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Ein Zschäpe-Gutachten wird zur Posse

 

Ein von Beate Zschäpes Anwälten angeheuerter Psychiater hat Zeugen nach Gutdünken ausgesucht. Auf kritische Nachfragen zu seinem Gutachten findet er keine Antworten.

Am 4. Mai betritt der Psychiater Joachim Bauer die Justizvollzugsanstalt München. Er will die mutmaßliche Rechtsterroristin Beate Zschäpe treffen. Im Auftrag von deren Rechtsanwälten soll er ein Gutachten über sie schreiben. An der Sicherheitskontrolle hält ihn eine Justizbeamte auf, die feststellt, dass er etwas verbirgt. Unter Dokumenten in seiner Hand kommt eine Schachtel Pralinen zum Vorschein. Doch Mitbringsel für Gefangene sind streng verboten.

Ein Psychiater, der seiner Probandin Pralinen mitbringt? Im Gericht von einem Anwalt der Nebenklage darauf angesprochen, ist Bauer die Sache peinlich. Eine „völlig unschuldige Geste der Humanität“ sei das doch gewesen, verteidigt er sich. Mag sein. Trotzdem hängt schon seit Beginn des Prozesstags ein Eindruck von Kumpelei, Einseitigkeit und Gefälligkeit im Raum, der dem Gutachten Bauers über Zschäpe anhaftet.

Zschäpes Neuanwälte Mathias Grasel und Hermann Borchert haben ihn angeheuert, nachdem der vom Gericht bestellte Psychiater Henning Saß in einer umfangreichen Analyse zu dem Schluss gekommen war, dass Zschäpe während der NSU-Verbrechen voll schuldfähig war. Zudem attestierte er ihr einen Hang zu Straftaten – was im Urteil die Sicherungsverwahrung bedeuten könnte.

Da kam Bauer ins Spiel, damals Professor für Psychiatrie am Freiburger Universitätsklinikum. Mittlerweile ist der 65-Jährige emeritiert. Als Gutachter in Strafverfahren war er bislang nicht in Erscheinung getreten. Achtmal traf er die Hauptangeklagte, die sich einem Gespräch mit Saß bis heute verweigert – und kam zu einem ganz anderen Ergebnis: In seinem 57-seitigen Gutachten führt er aus, Zschäpe leide an einer sogenannten dependenten Persönlichkeitsstörung, klammere sich also hilflos an ihre jeweiligen Lebenspartner. Deswegen sei sie nur eingeschränkt schuldfähig. Träfe das zu, würde Zschäpe einen Strafrabatt erwarten.

Zwei Gutachter, zwei Meinungen. Von seiner ist Bauer zu 100 Prozent überzeugt. Er finde, „dass es ein sehr gutes Gutachten ist“, sagt er selbstbewusst. Zudem sei er der Ansicht, dass Gutachten nur dann verlässlich seien, wenn der Proband auch mit dem Sachverständigen spricht – eine Meinung, mit der Bauer praktisch der gesamten Zunft widerspricht.

Neben Zschäpe spielen in seiner Analyse nur wenige Menschen eine Rolle. Er verwertete schriftliche Aussagen von Wegbegleitern und Freunden, die ihm Zschäpes Anwälte schickten. Auffällig ist, wie gut die Aussagen Bauers Diagnose der Persönlichkeitsstörung stützen – etwa, wie die Mutter Zschäpe in der Kindheit vernachlässigte.

Richter Manfred Götzl fragt Bauer, nach welchen Kriterien er die Zeugen für sein Gutachten auswählte. Der verblüfft mit der Antwort, er habe diejenigen außen vor gelassen, die nur „Wertungen“ über Zschäpe abgegeben hätten. Nichts anzufangen sei daher mit der Aussage ihres Cousins, „sie hatte die Männer im Griff“. Das sei ja ein Satz von „jemandem, der wirklich keine Fachkunde hat“. Die Aussage von Zschäpes Mutter oder von Uwe Böhnhardt, beides weder Psychologen oder Psychiater, nutzte er hingegen gern.

Die Quellenlage besteht ausschließlich aus Berichten, die ins Bild einer persönlichkeitsgestörten Angeklagten passen – beruhend auf abstrus wirkenden Auswahlkriterien. Dass viele Zeugen Zschäpe wieder und wieder als selbstsicher und eigenständig beschrieben haben, fällt unter den Tisch. In der Folge erhält die Angeklagte geradezu die Absolution: „Es ist klar geworden, dass Frau Zschäpe bei den Morden nicht die treibende Kraft war. Das ist gegen ihren Willen passiert“, sagt Bauer.

Auch über ihre Mitbewohner Mundlos und Böhnhardt kann er eine Diagnose vorlegen. Diese seien Psychopathen gewesen. So habe Böhnhardt den ungeklärten frühen Tod seines Bruders nicht verkraftet, wonach klar sei, „warum sich ein junger Mann zu einer psychopathischen Persönlichkeit entwickelt hat“.

Zschäpe selbst berichtete ihm in den Gesprächen ausführlich, dass Uwe Böhnhardt ihr immer wieder Gewalt angetan habe. Trotzdem habe sie sich nicht von ihm und Mundlos trennen können. Für die dependente Persönlichkeitsstörung sei das absolut typisch, sagt der Psychiater: „Das können Sie so fast wörtlich in der Fachliteratur nachlesen.“ Der Verdacht, dass Zschäpe oder ihre Anwälte genau das vor der Befragung getan haben könnten, kommt ihm anscheinend nicht. Von Manipulation durch Zschäpe könne keine Rede sein. Sie habe ihn in den Gesprächen auch „nicht beflirtet oder bezirzt“.

Auf viele kritische Nachfragen hat Bauer keine Antwort. Oberstaatsanwältin Anette Greger weist ihn darauf hin, dass für die Beurteilung der Schuldfähigkeit ein konkreter Tatvorwurf im Raum stehen müsse. Sie will wissen, mit welchen Vorwürfen gegen Zschäpe er sich genau auseinandergesetzt habe. Bauer windet sich, bittet, dazu das Gutachten seines Kollegen Saß zur Hand nehmen zu dürfen. „Ich fürchte, so läuft eine Gutachtenserstattung nicht ab, Herr Professor Bauer“, teilt Greger ihm mit. Zschäpes Altverteidiger Wolfang Stahl schlägt immer wieder die Hände vors Gesicht.

Der Nebenklageanwalt Eberhard Reinecke schimpft am Schluss: Der Psychiater sei im Prozess „ein Leumundszeuge, dem man ein professorales Mäntelchen umgehängt hat“. Was er betrieben habe, sei nicht mehr als „Schamanentum“.

Bauer packt da noch seine Sachen am Zeugentisch zusammen. Auch ihm dürfte in dem Moment klar sein, dass von seinem Gutachten in dem Prozess nichts hängen bleiben dürfte.