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Nazi-Botschaft aus dem NSU-Prozess

 

Die Verteidigung des mutmaßlichen NSU-Waffenbeschaffers Ralf Wohlleben fordert Freispruch. Das Plädoyer ist ein verstörendes Gebräu aus Verschwörungstheorien und rechter Rhetorik.

Der Angeklagte Ralf Wohlleben und seine Anwältin Nicole Schneiders im April 2016 © Tobias Hase/dpa

Nein, er reagiert nicht. Richter Manfred Götzl, immerhin schon 64, hat in seiner Karriere genug an sich abprallen lassen, als dass ihn eine plumpe Provokation auch nur irritiert das Gesicht verziehen lassen würde. An diesem Tag kann er sich eine Menge davon anhören. „Sie, Herr Vorsitzender, sind nicht für Ihre Freisprüche bekannt“, doziert die Anwältin Nicole Schneiders. Und schiebt nach: „Bislang ist dieses Verfahren nicht rechtsstaatlich und fair.“

Dieses Verfahren, das ist der NSU-Prozess in München. Schneiders vertritt den Angeklagten Ralf Wohlleben. Der heute 43-Jährige soll dem NSU im Jahr 2000 die Pistole beschafft haben, mit der die Mitglieder Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt neun Migranten erschossen. Die Bundesanwaltschaft fordert zwölf Jahre Haft wegen Beihilfe zum Mord.

Angriffe gegen das Gericht

Es sind schwerste Vorwürfe, nach denen Wohlleben praktisch alleinverantwortlich für den Waffentransport ist. Eine Version, der Schneiders und ihre Pflichtverteidiger-Kollegen Olaf Klemke und Wolfram Nahrat entgegentreten könnten. Doch das tun sie höchstens am Rande. Den Freispruch fordern Schneiders und Klemke an diesem Tag in aller Knappheit.

Ein großer Teil ihres Plädoyers hingegen besteht aus Angriffen gegen das Gericht: Wohlleben, „der böse Nazi“, wie Schneiders ihn demonstrativ nennt, „soll hier das Bauernopfer werden“ – weil die verstorbenen Mundlos und Böhnhardt keiner Strafe mehr zugeführt werden könnten. Wo doch auch nicht ausgeschlossen werden könne, dass Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt Informanten des Verfassungsschutzes waren oder gleich der NSU als Ganzes dessen Konstrukt.

Die Schlussvorträge sind in erster Linie eine Botschaft an die Naziszene. Deren Angehörige haben als Signal der Unterstützung an den treuen Kameraden auf der Besuchertribüne Platz genommen, Wohllebens Frau Jacqueline darf als Zeugenbeistand neben ihm sitzen und seine Hand halten. In Thüringen war Wohlleben einer der Anführer in rechten Kreisen, für die NPD engagierte er sich als Lokalpolitiker in Jena. Seine Popularität ist ungebrochen. Es gibt T-Shirts, auf denen „Freiheit für Wolle“ gefordert wird, der seit sechseinhalb Jahren in Untersuchungshaft sitzt. Als der Prozess 2013 begann, habe Wohlleben gestottert, weil er in der Einzelhaft so selten Kontakt zu anderen Menschen gehabt habe, behauptet Schneiders. Er gilt in der Szene als politischer Gefangener.

Wer hat was getan?

Als Verräter hingegen wird dort der frühere Neonazi Carsten S. gesehen. Er war es, der die Waffe vom Typ Ceska 83 gekauft und an Mundlos und Böhnhardt übergeben hatte. Gleich zu Prozessbeginn sagte er aus, das Geld dafür habe ihm Wohlleben gegeben, außerdem den Tipp, wo eine geschmuggelte Pistole zu bekommen sei. Er kann sich Hoffnung machen, nicht mehr ins Gefängnis zu müssen. Wohlleben sagte anders als S. erstmals 2015 aus und behauptete, er habe geglaubt, Uwe Böhnhardt wolle die Waffe zum Selbstmord benutzen. Er habe auch insgeheim darauf spekuliert, S. werde die Pistole nicht bekommen.

Tatsächlich ist nicht restlos gesichert, wer welchen Anteil hatte. Doch das scheint den Verteidigern nicht sonderlich wichtig zu sein. „Das Urteil stand schon vor der Hauptverhandlung fest“, sagt Schneiders. Sie müht sich, dass bloß nicht der Eindruck entsteht, in den vergangen Jahre hätte Wohlleben sich von seinen Gesinnungsgenossen entfernt. Das Gleiche gilt für seine Anwälte: Schneiders war vormals Mitglied der NPD, der später hinzugekommene Nahrath letzter Vorsitzender der mittlerweile verbotenen Wiking-Jugend.

Wortschatz aus Neonazikreisen

Und Anwalt Klemke serviert in seinem Vortrag gleich zu Beginn einen breiten Querschnitt durch das Vokabular von Neonazis: Er spricht über den „Schuldkult“ des deutschen Volks, das seinen eigenen Untergang finanziere, er schimpft über die „Politikerdarsteller der herrschenden Kasten“ und den angeblichen Einfluss der „rotgrün durchsetzten sogenannten Qualitätsmedien“, oder gleich der „Lügenpresse“. Ein anderes Ziel, als in ebenjener aufzutauchen, können seine Kraftsprüche nicht haben.

Schon im Laufe des Verfahrens hatten die Anwälte mit Beweisanträgen nachweisen wollen, dass in Deutschland ein „Volkstod“ grassiere. Auch, dass die Naziikone Rudolf Heß ermordet worden sei, wollten Schneiders, Klemke und Nahrat zum Thema im Prozess machen. Nun lässt Schneiders wissen, man habe die Verteidigung „nicht politisch, sondern sachlich geführt“.

„Kein Ausländerhasser“

Tatsächlich hatte gerade Klemke selbst Vertretern der Nebenklage durch sein versiertes Handeln im Prozess Respekt abgerungen. Er ist ein intimer Kenner der Finessen der Strafprozessordnung. So sehr, dass sein Ruf in Richtung Bürgerlichkeit abzukippen drohte.

Das ist nach der Haudraufkritik an Gericht und Medien nicht mehr zu befürchten. Gleichzeitig betont Schneiders, Wohlleben sei „kein Ausländerhasser“, sondern „Realo“ gewesen und habe sich für eine vernünftige Politik eingesetzt, nicht für einen Führerstaat. En passant bringen die Verteidiger mehrere Beweisanträge ein, mit denen sie abermals belegen wollen, dass die erstmals in der Schweiz verkaufte Ceska-Pistole auch auf anderen Wegen zum NSU gelangt sein könnte. Die Erfolgsaussichten gehen gegen null.

Sicherheitshalber appelliert Schneiders daher noch an das Gewissen der fünf Richter des sechsten Strafsenats. Komme es zu einem Schuldspruch Wohllebens, sagt sie in düsterem Tonfall, „dann müssen Sie sich vor dem Richterstuhl des Ewigen verantworten“. Das Publikum lacht auf. Richter Götzl mahnt zur Ruhe. Er würde sich nie etwas anmerken lassen.