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Zu Hause bei Familie Zschäpe

 

Um ihre Tochter zu unterstützen, ist die Mutter von Beate Zschäpe im NSU-Prozess aufgetreten. Doch nach einem peinlichen Manöver vom Gutachter der Angeklagten dürfte auch das nicht mehr helfen.

Als sie in den Gerichtssaal kommt, trägt Annerose Zschäpe ein Taschentuch in der linken Hand. Wie vorsorglich. Doch emotionsärmer könnte ihr Auftritt vor dem Münchner Oberlandesgericht, ihr zweiter, nicht sein. Die Frau mit den kurzen grauen Haaren und dem Wollpulli nimmt Platz am Tisch für die Zeugen. Ihre Tochter Beate sitzt rund zwei Meter entfernt auf der Anklagebank – beschuldigt der Mittäterschaft beim zehnfachen Mord, den Verbrechen der rechtsterroristischen Gruppe NSU. Ohne Regung schaut die Angeklagte zur Mutter herüber. Die schaut auf den Richter Manfred Götzl.

Götzl fragt nach den persönlichen Daten: 64 Jahre alt, wohnhaft in Jena, angestellt als Pflegehelferin. Ansonsten hat sie als Verwandte das Recht, die Aussage zu verweigern. Der Richter erkundigt sich, ob sie dennoch Angaben machen wolle. „Nein, ich möchte von meinem Recht Gebrauch machen“, antwortet Annerose Zschäpe. Bis hierher verläuft die Vernehmung genau wie beim ersten Mal im November 2013. Diesmal allerdings erteilt Zschäpes Mutter die Genehmigung, das Protokoll einer Vernehmung als Beweismittel zu verwenden, die sie 2011 kurz nach dem Auffliegen des NSU mit der Polizei geführt hatte.

Nach höchstens zwei Minuten ist die Befragung beendet. Mutter Zschäpe geht, ohne einen Blick auf ihre Tochter zu werfen, das Taschentuch noch in der Hand.

Was sie den Prozessbeteiligten hinterlässt, ist die Geschichte eines Abstiegs, niedergelegt im Protokoll der polizeilichen Vernehmung. Annerose Zschäpe machte Abitur und studierte in Rumänien Zahnmedizin, fünf Jahre lang bis zum Abschluss. Als Zahnärztin habe sie aber nicht arbeiten können, weil sie unter Allergien leide, sagte sie. Es folgten noch ein Fernstudium und eine Anstellung als Buchhalterin, nach der Wende fast zwei Jahrzehnte Arbeitslosigkeit. „Da ging unser Drama los“, kommentierte sie gegenüber den Polizisten.

Die widrigen Verhältnisse daheim in Jena interessierten vor allem den Freiburger Psychiater Joachim Bauer. Er verfasste im Auftrag von Beate Zschäpes Verteidigern ein Gutachten über die Angeklagte – als Gegenentwurf zu dem des vom Gericht bestellten Sachverständigen Henning Saß, der Zschäpe als voll schuldfähig eingestuft hatte.

Er nahm sich besonders zu Herzen, dass Mutter Zschäpe den Säugling von Mitte 1975 bis Ende 1976 von ihrem neuen Freund in Jena betreuen ließ, während sie in Rumänien weiterstudierte. Den leiblichen Vater, einen Rumänen, lernte die Tochter nie kennen. Alarmiert wies Bauer auf die „Folgen frühkindlicher Vernachlässigung“ hin, die jeden Experten hellhörig machen würden.

Annerose Zschäpe gab an, sie habe sich während der Kindheit der Tochter „richtig hängen lassen“. Laut der Schilderungen, die Beate Zschäpe gegenüber Bauer machte, war das eine Verharmlosung: Die Mutter habe Rotwein in Teetassen gefüllt und getrunken, manchmal habe sie in ihrem Erbrochenen in der Wohnung gelegen. Freundinnen habe sie nicht mit nach Hause bringen können, die Mutter sei „eine Art Risikofaktor“ gewesen.

In der gestörten Beziehung zur Mutter sieht der Psychiater die Keimzelle einer psychischen Erkrankung. Er diagnostizierte bei Zschäpe eine sogenannte dependente Persönlichkeitsstörung. Demnach habe sich Zschäpe vollständig von ihren Mitbewohnern Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt abhängig gemacht, sei ihnen machtlos ausgeliefert gewesen.

Tatsächlich bescheinigte ihr selbst die Mutter, Beate sei nicht „leicht beeinflussbar“ gewesen. Und: „Sie war nicht sprunghaft.“ Ganz ähnlich hatten viele andere Zeugen über Zschäpe gesprochen – auch solche, die sie erst als Erwachsene kennenlernten. Annerose Zschäpe fiel auch auf, „dass Beate gut mit ihrem Geld auskam“ und wirtschaften konnte.

Annerose Zschäpe lernte auch Mundlos und Böhnhardt kennen. Mit beiden war sie in der Jugend liiert. Mundlos brachte Zschäpes Oma Blumen mit. Böhnhardt zog in der Wohnung OP-Überzieher über seine Springerstiefel, um sie nicht ausziehen zu müssen. Das Fazit der Mutter: „Die beiden Jungs machten auf mich einen sehr ordentlichen Eindruck.“

Dem Abstieg ihrer Tochter in die rechte Szene setzte die Mutter wenig entgegen. Welcher Ideologie sie folgte, will sie erst festgestellt haben, als die Polizei 1996 die Wohnung durchsuchte. Doch da sei sie „gar nicht mehr an sie rangekommen“. Anfang 1998 flohen Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt in den Untergrund. Mutter und Tochter sprachen einander nie mehr, bis der NSU 2011 aufflog.

Die Aussage ist Teil eines winzigen Ausschnitts der NSU-Geschichte, aus der sich Bauer eine umfassende Meinung gebildet haben will. Wenig überraschend war, dass die Vorstellung der Analyse in der vorigen Woche zum Desaster geriet. Das Gutachten entpuppte sich als reiner Entlastungsversuch auf extrem dünner Datenbasis. Der freundliche Herr Bauer glaubte Zschäpe jedes Wort.

Die Kritik an seiner Arbeit bekam ihm offenbar nicht gut: Nebenklageanwältin Doris Dierbach zitiert im Gericht aus einer Mail, die er nach seinem Auftritt an die Zeitung Die Welt geschickt hatte. Darin fragte er, ob die Redaktion „Interesse an einem exklusiven Beitrag“ über das Gutachten habe. Dazu fügte er den Volltext seiner Analyse an – angefüllt mit Details aus Zschäpes persönlichem Lebensbereich. Auch einen Grund für seine Kontaktaufnahme nannte er: „Eine Hexenverbrennung soll ja schließlich Spaß machen. Daher wird jeder, der das Stereotyp infrage stellt“, laut dem Zschäpe „das nackte Böse in einem weiblichen Körper“ sei, „von Süddeutscher Zeitung und Spiegel angegriffen und weggeschossen“.

Dierbach und mehrere andere Anwälte der Nebenklage beantragen deshalb, Bauer wegen des Verdachts der Befangenheit abzulehnen. Er sehe sich anscheinend als „Beschützer der Angeklagten“. Seine „unfassbare Entgleisung“ habe gezeigt, dass er mit dem Gutachten ein persönliches Interesse verfolge.

Der Antrag hat gute Chancen. Kommt er durch, helfen Zschäpe auch die Angaben ihrer Mutter nichts mehr.