Lesezeichen
‹ Alle Einträge

Eine Frage spaltet die Nebenklage

 

Im NSU-Verfahren gehen die Plädoyers der Opferanwälte zu Ende. Dabei zeichnet sich ab: Die Nebenklage ist gespalten im Konflikt um die Grenzen eines Terrorprozesses.

Es ist Vorweihnachtszeit, drei Tage vor Heiligabend dürfen sich auch die Teilnehmer des NSU-Prozesses in die Ferien verabschieden – die meisten zu ihren Familien, drei Angeklagte in die Gefängniszelle. Zu besinnlicher Ruhe kommt das Verfahren traditionell nicht, auch vor dem fünften Weihnachtsfest, das es seit 2013 überdauert.

Grund sind Anwälte der Nebenklage wie Bernd Behnke. Trotz seines fiebrigen Infekts will er an diesem Tag etwas klarzustellen, was seiner Meinung nach ein großer Teil seiner Kollegen nicht versteht: „Die Justiz ist nicht das Jüngste Gericht!“, poltert der Baden-Württemberger. Ein Strafverfahren – das sei der Ort, über Schuld oder Unschuld zu befinden, nicht exzessiv die Hintergründe eines Terrorkomplexes aufzuarbeiten.

Die meisten der rund 60 Anwälte der Nebenklage sehen das anders. Seit gut einem Monat halten sie ihre eigenen Plädoyers, die meisten davon sind geschafft. Zuvor hatte die Bundesanwaltschaft bereits lebenslange Haft für Beate Zschäpe und weitere hohe Strafen für die anderen vier Angeklagten gefordert.

Die meisten folgen einer klaren Linie: Feststellungen über die Schuld der Angeklagten garnieren sie mit teils heftiger Kritik an den Ermittlern, der Bundesanwaltschaft und auch dem Gericht. Sie zeichneten nach, warum sie das Vorgehen der Polizei nicht nur für fehlerhaft, sondern für rassistisch halten. Immer wieder bekräftigen sie, dass der NSU lange vor dem letzten Mord hätte gestoppt werden können.

Doch längst nicht alle Opferanwälte sind dieser Meinung. Immer wieder scheren einige aus. In der vergangenen Woche etwa die Anwältin Angela Wierig. Sie findet, dem Mitangeklagten Ralf Wohlleben, dem vorgeworfen wird, die Mordpistole mit beschafft zu haben, sei keine Schuld nachzuweisen. Zudem kritisierte sie ihre Kollegen dafür, dass diese die Ermittler des Rassismus bezichtigen. Dafür gebe es ihrer Ansicht nach keine Belege.

Mit ihrer Mandantin, der Schwester des in Hamburg ermordeten Süleyman Tasköprü, war dieser Vortrag offenbar nicht abgesprochen. Die Entlastung für einen Angeklagten aus dem Munde einer Opfervertreterin – das war zu viel. Die Schwester beantragte beim Gericht, Wierig das Mandat zu entziehen.

Die meisten Plädoyers der Nebenkläger, die den Staat belasten, sind sorgfältig konstruiert. Detailliert zeichneten die Anwälte nach, warum das Versagen etwa des Verfassungsschutzes für sie nicht nur ein Ausfall war, sondern systematisch. Auch konfrontierten sie vor allem die Bundesanwaltschaft unnachgiebig mit dunklen Ecken des NSU-Komplexes, die bei der Vorbereitung des Prozesses schlicht nicht ausgeleuchtet wurden.

Zentral ist für sie die Annahme, Helfer vor Ort hätten die Gruppe bei der Auswahl der Opfer unterstützt. Der NSU ist für sie größer als seine drei bekannten Mitglieder. Dafür legen die Anwälte Indizien vor, keine Beweise. Der Vertreter Ferhat Tikbas sagte in seiner Ausführung am Donnerstag: „Dass sich die Existenz von Hintermännern nicht erwiesen hat, heißt nicht, dass es keine gab.“ Das stimmt. Das bringt nur weder einen Strafprozess noch die Aufklärung voran.

Dabei ist der Verdienst einiger Opfervertreter für die Aufklärung unbestritten. So brachten Nebenklageanwälte Beweise in die Verhandlung ein, die die Vertreter der Bundesanwaltschaft als völlig unbedeutend abtaten – nur, um sie dann später im eigenen Plädoyer als Schuldbelege gegen die Angeklagten zu erwähnen.

Nebenklage-Anwalt Behnke hat für die Ankläger indes nur Gutes übrig. „Punktgenau“ hätten die Staatsanwälte die Schuld der Angeklagten darin nachgewiesen. Eindringlich warnt er davor, Politik und Juristerei zu vermischen – etwa, wenn sich seine Kollegen auf das Versprechen von Bundeskanzlerin Angela Merkel beziehen, um Gericht und Bundesanwaltschaft zu kritisieren. Die hatte 2012 bei einer Gedenkveranstaltung umfassende Aufklärung versprochen. „Das war eine politisch verfasste Rede, das richtet sich nicht an den Strafsenat des Oberlandesgerichts“, sagt er. Die Opferanwälte hätten die Pflicht, ihre Mandanten über die Grenzen eines solchen Verfahrens aufzuklären.

„Es gibt in Deutschland keinen strukturellen oder behördlichen Rassismus“, sagt er. Rassistisch seien allenfalls einzelne Mitarbeiter, keine ganze Behörde. Wer dies behaupte, „stiftet wider besseres Wissen Unfrieden“.

Für die Angehörigen der Mordopfer ist Unfrieden allerdings ein Dauerzustand, solange weder Prozesse noch Ausschüsse ihre drängenden Fragen klären können. Wenn das Urteil im kommenden Jahr fällt, wird ihre Suche nach Antworten weitergehen.