkt der Vernehmung im Februar 2012 lag die Tat aber schon mindestens zwölf Jahre zurück – und S., kurz nach der Jahrtausendwende aus der rechten Szene ausgestiegen, hatte mit dem Kapitel längst abgeschlossen. Er sagte wohl das, was er vertreten konnte.

In einem anderen Punkt kommen die Anwälte zu einer deutlich anderen Interpretation als die Bundesanwaltschaft in ihrer Anklage: S. hielt damals telefonischen Kontakt zum kurz zuvor untergetauchten Trio aus Beate Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt. Bei einem der Gespräche baten ihn die Flüchtigen seinen Angaben nach um eine Waffe. Daraufhin habe er sich an Wohlleben gewandt. Somit seien die Auftraggeber des Kaufs die abgetauchten Männer gewesen und nicht Wohlleben, meinen die Anwälte. An dieser Stelle schüttelt S. den Kopf.

Ungewöhnlich wirkt diese Deutungsweise auch, weil die Verteidiger selber anerkennen, dass S. mit dem Waffentransport nicht primär das Wohl des Trios im Auge hatte: Er habe sich an Wohlleben gewandt, „weil er Anerkennung wollte“. Nun gebrauche er den früheren Kameraden als Sündenbock. Dabei sei nicht einmal auszuschließen, dass er Geld für die Waffe vom Verfassungsschutz bekommen habe – eine Theorie, die so bislang niemand geäußert hatte.

Seine Version der Geschichte habe S. ungehindert ausbreiten können: Aus den Vernehmungsprotokollen sei eine „gewisse Erwartungshaltung der Vernehmenden“ zu erkennen, die Beamten hätten ihn „mit Samthandschuhen angefasst“. Schließlich folgt noch ein subtiler Vorwurf an das Gericht: „Das zieht sich leider bis in die Hauptverhandlung – wir fürchten, bis ins Urteil.“

Mit der Befürchtung könnten die Anwälte recht haben – was aber auch daran liegen könnte, dass Wohlleben bis vor einem halben Jahr eisern geschwiegen hatte. Mit Informationen von seiner Seite hätten die Ermittler S. womöglich schärfer konfrontieren können.
Auch bezichtigen die Anwälte S. der Lüge: So sagte der Beschuldigte aus, er habe mit Wohlleben immer nur allein über heikle Angelegenheiten gesprochen. Dem widerspricht nach Ansicht der Verteidiger eine Meldung, die der Neonazi und damalige V-Mann Tino Brandt dem Verfassungsschutz erstattete: Er hatte demnach ein Gespräch zwischen den beiden mitgehört.

Am selben Tag, noch vor dem Vortrag, hatten die Anwälte allerdings noch versucht, die Glaubwürdigkeit Brandts anzugreifen – wohl, weil dieser in seiner Aussage angedeutet hatte, dass Wohlleben dem abgetauchten Trio sehr nahe stand. Auf Antrag der Verteidiger war ein Zeuge in den Prozess geladen worden, der 2014 kurzzeitig im Münchner Gefängnis Stadelheim eingesessen hatte – genau wie Brandt, der damals wegen des Verdachts auf Kindesmissbrauch in Untersuchungshaft saß und zu seiner Aussage im Verfahren nach München gebracht worden war.

Der 53-jährige Sönke P. hatte sich Ende 2014 an das Gericht gewandt, weil Brandt ihm einige Geheimnisse anvertraut habe – als Beweis für das Gespräch mit dem Rechtsextremen faxte er damals ein Dokument aus Brandts Besitz an die Geschäftsstelle. Das Papier habe ihm Brandt persönlich gegeben.

P. zufolge hatte Brandt zugegeben, das Gericht mehrmals angelogen zu haben, weil kein „Kameradenschwein“ sein wolle. Zudem handle es sich beim Prozess um eine „Faschingsveranstaltung“. Auch in seinen Berichten an den Verfassungsschutz habe er sich nicht um den Wahrheitsgehalt geschert – die Treffen mit den Beamten des Geheimdienstes seien für ihn eine „Märchenstunde“ gewesen.

Wie viel von P.s Angaben allerdings stimmt, ist höchst zweifelhaft – zumal der mit konspirativer Kommunikation und dem Geheimdienst bestens vertraute Brandt vor einem Fremden wohl kaum Zeugnis über seine Lügen ablegen würde. Der Zeuge wirkte im Verlauf des Tages zunehmend orientierungsloser und überfordert.

Die Frage nach der Glaubwürdigkeit stellt sich also weiter bis zum Ende des NSU-Prozesses – und zwar bei allen Beteiligten.