Lesezeichen
‹ Alle Einträge

Die Büßertaktik des NSU-Helfers

 

Holger G. will nicht gewusst haben, dass er die Terroristen des NSU lange unterstützte. Vor Gericht stellt sein Anwalt den Angeklagten als Opfer seiner eigenen Gutgläubigkeit dar.

Holger G. (rechts) neben seinem Anwalt Pajam Rokni-Yazdi © Tobias Hase/dpa

Holger G. geht zum Gericht wie andere zur Arbeit. Mit seinem Rollkoffer trottet er am Morgen auf den Betonkomplex in München zu, drückt vor dem Eingang seine Zigarette in einen Aschenbecher. Seit fünf Jahren macht er das so. G. ist Angeklagter im NSU-Prozess, er soll Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt beim Leben im Untergrund geholfen haben.

Im Gerichtssaal sitzt der 43-Jährige dann wie ein resignierter Angestellter auf der Anklagebank, versunken und ermattet. Selbst an diesem Tag, als sein Anwalt Stefan Hachmeister das Plädoyer für G. hält. Dabei hat Hachmeister durchaus etwas zu bieten. Leidenschaftlich erklärt er, wieso die Vorwürfe der Bundesanwaltschaft seiner Meinung nach falsch seien. Es sei zu fürchten, „dass er hier als Sündenbock für das Unrecht der Verstorbenen herhalten muss“, sagt der Verteidiger. Die Vertreter der Anklage hatten eine Strafe von fünf Jahren Haft gefordert.

Für den Anwalt ist der Fall nicht klar

Über G.s Taten gibt es keine zwei Versionen. Er räumte ein, dem NSU über die Jahre seinen Führerschein, eine ADAC-Karte, die Krankenkassenkarte einer Freundin und seinen Reisepass überlassen zu haben – Letzteres noch im Jahr 2011, in dem die Terrorgruppe aufflog. Außerdem überbrachte er Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt eine Pistole in einem Stoffbeutel. Diese Tat ist aber nicht angeklagt, weil sie verjährt ist und die Waffe nicht zum Einsatz kam.

Mit der Strafforderung war G. bei der Bundesanwaltschaft bereits gut weggekommen, weil er von Beginn an mit den Ermittlern gesprochen hatte. Durch seine Aussagen habe die Anklage in der heutigen Form überhaupt erhoben werden können, hatte Bundesanwalt Herbert Diemer bei seinem Schlussvortrag gesagt. Auch zu Anfang des NSU-Prozesses 2013 räumte er die Vorwürfe in einer schriftlichen Erklärung ein.

Doch damit ist der Fall für Anwalt Hachmeister längst nicht geklärt. Für die Anklagevertreter unterstützte G. die drei untergetauchten Rechtsextremisten bewusst beim Leben in der Illegalität, damit sie ihre Morde und Anschläge begehen konnten. So mieteten sie mit dem Führerschein immer wieder Autos und Wohnmobile, um zu Tatorten zu fahren. Doch der Anwalt findet, die Bundesanwaltschaft habe die Indizien gegen G. „auf das Äußerste negativ ausgelegt“. Tatsächlich seien die Hilfeleistungen für den Angeklagten lediglich Freundschaftsdienste gewesen. Von den Terrortaten will G. nie etwas geahnt haben.

„Musiknerd statt Politikanhänger“

Tatsächlich ist seine Rolle zwiespältig: G. war spielsüchtig, nahm Drogen, trank. „Eher ein Musiknerd als ein überzeugter Politikanhänger“, formuliert es der Anwalt. Damit war er ein Exot in der rechten Szene von Jena, wo er aufwuchs und die späteren NSU-Mitglieder kennenlernte. G. galt als Kantonist, auf den man sich lieber nicht verließ.

Deshalb ist für Hachmeister auch klar, dass die Gruppe ihn keineswegs in die Mord- und Bombentaten einweihte. Kontakt gab es allerdings reichlich: Seit die drei 1998 nach einem Sprengstofffund in Zschäpes Garage abgetaucht waren, trafen sie G. immer mal wieder, zum Beispiel im Urlaub. Zweck war, bei Nachfragen auf dem neuesten Stand ihres Legendengebers zu sein.

Für G. ein Ausweis von Vertrauen und Freundschaft. Und als Freund wollte er helfen. „Er konnte nicht Nein sagen“, behauptet sein zweiter Verteidiger Pajam Rokni-Yazdi. Zumal ihm Uwe Böhnhardt ja versprach, dass mit seinen Papieren schon „kein Scheiß“ passieren werde.

G. wollte angeblich nur helfen

Wer in der Illegalität lebt, kann nicht arbeiten. G. war klar, dass die drei sich mit Raubüberfällen finanzierten, sagen auch die Anwälte. Darum habe er sich auch nicht gewundert, dass die drei eine Sammlung von Waffen besaßen. Und die Rohrbomben aus Zschäpes Garage? Die seien nur das ultimative Mittel der Drohung, habe ihm Uwe Böhnhardt gesagt. Dann war es ja gut.

Und falls dies noch nicht überzeugt, appelliert Hachmeister an die Richter und führt die Lebenserfahrung ins Feld: „Ist es wahrscheinlich, dass ich meine Identität zur Verfügung stelle, damit schwerste Straftaten begangen werden?“ Kommt drauf an. Im Zweifel weiß nur G. selbst, womit er gerechnet hat. Und im Zweifel ist für den Angeklagten zu sprechen.

Daher meinen die Anwälte, G. könne nur für den Führerschein belangt werden, also nur für die Unterstützung einer kriminellen Vereinigung, aber nicht einer terroristischen, wie von der Bundesanwaltschaft angeklagt. Er habe schließlich nur mit den Überfallen gerechnet.

War das Plädoyer bis dahin reichlich mit Argumenten unterschiedlicher Güte unterfüttert, schlägt es am Ende in eine sonderbare Büßertaktik um. Die Verteidigung halte eine Strafe von unter zwei Jahren für angemessen, sagt Anwalt Rokni-Yazdi. Doch Holger G. habe darum gebeten, keinen konkreten Antrag zu stellen, weil eine Freiheitsstrafe für ihn außer Frage stehe. Er wolle für seine Tat geradestehen. Selbst die Aussetzung zur Bewährung halte ihr Mandant nicht für zwingend. Denn es müsse deutlich werden, dass ein Täter, der seine Identität hergibt, nicht mit einem blauen Auge davonkommt.

Ob G. tatsächlich unbedingt ins Gefängnis will, das ist so unbewiesen wie seine Kenntnisse von den Taten des NSU. Hat er Pech, erfüllt ihm das Gericht seinen vorgeblichen Wunsch.