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Nebenkläger kreisen Zschäpe ein – das Medienlog vom Donnerstag, 7. Juli 2016

 

Rund 300 Fragen stellten Anwälte der Nebenklage am Mittwoch an die Hauptangeklagte Beate Zschäpe – wobei ungewiss ist, ob sie darauf eine Antwort erhalten werden. Zschäpes Anwalt Hermann Borchert ließ diese Möglichkeit ausdrücklich offen. „Die Nebenkläger kreisen Zschäpe mit ihren Fragen immer weiter ein. Es geht dabei scheinbar auch um nebensächliche Dinge – die aber Schlussfolgerungen auf ihr Leben zulassen“, bilanziert Annette Ramelsberger von der Süddeutschen Zeitung. Die wichtigste aller Fragen sei die erste gewesen: Wie wurden die zehn Mordopfer des NSU ausgesucht?

An jedem Werktag sichten wir für das NSU-Prozess-Blog die Medien und stellen wichtige Berichte, Blogs, Videos und Tweets zusammen. Wir freuen uns über Hinweise via Twitter mit dem Hashtag #nsublog – oder per E-Mail an nsublog@zeit.de.

Auch für Unterstützer der Terrorgruppe und für mögliche weitere Taten interessierten sich die Anwälte. Außerdem wollten sie wissen, ob Zschäpe an rechtsextremen Taten aus der Zeit vor dem Untertauchen der drei Mitglieder 1998 beteiligt war. „Würde Zschäpe nur einen Bruchteil der Fragen beantworten, bekäme das Gericht Einblick in die Hintergründe der Taten“, schreibt Ramelsberger.

Darauf gibt es durchaus Hoffnung: Sollten Zschäpe und ihre Verteidiger die Antwort ablehnen, die Fragen aber erneut von den Richtern vorgelegt bekommen, würden diese beantwortet, sagte Borchert gegenüber Spiegel Online. Aus der Perspektive der Hinterbliebenen ist das besonders wichtig: „Eine für sie befriedigende Antwort haben sie bislang nicht erhalten. Zu befürchten ist, dass sie sie wohl nie bekommen werden“, kommentiert Autorin Wiebke Ramm.

Dass Zschäpe beantworten wird, wie die Opfer ausgewählt wurden, ist indes „höchst unwahrscheinlich. Eine Antwort könnte andeuten, dass sie in die Planung der Verbrechen eingeweiht war“, wie wir bei ZEIT ONLINE anmerken. In zahlreichen Fällen dürfte die Replik Zschäpes sich auf ein knappes „Dazu kann ich nichts sagen“ beschränken. In jedem Fall sind die Fragen eine Gelegenheit für die Angeklagte, ihre Rolle im NSU ausführlich darzustellen.

Die Fragen der Anwälte „verdeutlichen, wie viel in dieser Mammutaffäre trotz drei Jahren Prozesses, unzähligen Untersuchungsausschüssen und Sonderermittlern bis heute im Dunkeln liegt“, kommentiert Thies Marsen für den Deutschlandfunk. Sollte Zschäpe darauf nicht antworten, sei fraglich, „wie glaubwürdig das Oberlandesgericht Zschäpes bisherige Einlassung hält“. Allein die Anzahl der Fragen sei „eine deutliche Kritik an der Bundesanwaltschaft; die habe sich mit Zschäpes bisheriger Aussage begnügt, anstatt nachzubohren“, wie die Anwältin Antonia von der Behrens gegenüber dem Sender sagte.

Im NSU-Komplex werden abermals mysteriöse Verbindungen offenbar: Jens Eumann zeichnet in einem Artikel für die Chemnitzer Freie Presse nach, dass Uwe Böhnhardt in Kontakt mit Menschen stand, die eine Verbindung zur Polizistin Michèle Kiesewetter hatten. Kiesewetter wurde im April 2007 Opfer eines Mordanschlags, den Böhnhardt mit Uwe Mundlos verübte. Bis heute scheint unerklärlich, warum es damals die aus Thüringen stammende Frau traf. Die Brücke zu Kiesewetter bestand dem Bericht zufolge aus Mitgliedern einer kriminellen Jenaer Bande, für die Böhnhardt zeitweise gearbeitet hatte.

Das nächste Medienlog erscheint am Freitag, 8. Juli 2016.