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Anwalt im Angriffsmodus

 

Der Schlussvortrag für die NSU-Angeklagte Zschäpe geht weiter. Viel Substanz kann ihr Verteidiger Borchert nicht bieten – umso aggressiver geht er die Ankläger an.

Im NSU-Prozess ist es gute Tradition, dass Zeitpläne nicht eingehalten werden, darum dauert das Münchner Verfahren seit bald fünf Jahren an. Und gerade einmal eineinhalb Tage sollte das Plädoyer dauern, das Beate Zschäpes Verteidiger Hermann Borchert und Mathias Grasel halten. Doch nun erstreckt sich der Schlussvortrag auf mindestens drei Sitzungstage.

Anwalt Borchert hat sich in Sachen Plädoyer gründlich verschätzt. Bei der Dauer, aber wohl auch bei der Wirkung, die er mit seinem Vortrag für seine rechtsextreme Mandantin erreichen kann. Am Dienstag hatte Borchert begonnen, mit der Mission, jedes Indiz gegen Zschäpe in Zweifel zu ziehen und das Plädoyer der Bundesanwaltschaft so Punkt um Punkt zu zerpflücken. Diese hatte wegen Mittäterschaft bei den Morden des NSU eine lebenslange Haftstrafe mit Feststellung der besonderen Schwere der Schuld gefordert, zudem die Sicherungsverwahrung beantragt.

Ob Borchert mit seinem Frontalangriff Erfolg hat, lässt sich erst bewerten, wenn das Urteil fällt. Prozessbeteiligte haben aber nicht den Eindruck, dass die Anklage gegen Zschäpe ernsthaft ins Wackeln geraten ist, ja auch nur einen leichten Stoß erhalten hat.

Die Arbeitsteilung geht so: Borchert setzt sich mit den Beweisen gegen Zschäpe auseinander, danach soll sein jüngerer Kanzleikollege Grasel die Lage rechtlich bewerten, schließlich übernimmt wieder Borchert, um ein konkretes Urteil zu fordern.

Zwischen Borchert und Grasel sitzt ihre Mandantin und präsentiert die aus fünf Jahren Prozess bekannten Motive: Zschäpe entspannt zurückgelehnt, Zschäpe beim Mitlesen, Zschäpe mit aufgestütztem Kopf. Ähnlich apathisch wirken Zschäpes Altanwälte Wolfgang Heer, Wolfgang Stahl und Anja Sturm, die erst im Anschluss plädieren. Besonders Stahl signalisiert seine Zustimmung zu Beiträgen anderer Anwälte gern mal mit auffälligem Kopfnicken. Für Borchert dagegen hat er nur eine in Falten gelegte Stirn übrig.

Leise Töne sind dessen Sache nicht. Immer wieder schimpft Borchert über die Art, wie die Bundesanwaltschaft Beweise auslegte – nämlich angeblich einseitig und interessengeleitet. „Der Bayer würde sagen: So ein Schmarrn!“

Borchert genießt den Auftritt

War am ersten Tag noch stellenweise Zaghaftigkeit zu spüren, wird nun immer klarer: Borchert genießt den Auftritt, er berauscht sich an seiner eigenen Präsenz, besonders wenn er sich an der Bundesanwaltschaft abarbeiten kann. Angriffslustig blickt er in Richtung der Oberstaatsanwältin Anette Greger. „Das geht folglich ins Leere, Frau Oberstaatsanwältin!“ „Frau Oberstaatsanwältin, warum erwähnen Sie diese Fakten nicht?“ Die Angesprochene in der purpurnen Robe reagiert nicht. Keiner der Vertreter aus Karlsruhe scheint zu bezweifeln, dass gegen Zschäpe ein Urteil im Sinne der Anklage fällt.

Der Gerichtssaal ist Borcherts Resonanzraum. Am Vortag hatte er immer wieder auf die Angaben aus Zschäpes Aussage vom Dezember 2015 zurückgegriffen und sie der Version der Bundesanwaltschaft gegenübergestellt. Ganz offensichtlich ist die Aussage für ihn das Maß aller Dinge. Sie ist sein Werk, erdacht gemeinsam mit der Mandantin und verfasst von ihm, wie er unumwunden zugibt. Die Glaubhaftigkeit der Einlassung, die nach Ansicht vieler Prozessbeteiligter ohnehin im homöopathischen Bereich liegt, förderte er damit nicht.

Damals stritt Zschäpe ab, Mittäterin bei den Taten des NSU gewesen zu sein. Sie räumte lediglich ein, nach dem Selbstmord ihrer Komplizen Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt das gemeinsame Haus in Zwickau angezündet zu haben. Die Bundesanwaltschaft wirft ihr unter anderem vor, das Leben ihrer alten, gebrechlichen Nachbarin gefährdet zu haben, weil sie sie nicht gewarnt habe. Zschäpe dagegen sagte aus, sie habe bei der damals 89-Jährigen geklingelt, bevor sie vom Tatort floh. Immer wieder wirft der Anwalt den Anklägern vor, Zschäpes Aussage schlicht ignoriert zu haben. „Ihr Schweigen spricht für Hilflosigkeit“, sagt er an die Oberstaatsanwältin gerichtet.

Absatzweise verliest er Zitate aus der Aussage. Logisch ist das nur insofern, als Borchert die ersten rund 200 Prozesstage verpasst hat. Und auch nachdem Zschäpe ihn in das Verfahren geholt hatte, ließ er sich nur an ausgewählten Tagen im Gericht sehen. In der Folge verengt sich das Verfahren für ihn offenbar auf den Blickwinkel seiner Mandantin – in einem Prozess, in dem weit über 800 Zeugen gehört wurden. Eine umfassende Verteidigung sieht anders aus.