Ralf Wohlleben soll dem NSU seine Mordwaffe besorgt haben. Im Plädoyer der Bundesanwaltschaft wird klar: Für die Ankläger ist der frühere NPD-Funktionär der wertvollste Unterstützer der Terroristen.
In diesen schweren Stunden möchte Ralf Wohlleben seine Frau an seiner Seite wissen. Von einem Stehpult auf der anderen Seite des Gerichtssaals aus argumentiert Oberstaatsanwalt Jochen Weingarten wortgewaltig, warum der Mitangeklagte im NSU-Prozess der Beihilfe zum Mord in neun Fällen schuldig sei. Jacqueline Wohlleben hat rechts neben ihrem Mann Platz genommen, seine Hand liegt auf ihrem Unterarm. Auch ein Tross Rechtsextremer ist angereist, der von der Besuchertribüne aus zuschaut.
An diesem Tag, es ist der fünfte des Anklageplädoyers im Terrorverfahren, wird es ernst für Wohlleben. Ihm droht eine langjährige Haftstrafe – und Weingarten macht deutlich, dass alles erfüllt ist, worauf sich ein hartes Urteil gründen lässt.
Im Verfahren sitzt der 42-Jährige, weil er dem Trio aus Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt die Pistole Ceska 83 beschafft haben soll. Mit der Waffe erschossen Mundlos und Böhnhardt neun Menschen. Wohlleben, sagt der Staatsanwalt, kam dabei „die eigentlich maßgebliche Rolle“ zu. Denn er habe damals mit bösartiger Präzision ein Netz aus Helfern gesponnen, das der 1998 in den Untergrund geflüchteten Dreiergruppe lieferte, was sie wünschte.
Knapp zwei Jahre nach ihrer Flucht wünschten sich die drei eine Pistole. Allerdings nicht bei Wohlleben, sondern dem Szenekameraden Carsten S. Das hatte seinen Grund: Wohlleben war Vordenker der rechtsextremen Kreise in Jena, zeitweise sogar NPD-Funktionär im Stadtrat. Er fürchtete sich vor Abhörmaßnahmen – und ließ lieber andere die schmutzige Arbeit erledigen. „Mastermind“ nennt Weingarten ihn, „Schreibtischgehilfe“ und „Strippenzieher“.
Wohlleben kümmerte sich um fast alles
Ohne Wohlleben lief damals nichts. Das ließ er auch andere spüren. Er bestimmte, wer mit wem über die drei abgetauchten Kameraden reden durfte. Wichtigste Vertrauensperson war damals Carsten S., heute 37 und ebenfalls auf der Anklagebank. Er hielt mit Gesprächen von Telefonzelle zu Telefonzelle Kontakt zu den dreien. Knapp zwei Jahre nach der Flucht bestellten Mundlos und Böhnhardt in einem Gespräch mit S. eine Pistole. Der besorgte sie bei einem Kameraden, der in einem Szeneladen arbeitete. Den Kontakt stellte Wohlleben her. Auch die Kaufsumme, rund 2.500 Mark, stellte er laut Anklage bereit. Das Geld stammte demnach aus Raubüberfällen des NSU. Das Trio habe Wohlleben 10.000 Mark für Besorgungen zukommen lassen.
Die Pistole, eine aus der Schweiz geschmuggelte tschechische Ceska 83, überbrachte S. dem NSU im Frühjahr 2000 in Chemnitz. Rund vier Monate später erschossen Mundlos und Böhnhardt damit in Nürnberg ihr erstes Opfer, den Blumenhändler Enver Şimşek.
Auch die Anklageschrift spricht von Wohlleben als der „steuernden Zentralfigur“. Das, so Weingarten, habe sich in den vergangenen vier Jahren Prozess erwiesen. Finanzierung, Kontakte, Anweisungen – Wohlleben kümmerte sich um fast alles. Er war demnach der wichtigste Helfer des NSU.
Zu Wohllebens Linken sitzen seine Verteidiger Nicole Schneiders, Olaf Klemke und Wolfram Nahrath. Mit ihrer Hilfe machte er im Dezember 2015, also nach zweieinhalb Jahren Prozess eine Aussage – anders als sein Helfershelfer S., der gleich nach seiner Festnahme gestand und auch vor Gericht auspackte. Für Weingarten ein durchschaubarer Zug Wohllebens: Er habe sich „an der Linie des Gerichts entlanghangeln“ können, um sich so schuldlos wie möglich zu präsentieren. Doch das sei ihm nicht gelungen.
Ringen um einzelne Sätze und Wörter
Der Angeklagte behauptete damals, er habe S. nur zu dem Kameraden geschickt, weil er glaubte, der werde dort sowieso keine Pistole erhalten. Bezahlt habe auch nicht er, sondern wahrscheinlich Tino Brandt, der heimlich V-Mann des Thüringer Verfassungsschutzes war. Wohlleben also, der sonst jede Hilfeleistung an das Trio kontrollierte, wollte auf einmal nicht mehr genau Bescheid wissen? Das nimmt Weingarten ihm nicht ab. Die Geschichte diene lediglich dazu, „dem Verfassungsschutz die Waffenbeschaffung in die Schuhe zu schieben“.
Besonders unglaubhaft ist demnach eine andere Behauptung: Wohlleben will davon ausgegangen sein, dass die Pistole für einen Selbstmord von Uwe Böhnhardt gedacht war. Stimmt das, wäre der Vorwurf der Mordbeihilfe vom Tisch. Doch Weingarten zerpflückt die Angaben des Angeklagten. Warum bestellten die Uwes bei Carsten S. dann ausdrücklich eine Pistole und keinen Revolver? Und dann auch noch möglichst viel Munition? Einem Suizidenten hätte ein einziger Schuss gereicht, egal woraus. Außerdem wünschten sich die Untergetauchten ein „möglichst deutsches Fabrikat“. Böhnhardt sei ja nicht einmal ein Auto deutscher Bauart gefahren, sagt Weingarten: „Das ist doch völliger Unsinn!“
Ziemlich sicher ist, dass sich Wohlleben mit seiner Aussage eher geschadet hat. Ging es um die Waffenwünsche von Mundlos und Böhnhardt, sprach er von „denen“ oder „die“. Für den Staatsanwalt ein klares Zeichen, dass Wohlleben sehr wohl der Ansicht war, dass die Waffe für die Gruppe bestimmt war und nicht nur für Böhnhardt.
Die Verteidiger des Angeklagten werden mit Sicherheit zu gänzlich anderen Schlüssen gekommen sein. Abzusehen ist, dass die Frage nach Schuld oder Unschuld anhand einzelner Sätze und Wörter diskutiert wird. Ein kleinteiliges Vorgehen, das noch viel Zeit in Anspruch nehmen wird – aber erst wieder ab dem 31. August. Bis dahin ist Sommerpause im NSU-Prozess.