Im NSU-Prozess hat die Witwe des Mordopfers Mehmet Kubaşık ihr Plädoyer gehalten. Sie schildert, wie ihre Familie unter den Folgen des Verbrechens litt – und rechnet mit Beate Zschäpe ab.
Es wirkt wie eine Uniform der Trauer. Elif Kubaşık trägt Nachtblau, ihre Tochter Gamze Schwarz. So sitzen sie auf der Bank für Nebenkläger im NSU-Prozess. Die Mutter zieht kein helles Kleidungsstück mehr an, seit ihr Mann Mehmet am 4. April 2006 von den NSU-Mitgliedern Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt ermordet wurde. Will die Tochter ihr mal eine weiße Bluse zeigen, schaut sie nicht einmal hin.
Mit zwei Schüssen war Mehmet Kubaşık in seinem Kiosk im Norden von Dortmund erschossen worden. Der 39-Jährige hinterließ seine Frau, die Tochter und zwei Söhne, die zwischen sechs und 20 Jahren alt waren. Es war die Zerstörung einer Familie.
Die Hinterbliebenen nehmen als Nebenkläger am NSU-Prozess in München teil. Deren Anwälte halten dieser Tage ihre Plädoyers, in denen sie wie die Bundesanwaltschaft ein Strafmaß für die Angeklagten fordern dürfen. Auch die Angehörigen dürfen sprechen. Doch nur wenige kommen überhaupt ins Gericht. Immer wieder haben sich die Schlussvorträge kurzfristig verschoben, der behäbige Apparat der Justiz hat sie enttäuscht.
Die Kubaşıks sind trotz aller Widrigkeiten erschienen. Die Witwe ergreift das Wort. Ein Dolmetscher übersetzt aus dem Türkischen. Mit bebender Stimme beginnt die 53-Jährige: „Mein Name ist Elif Kubaşık. Ich bin Kurdin, Alevitin, Dortmunderin, deutsche Staatsangehörige.“ Es gibt keinen Zweifel, dass die Mutter eine untrennbare Verbindung mit ihrer neuen Heimat eingegangen ist. Hierher floh die Familie 1993 und erhielt politisches Asyl. Hier baute sich Mehmet Kubaşık eine Existenz auf. Hier gingen die Kinder zur Schule.
Ihr Mann und sie, sie hätten sich sehr geliebt. In die Kinder sei er regelrecht vernarrt gewesen. Frau Kubaşık sagt, sie erinnere sich noch heute, „wie schön er war“. Nur dank der Stärke, die er ihr gegeben habe, könne sie heute überhaupt dem Prozess folgen. „Mein Herz ist mit Mehmet begraben.“
Leben der Familie nach Anschlag ein anderes
Im Laufe ihrer Stellungnahme wird ihre Stimme lauter, schwillt an zu einem Wehklagen, Zeugnis des Schmerzes, mit dem Familie Kubaşık seit dem Tod des Vaters leben muss. Kurz nach Prozessbeginn hatten Mutter und Tochter bereits als Zeuginnen ausgesagt, mehrmals auch das Verfahren von den Nebenklageplätzen aus beobachtet. „Ich war immer wieder krank, nachdem ich hier war. Besonders schwer ist es, den Anblick dieser Frau auszuhalten“, sagt sie mit Blick auf die Hauptangeklagte Beate Zschäpe, die ihr nur wenige Meter entfernt direkt gegenüber sitzt.
Dann wird die Stimme von Frau Kubaşık zu einem Schreien. „Ekelhaft! Einfach ekelhaft war ihre Aussage“, ruft sie. Im Dezember 2015 hatte Zschäpe durch ihren Anwalt eine wenig überzeugende Einlassung abgegeben und sich dabei auch knapp bei den Angehörigen entschuldigt. Das sei „alles Lüge“ gewesen, außerdem „verletzend und beleidigend“, sagt Kubaşık. Während Zschäpes Aussage habe sie sich so sehr zusammenreißen müssen, dass ihr Arm unter der Anspannung taub geworden sei.
Kubaşık hat in Deutschland zwei Leben gelebt. So sagt es ihr Anwalt Carsten Ilius, der im Anschluss weitere Schilderungen verliest, die ihm seine Mandantin diktiert hat. Das erste Leben war ein schönes, normales. Das andere begann am 4. April 2006. Es war ein Leben voller Ungerechtigkeit und Demütigungen. Polizisten durchsuchten Wohnung, Auto und Kiosk der Familie. Fragten die Nachbarn und die Kinder, ob der Ermordete mit Drogen oder anderen Frauen zu tun habe. Für nichts davon fanden sich Belege. Aber die brauchten die Nachbarn und die Schulkameraden der Kinder nicht. Die Kubaşıks lebten wie Ausgestoßene, bis 2011 der NSU aufflog.
Da blieben nur noch die Erinnerungen an den Vater, der immer so gerne Gäste einlud und sofort zur Stelle war, wenn seine Freunde ihn um Hilfe baten. Er erlitt einen Herzinfarkt und wurde arbeitslos. Statt sich darin einzurichten, kaufte er den Kiosk. Von morgens bis abends stand er hinter der Theke. Bis zu seinem Todestag.
Versprechen der Aufklärung nicht erfüllt
Das neue Leben, für die Familie war es auch angefüllt mit Angst. Mutter Kubaşık fürchtete sich bereits, wenn sie Menschen auf Fahrrädern fahren sah, weil Zeugen am Tatort zwei Männer auf Rädern beobachtet hatten. Ihre Kinder ließ sie im Dunkeln nicht mehr nach draußen.
Seit bekannt ist, dass eine rechtsextreme Terrorgruppe hinter den Morden steckt, gehört zum neuen Leben von Elif Kubaşık auch die Wut. Sie ist zornig, dass ihre drängenden Fragen nicht beantwortet wurden: Warum genau mein Mann? Warum Dortmund? Gab es Helfer? Leute, die ich heute noch sehe? Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte den Hinterbliebenen bei einer Gedenkveranstaltung Anfang 2012 versprochen, der Staat werde alles tun, um die Verbrechen aufzuklären. „Frau Merkel hat ihr Versprechen nicht gehalten“, sagt die Witwe.
Und trotzdem. Trotzdem war all das kein Anlass, einzuknicken und das Land, in dem die Familie eine neue Heimat gefunden hatte, wieder zu verlassen. „Ich lebe in diesem Land und gehöre zu diesem Land“, sagt sie. Zwei Kinder hat sie hier zur Welt gebracht, ihr Enkel ist hier geboren worden. „Wir sind ein Teil dieses Landes, wir werden hier weiterleben.“
Ihre Tochter Gamze wird voraussichtlich am Mittwoch sprechen.
Zuvor hatte der Nebenklageanwalt Mehmet Daimagüler sein Plädoyer abgeschlossen. Für Beate Zschäpe forderte er eine lebenslange Haftstrafe mit Feststellung der besonderen Schwere der Schuld und Sicherungsverwahrung. Für den Mitangeklagten Ralf Wohlleben beantragte er vierzehneinhalb Jahre Haft, für Carsten S. eine Bewährungsstrafe. Für André E. und Holger G. forderte er keine konkreten Strafen, betonte aber, dass auch diese schwere Schuld auf sich geladen hätten.