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Unverhofft in Haft

 

Die Bundesanwaltschaft fordert lebenslange Haft für Beate Zschäpe. Eine echte Überraschung ist das Plädoyer im Terrorprozess aber für einen anderen Angeklagten.

Ihre Maske sitzt. So steif, so unverrückbar wie am ersten Tag des NSU-Prozesses. Beate Zschäpe schaut auf einen Punkt in der Ferne, den Kopf auf die zu Fäusten geballten Hände gestützt. Gegenüber von ihr, rund fünf Meter entfernt, beendet Bundesanwalt Herbert Diemer das achttägige Plädoyer der Anklage. „Ich halte die Anordnung der Sicherungsverwahrung für unerlässlich, um sicherzustellen, dass der Angeklagten ausreichend Zeit und Gelegenheit zur Läuterung bleibt“, liest Diemer an einem Holzpult stehend vom Blatt ab.

Zuvor hatte Diemer, Chef der Delegation des Generalbundesanwalts, lebenslange Haft für die 42-Jährige gefordert. Zudem plädierte er dafür, zusätzlich die besondere Schwere der Schuld festzustellen. Es ist die höchstmögliche Strafe, die in Deutschland beantragt werden kann. Spricht das Gericht sie aus, wird Zschäpe wohl erst im Rentenalter wieder in Freiheit kommen – oder nie.

Das Plädoyer vor dem Oberlandesgericht München ist eine fein gezeichnete Bilanz der 13 Jahre, die der NSU im Untergrund gelebt hat, der Taten, die er verübt hat, sowie der Schuld, die die fünf Angeklagten auf sich geladen haben. Für Zschäpe selbst ist es auch eine Bilanz des Scheiterns: Weder mit ihrem anfänglichen Schweigen noch mit ihrer Aussage zweieinhalb Jahre nach Prozessbeginn hat sie auch nur einen Punkt gesammelt, der aus Sicht der Anklage für sie spricht. In den knappen Äußerungen vom Dezember 2015 steckte laut Diemer das Eingeständnis einer moralischen Schuld – mehr aber auch nicht.

„Sie trägt ihre eigene Schuld, sie kann nichts auf andere schieben“, sagt Diemer. Deshalb ist sie seiner Ansicht nach Mittäterin bei den Morden an neun Einwanderern und einer deutschen Polizistin, bei den zwei Bombenanschlägen in Köln, bei den 15 Raubüberfällen des NSU. Hinzukommt die Brandstiftung in der Zwickauer Wohnung der Terrorgruppe, nachdem sich Zschäpes Komplizen Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt am 4. November 2011 mutmaßlich selbst getötet hatten. Allein der Anschlag von 2004 in der Kölner Keupstraße ist demnach ein 32-facher versuchter Mord. Insgesamt zählt die Bundesanwaltschaft 39 Mordversuche – mehr als in der Anklage aufgeführt.

Um Verfehlungen und Versäumnisse bei den Ermittlungen geht es im Schlussvortrag nicht mehr. Sie sind für Diemer auch kein Grund, die Strafe zu mildern. Stattdessen spricht er über die Signale, die Zschäpe setzte, um ihre Einheit mit Mundlos und Böhnhardt zu betonen. Die Brandstiftung war demnach „ein höllisches Finale, mit dem diese Frau noch einmal eindrucksvoll zum Ausdruck brachte, was sie war: ein eiskalt kalkulierender Mensch, für den ein Menschenleben nichts zählte“. Dass Zschäpe ihre gehbehinderte Nachbarin vor den Flammen gewarnt haben will, glaubt Diemer nicht. Die Frau wurde später von Verwandten gerettet.

In der Person Zschäpe habe sich „ein Abgrund an Menschen- und Staatsfeindlichkeit“ offenbart, der darin gipfelte, dass die Mordopfer in einem Bekennervideo verhöhnt wurden. Das verschickte Zschäpe nach der Brandstiftung per Post – der letzte Treuebeweis an ihre toten Kameraden.

Zschäpes Anwälte kommentieren die Forderung nicht. Dafür aber Nebenklagevertreter wie der Anwalt Sebastian Scharmer: Er hält die zusätzliche Forderung nach der Sicherungsverwahrung für „Symbolpolitik“, die einen Grund für die Revision vor dem Bundesgerichtshof schaffen könnte – denn für die Entlassung aus der Sicherungsverwahrung gelten dieselben Bedingungen wie bei der lebenslangen Freiheitsstrafe.

Eine Überraschung ist die Forderung nicht. Vier Jahre Beweiserhebung hatten beständig in dieselbe Richtung gezeigt. Das gilt auch für die anderen Angeklagten: Zwölf Jahre fordert Diemer für Ralf Wohlleben. Er soll die Pistole Ceska 83 beschafft haben, mit der neun Menschen erschossen wurden. Wohlleben sitzt wie Zschäpe seit sechs Jahren in Untersuchungshaft. Überbracht haben soll die Waffe im Jahr 2000 Carsten S., der damals noch 19 Jahre alt war. Für ihn fordert Diemer eine dreijährige Jugendstrafe. S. profitiert von der Regelung für Kronzeugen. Er hatte seit seiner Festnahme 2012 umfassend ausgesagt und dadurch weite Teile der Anklage ermöglicht.

Auch auf Holger G. konnte sich die Anklage berufen. Er hatte dem NSU seinen Führerschein und andere Dokumente überlassen. Auch er hatte sich frühzeitig geäußert, zudem wusste er nach Überzeugung der Bundesanwaltschaft nicht konkret über die Verbrechen des NSU Bescheid. Diemer fordert fünf Jahre Haft.

Wie Zschäpe zeigten auch die anderen Angeklagten im Gerichtssaal keine Regung. Sie dürften mit dem Fazit gerechnet haben – mit einer Ausnahme: André E. Für ihn ist das Plädoyer ein echter Hammer: Diemer fordert zwölf Jahre, unter anderem wegen Beihilfe zum versuchten Mord. In der Anklage war dieser Vorwurf noch nicht aufgeführt, E. galt in den Ermittlungen eher als Helfer am Rande. Deshalb wurde er nach einem halben Jahr aus der Untersuchungshaft entlassen.

E. hatte dreimal Wohnmobile für den NSU gemietet. Mit einem der Fahrzeuge fuhren Mundlos und Böhnhardt im Dezember 2000 nach Köln und verübten den Bombenanschlag auf ein iranisches Lebensmittelgeschäft – dabei machte sich E. der neuen Bewertung der Ankläger zufolge als Mordhelfer schuldig. Überhaupt wirkt die rechtliche Bewertung überraschend scharf. Dabei kommt explizit auch E.s offen zur Schau getragene rechte Gesinnung zum Tragen. Anwälte der Nebenklage hatten schon deutlich früher im Prozess gefordert, Aspekte wie diesen auszuwerten.

Weil das Strafmaß erheblich ist, fordert Diemer, E. in Untersuchungshaft zu nehmen. Für den Angeklagten wird es unangenehm. Hektisch beginnt er, auf seinem Handy zu tippen. Richter Manfred Götzl ordnet an, dass er von Polizisten bewacht wird und den Gerichtssaal nicht mehr verlassen darf. Sein Anwalt Michael Kaiser bittet darum, dass zumindest E.s bereits gepackte Reisetasche aus dessen Hotelzimmer abgeholt wird.

Unruhe breitet sich auch auf der Besuchertribüne aus, wo eine angereiste Gruppe Rechtsextremer Platz genommen hat. Einer von ihnen: André K., der selbst bereits als Zeuge in dem Verfahren ausgesagt hat.

Am Ende entscheidet Götzl, dass das Gericht am Mittwoch über den Haftbefehl berät, der NSU-Prozess wird am Donnerstag fortgesetzt. E. verbringt die Zeit bis dahin in der Haftanstalt.