Lesezeichen
‹ Alle Einträge

Das schwierige Ende des NSU-Prozesses

 

Vier Jahre hat es gedauert: Nach über 370 Verhandlungstagen beginnen die Plädoyers im NSU-Prozess. Opfer und Angehörige werden davon wenig mitbekommen.

Über das schwerfällige Tempo im NSU-Verfahren beklagte sich Bundesanwalt Herbert Diemer schon ein halbes Jahr nach Prozesseröffnung, im Herbst 2013: „Wir verhandeln in fünf Jahren noch, wenn’s hier so weitergeht“, prophezeite er.

Allzu weit lag der Vertreter der Anklage nicht daneben. Vier Jahre und drei Monate nach dem Start läuft der NSU-Prozess noch immer. Nun aber ist sein Ende absehbar: Am Mittwoch beginnen die Plädoyers in dem gigantischen Rechtsterror-Verfahren. Das gab der Vorsitzende Richter Manfred Götzl bekannt.

So kommt es, dass nach 373 Tagen Verhandlung die zahlreichen Fäden zusammengezogen werden, denen das Gericht in der Zeit gefolgt ist. Zuerst hat die Bundesanwaltschaft die Aufgabe, eine Beweisaufnahme mit geschätzt mehr als 750 Zeugen zusammenzufassen. Geschehen ist das bereits: Der Vortrag liegt, mutmaßlich bereits seit Monaten, fertig in der Schublade. Diemer konnte daher ankündigen, das Plädoyer werde 22 Stunden dauern. Dennoch sei diese überraschend präzise Angabe nur „ein Richtwert“.

Natürlich wird das Plädoyer über mehrere Tage verteilt. So ist zu erwarten, dass die Bundesanwaltschaft fertig ist, wenn das Verfahren zwischen dem 1. und 31. August in die Sommerpause geht. Im Anschluss haben die Vertreter der Nebenklage das Wort, also die Anwälte der verletzten Opfer und der Angehörigen. Dann folgen die Vorträge der Verteidiger und die letzten Worte der Angeklagten – auch Beate Zschäpe könnte sich dann noch einmal äußern. Sicher ist: Bis es soweit ist, werden Wochen vergehen, wenn nicht Monate.

Vor Götzls endgültiger Entscheidung über den Startschuss für die Plädoyers wurde im Gerichtssaal noch einmal eine Verdichtung von vier Jahren Verfahren geboten: absurd anmutende Anträge, Gezerre um Details und eine subtile Ignoranz gegenüber den Opfern. Obwohl der Beginn der Vorträge seit Wochen im Raum steht, kam die Festsetzung des Termins plötzlich. Opfervertreter nehmen das verärgert zur Kenntnis: „Der Vorsitzende hat vier Jahre lang keine Transparenz geschaffen – wieso sollte er es jetzt machen?“, sagt der Nebenklageanwalt Alexander Hoffmann.

Unglücklich ist das für Nebenkläger, die selbst zum Beginn des Plädoyers dabei sein möchten. An den allermeisten Verhandlungstagen saßen nur deren Anwälte im Gericht. Auf die Schnelle können nur wenige alles dafür stehen und liegen lassen. Götzl erklärte sich darum bereit, die Verhandlung am Mittwoch erst um 13 Uhr beginnen zu lassen, um zumindest eine pünktliche Anreise möglich zu machen. Als sich darüber wiederum Olaf Klemke, Verteidiger des Mitangeklagten Ralf Wohlleben, beschwerte, setzte er den Sitzungsbeginn auf 11 Uhr fest.

Schnell abgearbeitet waren am letzten Tag der Beweisaufnahme nur die Formalien: Keiner der fünf Angeklagten hat Einträge in seinem Führungszeugnis – bei Wohlleben ist der letzte Eintrag wegen übler Nachrede erst vor gut einem Monat aus dem Bundeszentralregister gelöscht worden. Zudem gibt Götzl bekannt, dass es „Gespräche im Hinblick auf eine Verständigung“, also einen Deal über das Strafmaß, nicht gegeben hat.

Blieben noch die Anträge: Zschäpes Anwalt Wolfgang Heer forderte, den Vortrag der Bundesanwaltschaft aufzeichnen zu lassen, um alles „ungestört erfassen und nachvollziehen“ zu können. Heer befürchtet, den Anklägern mit Notizen nicht hinterherzukommen.

Bundesanwalt Diemer sträubte sich dagegen: Könnten die Anwälte nicht rasch genug mitschreiben, „ist das ihr Problem“, sagte er. Doch Zschäpes neuer Anwalt Mathias Grasel und die Verteidiger aller anderen vier Angeklagten schlossen sich Heers Antrag an. Einen so geschlossenen Vorstoß hat es in dem Verfahren noch nie gegeben.

„Für meinen Mandanten ist der Schlussstrich in Sicht“

Auch die Verteidiger von Wohlleben meldeten sich zu Wort und forderten, ihren Mandanten aus der Untersuchungshaft zu entlassen – nicht zum ersten Mal. Wohlleben soll die Beschaffung der Mordpistole Ceska 83 für den NSU organisiert haben. Seit fünf Jahren und acht Monaten sitzt er deshalb im Gefängnis. Die lange Dauer verletze seine Menschenrechte, argumentierte Anwältin Nicole Schneiders.

Hinterher schob sie Sätze, die bereits wie ein Plädoyer klingen: Mundlos und Böhnhardt nahmen sich 2011 das Leben. Dass sie nicht mehr bestraft werden können, sollte die Richter nicht verleiten, die Angeklagten „gewissermaßen als Stellvertreter zu verurteilen“. Vielmehr könnten „drakonische Urteile“ zu dem Eindruck führen, dass sich das Gericht den Forderungen „der politischen Klasse unterwirft“.

Der Zweck des Gesuchs ist durchschaubar: Wenn die Richter es ablehnen, müssen sie Einblick in die Beweislage aus ihrer Sicht geben – eine Art Zwischenzeugnis für den Angeklagten. Die Anwälte erhoffen sich offenbar Informationen, mit denen sie ihr eigenes Plädoyer optimieren können.

Gesuche dieser Art hatten ihren klaren Anteil daran, dass der Prozess bis heute dauert. Die Verteidiger von Zschäpe und Wohlleben versuchten, die Richter mit Befangenheitsanträgen abzusetzen, Zeugen und Sachverständige für teils obskure Thesen in das Verfahren einzuführen. Meist hatten sie keinen Erfolg.

Darum löste Götzls Entscheidung bei den meisten Prozessbeteiligten Erleichterung aus. „Für meinen Mandanten ist der Schlussstrich in Sicht“, sagte der Anwalt Walter Martinek, Vertreter des in Heilbronn durch Schüsse schwer verletzten Polizisten Martin A. „So lange sollte ein Prozess nicht dauern.“