Vor Gericht hatte Beate Zschäpes Mutter die Aussage verweigert. Jetzt gibt sie doch noch Informationen preis – weil es der mutmaßlichen Rechtsterroristin nützen könnte.
Es war ein ganz kurzer Auftritt, den Annerose Zschäpe Ende November 2013 vor Gericht hatte: Die Mutter der Angeklagten Beate Zschäpe ließ sich von Richter Manfred Götzl fragen, ob sie eine Aussage machen wolle. Dann, ob das Gericht als Beweismittel das Protokoll einer Vernehmung verwenden dürfe, die Ermittler des Bundeskriminalamts gut zwei Jahre zuvor mit ihr geführt hatten. Zschäpe sagte zweimal „Nein“ – wie es als Angehörige einer Angeklagten ihr gutes Recht war. Dann ging sie. Ihre Tochter schaute ihr kurz nach.
Die Mutter schwieg damals, weil die Tochter schwieg. Es war ein freundlicher Gefallen an die Angeklagte, die der Mittäterschaft an zehn Morden beschuldigt wird. Zu der Zeit, ein halbes Jahr nach Prozessbeginn, galt nämlich: Je weniger Informationen über Zschäpe bekannt werden, desto besser. Das war die Linie ihrer Verteidiger Wolfgang Heer, Wolfgang Stahl und Anja Sturm. Doch davon ist Beate Zschäpe schon vor langer Zeit abgewichen.
Mit Unterstützung ihrer beiden Zusatzanwälte Mathias Grasel und Hermann Borchert hat sich Zschäpe zwischenzeitlich geäußert. Darum sind Auskünfte der Mutter von der Neuverteidigung nun doch erwünscht. Grasel beantragte am Mittwoch, das Protokoll der BKA-Vernehmung im Prozess zu verlesen. Den Segen der Mutter hat er dafür: Vor rund einer Woche stimmte sie der Verwendung in einem Schreiben an das Gericht zu.
Mit dem Vorstoß war Grasel knapp dran: An diesem Tag lief die Frist für letzte Beweisanträge aus, die Richter Manfred Götzl erlassen hatte. Künftig können die Prozessbeteiligten entsprechende Anträge nur noch stellen, wenn sie für die Verspätung einen triftigen Grund haben.
Zschäpe hatte sich nicht nur mit einer schriftlichen Aussage und einer sehr knappen mündlichen Entschuldigung im Verfahren geäußert, sondern auch gegenüber dem Psychiater Joachim Bauer. Der hatte im Auftrag der neuen Verteidiger ein Gutachten über ihr Seelenleben erstellt und kam zu dem Schluss, Zschäpe leide an einer Persönlichkeitsstörung. Sie sei deshalb nur eingeschränkt schuldfähig.
Das Problem: Bauer stützt sich darin ausschließlich auf schriftliche Aussagen, die ihm die Anwälte zur Verfügung gestellt haben – einschließlich der von Zschäpes Mutter. Doch deren Verwertung hatte Annerose Zschäpe ja verboten. Gut möglich, dass die Neuverteidiger das nicht wussten, sie waren ja erst viel später in den Prozess eingetreten. Bauer sagte vor Gericht, dass ihre Angaben in der Analyse eine entscheidende Rolle spielten.
Mit der Freigabe tut Annerose Zschäpe ihrer Tochter zum zweiten Mal einen Gefallen. Denn Bauers Diagnose beruht auch auf ihrer Beschreibung von Zschäpes Kindheit. Demnach lebte Zschäpe das erste halbe Jahr nach ihrer Geburt bei ihren Großeltern, danach rund anderthalb Jahre beim Lebensgefährten der Mutter, während die Mutter selbst in Rumänien studierte. Bauer sprach angesichts dessen von „frühkindlicher Vernachlässigung“. Ein Quell psychischer Krankheiten.
Zschäpe selbst ergänzte die Schilderung gegenüber dem Psychiater mit späteren Szenen, als die Mutter daheim Rotwein in Teetassen füllte und trank oder wie sie in ihrem eigenen Erbrochenen lag. Der minimale Ausschnitt aus dem Prozessgeschehen genügte Bauer, auf eine seelische Störung zu schließen – anders als der vom Gericht bestellte Gutachter Henning Saß, der weite Teile des Verfahrens selbst verfolgt hatte und Zschäpe als schuldfähig einstufte.
Unklar ist noch, ob die Mutter ein zweites Mal vor Gericht erscheinen muss. Die Bundesanwaltschaft sprach sich dafür aus. Annerose Zschäpe müsste dann erneut erklären, ob sie nicht doch auch Fragen des Gerichts beantwortet. In ihrem Brief hatte sie dies jedoch bereits ausgeschlossen.
Auch Zschäpes Altanwälte meldeten sich am Tag des Fristablaufs zu Wort. Sie beantragten ein weiteres psychiatrisches Gutachten über ihre Mandantin. Würde dafür ein weiterer Psychiater bestellt, wäre es bereits der vierte, der sich in diesem Prozess mit Zschäpe beschäftigt. Als Grund führen die Verteidiger die sogenannte methodenkritische Prüfung des von ihnen angeheuerten Professors Pedro Faustmann an – er will im Gutachten von Psychiater Saß schwere wissenschaftliche Fehler entdeckt haben.
Letzte Anträge stellten auch die Verteidiger des Mitangeklagten Ralf Wohlleben und eine Gruppe von Nebenklägern. Wohlleben-Anwalt Wolfram Nahrat will mit einem Gesuch nachweisen, dass das Thüringer Landeskriminalamt eine Liste mit möglichen Fluchtadressen in Chemnitz ignoriert hat, nachdem Zschäpe und ihre Komplizen Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt 1998 untergetaucht waren. Auf der Liste, gefunden in der Jenaer Garage des NSU, stand tatsächlich ein Kamerad, der den dreien eine erste Unterkunft vermittelte.
Wohllebens Anwältin Nicole Schneiders will erneut nachweisen, dass die Mordpistole des NSU, Modell Ceska 83, nicht zwangsläufig von ihrem Mandanten besorgt werden musste. Verantwortlich sein könnte demnach der Zeuge Jan W., gegen den noch ein Ermittlungsverfahren des Generalbundesanwalts läuft. Der Aussage von Beate Zschäpe zufolge hatte W. dem NSU-Trio eine andere Pistole überbracht.
Die Nebenklageanwälte fordern, Akten über den ehemaligen Deutschland-Chef der seit 2000 verbotenen Neonazi-Gruppierung Blood and Honour beizuziehen. Er war Anfang der Woche als mutmaßlicher V-Mann enttarnt worden. 2015 hatte er im NSU-Prozess ausgesagt und seine Tätigkeit als Spitzel für das Bundesamt für Verfassungsschutz geleugnet.