Lesezeichen
‹ Alle Einträge

Wer glaubt Zschäpes Wunschpsychiater?

 

Er war die letzte Hoffnung für Beate Zschäpe: Ein Psychiater hat der NSU-Angeklagten eine Persönlichkeitsstörung diagnostiziert. Doch im Gericht wird deutlich, dass sich das Urteil dadurch nicht ändern lassen wird.

Als sein Name im NSU-Prozess das erste Mal fiel, gab es ratlose Gesichter: Joachim Bauer, Psychiater vom Freiburger Uniklinikum, soll nach dem Willen der Verteidiger von Beate Zschäpe ein Gutachten über die Angeklagte erstatten. Dafür hatte ihm Zschäpe im Februar und März sechs Gesprächstermine in der Untersuchungshaft gewährt. Bauer diagnostizierte bei ihr eine sogenannte abhängige Persönlichkeitsstörung während der Zeit der NSU-Morde. Die Auftraggeber des Gutachtens, Zschäpes Neuverteidiger Mathias Grasel und Hermann Borchert, schlossen daraus auf eine verminderte Schuldfähigkeit – was im Urteil eine Strafminderung zur Folge hätte.

Der Name Joachim Bauer verwirrte, weil er keinem der zahlreichen Juristen im Münchner Prozess etwas sagte – außer den Verteidigern. Normalerweise sind psychiatrische Sachverständige in Juristenkreisen einigermaßen bekannt. Ein kleiner Zirkel Qualifizierter auf dem schwierigen Gebiet der forensischen Seelenforschung wird regelmäßig von den Gerichten herangezogen, um Gutachten zu erstatten. Bauer gehört nicht dazu.

Das wird vorerst wohl auch so bleiben. Im NSU-Prozess wurde über seine Ladung an diesem Tag noch einmal intensiv diskutiert. Oberstaatsanwältin Anette Greger, eine Vertreterin der Anklage, äußerte sich mit einer ausführlichen Stellungnahme zu dem Wunsch der Verteidiger: Auch Bauer werde am Urteil über Zschäpe nichts mehr ändern.

Denn die Angeklagte sei bereits begutachtet von dem erfahrenen Psychiater Henning Saß. Ihm verweigert sie bis heute jedes Gespräch. Dennoch verfolgte der 72-Jährige einen Großteil der Prozesstage, hörte Zeugen, las Akten – und kam zu dem Schluss: Zschäpe ist voll schuldfähig und geistig gesund, außerdem vermutlich weiter gefährlich.

Der Expertise sei nun nichts mehr hinzuzufügen, sagte Greger. Saß verfüge über eine „fundierte wissenschaftliche Bildung und überdurchschnittliche Erfahrung“, sein Gutachten sei gut begründet. Auch könne Bauer nicht mit besseren Forschungsmethoden aufwarten als sein Kollege.

Voraus hat er ihm einzig, dass Zschäpe ihm Auskunft erteilt hat. Darin ging es den Anwälten zufolge unter anderem um Gewalttätigkeiten von Uwe Böhnhardt und das Verhältnis zu ihrer Mutter. Die Staatsanwältin lässt das aber nicht als Grund gelten: Dadurch, dass Zschäpe sich dem ersten Gutachter verweigert hatte, könne sie nicht „einen anderen Sachverständigen erzwingen“. Einen, der ihr die gewünschte Diagnose ausstellt.

Ihr Anwalt Mathias Grasel, Urheber der Idee mit dem neuen Gutachter, wehrte sich nicht gegen diese Argumente. Wohl auch, weil die Richter längst deutlich gemacht haben, dass sie derselben Ansicht sind. Sie hatten Bauer zwar in den Prozess geladen, aber nur als Zeugen. Der Psychiater hätte dann seine Eindrücke aus den Gesprächen schildern können, die Diagnose wäre in den Hintergrund gerückt.

Zschäpe und ihre Anwälte befürchteten offenbar – zu Recht – dass sie mit Bauers Vernehmung im Prozess nichts erreichen würden. Darum zog die Angeklagte kurz vor der geplanten Vernehmung am Donnerstag die Notbremse und entband den Psychiater nicht von seiner Schweigepflicht.

In den Prozess kommen soll Bauer dennoch erneut. Am 3. und 4. Mai soll er als von der Verteidigung geladener Sachverständiger aussagen. Möglich macht das ein Paragraf in der Strafprozessordnung, nach dem ein Angeklagter die Ladung selbst verfügen darf, wenn der Richter sie abgelehnt hat.

Der Psychiater selbst fühlt sich durch die Kritik um seine Rolle im Prozess offenbar in die Defensive gedrängt. Ausführlich schildert er in einem „Hinweis aus aktuellem Anlass“ auf seiner Website seine klinische Erfahrung und weist darauf hin, dass er „auch forensische Patienten behandelt und begutachtet“ habe. Von Gutachten vor Gericht ist allerdings nicht die Rede. Auch lässt Bauer wissen, dass er für seine Tätigkeit kein Honorar nehme, „um unabhängig zu sein“.