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Trumpf der Altverteidiger

 

Brandstifterin? Ja. Mörderin? Nein. Im NSU-Prozess will Beate Zschäpes Anwalt Wolfgang Heer einen wichtigen Anklagepunkt ausräumen. Das schafft er viel besser, als es ihre Neuverteidiger könnten.

Als es geschehen war, da war Beate Zschäpe vorbereitet. Das Versprechen hatte sie ihren Mitbewohnern Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt gegeben: Wenn ihr tot seid, fackle ich die Bude ab. Ein Feuer sollte alle Spuren tilgen, die die Männer in der Wohnung Frühlingsstraße 26 in Zwickau hinterlassen hatten.

Am 4. November 2011 waren die Uwes tot. Selbstmord nach einem gescheiterten Banküberfall. Zschäpe vergoss Benzin, zündete es an. Die Dämpfe des Kraftstoffs explodierten.

Und trotz aller Vorbereitung: „Sie spürte nur noch Leere“, beschreibt Zschäpes Anwalt Wolfgang Heer ihr Innenleben am Tag des Feuers, „und den Impuls, der erteilten Zusage zu entsprechen.“ Im Münchner NSU-Prozess geht es an diesem Tag genau darum: Was vor sich ging, im Haus Frühlingsstraße 26, aber auch in der Hauptangeklagten Zschäpe. Verteidiger Heer setzt sein am Vortag begonnenes Plädoyer fort. Schon zu Beginn hatte er beantragt, seine Mandantin von der Mittäterschaft an allen Terrortaten des NSU, darunter die zehn Morde, freizusprechen. Sie sei nur der einfachen Brandstiftung schuldig.

Die Brandstiftung soll versuchter Mord sein

Während Heer spricht, sitzt Zschäpe so innerlich fern da, wie aus den vergangenen fünf Jahren gewohnt. Sie hat die Ellbogen auf den zugeklappten Laptop gestützt, das Kinn auf die Fäuste, der Blick ruht auf der Tischplatte. Sie hat sich bereits 2014 mit Heer und seinen Kollegen Wolfgang Stahl und Anja Sturm zerstritten. Seitdem schenkt sie ihnen weder Worte noch Blicke.

Dennoch läuft Heer in seiner eigenen Art zur Hochform auf. Er untersucht in höchster Feinheit die Beweise, die die Bundesanwaltschaft wegen des Brands gegen Zschäpe zusammengetragen hat. Die Anklage wertet die Tat als besonders schwere Brandstiftung, Herbeiführen einer Sprengstoffexplosion und dreifachen versuchten Mord. In einer Wohnung in der anderen Hälfte des Mehrfamilienhauses befand sich am 4. November 2011 nämlich die damals 94 Jahre alte Nachbarin, außerdem arbeiteten zwei Handwerker zu der Zeit regelmäßig im Dachstuhl.

Klingelte Zschäpe bei der Nachbarin?

Was der Bundesanwaltschaft als klares, geschlossenes Modell gilt, ist für Heer ein schlampiges Flickwerk. Wo die Ankläger meinen, die Nachbarin sei in akuter Gefahr gewesen, führt Heer an: Feuer und Rauch hätten sich so in dem Haus ausgebreitet, dass die alte Dame erst nach 20 bis 30 Minuten in Gefahr gewesen wäre, eine Rauchgasvergiftung zu erleiden. Das hätten die Gutachten von zwei Sachverständigen im Prozess ergeben.

Was ebenfalls ein Gutachter festgestellt hatte: Der Brandstifter der Frühlingsstraße war ein Amateur. „Unüberlegt und hastig“ sei das Benzin vergossen worden, sagt Heer. Ein Badezimmer war nach dem Brand völlig verkohlt, das Wohnzimmer und etliche spätere Beweisstücke hingegen bestenfalls angekokelt. „Inventar, das vernichtet werden soll, findet sich wohl eher im Wohn- als im Badezimmer“, sagt der Anwalt. Und wer so linkisch vorging, sollte mit einer Explosion und obendrein dem Tod von Menschen gerechnet haben?

Klar ist für Heer auch, dass Zschäpe an der Wohnung der Nachbarin geklingelt hatte. Erst, als niemand antwortete, habe sie das Feuer gelegt – im Glauben, die Seniorin sei nicht zu Hause. Tatsächlich war sie da. Die Bundesanwaltschaft hingegen meint, geklingelt habe nicht Zschäpe, sondern einer der Handwerker, der nach der Explosion nachsehen wollte, ob noch jemand im Haus ist.

Der Vorteil der Stammanwälte

Um den Brand ging es gleich zu Beginn des NSU-Prozesses 2013. Damals vertraute Zschäpe ihren Verteidigern noch. Die Erkenntnisse daraus sind der Trumpf der Altverteidiger: Derart sorgfältig hätten sich Zschäpes neu hinzugekommene Anwälte Hermann Borchert und Mathias Grasel niemals damit auseinandersetzen können. Die Mandantin hatte sie im Laufe des Jahres 2015 in den Prozess geholt. Sie hielten vor rund eineinhalb Monaten ein eigenes Plädoyer. Darin forderten sie ein Höchstmaß von zehn Jahren Haft.

Die Unterschiede zwischen den Schlussvorträgen scheint Zschäpe selbst zu bemerken: Im Laufe des Tags dreht sie sich zu Heer hinüber, schaut ihm ins Gesicht. Wer das stärkere Plädoyer liefert, ist schon jetzt klar. Auch der Titel des längsten Schlussvortrags wird an die Altverteidiger gehen: Der Part von Anwalt Heer ist an diesem Tag noch immer nicht abgeschlossen. Die Verteidiger werden bis in die kommende Woche hinein sprechen.